Wer wäre denn kein Sklave? Das möchte ich wissen. [...]
Von all dem Lässigen, was wir von den beiden Apfeldieben im Paradies übernommen haben, ist das Zahlen vielleicht das Unbequemste. Dagegen Bezahltwerden – was kann man sich Erhebenderes denken? Erstaunlich ist´s, mit welch liebenswürdiger Geschäftlichkeit wir Geld einkassieren, wenn man bedenkt, wie wir allen Ernstes daran glauben, dass Geld die Wurzel irdischen Übels ist und ein begüterter Mann um keinen Preis in den Himmel kommt. [...]
Gewiss, ich gehe am Guten nicht vorüber. Aber das Grauen zieht mich heftig an, und auch heute noch ließ ich mich gern damit ein, wenn mir´s erlaubt wäre. [...]
Auf einem Segler aus Nantucket wollte ich fahren und auf keinem anderen, denn alles, was mit dieser berühmten Insel zusammen hing, hatte etwas erfrischend Raues an sich, das mir über die Maßen gefiel. [...]
Ein bisschen wunderlich war es schon, das alte Giebelhaus – an einer Seite hing´s windschief über, als hätte es das Reißen. Es stand an einer zugigen Straßenecke, wo der wogentreibende Nordost Euroclydon noch ärger heulte als weiland um des armen Apostels Paulus wellenumtostes Schifflein. Und doch ist selbiger Eurocylon der allerwohligste Zephyr, wenn wir am Kamin sitzen und uns in Gemütsruhe die Füße schön bettwarm rösten lassen.
„So, du willst den wilden Sturmwind mit Namen Euroclydon recht erkennen“, sagte ein alter Schriftsteller – das einzig erhaltene Exemplar seiner Werke ist in meinem Besitz – „ so merke wohl: zweierlei Ding ist´s, ob du sein Toben durchs Glasfenster ansiehst, also dass der bittere Frost all außen bleibet, oder du betrachtest´s aus deinen zwei ungerahmten Fensterlein, da´s denn innen und außen gleichermaßen frieret, und gibt doch nur einen einzigen Glasermeister dafür: das ist der Unhold Tod“. Du hast recht, dacht ich, als mir die Stelle einfiel – die alte Schwarte hatte Recht: Ja, der Leib ist das Haus, und die Augen sind die Fenster drin. Schade freilich, dass Ritzen und Schlupflöcher nicht dichter verputzt sind; es hätte wohl hie und da ein bisschen Charpie hineingestopft werden können. Doch zum Bessermachen ist´s nun zu spät. Die Welt ist fertig, in die Kuppel ist der Schlussstein eingesetzt, und der Bauschutt ist schon seit einer Million Jahren abgefahren. Du armer Lazarus, da liegst du nun, den Kopf auf dem Kantstein gebettet, klapperst mit den Zähnen und schlotterst so erbärmlich vor Kälte, dass dir die Lumpen vom Leibe fliegen. Du magst dir die Ohren verstopfen, soviel du willst, und dir noch einen Maiskolben in den Mund stecken – den tosenden Euroclydon wird´s doch nicht abhalten. Aha, der Euroclydon! Sagt da unser Reicher in seinem rotseidenen Schlafrock (später in der Hölle ist er noch viel röter angetan) Puhuh, die herrliche Frostnacht! Wie der Orion funkelt, ach, und das Nordlicht! Die sollen mir noch mit ihrem orientalischen Klima kommen – ewig Treibhausluft, ewig Sommer! Wenn ich nur das Recht habe, mir mit meinen Kohlen meinen eigenen Sommer zu machen. Was aber meint nun Lazarus dazu? Ob er sich an dem wunderbaren Nordlicht die blauen Hände wärmen kann? Lazarus wäre wohl lieber auf Sumatra als hier! Am Ende streckte er sich am liebsten der Länge nach auf dem Äquator aus. Ja, ihr Götter! Um dieser Eiseskälte zu entrinnen – wer weiß – er stiege wohl gar hinunter in die Hölle.
Ist es nicht unglaublich, dass Lazarus vor der Tür des reichen Mannes auf dem Kantstein liegen muss? Eher sollte noch ein Eisberg an einer Molukkeninsel festmachen! Und dabei wohnt auch der Reiche in einem Eispalast, einem Schloss aus lauter gefrorenen Seufzern, ganz wie der Herrscher aller Reußen, und zu trinken bekommt er lauwarme Waisentränen, weil er doch in einem Abstinenzlerverband den Vorsitz führt. Genug der gefühlsvollen Tränen! Wir wollen auf den Walfang, da gibt´s Tran in Hülle und Fülle. Kratzen wir uns lieber das Eis von den erfrorenen Füßen und untersuchen, was es mit diesem Walfische hier auf sich hat.
(Herman Melville: Moby Dick)
mehr zu Herman Melville in FAZ vom 2.8.2019
(Herman Melville: Moby Dick)
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