Auf einem Rastplatz wird Don Quijote aus seinem Käfig herausgelassen und bekommt so die Gelegenheit, sich in das Literaturgespräch einzumischen. (Die Textfassung folgt wieder der Übersetzung der urheberrechtsfreien Ausgabe von Amazon)
»Ich aber«, versetzte Don Quijote, »finde meinesteils, daß der Mann ohne Verstand und der Verzauberte Euer Gnaden selbst ist, da Ihr es für richtig gehalten habt, dergleichen große Lästerungen gegen etwas auszustoßen, das überall in der Welt solche Geltung gefunden und für so wahr erachtet wird, daß, wer es leugnen wollte, wie Euer Gnaden es leugnet, dieselbe Strafe verdiente, die Ihr den Büchern auferlegt, wenn Ihr sie leset und sie Euch langweilen. Denn jemandem einreden zu wollen, daß Amadís nie auf Erden gelebt und ebensowenig auch die andern abenteuernden Ritter, von denen die Geschichtsbücher voll sind, das heißt einem einreden wollen, daß die Sonne nicht leuchtet und das Eis nicht kältet und die Erde uns nicht trägt. Mithin, welch vernünftiges Wesen kann es auf Erden geben, das einem andern einreden könnte, es sei nicht volle Wahrheit, was von der Prinzessin Floripes erzählt wird und von Guido von Burgund und von Fierabrás, nebst der Brücke von Mantible, was alles sich zu Zeiten Karls des Großen zugetragen? Ich schwör's bei allem, was heilig ist, dies ist alles so wahr, wie daß es jetzt Tag ist. [...]
Sodann, wer kann leugnen, daß die Geschichte von Peter und der schönen Magelona* wahr ist, da man noch heutzutage in der Waffensammlung unsrer Könige den Zapfen sieht, mit welchem der Graf Peter das hölzerne Pferd hin und her lenkte, auf dem er durch die Lüfte flog? Und selbiger Zapfen ist etwas größer als eine Karrendeichsel. Und neben dem Zapfen sieht man dort den Sattel des Babieca, und in Roncesvalles befindet sich das Horn Roldáns, so groß wie ein mächtiger Balken. Woraus folgt, daß es einen Ritter Peter gegeben, daß es Männer wie Cid gegeben und andre dergleichen Ritter, die, wie die Leute sagen, hinausziehn auf ihre Abenteuer. [...]
Der Domherr war hocherstaunt über diese Mischung von Wahrheit und Lügen, welche Don Quijote vorbrachte, und zu sehen, welche Kenntnis er von allem hatte, was die Taten seines fahrenden Rittertums betraf und daran rührte, und so antwortete er ihm: »Ich kann nicht leugnen, Señor Don Quijote, daß einiges von dem, was Ihr gesagt, wahr ist, besonders was die fahrenden Ritter Spaniens angeht; und ebenso will ich auch zugeben, daß es zwölf Pairs von Frankreich gegeben hat, aber ich mag nicht glauben, daß sie all jene Taten getan, die der Erzbischof Turpin von ihnen berichtet. Das Wahre daran ist, sie waren von dem König von Frankreich auserlesene Ritter, die man Pairs, das heißt Ebenbürtige, nannte, weil sie an Tüchtigkeit, Adel und Tapferkeit alle einander ebenbürtig waren; und wenn sie es nicht waren, sollten sie es wenigstens sein. Es war also ein Orden wie die jetzt bekannten Orden von Santiago oder Calatrava, bei welchen vorausgesetzt wird, daß jeder darin Aufgenommene ein mannhafter und tapferer Ritter von guter Geburt ist. Und so wie man jetzt sagt ›Ritter vom heiligen Johannes‹ oder, ›von Alcantara‹, so sagte man zu jener Zeit ein ›Ritter aus der Zahl der zwölf Pairs‹, weil es zwölf in jeder Beziehung Ebenbürtige waren, die man für diesen Kriegsorden auserkor. Was den Punkt betrifft, ob es einen Cid gegeben, so ist daran kein Zweifel, ebensowenig daran, daß es einen Bernardo del Carpio gegeben; aber daß sie die großen Taten getan, die man erzählt, das ist meiner Meinung nach sehr zu bezweifeln. Was nun das andere betrifft, den Zapfen, den Ihr dem Grafen Peter zuschreibt und der neben dem Sattel Babiecas* in der königlichen Waffensammlung zu sehen ist, so bekenn ich meine Sünde, ich habe zwar den Sattel, aber nicht den Zapfen zu sehen bekommen, so dumm oder so kurzsichtig muß ich wohl sein, wo er doch so groß ist, wie Euer Gnaden sagen.« »Freilich ist er da, ohne allen Zweifel«, entgegnete Don Quijote; »und zum weiteren Wahrzeichen: er steckt in einem Futteral von Rindsleder, damit er nicht vom Schimmel angegriffen wird.
(Cervantes: Don Quijote 1.Teil 5. Buch 8. Kapitel)
*"Vermutlich das ergreifendste Zeugnis für die allgemeine Bekanntheit des Textes liefern die Archivalien der Hexenprozesse in Nördlingen. Im Kassiber der 1590 in Nördlingen als Hexe verbrannten Rebecca Lemp an ihren Mann Peter vom 2. August 1590 heißt es: O Schaz Deiner vnschuldigen Magalona. Rebecca und ihr Mann Peter haben ihre Liebe also nach einem literarischen Muster stilisiert. Indem Rebecca Lemp den Namen Magelone annimmt, wirft sie auf die tragische Trennung von dem geliebten Ehemann Peter „das Licht einer als verbindlich erfahrenen Geschichte von Liebe und Abenteuer. Weit davon entfernt, kokettes Spiel zu sein, bezeugt diese Anspielung die Wirkmächtigkeit eines literarischen Modells und erfüllt den sonst so schillernden Begriff literarischer Identifikation mit Leben.“*" (Wikipedia) - *Klaus Graf: ''Veit Warbeck, der Übersetzer der „Schönen Magelone“ (1527) und seine Familie''. Einhorn-Jahrbuch Schwäbisch Gmünd 1986, S. 139
*Babieca ist der Name des legendären Schimmels "des Ritters El Cid aus einem mittelalterlichen spanischen Heldenepos, u. a. erwähnt in Cervantes’ Roman Don Quijote (I.8) und im Zeichentrickfilm El Cid (2003)" (Wikipedia: Liste fiktionaler Tiere)
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