13 August 2013

Theodor Storm an Paul Heyse

Wie köstlich es gestern, unser Frühlingsanfang-Tag, in mei­nem Tannengarten war! Ich wollt, Du wärst bei mir gewesen. Alles voll Vogelgesang, und der tut merkwürdig wohl, wenn man selber matt und sangberaubt sich in der Sonne wärmt. Gartenlaubsänger, Buchfink, Meisen, Hänfling - alle waren sie da und sangen um mich her; sie bauten sich dabei wohl ihre Nester in den dichteren Tannenbeständen; sogar der Star, der Spitzbub, kam und ließ sich, wohl nur um die Ge­legenheit zu besehen, auf einen Kirschbaum nieder, der noch mit unaufgebrochenen Knospen stand. Frau Nachtigall sang freilich am 1. Mai den ganzen Tag in meinen Tannen und dann noch zweimal später; aber es waren nur Höflichkeits­visiten; und gestern abend schrie der Waldkauz aus den Tannen, der nur dem einen Gedanken nachgeht, all meine Künstler aufzufressen; bei Tage, und wohl auch später, schleicht ein schwarzer Kater hier herum: so steht der Tod an allen Freuden, und wir dürfen ihn nicht außer Rechnung lassen.
(17.5.1888)

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