28 Mai 2025

Hermann Hesse: Erinnerung an Hans

Hermann Hesse hatte es gewiss nicht einfach im Leben: Die Rebellion gegen seine pietistischen Vater, seine Isolation von seinen Kreisen, als er von Deutschland getrennt einer der Wenigen war, die sich bedingungslos gegen den Krieg stellten, ganz anders als der von ihm geschätzte Thomas Mann, der sich als "Unpolitischer" und als Verteidiger des Deutschtums gegenüber dem "Zivilisationsliteraten" verstand.

Und nun erlebe ich ihn in seinem Text "Erinnerung an Hans" (seinen jüngeren Bruder) als den, der sich seiner - gegenüber dem Bruder - sehr bevorzugten Stellung sehr bewusst ist.(sieh: Perlentaucher)

"Zwei Erinnerungen stehen Hermann Hesse besonders vor Augen. Kleine Momente nur. Einmal am Weihnachtsabend, Hans sieben, Hermann zwölf Jahre alt, sieht der große Bruder den Glanz des vollkommenen Glücks in den Augen des Kleinen im Angesicht der Kerzen und der Geschenke. Im ersten Moment verachtet er den Staunenden. Im zweiten weiß er: In ihm selbst ist dieses Glück, dieses vollkommen unverstellte Erfülltsein vom Augenblick für immer verloren. Er weiß: Dies hier, dieser Moment, das wird für immer das Beste bleiben, was dir im Leben geschehen kann. Unbewusstes Strahlen aus deinem Innersten heraus. Der Ältere erkennt in einem Erkenntnis-Flash die eigene Vertreibung aus dem Paradies. Der Jüngere steckt noch mittendrin.# Er sah im Bruder stets das andere Ich Aus dieser Urszene entwickelt Hesse die brüderlichen Lebenslinien. Während dem Jüngeren kein Projekt, 
keine Begabung, kein Hilfsmittel zur Rückgewinnung jenes frühen Glücks mitgegeben wurde, hat der Ältere seine Kunst. Mit zäher Energie bewegt sich Hermann Hesse stetig 
und unaufhaltsam auf sein Ziel hin, von dem er seit Kindesbeinen träumte: das Ziel, Schriftsteller zu werden. Der Kleinere fühlt diese Gabe in sich nicht. Sein Ziel heißt von frühen Tagen an: Zurück! Ins Kinderland" (, ZEIT 26.5.2025)
Hermann ist aus dem Kinderparadies vertrieben und versucht, als er älter ist. irgendwie seinem Bruder gerecht zu werden, als der in der Arbeitswelt in einem untergeordneten Posten unglücklich wird, aber es nach außen geduldig trägt, dann aber doch sich die Pulsadern aufschneidet. 
Das gemischte Gefühl, das Hermann seinem Bruder gegenüber hat, spricht mich sehr an.
Und wie er die Gemeinsamkeit mit seinem Bruder in der Selbstmordgefährdung schildert,
die bei ihm - behandelt - seinem Werk Tiefe gibt. 
Dass Hesse hier ganz als Person, nicht als Autor hervortritt, rührt mich an und macht ihn mir sympathisch. 

 Die Spur der Traurigkeit

"Hans war 24 Jahre alt, als ihm sein großer Bruder zum ersten Mal eine Pistole weggenommen hat. Sie lag ganz obenauf in seinem Koffer im Feriengepäck. Es war am Bodensee, wo Hermann Hesse damals, im Sommer 1906, lebte und sein kleiner Bruder war für ein paar Tage zur Erholung zu ihm gekommen. Hermann Hesse, fünf Jahre älter, hatte ihm beim Auspacken geholfen, und als er die Waffe fand, lachten beide verlegen, und der große Bruder bewahrte sie für die Dauer der Ferien auf. Er wusste um die Gefährdung des Bruders. Es war auch seine eigene.
Im Insel Verlag ist gerade ein sehr schönes Buch von Hermann Hesse erschienen, dem Autor des Steppenwolfs und von Siddharta, dem Nobelpreisträger aus Calw, über den mit leisem Spott zu sprechen irgendwie normal geworden ist. Vielleicht weil vielen Menschen, die seine Bücher in frühen Phasen ihres Lebens liebten, ihre eigenen Gefühle von damals peinlich geworden sind. Wie eine Wiederbegegnung mit einem früheren Ich, das man in einer dunklen Truhe der Scham abgelegt hat. Schade um die Bücher. Sie sind es wert, in guter Erinnerung behalten zu werden. Genauso wie unsere früheren Ichs.
Das Buch, von dem wir hier sprechen wollen, heißt Erinnerung an Hans und ist nicht neu. Aber es ist ein wenig bekannter und sehr eindrucksvoller Text. Vielleicht weil Hermann Hesse in diesen Erinnerungen an seinen Bruder eine gespiegelte Autobiografie schreibt. Sein eigenes Leben, wie es hätte sein können, wenn er diese eine, einzigartige Gabe nicht gehabt hätte: die Gabe, Geschichten zu erzählen. [...]"

Ein dünnes Buch, ich kann es empfehlen.

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