Mein Meister sprach: Du unterläßt zu fragen,Dante: Die Göttliche Komödie, 4. Gesang, S.23-26
Was es für Geister sind, die du hier siehest;
Doch sollst Du, eh wir weiter gehn, vernehmen,
Daß sie nicht sündigten. Und wenn Verdienste
Sie hatten, g'nügt es nicht, weil ohne Taufe
Sie starben, welche deines Glaubens Teil ist.
Und lebten sie noch vor dem Christentume,
So beteten zu Gott sie falscher Weise;
Und diesen bin ich selber beizuzählen.
Ob solchen Mangels, nicht ob andren Fehles,
[24] Sind wir verloren, und nur dadurch leidend,
Daß, ohne Hoffnung, wir in Sehnsucht leben. –
Als ich's vernommen, faßte tiefer Schmerz mich
Denn ich begriff, wie Seelen höchsten Wertes
In dieses Vorhofs Mittelzustand schwebten.
Sag' an, mein Meister, sage mein Gebieter,
Begann ich, um Bestätigung zu finden
Des Glaubens, welcher jeden Wahn vernichtet:
Ward einer je von hier befreit und selig
Durch fremdes, oder eigenes Verdienst? –
Und er, verstehend die verhüllte Rede,
Entgegnete: Noch neu in diesem Zustand
War ich, als ein Gewaltiger daher kam,
Um dessen Haupt sich Siegeszeichen wanden.
Er raubte uns des ersten Vaters Schatten
Und Abel seinen Sohn, Noah und Moses,
Der die Gesetze schrieb, und doch gehorchte,
Abra'm den Patriarchen, König David,
Israel mit dem Vater und den Kindern
Und Rahel auch, um die er lang geworben,
Viel andre noch, und alle macht' er selig.
Doch wissen sollst du, daß niemals vor ihnen
Die Seele eines Menschen ward errettet. –
[...]
Da hört' ich einer Stimme Ruf erschallen:
Erweiset dem erhabnen Dichter Ehre!
Sein Schatten kehrt zurück, der uns verlassen. –
Als nun die Stimme schwieg und nicht mehr tönte,
Sah ich vier hohe Schatten sich uns nahn;
Ihr Antlitz zeigte Trauer nicht, noch Freude.
Mein Meister aber sagte rasch zu mir:
Sieh jenen mit dem Schwert in seiner Hand,
Der vor den andren hergeht als ihr Meister!
Das ist Homer, der königliche Dichter
Der zweit' ist der Satiriker Horaz,
Als dritter folgt Ovid, Lucan als letzter.
Weil jeder nun mit mir den Namen teilt,
Den du die Einzelstimme nennen hörtest,
Tun sie mir Ehr' an, und so ist's geziemend. –
So sah versammelt ich die schöne Schule
Der Meister des erhabensten Gesanges,
Der ob den andren, gleich dem Adler, fliegt.
Als miteinander etwas sie gesprochen,
Da wandten sie zu mir sich, freundlich grüßend;
Mein Meister aber lächelte darob.
Und mehr der Ehr' erzeigten sie mir noch;
Denn ihrer Schar gesellten sie mich zu,
So daß ich Sechster ward im Kreis der Weisen.
[...]
Durch sieben Tore traten dann wir ein
Und fanden uns auf frisch begrünter Matte.
Die Geister dort, sie blickten ernst und ruhig,
Es lag in ihrem Ausdruck hohe Würde,
Sie sprachen selten und mit sanfter Stimme.
Wir wählten einen Platz, der licht und offen
Zur Seite sich erhob, so daß von dort aus
Wir all die Scharen deutlich überschauten.
Uns gegenüber auf dem grünen Teppich
Wies mir mein Führer dann die großen Geister;
Weshalb ich noch mich rühm, und glücklich preise.
Elektra sah ich unter viel Gefährten,
Wovon Aeneas ich erkannt' und Hektor,
Cäsar im Waffenschmuck mit Falkenaugen.
Ich sah Cammilla und Penthesilea,
Latinus auch den König, und die Tochter
Lavinia, welche fern den andren saßen.
Den Brutus sah ich, der Tarquin vertrieben,
Lucretia, Julia, Martia und Cornelia,
Und einsam und abseits den Saladin. –
Als etwas höher ich die Wimper hob,
Sah ich den Meister aller die da wissen,
Umgeben rings von Philosophen-Schülern;
Auf ihn nur schauen ehrerbietig alle.
Hier sah ich Sokrates sowohl als Plato,
Die vor den andren ihm am nächsten stehn.
Auch Demokrit, dem alles gilt für Zufall,
Und Thales, Anaxagoras, wie Zeno,
Empedokles und Heraklit, den dunklen,
Diogenes und Dioskorides,
Heilsamer Pflanzen Sammler, Orpheus, Linus,
Cicero, Seneca, den Sittenlehrer,
Euklid, den Geometer, Ptolemäus,
Hippokrates, Galen und Avicenna,
Averroës, den großen Kommentator.
Unmöglich kann ich einzeln alle nennen.
Zur Kürze treibt so sehr des Stoffes Länge,
Daß dem Geseh'nen oft mein Wort nicht nachkommt. –
14 Januar 2012
In Dantes Hölle trifft Vergil seine Kollegen und seine Figuren
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