O, zum Mitleiden gehört nur ein Mensch, aber zur Mitfreude ein Engel; [...]
Um zwei Uhr zog der Morgenwind lauter und kühler durch Viktors offnes Zimmer und rüttelte schon Tautropfen von geglättetem Laub, das nahe Blätter-Geflüster wirbelte sich durch seine Ohren in seine Träume. Die Lerche fuhr als Ouvertüre des Tages hoch ins Himmelgrau hinauf und läutete das Trommetenfest des Morgens ein. Dieser Wecker wurde durch sein Träumen zum umherfliegenden Nachhall, das sich mit dem Morgen vermischte; unter dem sanften Einfallen des nachbarlichen Getönes schloß er langsam die Augen auf und träumte weiter und tat sie wieder zu und erwachte mehr, und der Schlaf fuhr nicht wie ein dickes Leichentuch aus Nacht hinweg, sondern wallete wie ein Schleier aus Morgenduft empor, und seine Seele schloß sich, ohne eine einzige Bewegung mit dem Körper zu machen, mit dem stillen Erwachen eines Blumenkelchs vor dem Morgen auseinander.... – Jetzt bin ich schon wieder im Sieden und Flammen – und doch nehm' ich mir, sooft ich eintunke, vor, die Kunstrichter zu gewinnen und mit meiner Feder zu schreiben wie mit einem Eiszapfen. Aber es ist mir unmöglich – erstlich weil ich in die Jahre komme. Bei den meisten Menschen hört zwar wie bei den Vögeln das Singen mit der Liebe auf; aber bei denen, die ihren Kopf zu einem Treibhaus ihrer Ideen machen, geben die Jahre, d. h. die Exerziertage darin, der Phantasie wie den Leidenschaften einen höhern Wuchs. [...]
Nur die Kokette wird durch die Liebe befehlhaberischer (ein kieselsteinernes Juristenwort!); aber die Stolze wird dadurch bescheiden und sanft. [...]
Obgleich nach meinen Tabellen die Liebe gerade am Tage nach dem ersten Kusse am höchsten, nämlich auf 112° Fahrenheit oder 10° de l'Isle steht: so war doch mit Viktors Liebe zugleich seine Ehrfurcht gestiegen – o die Liebe erhebt, worin die Gunstbezeugungen nicht kühner, sondern blöder machen! – [...]
Und was anders als versteinerte Blüten eines Klima, das auf dieser Erde nicht ist, graben wir aus unserer Phantasie aus, so wie man in unserm Norden versteinerte Palmbäume aus der Erde holt..... [...]
Und Klotilde und Viktor standen unschuldig vor Gott, und Gott sagte: weint und liebt wie in der zweiten Welt bei mir! – Und sie schaueten sich sprachlos an in der Verklärung der Nacht, in der Verklärung der Liebe, in der Verklärung der Rührung, und Wonnezähren deckten die Augen zu und hinter den erleuchteten Tränen stiegen um sie verklärte Welten aus der dunkeln Erde auf und der Abendspringbrunnen legte sich glimmend wie eine Milchstraße über sie herüber und der Sternenhimmel schlug funkelnd über sie zusammen und das entweichende Vertönen spülte die aufgehobnen Seelen vom Erdenufer los....
Jean Paul: Hesperus
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