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Und wie mir deucht, gehört diese Art von Schriftstellerei oder Dichtung zur Art jener Milesischen Märchen, welche ungereimte Erzählungen sind, die nur ergötzen und nicht belehren wollen; im Gegensatz zu den Äsopischen Fabeln, welche sowohl ergötzen als auch belehren. Und wenn nun auch der hauptsächliche Zweck solcher Bücher ist zu ergötzen, so weiß ich nicht, wie sie ihn erreichen können, da sie voll so vieler ungeheuerlicher Abgeschmacktheiten sind. Denn das Ergötzen, das der Geist sucht, soll er nur empfinden ob der Schönheit und der richtigen Verhältnisse alles einzelnen, die er an den Dingen findet, wie sie ihm der lebendige Anblick oder die Phantasie vorführt; und alles, was Häßlichkeit und Mißverhältnis in sich hat, kann unmöglich Vergnügen in uns erregen. Nun aber, welche Schönheit oder welches Verhältnis der Teile zum Ganzen kann in einem Buch oder Märchen vorhanden sein, wo ein Junge von sechzehn Jahren einem turmhohen Riesen einen Schwerthieb versetzt und ihn mitten auseinanderhaut, als wäre er von Zuckerteig? Und wie erst, wenn man uns eine Schlacht schildern will, nachdem man gesagt, es stünden auf feindlicher Seite mehr als eine Million Streiter? Falls nur der Held des Buches gegen sie ist, so müssen wir notgedrungen, so ungern wir's auch tun, für wahr annehmen, daß der besagte Ritter den Sieg durch die Tapferkeit seines starken Armes allein davongetragen hat. Und dann, was sollen wir von der leichtsinnigen Bereitwilligkeit sagen, mit der eine Königin oder die Erbin eines Kaisertums sich einem ihr unbekannten fahrenden Ritter an den Hals wirft? [...]
Und wie mir deucht, gehört diese Art von Schriftstellerei oder Dichtung zur Art jener Milesischen Märchen, welche ungereimte Erzählungen sind, die nur ergötzen und nicht belehren wollen; im Gegensatz zu den Äsopischen Fabeln, welche sowohl ergötzen als auch belehren. Und wenn nun auch der hauptsächliche Zweck solcher Bücher ist zu ergötzen, so weiß ich nicht, wie sie ihn erreichen können, da sie voll so vieler ungeheuerlicher Abgeschmacktheiten sind. Denn das Ergötzen, das der Geist sucht, soll er nur empfinden ob der Schönheit und der richtigen Verhältnisse alles einzelnen, die er an den Dingen findet, wie sie ihm der lebendige Anblick oder die Phantasie vorführt; und alles, was Häßlichkeit und Mißverhältnis in sich hat, kann unmöglich Vergnügen in uns erregen. Nun aber, welche Schönheit oder welches Verhältnis der Teile zum Ganzen kann in einem Buch oder Märchen vorhanden sein, wo ein Junge von sechzehn Jahren einem turmhohen Riesen einen Schwerthieb versetzt und ihn mitten auseinanderhaut, als wäre er von Zuckerteig? Und wie erst, wenn man uns eine Schlacht schildern will, nachdem man gesagt, es stünden auf feindlicher Seite mehr als eine Million Streiter? Falls nur der Held des Buches gegen sie ist, so müssen wir notgedrungen, so ungern wir's auch tun, für wahr annehmen, daß der besagte Ritter den Sieg durch die Tapferkeit seines starken Armes allein davongetragen hat. Und dann, was sollen wir von der leichtsinnigen Bereitwilligkeit sagen, mit der eine Königin oder die Erbin eines Kaisertums sich einem ihr unbekannten fahrenden Ritter an den Hals wirft? [...]
Die Dichtung muß sich mit dem Geiste des Lesers vermählen; das heißt, man muß das Erdichtete so gestalten, daß es das Unmögliche begreiflich macht, das Allzuhohe ebnet, die Geister in Spannung versetzt und mithin uns in solchem Grade Staunen abnötigt, uns aufregt und unterhält, daß Verwunderung und frohe Stimmung stets gleichen Schritt halten. Und all dieses wird der nicht zustande bringen können, der sich von der Wahrscheinlichkeit und der Nachahmung der Wirklichkeit fernhält, worin die Vollkommenheit eines Buches besteht. Nie hab ich ein Ritterbuch gesehen, dessen Dichtung ein einheitliches Ganzes mit all seinen Gliedern gebildet hätte, so daß die Mitte dem Anfang entspräche und das Ende dem Anfang und der Mitte; vielmehr setzen sie die Erzählung aus so viel Gliedern zusammen, daß es eher den Anschein hat, sie beabsichtigen eine Chimära oder sonst ein. widernatürliches Ungetüm zu bilden, als eine Gestalt von richtigen Verhältnissen zu schaffen. [...]
Bald kann er sich als Sterndeuter zeigen, bald als Meister der Erdbeschreibung, bald als Musiker, bald als Kenner der Staatsangelegenheiten; ja, vielleicht kommt ihm einmal die Gelegenheit, sich, wenn er Lust hat, als Schwarzkünstler zu zeigen. Er kann die Verschlagenheit des Odysseus und die Kühnheit des Achilles darstellen, Hektors trauriges Geschick, Sinons Verräterei, die Freundschaft des Euryalus, Alexanders Großmut, den Heldensinn Cäsars, die Milde und Aufrichtigkeit Trajans, die Treue des Zopirus, die Weisheit Catos und, endlich, all jene Tugenden, die einen hochgestellten Mann vollkommen machen können, indem er sie bald in einem einzigen Helden zusammengesellt, bald sie unter viele verteilt. Und wenn dies mit gefälliger Anmut des Stils geschieht und mit sinnreicher Erfindung, die soviel als möglich das Gepräge der Wahrheit trägt, dann wird er ohne Zweifel ein Gewebe weben, aus mannigfachen und reizenden Verschlingungen gebildet, das, wenn es erst zustande gebracht worden, eine solche Vollkommenheit und solchen Reiz der Gestaltung zeigt, daß es das schönste Ziel erreicht, das man in Büchern anstrebt, nämlich zugleich zu belehren und zu ergötzen, wie ich schon bemerkt habe. Denn der zwanglose Stil dieser Bücher gewährt dem Verfasser Freiheit und Raum, sich als epischer, lyrischer, tragischer, komischer Dichter zu zeigen, in der ganzen Vielseitigkeit, die in den holden und heiteren Künsten der Poesie und Beredsamkeit enthalten ist – denn die epische Dichtung läßt sich ebensogut in Prosa als in Versen schreiben. [...]
Was aber vorzugsweise mir die Arbeit aus den Händen nahm, ja mich von dem Gedanken, sie zu vollenden, gänzlich abbrachte, war eine Betrachtung, die ich für mich anstellte und die durch die heutzutage aufgeführten Lustspiele angeregt wurde. Ich sagte mir nämlich: wenn diese Stücke, die man jetzt gibt, sowohl die rein erfundenen als auch die aus der Geschichte entnommenen, alle oder doch meistenteils anerkanntermaßen ungereimtes Zeug sind und weder Hand noch Fuß haben, und wenn trotzdem die Menge sie mit Vergnügen anhört und für gut hält und mit Beifall belohnt, während sie es nicht im entferntesten sind; und wenn die Verfasser, die sie schreiben, und die Schauspieler, die sie aufführen, sagen, sie müßten so sein, weil die Menge sie so und nicht anders haben will; und wenn die Lustspiele, die einen Plan haben und die Handlung folgerichtig entwickeln, wie die Kunst es verlangt, nur für drei, vier einsichtige Leute vorhanden sind, die Verständnis dafür haben, und alle übrigen Hörer ganz verständnislos sind für deren Kunst, und wenn es mithin für die Verfasser und Darsteller viel besser ist, bei der Menge ihr Brot zu verdienen, als bei den wenigen Ruhm zu erwerben: da wird es am Ende mit meinem Buch ebenso gehen, nachdem ich mir die Finger lahmgeschrieben, um die erwähnten Vorschriften zu beobachten, und ich werde am Ende den Schneider von Campillo spielen, der die Hosen unentgeltlich nähte und noch den Zwirn dazugab. Und wiewohl ich die Schauspieler mehrmals zu überzeugen suchte, daß sie mit ihrer Ansicht im Irrtum sind und daß sie mehr Leute anziehen und größeren Ruf erlangen würden, wenn sie Komödien darstellten, die den Regeln der Kunst folgen, als jene Stücke voller Widersprüche und Ungereimtheiten, so halten sie dennoch so fest an ihren Meinungen und sind damit so verwachsen, daß weder vernünftige Erwägungen noch die augenscheinlichsten Tatsachen imstande wären, sie davon abzubringen. [...]
»Euer Gnaden hat einen Gegenstand berührt, Herr Domherr«, sprach hier der Pfarrer, »der in mir einen alten Groll wiedergeweckt hat, den ich gegen die jetzt im Schwange befindlichen Bühnenstücke hege und der nicht minder heftig ist als gegen die Ritterbücher; denn während die Komödie, wie Tullius Cicero meint, ein Spiegel des menschlichen Lebens, ein Lehrbuch der Sitten und ein Bild der Wahrheit sein soll, sind die heutigen Stücke Spiegel der Ungereimtheiten, Lehrbücher der Albernheiten und Bilder der frechen Lüsternheit. Denn welche größere Ungereimtheit ist denkbar auf dem Gebiete, von dem wir sprechen, als daß in der ersten Szene des ersten Aufzugs ein Kind in Windeln erscheint und in der zweiten als ein bereits bärtiger Mann auftritt? Und ist es nicht der ärgste Widersinn, uns einen Greis als tapfern Kämpfer und einen jungen Mann als Feigling darzustellen, einen Lakaien als redegewandt im Wortstreit, einen Edelknaben als Ratgeber, einen König als Taglöhner und eine Prinzessin als Küchenmagd? Was soll ich sodann von der Art sagen, wie die Zeit eingehalten wird, binnen deren die Handlung in diesen Schauspielen vorgehen kann oder konnte, was soll ich anderes sagen, als daß ich manches Drama gesehen habe, wo der erste Aufzug in Europa anfing, der zweite in Asien und der dritte in Afrika zu Ende ging und gewiß, wenn es vier Aufzüge gewesen wären, der vierte in Amerika schließen und also das Stück in allen vier Weltteilen spielen würde? Und wenn tatsächlich die Nachahmung der Wirklichkeit das hauptsächlichste Erfordernis eines Schauspiels ist, wie kann sich ein auch nur mittelmäßiger Kopf befriedigt fühlen, wenn bei einer Handlung, die der Dichter in die Zeiten des Königs Pippin und Karls des Großen verlegt, als Hauptperson der Kaiser Heraklius auftritt, der mit dem Kreuz in Jerusalem einzieht und das Heilige Grab erobert wie Gottfried von Bouillon, während doch zahllose Jahre zwischen diesem und jenem Ereignis liegen; und wenn man demselben Drama, während es sich auf reine Erfindung gründet, hier etliche geschichtliche Tatsachen beigibt und dort Bruchstücke von ändern beimischt, die sich bei verschiedenen Personen und zu verschiedenen Zeiten ereignet haben, und dies nicht etwa nach einem die Wahrscheinlichkeit beachtenden Plan, sondern mit offenbaren, in jeder Beziehung unentschuldbaren Irrtümern? Und das Schlimme dabei ist, daß es einfältige ungebildete Menschen gibt, die da sagen, das eben sei das Vollkommene, und mehr wollen heiße ganz besondere Leckerbissen begehren. [...] und darum sucht der Dichter sich dem anzubequemen, was der Schauspieler, der ihm seine Arbeit bezahlen soll, von ihm verlangt. Und daß dieses reine Wahrheit ist, kann man aus den vielen, ja unzähligen Schauspielen ersehen, die einer der reichstbegabten Geister dieser Lande mit solcher Anmut und solchem Witz gedichtet hat, in so schönen Versen, mit so geistvollen Gesprächen, mit so bedeutsamen Lehrsprüchen, kurz, so voller Beredsamkeit und Erhabenheit des Stils, daß er die Welt mit seinem Ruhm erfüllt. Aber weil er sich den Wünschen der Schauspieler anbequemen wollte, haben seine Stücke nicht sämtlich, wie es doch mit einigen geschehen, den Grad der Vollkommenheit erreicht, den sie eigentlich haben müßten. [...]
Aber all diese Unzuträglichkeiten und noch viele andre, die ich nicht erwähne, würden aufhören, wenn in der Residenz ein einsichtiger, erfahrener Mann da wäre, der alle Bühnenstücke vor der Aufführung zu prüfen hätte, nicht nur diejenigen, welche in der Hauptstadt, sondern alle, die in ganz Spanien zur Aufführung kommen sollen; und wenn sodann ohne solche Genehmigung mit Siegel und Unterschrift keine Behörde die Aufführung eines Schauspiels in ihrem Amtsbereich erlaubte, dann würden die Schauspieler die Stücke erst nach der Hauptstadt senden und könnten sie alsdann in aller Sicherheit aufführen, und die Verfasser würden mit mehr Sorgfalt und Fleiß ihre Werke gründlich überdenken, da sie stets die strenge Prüfung ihrer Stücke durch einen Sachkenner vor Augen hätten; [...]
(Cervantes: Don Quijote)
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