20 Februar 2017

Calderon: Das große Welttheater III

Vorhergehende Handlung

Die Welt. Kurz war das Schauspiel; aber wann verwehen
Nicht rasch des Lebens Spiele, kaum erklungen,
Wo alles nur ein Kommen ist und Gehen,
Das keinen überrascht, der's recht durchdrungen? [...]
Von allen jetzt, vom Kön'ge bis zum Bauer,
Fordr' ich zurück, was sie von mir erbeutet
An eitlem Tand für dieses Schauspiels Dauer,
Daß jeder scheine, was sein Part bedeutet.
An diese Tür stell' ich mich auf die Lauer,
Und wer da meine Schwelle überschreitet,
Leg' ab, was er an Schmuck mir hat entnommen, 
Denn Staub sei wieder, wer als Staub gekommen.
(Der König tritt auf.)
Du, der zuerst aus diesem Tor gezogen,
Sprich, welche Rolle hattest du empfangen?
Der König. Du fragst? Vergißt die Welt so schnell des Hohen?
Die Welt. Die Welt wirft hinter sich, was da vergangen.
Der König. [...]
Ich war's, dem die Gewalt man anvertraute,
Der andre sonnt' mit seines Ruhmes Lichte, [...]
Der mit dem Schwerte schrieb die Weltgeschichte
Und über sich den Thronenhimmel glänzen
Von Purpur sah, von Kron' und Lorbeerkränzen.
Die Welt. So löse denn, verlaß, wirf hin die Krone,
Leg' ab die Majestät, vom stolzen Schlosse
Verbannt, vergessen, wie zu herbem Hohne,
Scheid' nackt und bloß aus dieses Lebens Posse!
Der Purpur, den du rühmst in hohem Tone,
Bald hüllt sich drein ein anderer Genosse,
Nichts nimmst du mit von allem, was da glänze,
Mir bleiben Purpur, Kron' und Lorbeerkränze.
(Sie entkleidet ihn.)
Der König. Hast du nicht selber mir den Schmuck verliehen?
Warum nun nimmst du, was du kaum gespendet?
Die Welt. Weil's nicht verliehn dir wurde, nur geliehen
Für kurze Frist, bis du dein Spiel beendet.
Laß nun für andre deine Reiche blühen
Und alle Herrlichkeit, die dich geblendet. [...]
(Die Schönheit tritt auf.)
Was spieltest du?
Die Schönheit. Das Zauberspiel der Blicke.
Die Welt. Was gab ich dir?
Die Schönheit. Der Schönheit süß'stes Prangen.
Die Welt. Wo hast du sie?
Die Schönheit. Sie blieb im Grab zurücke. [...]
Die Welt. Wo hast du deiner Reize Schmuck gelassen,
Die ich dir einst geliehen? Gib sie mir wieder!
Die Schönheit. Sank alles, alles dort im Grabe nieder. [...]
Dort gingen unter meiner Augen Schimmer,
Dort blieb von aller Schönheit nicht ein Trümmer.
(Der Landmann tritt auf.)
Die Welt. Ha, Bauer, was warst du?
Der Landmann. Nun Bauer, eben
Weil ich's sein mußte. Aber bleib' nur sitzen,
Der Bauer beißt nicht. Ja, den Titel geben
Die Fante uns, für die im Feld wir schwitzen,
Ich bin's, den manche, die bei Hofe leben,
Vornehm gesegenen mit schlechten Witzen,
Ich bin's – und daß ich's bin, soll mich nicht plagen –,
Zu dem Ihr: »Du« und »Er« beliebt zu sagen.
Die Welt. Gib her, was ich dir lieh.
Der Landmann. Du, mir geliehen?
Die Welt. Ein Spaten war's.
Der Landmann. Das lohnt auch noch zu schwatzen!
Die Welt. Gleichviel! Darfst nicht damit von dannen ziehen.
Der Landmann. Nun, da möcht' einem doch die Galle platzen!
Seht die vertrackte Welt! Erst ab mich mühen,
Mit Not das bißchen Brot zusammenkratzen,
Und jetzt, da wir hier auseinander rennen,
Nicht so ein lumpig Grabscheit mir zu gönnen!
(Der Reiche und der Bettler treten auf.)
Die Welt. Wer naht?
Der Reiche. Wer nimmer möchte von dir scheiden.
Der Bettler. Und wer von dir zu scheiden stets verlangte.
Die Welt. Wie kommt es, daß zur selben Zeit euch beiden
Zu lassen mich und nicht zu lassen bangte?
Der Bettler. Weil ich viel bittre Armut mußte leiden.
Der Reiche. Und ich mit Schätzen übermächtig prangte.
Die Welt. Her, dein Geschmeid!
(Sie nimmt ihm seinen Staat.)
Der Bettler. Schau, wie ich sicher baute!
Hab' nichts, das mir, der Welt zu lassen, graute.
(Das Kind kommt.)
Die Welt. Auch dich sah ich doch zum Theater streben,
Warum erschienst du niemals in dem Stücke?
Das Kind. Du nahmst in einem Grabe mir das Leben,
Im Grab lass' ich, was du mir gabst, zurücke.
(Der Weise tritt ein.)
Die Welt. Was hatt' ich dir zum Schmucke mitgegeben?
Sprich, was erbatst du an des Lebens Brücke?
Der Weise. Ein härnes Kleid, das ich demütig trüge,
Die Geißel, das Gebet und inn're Gnüge.
Die Welt. So gib mir's wieder nun, man soll nicht wähnen,
Daß einer nur sein Ehrenpfand vertrage.
Der Weise. Ich wollte, das Gebet, die Lust der Tränen
Verblieb der Welt bis an das End' der Tage;
Doch scheiden sie mit mir, auf daß dich Sehnen
Dir selbst entschwing' mit kühnerm Flügelschlage.
Versuch's, ob du's vermagst, sie zu erfassen.
Die Welt. Kann nicht, muß dir die guten Werke lassen,
Das einzige, das ihr der Welt entrungen.
Der König. O wer doch nimmer nach Gewalt getrachtet!
Die Schönheit.
Und nimmer nach der Schönheit Huldigungen!
Der Reiche. O hätt' ich nie mit Schätzen mich befrachtet!
Der Landmann. O wer den Spaten rüst'ger doch geschwungen!
Der Bettler. O wer in größern Nöten noch geschmachtet!
Die Welt. Zu spät! Was schauert ihr? Im Sterben
Mag sich nicht Palmen mehr der Mensch erwerben.
Und da ich ausgelöscht der Schönheit Züge
Und, was gewaltig war, gestürzt nun habe,
Da ich verstört des Hochmuts eitle Flüge,
Das Zepter gleichgemacht dem Bettelstabe:
So gehet vom Theater denn der Lüge
Ein in das Reich der Wahrheit aus dem Grabe! [...]
Der Bettler. Meister Himmels und der Erde!
Die nach deinem Machtgebote
Dieses kurzen Menschenlebens
Schauspiel vorgestellt, sie kommen
Alle nun zum großen Gastmahl,
Das du ihnen einst versprochen.
Laß das Lichtgewölk sich teilen
Vor dem Glanze deines Thrones!
(Musik. Wahrenddeß erschließt sich noch einmal die Himmelsbühne und zeigt einen Tisch mit Kelch und Hostie, an welchem der Meister sitzt.)
Der Meister. Schon harrt euer dieser Tisch
Und das Brot, vor dem erschrocken
Sich die Hölle beugt und alle
Himmel in Beschaun verloren.
An der Zeit ist's, zu verkünden,
Wer jetzt mit mir tafeln soll,
Denn aus meiner Nähe müssen 
Scheiden nun, die ihre Rollen
Dort verfehlt, auf daß besel'gend
Sie Erkenntnis überkomme
All des Heiles, das ich ihnen
So barmherzig dargeboten.
Sei der Bettler und der Mönch
Denn zum Ehrentisch erhoben;
Essen sie auch nicht dies Brot,
Da sie schon der Welt entnommen,
Ist's doch Labsal, anzubeten
Das Mysterium der Wonne. [...]
Der König. Mitten in dem Glanz der Hoheit
Fleht' ich, Herr, nicht um Erbarmen?
Warum hast du mich verworfen?
Der Meister. Schönheit und Gewalt, hochmütig
Hatten sie sich überhoben,
Doch bereut auch. Beide seien,
– Jedoch später – aufgenommen. [...]
       So gewärtigt künft'gen Lohnes,
Da ihr, eure Schuld bereuend,
Um Barmherzigkeit geworben!
Im Fegfeuer nun ihr drei
Harret büßend, bis gekommen
Eure Zeit. [...]
Der Reiche. Seh' ich König dort und Schönheit,
Bloß weil Weltruhm sie verlockte,
Trotz der Tränen, die sie weinten,
So im Innersten erschrocken
Und den Bauer unter Seufzen,
Daß es Steine rühren sollte,
Ungewiß und bebend zaudern,
Hier emporzuschaun zu Gottes
Furchtbar strengem Angesicht –
Wie wagt' ich den Blick nach oben?
Doch ich muß – wo flöh' ich hin,
Da kein Winkel bleibt verborgen
Vor dem schrecklichen Gericht?
Meister!
Der Meister. Unglücksel'ger, stockt dir
Nicht die Stimme bei dem Namen?
Hättst du nie ihn ausgesprochen!
Denn hier aus der Zahl der Meinen
Bist fortan du ausgestoßen.
Steig' zu der verlornen Nacht
Nieder nun, wo deine stolzen
Lüste dich in Ewigkeit
Zwischen Furcht und Qualen foltern. [...]
Der Meister. Da des Himmels Engelscharen,
In der Hölle die Dämonen
Und die Menschen auf der Welt
All' sich beugen vor dem Brote,
Sollen durch die Himmel, Hölle
Und die Welt zu seinem Lobe
Süße Stimmen widerhallen
Rings in unermeßnem Chore.
(Musikklänge; man hört in der Ferne das »Tantum ergo« singen.)
Die Welt. Und da dieses ganze Leben
Eben nur ein Schauspiel vorstellt,
Oh, so werde dem wie jenem
Nachsicht hier wie dort zum Lohne!
Calderon: Das große Welttheater 

Wikipediaartikel

Fontanefan: Bemerkenswert, wie deutlich die Kritik an der Misshandlung der Mutter Erde und Kritik am Reichtum als Selbstzweck ausgesprochen werden.

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