"[...] Jenen Baum aber habe nicht ich zu scheuen, sondern du, denn weitbekannt ist er im Lande und um ihn schweben seit der Urzeit hohe Gewalten, welche dir Feind sind und nicht mir.«
»Ob sie mir Feind sind, will ich dir zeigen, wenn du mir folgst«, antwortete der Fremde und schritt dem Baume zu. Er hob seine Axt und rief: »Haben sie Grimm, so mögen sie zürnen, haben sie Macht, so mögen sie mich treffen wie ich diesen Stamm.« Und mit starkem Schwunge schlug er die Axt in den Baum. Der Führer trat zurück, griff nach seiner Waffe und starrte nach der Höhe, ob von dort ein Götterzeichen den Frevler treffe; aber alles blieb still, nur ein trockener Zweig mit Eschensamen fiel herab. »Sieh her,« rief der Fremde, auf das Samenbündel weisend, »das ist der Zorn deiner Gewaltigen. Der Baum, vor dem du zagst, war einst ein flatterndes Samenkorn wie dieses hier, aus einem winzigen Kern ist er gewachsen. Wo hausten die Gewaltigen, welche du fürchtest, als der Baum noch ein Samenkorn war? Meinst du, der Baum hat gestanden von Anfang der Menschenerde? Merke, unter seinen Wurzeln fand ich diesen Stein, rissig und gesprengt durch die Kraft des Baumes. Betrachte den Stein, es ist ein Mühlstein, wie ihn die Weiber drehen, um das Getreide zu mahlen. Bevor die Esche war, hat hier ein Hauswesen lebender Menschen gestanden. Geringe Ehre verdienen die Götter, welche erst dann in der Esche mächtig wurden, als die Menschen gestorben waren, die vor dem Baume hier hausten. Der Herr aber, welchem ich diene, ist der Gott, welcher Himmel und Erde gemacht hat, er allein ist ewig und allmächtig von der Urzeit und wird ewig und allmächtig sein, wenn der letzte Span dieses Baumes aus der Welt geschwunden ist.« [...]
du kennst den Ingram, welchen die Heiden Ingraban nennen.«
»Nicht viel Gutes habe ich von ihm genossen, er ist einer von den Feinden des Kreuzes; dort oben haust er auf der Stätte, die sie den Rabenhof nennen, denn die schwarzen Heidenvögel nisten in den Bäumen und krächzen unholde Lieder. Er aber ist voran bei allem Streit und hält die Herzen der Jugend in seiner Hand. Während jener Schlacht sah ich, wie seine Gesellen ihn verwundet aus dem Kampfe trugen: und sie meinen, wäre er im Vorkampf geritten bis zum Ende, dann hätten die Slawen nicht obgesiegt.« [...]
»Ich zürne dir nicht, mein Bruder,« versetzte Winfried, »da ich dich aussandte, wußte ich, daß du kein Säemann warst für steiniges Land, aber von freundlichem Herzen, und daß dich die Heiden hier, weil du wohlmeinend bist, vielleicht dulden würden. Wie ein Kundschafter, der in das gelobte Land gegangen ist, warst du mir. Jetzt bin ich selbst gekommen, dies Volk meinem Herrn zu unterwerfen.« [...]
G. Freytag: Die Ahnen, Ingo und Ingraban
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