Es waren noch keine vierzehn Tage verflossen, als unser Renegat schon eine gute Barke gekauft hatte, die wohl dreißig Personen fassen konnte. Um nun der Sache einen Schein zu geben, machte er wirklich eine Reise nach einem Orte, der Sargel heißt und der dreißig Meilen von Algier nach der Gegend von Oran liegt, wo ein großer Handel mit Feigen getrieben wird. Er machte diese Reise zwei- oder dreimal in der Gesellschaft des Tagariners. Tagariner heißen in der Barbarei die Mohren aus Aragon, die aus Granada Muxedares; im Königreiche Fez heißen die Muxedares Elches, die der König hauptsächlich zu Soldaten im Kriege braucht.
Jedesmal, sooft er mit seiner Barke ausfuhr, landete er an einer Stelle, die kaum zwei Musketenschüsse von dem Garten entfernt lag, in dem sich Zoraida aufhielt; dort ließ der Renegat seine Mohren rudern, die Schiffsbegrüßung machen und das aus Scherz tun, was er nachher in Ernst vorzunehmen gedachte, darum begab er sich auch nach dem Garten der Zoraida und bat um Früchte, die der Vater ihm gab, ohne ihn zu kennen; er wollte auch die Zoraida sprechen, wie er mir nachher erzählte, um ihr zu sagen, daß er derjenige sei, der sie auf meinen Befehl in die Christenheit führen solle, und daß sie vergnügt sein möchte und sich auf ihn verlassen; aber es war ihm unmöglich, denn die Mohrinnen lassen sich vor keinem Mohren oder Türken sehen, wenn nicht ihr Gemahl oder ihr Vater es ihnen befiehlt; mit den Christensklaven aber gehen sie um, und oft mehr, als es die Klugheit erlaubt; ich würde auch in Sorgen gestanden haben, wenn er sie wirklich gesprochen hätte, denn vielleicht wäre sie erschrocken, wenn sie die Unternehmung in den Händen eines Renegaten gesehen hätte; doch Gott fügte es anders, denn der Renegat fand keine Gelegenheit, seinen Vorsatz auszuführen, er sah nun, daß er sicher nach Sargel schiffen und zurückkommen konnte, wie er Anker werfen könne, und wo er nur wolle, und daß der Tagariner, sein Gefährte, keinen andern Willen habe als er selber, daß ich schon losgekauft war, und wie jetzt nur noch einige Christen zum Rudern fehlten. Er sagte mir daher, daß ich noch, außer den Ausgelösten, welche suchen möchte, die mit uns gingen, die ich auf den nächsten Freitag bestellen solle, an welchem wir unsere Abreise beschlossen hatten. Als es so weit gediehen war, nahm ich mit zwölf Spaniern Abrede, alle starke, zum Rudern tüchtige Leute, und die noch am freiesten aus der Stadt gehen konnten. Es war ein großes Glück, daß ich so viele traf, denn es waren zwanzig Schiffe auf Beute ausgelaufen und hatten alle Ruderer mitgenommen; ich hätte auch diese nicht gefunden, wenn ihr Herr in diesem Sommer nicht zu Hause geblieben wäre, ohne auf Beute auszugehen, um eine Galeere fertigzumachen, die auf der Werfte lag. Diesen sagte ich weiter nichts, als daß sie sich am künftigen Freitag nach der Dämmerung einer nach dem andern herausschleichen sollten, sich auf dem Wege nach dem Garten des Agi Morato versammeln und dort so lange warten, bis ich kommen würde. Jedem sagte ich insbesondere, daß, wenn er andere Christen dort träfe, er nur sagen möchte, ich hätte befohlen, dort zu warten.
Da dies getan war, blieb mir noch etwas, und zwar das Wichtigste, zu tun übrig, nämlich Zoraida zu benachrichtigen, wie weit es mit unserer Unternehmung gekommen sei, damit sie nicht übereilt würde und erschräke, wenn sie uns plötzlich viel früher sähe, als sie glauben konnte, daß schon eine Barke aus einem christlichen Lande angekommen sei. Ich beschloß, in den Garten zu gehen und die Gelegenheit zu suchen, sie zu sprechen. Unter dem Vorwand also, einige Kräuter zu pflücken, begab ich mich den Tag vor unserer Abreise dorthin, und der erste, der mir aufstieß, war ihr Vater, der mich in der Sprache anredete, die in der ganzen Barbarei und auch in Konstantinopel zwischen den Sklaven und Mohren gesprochen wird und die weder mohrisch noch spanisch, noch irgendeine andere Sprache ist, sondern ein Gemisch aus allen Sprachen, mit dem man sich gegenseitig versteht. In dieser Sprache also fragte er mich, was ich in seinem Garten suche und wem ich angehöre. Ich antwortete, daß ich ein Sklave des Arnauti Mami sei, denn ich wußte, daß dieser sein Freund war, und ich suche Kräuter, um einen Salat zu bereiten. Er fragte mich weiter, ob ich mich auslösen wolle oder nicht und wieviel mein Herr für mich verlange.
»Indem wir so miteinander sprachen, kam die schöne Zoraida aus dem Gartenhause, die mich schon längst bemerkt hatte, und da die Mohrinnen kein Bedenken tragen, sich den Christen zu zeigen, und ihnen niemals ausweichen, so kam sie auch gerade auf die Gegend zu, wo ich mit ihrem Vater stand; da dieser sie aus der Ferne bemerkte, rief er sie auch herbei, daß sie zu uns kommen möchte. Ich kann unmöglich jetzt die große Schönheit, den Anstand und den reichen und kostbaren Schmuck beschreiben, womit sich meine geliebte Zoraida meinen Augen zeigte; es hingen mehr Perlen an ihrem schönen Halse, in den Ohren und Haaren, als sie Haare auf dem Haupte hatte. Um die Knöchel der Füße, die sie nach dortiger Weise entblößt trug, hatte sie zwei Spangen vom feinsten Golde, mit so vielen Diamanten besetzt, daß ihr Vater, wie sie mir nachher erzählt hat, diese allein auf zehntausend Dublonen schätzte; um die Gelenke der Hand trug sie ähnliche Kleinodien von gleichem Werte. Die Perlen waren ungemein schön und in ungeheurer Menge, denn der größte Putz bei Mohren besteht darin, sich mit kostbaren großen und kleinen Perlen zu schmücken, darum gibt es auch bei den Mohren mehr Perlen als bei allen übrigen Nationen; und der Vater der Zoraida war dafür bekannt, die meisten und schönsten in Algier zu besitzen; außerdem schätzte man sein Vermögen auf mehr denn zweimalhunderttausend spanische Taler; von allem diesen war diejenige Gebieterin, die jetzt die Meinige ist. Ob sie mit so vielem Schmucke, in vollem Glücke schön erscheinen konnte, mögt Ihr aus dem schließen, was sie noch nach so vielen überstandenen Leiden ist, denn es ist bekannt, daß die Schönheit der Frauen nach Tagen und Zeiten wechselt und durch Zufälle vermindert oder vermehrt werden kann; auch ist es natürlich, daß die Leidenschaften der Seele sie erhöhen oder erniedrigen, oft selbst vernichten. Damals kam sie in aller ihrer Lieblichkeit auf uns zu, in der schönsten Herrlichkeit, oder wenigstens schien sie mir das Höchste, was ich bis dahin gesehen hatte; bei ihrem Anblicke fiel es mir zugleich ein, wieviel ich ihr zu danken habe, so daß sie mir wie eine Gottheit des Himmels vorkam, die zu meiner Freude und Errettung auf die Erde heruntergestiegen sei. Wie sie uns näher kam, sagte ihr Vater in ihrer Sprache, daß ich ein Sklave des Arnaute Mami sei und daß ich gekommen sei, Salat zu pflücken. Sie nahm das Wort und fragte mich hierauf in jener vermischten Sprache, ob ich ein Ritter sei und warum ich mich nicht loskaufe. Ich antwortete ihr, daß ich schon ausgelöst sei und daß sie aus der Ranzion sehen könne, wie hoch mich mein Herr schätzte, denn ich hätte ihm tausendundfünfhundert Soltanen geben müssen. Worauf sie antwortete: ›Wahrlich, hättest du meinem Vater gehört, so würde ich es nicht zugegeben haben, daß er dich für die doppelte Summe freigegeben hätte, denn ihr Christen lügt immer und macht euch nur arm, um die Mohren zu betrügen.‹
›Das mag wohl sein, Señora‹, antwortete ich; ›ich aber habe meinen Herrn aufrichtig behandelt, so wie ich es immer getan habe und stets mit allen Menschen aufrichtig handeln werde.‹
›Und wann reisest du?‹ fragte Zoraida.
›Ich glaube morgen‹, sagte ich, ›denn es ist ein französisches Schiff hier, das morgen unter Segel geht, und ich bin willens, mit diesem zu reisen.‹
›Ist es nicht besser‹, versetzte Zoraida, ›ein spanisches Schiff zu erwarten und mit diesem zu fahren als mit einem französischen, da die Franzosen nicht eure Freunde sind?‹
›Nein‹, antwortete ich, ›wüßte ich gewiß, daß ein spanisches Schiff ankommen würde, so würde ich es erwarten, aber sicherer ist es, morgen zu reisen, denn der Wunsch, mein Vaterland und geliebte Menschen wiederzusehen, ist so heftig in mir, daß ich auf keine andere spätere Gelegenheit warten kann, wenn sie auch noch so gut wäre.‹
›Du bist gewiß in deinem Vaterlande verheiratet‹, fragte Zoraida, ›und darum wünschest du die Abreise so sehr, um deine Gattin wiederzusehen?‹
›Ich bin nicht verheiratet‹, antwortete ich, ›aber ich habe mein Wort gegeben, mich zu vermählen, sobald ich in meinem Lande angelangt bin.‹
›Und ist denn die Dame schön, mit der du dich versprochen hast?‹ fragte Zoraida.
›Sie ist so schön‹, antwortete ich, ›daß, um sie dir recht wahrhaft zu schildern, sie dir sehr ähnlich sieht.‹
Hierüber lachte der Vater von Herzen und sagte: ›Beim Allah, Christ, so muß sie sehr schön sein, wenn sie meiner Tochter ähnlich sieht, denn diese ist die Schönste im Königreich; betrachte sie nur genau, und du wirst sehen, daß ich recht habe.‹
Bei den meisten dieser Worte und Redensarten diente uns der Vater der Zoraida, als der größere Sprachkundige, zum Dolmetscher, denn ob sie gleich so ziemlich die Bastardsprache, die dort gewöhnlich ist, reden konnte, so gab sie ihre Meinung doch mehr durch Zeichen als mit Worten zu verstehen.
Indem wir dies und anderes sprachen, kam ein Mohr in vollem Rennen daher und schrie mit lauter Stimme, daß vier Türken über die Gartenmauer gesprungen wären, die noch unreife Früchte abrissen. Der Alte erschrak, nicht weniger Zoraida, denn alle Mohren fürchten sich sehr vor den Türken, vorzüglich vor den Soldaten, die so unverschämt sind und sich eine solche Herrschaft über die Mohren anmaßen, daß sie sie härter als ihre Sklaven behandeln. Der Vater sagte hierauf zu Zoraida: ›Mein Kind, geh in das Haus zurück und verschließ dich dort, indes ich mit diesen Bestien rede; du, Christ, suche deine Kräuter, reise glücklich, und Allah führe dich in dein Vaterland zurück.‹
Ich verneigte mich, und er ging fort, um die Türken aufzusuchen, indem er mich mit Zoraida allein ließ, die sich stellte, als wenn sie fortginge, wohin es der Vater ihr befohlen hatte; dieser aber hatte sich kaum in den Baumgängen verloren, als sie sich zu mir wandte und mit Tränen in den Augen sagte: ›Tamexi, Christ, tamexi?‹, welches soviel heißt, du gehst fort, Christ, du gehst?
Ich antwortete: ›Ja, Señora, aber nicht ohne dich; erwarte mich am ersten Juma und erschrick nicht, wenn du uns siehst, denn wir wollen dich gewiß in die Christenheit führen.‹
Ich sagte ihr dies so, daß sie mich sehr gut verstand, und indem sie einen Arm um meinen Hals schlang, begab sie sich mit ohnmächtigen Schritten auf den Weg nach dem Hause, und der Zufall fügte es – der sehr übel ausschlagen mochte, daß sich alles in Unglück hätte endigen können, wenn es der Himmel nicht anders gelenkt hätte –, daß, indem wir beide in dieser Stellung fortgingen, sie ihren Arm um meinen Hals geschlungen, uns der Vater, der schon, da er die Türken fortgeschafft hatte, wieder zurückkam, in dieser Stellung sah, und wir bemerkten auch, daß er uns gesehen habe. Zoraida aber nahm vorsichtig nicht ihren Arm von meinem Halse herunter, sondern sie lehnte sich noch mehr auf mich und ließ ihren Kopf auf meine Brust sinken, indem sie die Knie etwas beugte, so daß es schien, sie sei ohnmächtig geworden, und ich stellte mich ebenfalls, als wenn ich sie gegen meinen Willen hielte. Ihr Vater kam schnell zu uns gelaufen, und da er seine Tochter in diesem Zustande sah, fragte er, was ihr sei; da sie aber keine Antwort gab, sagte der Vater: ›Gewiß hat sie der Einbruch dieser Bestien erschreckt, daß sie ohnmächtig geworden ist.‹ Er nahm sie aus meinen Armen und drückte sie an seine Brust, sie aber seufzte, und mit Augen, die noch von Tränen naß waren, sagte sie noch einmal zu mir: ›Amexi, Christ, amexi‹; geh, Christ, geh! Worauf ihr Vater antwortete: ›Der Christ braucht nicht zu gehen, mein Kind, denn er hat dir kein Leid zugefügt, und die Türken sind schon weggegangen; sei ohne Sorgen, du hast nun nichts mehr zu furchten, denn, wie gesagt, die Türken haben sich auf meine Bitte schon wieder entfernt.‹
›Diese haben sie in Schrecken gesetzt, Herr, wie du gesagt hast‹, redete ich zu ihrem Vater, ›da sie aber will, daß ich fortgehen soll, will ich ihr keinen Verdruß machen, und wenn du es vergönnst, komme ich vielleicht wieder in den Garten, wenn noch Kräuter nötig sein sollten, denn mein Herr sagte, daß nirgend so guter Salat wächst als hier.‹
›Du kannst wiederkommen, sooft du willst‹, sagte Agi Morato, ›denn meine Tochter hat das nicht gesagt, weil sie dich oder die Christen nicht leiden möchte, sondern sie wollte nur sagen, die Türken sollten fortgehen, und darum sagte sie zu dir, du möchtest gehen, oder sie hat dich auch erinnern wollen, deinen Salat zu suchen.‹
Hierauf nahm ich von beiden Abschied, und sie ging mit tiefbewegter Seele mit ihrem Vater fort; unter dem Anscheine, Kräuter zu suchen, durchstrich ich nun den ganzen Garten, ich beobachtete die Ein-und Ausgänge, die Festigkeit des Hauses, und welche Gelegenheiten unsere Unternehmung erleichtern könnten.
Da dies getan war, gab ich dem Renegaten und meinen Gefährten von allem Nachricht, ich konnte die Stunde nicht erwarten, in der ich mit Sicherheit die schöne Zoraida, die das Schicksal mir gönnte, die Meinige nennen konnte.
Endlich erschien der Tag und die uns allen so sehr erwünschte Stunde, wir folgten ganz dem klugen Plane, den wir seit lange entworfen hatten, und er schlug nach unserem Wunsche aus, denn am Freitage, der auf den Tag folgte, an welchem ich Zoraida im Garten gesprochen hatte, legte mit der Dämmerung mein Renegat die Barke dem Aufenthalte der schönen Zoraida gegenüber vor Anker. Schon waren die Christen, die rudern sollten, aus der Stadt und an verschiedenen Stellen dortherum zerstreut. Alle waren voll ungewisser Hoffnung, indem sie mich erwarteten; sie hatten Lust, das Schiff, das vor ihren Augen dalag, anzugreifen, denn sie wußten nicht, daß ich mit dem Renegaten einverstanden war, sondern sie meinten, sie müßten durch die Stärke ihres Armes die Freiheit erobern und die Mohren umbringen, die sich in der Barke befanden. Sowie ich mich nun mit meinen Gefährten zeigte, versammelten sich alle um uns her, die sich bisher zerstreut und verborgen gehalten hatten. Die Stadt war um die Zeit schon verschlossen, und kein Mensch ließ sich auf dem Felde sehen.
Als wir beieinander waren, stritten wir, ob es besser sei, erst zu Zoraida zu gehen oder vorher die Mohren zu überwältigen, die in der Barke ruderten; indem wir noch ungewiß waren, kam der Renegat und sagte, daß wir nicht länger warten möchten, denn es sei nun Zeit, alle seine Mohren wären in völliger Sicherheit und die meisten schliefen. Ich sagte ihm, weswegen wir noch warteten, und er antwortete, das wichtigste sei, sich zuerst des Fahrzeuges zu bemächtigen, und daß man dies mit Sicherheit und ohne alle Gefahr tun könnte, dann sollten wir sogleich zu Zoraida gehen. Wir alle waren seiner Meinung, und ohne uns länger aufzuhalten, zogen wir unter seiner Anführung nach dem Schiffe; er sprang zuerst hinein, den Säbel in der Faust, und rief auf mohrisch: ›Keiner rühre sich, wenn es ihm nicht das Leben kosten soll!‹ Zugleich waren auch alle Christen hineingedrungen. Die Mohren, die wenig Mut hatten und ihren Anführer so reden hörten, waren erschrocken, und ehe daß einer zu den Waffen griff, deren sie überhaupt nur wenige bei sich hatten, ließen sie sich, ohne ein Wort zu sprechen, von den Christen binden, welches diese in großer Schnelligkeit taten und die Mohren bedrohten, daß, wenn sie auf irgendeine Art Lärm machten, sie augenblicks über die Klinge springen müßten.
Da dies getan war, blieb die Hälfte der Unsrigen zur Bewachung zurück, wir übrigen begaben uns wieder unter Anführung des Renegaten nach dem Garten des Agi Morato, und das Glück wollte uns so wohl, daß sich die Tür mit so großer Leichtigkeit eröffnen ließ, als wenn sie gar nicht verschlossen gewesen, und so, ohne irgend Geräusch zu machen, kamen wir nach dem Hause, indem uns niemand bemerkte. Die schöne Zoraida wartete unserer schon an einem Fenster, und sowie sie Leute hörte, fragte sie mit leiser Stimme, ob wir Nazarener seien, womit sie meinte, ob wir Christen wären. Ich antwortete mit Ja, und daß sie herunterkommen möchte. Als sie mich erkannte, weilte sie nicht länger, sondern ohne ein Wort zu sprechen, kam sie in einem Augenblicke herab, öffnete die Tür und zeigte sich uns so schön und in so kostbarer Kleidung, daß es keine Beschreibung darstellen kann. Sowie ich sie sah, nahm ich ihre Hand und küßte sie, der Renegat und meine beiden Gefährten taten das nämliche, und die übrigen, die den Zusammenhang nicht wußten, taten das, was sie uns tun sahen, so daß es war, als wenn wir alle ihr Dank sagten und sie für die Urheberin unserer Freiheit erkannten. Der Renegat fragte sie in mohrischer Sprache, ob ihr Vater im Garten sei. Sie antwortete ja, daß er aber schliefe. ›So müssen wir ihn aufwecken‹, versetzte der Renegat, ›und ihn mit uns nehmen, nebst allem, was sich in diesem Garten an Kostbarkeiten findet.‹
›Nein‹, sagte sie, ›an meinem Vater dürft ihr euch durchaus nicht vergreifen, auch findet sich in diesem Hause nichts weiter, als was ich mit mir nehme, welches hinreicht, euch alle reich und zufrieden zu machen, wartet ein wenig, und ihr sollt es sehen.‹ Mit diesen Worten ging sie wieder hinein und sagte uns, daß sie gleich zurückkommen würde, wir sollten stehenbleiben und kein Geräusch machen. Ich fragte den Renegaten, was er mit ihr gesprochen habe, worauf er es mir erzählte. Ich sagte hierauf, daß er durchaus nichts anderes tun solle, als wie es Zoraida beföhle. Diese kam indes schon mit einem Kästchen voll goldener Taler zurück, so daß sie es kaum tragen konnte.
Das Unglück fügte es so, daß ihr Vater in diesem Augenblicke erwachte und ein Geräusch im Garten vernahm; er erschien am Fenster, und sowie er sah, daß diejenigen im Garten Christen waren, rief er mit lauter und entsetzlicher Stimme auf arabisch: ›Christen! Christen! Räuber! Räuber!‹ Durch dieses Geschrei sahen wir uns plötzlich in die größte Gefahr versetzt. Da der Renegat dies schnell faßte, und wieviel darauf ankam, fortzukommen, ehe Lärm würde, lief er plötzlich zum Agi Morato hinauf, und mit ihm einige von den Unsrigen, denn ich durfte Zoraida nicht verlassen, die halb ohnmächtig in meinen Armen lag. Die hinaufgelaufen waren, machten so schnelles Spiel, daß sie den Augenblick mit Agi Morato herunterkamen, dem die Hände gebunden waren und der Mund mit einem Tuche verstopft, so daß er kein Wort hervorbringen konnte, wobei man ihm drohete, daß, wenn er ein Wort sagte, es ihm das Leben kosten würde. Als die Tochter ihn sah, bedeckte sie die Augen, um ihn nicht zu sehen, und der Vater war voll Verwunderung, weil er nicht wußte, daß sie sich mit ihrem Willen in unseren Händen befand; jetzt waren uns aber die Füße am nötigsten, wir liefen daher mit der größten Schnelligkeit zur Barke, indem uns jene, die dort geblieben waren, schon erwarteten und in Furcht standen, daß uns ein Unglück zugestoßen sei.
Es waren noch keine zwei Stunden von der Nacht verflossen, als wir auch schon alle in der Barke waren, wo man dem Vater der Zoraida die Hände frei machte und ihm das Tuch aus dem Munde nahm; der Renegat drohte ihm aber von neuem, daß, wenn er ein Wort sagte, wir ihm das Leben nehmen würden. Wie er seiner Tochter ansichtig ward, fing er an auf das kläglichste zu weinen, vorzüglich als er sah, daß ich sie fest in meinen Armen eingeschlossen hielt und daß sie, ohne sich zu sträuben, zu klagen oder nur auszuweichen, ruhig blieb, aber dennoch schwieg er still, damit die Drohungen des Renegaten nicht in Erfüllung gehen möchten. Wie sich nun Zoraida in der Barke sah, und daß wir zu rudern anfangen wollten, und wie sie ihren Vater und die festgebundenen Mohren wahrnahm, sagte sie dem Renegaten, daß er mich bitten möchte, die Mohren loszubinden und ihren Vater frei zu machen, denn sie würde sich eher ins Meer stürzen, als vor ihren Augen und ihretwegen einen Vater gefangen zu sehen, der sie immer so sehr geliebt habe. Der Renegat sagte mir dies, und ich antwortete, daß ich es zufrieden sei, er aber erwiderte, daß man dies nicht könne, denn wenn man sie dort ließe, würden sie sogleich das Land und die Stadt in Aufruhr bringen und verursachen, daß man uns mit einigen leichten Fregatten nachsetzte, man würde uns Land und Meer abschneiden, wodurch wir dann unmöglich entwischen könnten; man könne ihnen aber wohl die Freiheit geben, sobald wir an ein christliches Land gekommen seien.
In diese Meinung stimmten wir alle ein, und Zoraida – der dies und die Ursachen gesagt wurden, weshalb wir nicht sogleich ihren Wunsch erfüllten – war auch damit zufrieden, und zugleich griffen alle stillschweigend und mit freudigem Mute zu den Rudern; wir empfahlen uns Gott von ganzem Herzen und schifften nach der Gegend der Insel Majorca, die das nächste christliche Land ist. Ein starker Wind aber fing an uns entgegenzuwehen, und das Meer wurde so stürmisch, daß es nicht möglich war, die Fahrt nach Majorca fortzusetzen; wir waren also gezwungen, dicht am Lande nach der Gegend von Oran fortzurudern, indem wir immer besorgen mußten, von Sargel aus entdeckt zu werden, welches auf dieser Küste sechzig Meilen von Algier entfernt liegt, so wie wir auch befürchten mußten, auf diesem Wege einer von den Galeeren zu begegnen, die mit Kaufmannsgütern von Tetuan kommen, obgleich wir alle glaubten, daß, wenn uns ein Kauffahrteischiff begegnete, vorausgesetzt, daß es kein Korsar sei, wir uns wohl halten oder gar das andere Schiff erobern könnten, in welchem wir dann unsere Reise sicherer fortsetzen würden. Zoraida hielt indes immer ihren Kopf in meinen Händen, um ihren Vater nicht zu sehen, und ich hörte, wie sie Lela Marien um Beistand anrief.[362]
Wir mochten wohl dreißig Meilen gefahren sein, als der Morgen anbrach und wir uns nur drei Musketenschüsse vom Lande entfernt sahen, die ganze Gegend war einsam und kein Mensch zu sehen, der uns hätte verraten können; aber dennoch ruderten wir mit aller Gewalt weiter in das hohe Meer hinein, das nun schon beruhigter war, und nachdem wir zwei Meilen gefahren waren, sagte ich, daß wir abwechselnd rudern wollten, um essen zu können, denn wir hatten unsere Barke gut versehen; diejenigen aber, die am Ruder saßen, sagten, daß noch keine Zeit wäre, um auszuruhen, die übrigen, die nicht ruderten, möchten nur essen, sie wollten die Arbeit durchaus nicht fahrenlassen. So geschah es, und zu gleicher Zeit fing ein starker Wind an zu wehen, so daß wir die Segel aufspannen und das Rudern unterlassen mußten, worauf wir uns nach Oran wandten, weil jede andere Richtung unmöglich war. Dies alles geschah sehr schnell, und so segelten wir in einer Stunde wohl acht Meilen, indem wir nichts weiter fürchteten, als daß uns ein Korsar begegnen möchte. Den Mohren gaben wir Speise, und der Renegat tröstete sie, daß sie keine Gefangenen wären, sondern daß sie mit der ersten Gelegenheit ihre Freiheit haben sollten. Dasselbe sagte er dem Vater der Zoraida, welcher antwortete: ›Ich kann, Ihr Christen, von Eurer Freigebigkeit und Eurem guten Willen jedwedes andere Geschenk erwarten, haltet mich aber nicht für so einfältig, daß ich glauben sollte, Ihr würdet mir die Freiheit geben, denn wie hättet Ihr mich mit so großer Gefahr fortgeführt, wenn Ihr mich loslassen wolltet? Da Ihr außerdem wißt, wer ich bin und wie teuer ich meine Freiheit erkaufen kann; nennt nur den Preis, und ich will Euch alles für mich und für diese meine unglückselige Tochter bewilligen, oder auch für sie allein, denn sie ist die größere und bessere Hälfte meiner Seele.‹
Bei diesen Worten fing er an, so bitterlich zu weinen, daß wir alle zum Mitleid bewegt wurden und Zoraida gezwungen ward, ihn anzusehen; da sie nun seine Tränen sah, wurde sie so sehr gerührt, daß sie von mir ging und ihren Vater umarmte, sie drückte ihr Gesicht an das seinige, und beide fingen ein so herzliches Wehklagen an, daß viele von denen, die zugegen waren, ebenfalls weinen mußten.
Als ihr Vater sie aber so festlich geschmückt und mit so vielen Juwelen bedeckt sah, sagte er in ihrer Sprache zu ihr: ›Was ist dies, meine Tochter? Gestern, ehe uns dies gegenwärtige fürchterliche Unglück betroffen hatte, sah ich dich in deinen gewöhnlichen häuslichen Kleidern, und jetzt, ohne daß du Zeit hattest, dich anzukleiden, und ohne daß ein Glücksfall dir Veranlassung gab, dich zu putzen und zu schmücken, seh ich dich in deinem herrlichsten Schmuck, den ich dir nur jemals schenken konnte, als das Glück uns am günstigsten war? Antworte mir hierauf, denn es verwundert und erstaunt mich noch viel mehr als das Unglück, in welchem ich mich befinde.‹
Alles, was der Mohr zu seiner Tochter sprach, erklärte uns der Renegat, und sie antwortete mit keinem Laut. Als er aber in einem Winkel der Barke das Kästchen sah, in welchem sie ihre Juwelen aufzuheben pflegte und wovon er wußte, daß es in Algier zurückgeblieben und nicht mit nach dem Garten genommen sei, geriet er in noch größere Verwirrung und fragte, wie das Kästchen in unsere Hände geraten wäre und was sich darin befinde. Worauf der Renegat, ohne Zoraida antworten zu lassen, so antwortete: ›Sei ruhig, Herr, und frage deine Tochter Zoraida dergleichen Sachen nicht, denn ich will dir mit einem Male alles beantworten; wisse also, daß sie eine Christin ist, daß sie uns von unseren Ketten erlöste und uns aus der Gefangenschaft frei machte. Freiwillig geht sie mit uns und ist über ihren gegenwärtigen Zustand vergnügt, denn sie kömmt aus Finsternis in Licht, aus dem Tode in Leben, aus Trübsal in Herrlichkeit.‹
›Ist das Wahrheit, was jener sagt, meine Tochter?‹ fragte der Mohr. ›So ist es‹, antwortete Zoraida.
›Du wärest also‹, erwiderte der Alte, ›in der Tat Christin und hättest deinen Vater in die Gewalt seiner Feinde gegeben?‹
Worauf Zoraida antwortete: ›Wahr ist es, daß ich Christin bin, doch habe ich dich nicht in diesen Zustand versetzt, denn niemals hab ich den Wunsch gehabt, dich zu verlassen noch dir etwas Übles, sondern nur mir Gutes zu tun.‹
›Und welches Gute tust du dir, mein Kind?‹
›Dies‹, antwortete sie, ›mußt du Lela Marien fragen, sie wird dir das besser als ich sagen können.‹
Kaum hatte der Mohr dies gehört, als er sich mit unglaublicher Schnelligkeit köpflings ins Meer stürzte, wo er gewiß ertrunken wäre, wenn seine großen und weiten Gewänder ihn nicht einige Zeit über dem Wasser erhalten hätten. Zoraida rief, daß wir ihm helfen möchten, und wir alle liefen sogleich hinzu; er wurde bei seinem Oberkleide ergriffen und bewußtlos in das Schiff gezogen, worüber Zoraida mit solcher Trauer, als wenn er schon gestorben wäre, über ihn ein heftiges und klägliches Jammergeschrei begann. Wir stellten ihn mit dem Kopfe nach unten, und er gab vieles Wasser von sich, worauf er nach zwei Stunden wieder zu sich kam, während welcher Zeit sich der Wind wieder gedreht hatte und uns nach dem Lande zu trieb, wogegen wir uns mit aller Gewalt des Ruderns setzen mußten. Das Glück fügte es besser, daß wir in eine Bucht gelangten, die auf der Seite eines kleinen Vorgebirges liegt, welches die Mohren Cava Rumia nennen, das in unserer Sprache soviel als das böse Christenweib heißt, und es ist bei den Mohren eine Sage, daß die Cava hier begraben liege, durch welche Spanien verlorenging; denn Cava heißt in ihrer Sprache soviel als das böse Weib und Rumia Christin. Sie halten es auch für eine üble Vorbedeutung, sich hier vor Anker zu legen, wenn sie die Not einmal dazu zwingt, denn freiwillig tun sie es niemals; für uns aber war dieser Ort kein böses Weib, sondern eine sichere Zuflucht, bis sich das Meer geändert hätte. Auf dem Lande stellten wir Wachen aus, und die übrigen ließen die Ruder nicht aus den Händen; wir aßen von dem, womit uns der Renegat versorgt hatte, und baten Gott und unsere Jungfrau von ganzem Herzen, daß sie uns helfen und begünstigen möchten und einem so glücklichen Anfange einen ebenso glücklichen Ausgang gewähren.
Es wurde hierauf, auf Bitten der Zoraida, eingerichtet, daß man ihren Vater und die übrigen gebundenen Mohren an das Land setzte; denn sie konnte es in ihrem weichen Herzen nicht länger ertragen, ihren Vater gebunden vor sich und die übrigen aus ihrem Lande entführt zu sehen. Wir hatten auch bei unserer Abreise dies zu tun versprochen, und wir liefen dabei keine Gefahr, sie an diesem einsamen Orte zurückzulassen.
Unsere Gebete waren nicht vergeblich, sondern der Himmel erhörte sie, denn es fing an, ein günstiger Wind zu wehen, das Meer wurde ruhig, worauf wir den Vorsatz faßten, mit frischem Mute unsere angefangene Reise fortzusetzen. Wir banden also die Mohren los und setzten sie einen nach dem andern an das Land, worüber sie sich sehr verwunderten; als wir aber den Vater der Zoraida, der wieder zu sich gekommen war, ans Land führen wollten, sagte er: ›Warum meint Ihr, Christen, daß dieses böse Mädchen will, daß Ihr mir die Freiheit gebt? Meint Ihr, es sei aus Liebe, die sie zu mir trägt? Nein, wahrlich nicht, sondern sie will sich nur von meiner Gegenwart nicht stören lassen, wenn sie ihr böses Vorhaben ausgeführt; glaubt auch nicht, daß sie ihre Religion deswegen verändert, weil sie einsieht, daß die Eurige besser als die unsrige sei, sondern weil sie weiß, daß in Eurem Lande die Schändlichkeit öffentlicher als in dem unsrigen getrieben wird.‹ Er kehrte sich hierauf zu Zoraida, indem er von mir und einem anderen Christen an beiden Armen gehalten wurde, damit er kein Unheil anrichten möchte, und sagte: ›O du nichtswürdiges Kind! Unverständige Törin! Wohin willst du, Verblendete, in der Gesellschaft dieser Hunde, unserer geborenen Feinde? Verflucht sei die Stunde, in der ich dich zeugte! Verflucht sei jede Freude und jede Liebkosung, womit ich dich erzogen habe!‹
Da ich aber sah, daß er noch lange fortfahren würde, ließ ich ihn schnell ans Land setzen, von wo[364] er uns laut schreiend mit seinen Verwünschungen und Wehklagen verfolgte, indem er Mahomet und Allah anrief, uns zu vernichten und gänzlich zu zerstören. Als wir schon weiter fortgesegelt waren und seine Worte nicht mehr hören konnten, sahen wir doch noch seine Gebärden, denn er riß seinen Bart aus, raufte sich die Haare und wälzte sich auf dem Boden; nur einmal erhob er die Stimme so laut, daß wir seine Worte vernehmen konnten. ›Komm zurück, geliebtes Kind, komm zurück, denn ich vergebe dir alles, überlaß diesen Leuten alles Geld und komm zurück, um deinen elenden Vater zu trösten, der auf diesem wüsten Sande sein Leben lassen wird, wenn du ihn verlässest!‹
Alle diese Worte hörte Zoraida, sie weinte unaufhörlich und antwortete ihm folgendes: ›Bitte Allah, mein Vater, daß Lela Marien dich tröste, die mich dazu bewogen hat, Christin zu werden. Allah weiß, daß ich nichts anderes tun konnte, als was ich getan habe, und daß diese Christen mich nicht dazu überredet haben; denn wenn ich auch nicht mit ihnen gereist wäre, so hätte ich doch nicht in meinem Hause bleiben können, weil meine Seele mich eifrig antrieb, das ins Werk zu setzen, was mir so gut scheint, wie du es, geliebter Vater, für böse hältst.‹
So sprach sie noch, indem ihr Vater sie nicht mehr hörte und wir ihn nicht mehr sahen. Ich tröstete Zoraida, und wir setzten unsere Reise fort, die der günstige Wind beschleunigte, so daß wir gewiß glaubten, uns am folgenden Morgen am spanischen Ufer zu befinden.
Wie aber das Glück selten oder nie ganz rein und ungetrübt erscheint, ohne daß ein Unglück es begleitet oder zerstöre, so wollte es das Schicksal haben, oder vielleicht machten es die Flüche des Mohren, die er seiner Tochter mitgegeben hatte, denn die Verwünschungen eines Vaters sind immer furchtbar, daß, als wir so fortfuhren und schon drei Stunden der Nacht verflossen waren, das Segel aufgespannt, die Ruder in Ruhe, weil der Wind unsere Arbeit unnötig machte, wir plötzlich beim hellen Scheine des Mondes nahe an uns ein rundes Schiff sahen, das mit vollen Segeln und so dicht von uns vorbeistrich, daß wir die Segel einziehen mußten, um nicht anzustoßen, und sie richteten sich ebenfalls ein, damit wir vorbeifahren könnten. Sie hatten sich auf den Rand des Schiffes begeben, um zu fragen, wer wir wären, wohin wir führen und woher wir kämen! Da sie dies aber in französischer Sprache fragten, sagte der Renegat: ›Antworte keiner, denn sie sind gewiß französische Korsaren, die auf alles Beute machen.‹
Wir gaben nach diesem Rat keine Antwort, und da wir schon etwas weiter gefahren waren und wieder Wind gewonnen hatten, wurden plötzlich zwei Stücke abgeschossen, und, wie es schien, mit Kettenkugeln geladen, denn der eine Schuß schlug unsern Mast in der Mitte durch und warf ihn mit dem Segel ins Meer, indem wurde auch das zweite Stück abgefeuert, das mitten durch unsere Barke schlug und sie ganz durchlöcherte, ohne uns selbst zu beschädigen. Wie wir sahen, daß wir versinken wollten, fingen wir alle laut an um Hülfe zu rufen, daß die aus dem Schiffe uns beistehen möchten, weil wir zugrunde gingen. Sie hielten an und setzten ein Boot aus, in das sich zwölf gewaffnete Franzosen begaben, mit ihren Musketen und brennenden Lunten, und so kamen sie zu uns; da sie sahen, daß wir so wenige wären und daß das Schiff schon zu sinken anfing, nahmen sie uns auf und sagten, daß wir uns diesen Unfall selber, wegen der Unhöflichkeit, nicht geantwortet zu haben, zuzuschreiben hätten. Unser Renegat nahm das Kästchen mit den Schätzen der Zoraida und warf es in das Meer, ohne daß dies einer bemerkte. Wir begaben uns nun alle zu den Franzosen, die, nachdem sie erfahren hatten, wer wir wären, uns als unsere Feinde alles nahmen, was sie nur fanden, so daß sie der Zoraida sogar die Spangen raubten, die sie um die Füße trug. Doch war ich deshalb nicht so bekümmert, weil Zoraida und ich befürchteten, daß sie ihr außer dem kostbaren Schmuck auch jenen Schmuck rauben würden, den sie und ich höher als alles schätzte; aber die Begierden jener Menschen gehen nicht weiter als auf Geld hinaus, und noch niemals habe ich eine so große Habsucht gesehen, denn sie stieg so hoch, daß sie uns sogar die Sklavenkleider ausgezogen hätten, wenn sie ihnen hätten nutzen können. Sie schienen endlich darauf zu fallen, uns in ein Segel gewickelt in die See zu werfen, weil sie die Absicht hatten, in einigen spanischen Häfen Handel zu treiben und sich dabei für Engländer auszugeben; wenn sie uns nun lebendig mitnahmen, konnten sie gestraft und ihr Betrug entdeckt werden; der Kapitän aber, der meine geliebte Zoraida geplündert hatte, sagte, daß er mit der gemachten Beute zufrieden sei und nicht begehre, nach einem spanischen Hafen zu fahren, sondern gleich nach Rochelle zu segeln, von wo er ausgelaufen sei; deshalb gaben sie uns das Boot aus ihrem Schiffe, nebst allem, was wir für unsern übrigen kurzen Weg brauchten. Dies taten sie am folgenden Tage, als wir Spanien schon vor uns sahen, mit welchem Anblicke alle unsere Sorgen und Armut im Augenblick vergessen wurden, als wenn wir nichts erlitten hätten. So groß ist die Freude, die verlorene Freiheit wiederzuerlangen.
Es mochte ungefähr um Mittag sein, als wir das Boot bestiegen, in welches sie uns zwei Fässer Wasser und etwas Zwieback legten; der Kapitän, von einem gewissen Mitleiden bewogen, gab der schönen Zoraida beim Einschiffen vierzig goldene Taler und litt es nicht, daß ihr die Soldaten die Kleider auszogen, die sie noch jetzt trägt. Wir stiegen in das Fahrzeug und dankten für die Güte, die sie uns erzeigten, indem wir mehr erfreut als betrübt waren. Sie setzten ihren Lauf fort, indem sie sich nach der Meerenge wandten, wir aber richteten uns nach keinem anderen Kompaß als nach dem Lande, welches vor uns lag; wir ruderten so eifrig, daß wir mit dem Untergange der Sonne schon so nahe waren, daß wir glaubten, noch vor dem Einbruche der Nacht anlanden zu können; aber es war in dieser Nacht kein Mondschein, und der Himmel war so finster, wobei wir die Gegend nicht kannten, in welcher wir uns befanden, so daß wir es für gefährlich hielten, ans Land zu stoßen; einige von uns aber wollten, daß wir anlanden möchten, wenn wir selbst auf Felsen und fern von einem bewohnten Orte laufen sollten, denn so brauchten wir wenigstens nicht zu fürchten, daß wir auf tetuanische Korsaren gerieten, die in der Nacht von der Barbarei ausfahren und sich am Morgen an der spanischen Küste befinden, wo sie Beute machen, und dann, um zu schlafen, nach ihrer Heimat zurückkehren; andere aber meinten, daß wir uns langsam dem Lande nähern müßten, wie es auch die Stille des Meeres erlaubte, und dann aussteigen, wenn wir einen Landungsplatz anträfen. Dies geschah, und noch vor Mitternacht kamen wir an einen gezackten hohen Felsen, der aber nicht ganz dicht am Meere stand, sondern Raum genug übrigließ, daß wir hier anlanden konnten. Auf dem Sande standen wir still, dann stiegen wir alle aus, küßten die Erde und sagten mit den süßesten Freudentränen Gott, unserm Schöpfer, Dank für die große Güte, die er uns auf der Reise erwiesen hatte. Wir nahmen aus der Barke die Nahrungsmittel und zogen sie auf das Land, wir gingen hierauf eine große Strecke in das Gebirge hinein, denn ob wir uns gleich am Lande befanden, konnten wir unsere Brust immer noch nicht beruhigen und mit Zuverlässigkeit glauben, daß wir wirklich auf christlichem Boden ständen. Der Tag schien länger auszubleiben, als wir wünschten, wir stiegen nun alle das Gebirge völlig hinauf, um zu sehen, ob wir ein Dorf oder einige Schäferhütten von oben entdecken könnten; aber so sehr wir uns auch umsahen, erblickten wir doch kein Dorf, keinen Menschen, keine Hütte, keinen Fußpfad und keine Landstraße. Wir faßten aber alle den Entschluß, uns tiefer in das Land hineinzubegeben, weil wir doch bald irgend jemanden finden müßten, der uns zurechtweisen könne. Was mich am meisten betrübte, war, daß Zoraida in dieser wilden Gegend zu Fuße gehen mußte, denn wenn ich sie auch manchmal auf dem Rücken trug, so ermüdete sie meine Ermüdung nur mehr, als sie in der Ruhe ruhte, und daher wollte sie durchaus nicht, daß ich diese Arbeit übernähme; mit vieler Geduld und mit fröhlichen Gebärden ließ sie sich von mir an der Hand führen, und so mochten wir ungefähr eine Viertelmeile fortgewandert sein, als unser Ohr den Ton eines Glöckchens vernahm, woraus wir deutlich merkten, daß sich in der Nähe eine Herde befinden müsse; wir sahen uns von allen Seiten um und bemerkten an dem Stamme eines Korkbaums einen jungen Schäfer sitzen, der mit vieler Ruhe und Emsigkeit mit einem Messer an einem Stocke schnitzelte. Wir riefen ihm zu, und sowie er den Kopf aufhob, lief er auch behende davon, weil, wie wir nachher erfuhren, er zuerst den Renegaten und Zoraida in ihren Mohrenkleidern erblickte und gemeint hatte, die ganze Barbarei sei nun hinter ihm her, so daß er mit der größten Schnelligkeit durch die Gebüsche fortlief und mit dem lautesten Geschrei rief: ›Mohren, Mohren im Lande! Mohren! Mohren! Zu den Waffen! Zu den Waffen!‹
Wir waren hierauf bei diesem Geschrei in gänzlicher Verwirrung und wußten nicht, was wir anfangen sollten; da wir aber bedachten, daß das Geschrei des Schäfers gewiß das Land in Aufruhr bringen und daß die Reiterei von der Küste alsbald kommen würde, um zu sehen, was es gäbe, wurden wir einig, daß der Renegat seine türkischen Kleider ablegen und das Kamisol des einen Sklaven anziehen mußte, der hierauf im Hemde blieb, und so empfahlen wir uns Gott und gingen auf dem Wege weiter, auf welchem der Schäfer fortgelaufen war, indem wir immer hofften, daß wir auf die Reiter der Küste stoßen würden. Wir wurden auch in unserer Hoffnung nicht getäuscht, denn es waren noch nicht zwei Stunden vergangen, als wir aus der rauhen Gegend in die Ebene kamen und wohl fünfzig Reiter gewahr wurden, die im vollen Laufe mit verhängtem Zügel auf uns zuritten; sowie sie uns näher kamen, hielten sie voll Verwunderung an, denn statt der Mohren, die sie suchten, fanden sie eine Anzahl armseliger Christen, und einer fragte uns, ob wir vielleicht diejenigen wären, die den Schäfer veranlaßt hätten, zu den Waffen zu rufen.
›So ist es‹, sagte ich und wollte eben anfangen, von unsern Begebenheiten zu erzählen, woher wir gekommen und wer wir wären, als einer von den Christen, die mit uns kamen, den Reiter erkannte, der die Frage getan hatte, und, ohne mich weiterreden zu lassen, ausrief: ›Gelobt sei Gott, Señores, der uns so glücklich geleitet hat, denn wenn ich mich nicht irre, so ist die Gegend, in der wir jetzt sind, die von Velez Malaga, und wenn die Jahre meiner Gefangenschaft mir nicht mein Gedächtnis geraubt haben, so erinnere ich mich auch Eurer, Señor, der Ihr uns fragtet, wer wir wären, und Ihr seid Pedro de Bustamante, mein Oheim.‹
Der Christensklave hatte dies kaum gesagt, als der Reiter vom Pferde stieg, den Jüngling umarmte und sagte: ›O du mein bester, liebster Neffe, jetzt kenne ich dich, wie oft haben wir deinen Tod beweint, ich und meine Schwester, deine Mutter, und alle von deinen Angehörigen, die noch am Leben sind, und Gott hat uns gnädig erhalten, um uns die Freude zu gönnen, dich noch einmal wiederzusehen; wir wußten, daß du in Algier warest, und aus deinen Kleidern, wie aus denen der übrigen Gesellschaft, kann ich abnehmen, daß Ihr auf eine wunderbare Art Eure Freiheit erhalten habt.‹
›So ist es‹, antwortete der junge Mensch, ›und wir werden schon Zeit haben, Euch alles zu erzählen.‹
Sowie die Reiter hörten, daß wir alle Christensklaven wären, stiegen sie von ihren Pferden ab, und jeder bot das seinige an, um uns nach der Stadt zu führen, die noch anderthalb Meilen entfernt war. Einige davon entfernten sich, um die Barke nach der Stadt zu bringen, indem wir ihnen beschrieben, wo wir sie gelassen hatten; die übrigen nahmen uns hinter sich auf die Pferde, und Zoraida saß hinter jenem, der der Oheim des Christen war. Die ganze Stadt kam uns zum Empfange entgegen, weil einige vorangeritten waren und unsere Ankunft erzählt hatten. Sie verwunderten sich nicht darüber, freie Sklaven oder gefangene Mohren zu erblicken, denn die Einwohner der dortigen Küste sind daran gewöhnt, die einen wie die andern zu sehen, sondern sie erstaunten über die Zoraida, die in diesem Augenblicke, teils vom Wege erhitzt, teils voll Freude, sich in einem christlichen Lande und in Sicherheit zu befinden, ihr Gesicht mit so schönen Farben geschmückt hatte, daß, wenn mich die Liebe damals nicht täuschte,[367] ich wohl sagen möchte, daß, wie sie war, kein schöneres Wesen auf Erden leben könne oder daß ich wenigstens noch kein schöneres gesehen hatte.
Wir gingen geradeweges nach der Kirche, um Gott für seine Gnade zu danken; Zoraida ging mit und sagte, daß Gesichter dort wären, die der Lela Marien glichen. Wir antworteten, daß es Bildnisse von ihr wären, und der Renegat machte ihr, so gut er konnte, deutlich, was sie bedeuteten, daß sie so zu ihnen beten möchte, als wenn wirklich eins von ihnen die wahrhaftige Lela Marien wäre, die zu ihr gesprochen hätte. Sie, die einen guten Verstand hat und leicht begreift, faßte sogleich, was ihr in Ansehung der Bildnisse gesagt wurde.
Als wir aus der Kirche gingen, verteilten wir uns in unterschiedliche Häuser des Ortes; den Renegaten, Zoraida und mich führte der Christ, der mit uns gekommen war, in das Haus seiner Eltern, die in mittelmäßigen Glücksumständen lebten und uns mit ebender Liebe wie ihren Sohn behandelten. Sechs Tage hielten wir uns in Velez auf, worauf der Renegat, nachdem er sich erst unterrichtet, was er zu tun habe, sich nach Granada begab, um sich durch Vermittlung der heiligen Inquisition in den Schoß der allerheiligsten Kirche wieder aufnehmen zu lassen; die übrigen frei gewordenen Christen gingen hierauf fort, ein jeder, wohin es ihm am besten dünkte; ich und Zoraida, wir blieben allein, und wir besaßen nichts als jenes Geld, welches der Franzose aus Höflichkeit der Zoraida gegeben hatte, wovon ich das Tier kaufte, auf dem sie reitet, so daß ich ihr bis jetzt als Vater und Stallmeister, nicht als Gemahl gedient habe. So reisen wir jetzt in der Absicht fort, um zu sehen, ob mein Vater noch lebt oder ob einer von meinen Brüdern mehr Glück gehabt hat als ich, ob ich gleich fühle, daß ich im Besitz der Zoraida, den mir der Himmel gegönnt hat, so reich bin, daß mir kein anderes Schicksal günstiger vorkommen könnte. Die Geduld, mit welcher Zoraida die Unbequemlichkeiten der Armut trägt, und der Eifer, mit dem sie wünscht, Christin zu sein, ist beides so groß, daß ich es bewundern muß und ich mich bewogen fühle, ihr zeit meines Lebens zu dienen; nur das stört mich in dem Vergnügen, mich als den Ihrigen und sie als die Meinige anzusehen, daß ich nicht weiß, ob ich in meinem Vaterlande einen Winkel finden werde, in welchem ich mich anbauen kann, und ob Zeit und Tod nicht mit dem Vermögen und dem Leben meines Vaters und meiner Brüder eine Veränderung gemacht haben, und daß ich keinen weiß, der mich kennt, wenn sie mir fehlen.
Cervantes verarbeitet in dieser Erzählung recht märchenhaft seine Erfahrungen, die er selbst als Sklave in Algerien gemacht hat.
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