Über bedeutende historische Gestalten lassen sich schlecht historisch Romane schreiben. Es ist zu viel über sie bekannt. Die Phantasie des Autors ist zu sehr eingeschränkt.
Unbedeutende aber erwecken nicht das Interesse des Lesers. Wer über bedeutende Personen schreiben will, tut also gut, Personen aus ihrem Umfeld einzuführen, über die man so gut wie nichts weiß (Beispiel Scotts Quentin Durward). Sind es unbedeutende Personen, helfen die Tricks von Trivialromanen: Schwarzweißmalerei, Sex und Crime.
Bevor Dahn uns also eine Geschichte der frühen Frankenkönige zumutet, stellt er zuvor eine hoch attraktive Unfreie vor, die mit allen Mitteln in die Welt des Adels eindringen will. Die historische Person Fredegunde bringt dafür alle notwendigen Voraussetzungen mit. Der Leser fragt sich: "Was für Unheil stiftet sie für sich und für welche der handelnden adligen Personen?"
Deshalb wird ihr erster adliger Geliebter als Unbekannter eingeführt.
[Fredigundis:] "Und vor allem: ich halte dies Leben nicht mehr aus! Not, Hunger, Schmutz, die Zaubersprüche der Alten, die nichts hervorzaubern! – Und Landerich ist nicht mehr abzuwehren. – Ich glaube fast, ich hab's zu arg gemacht, ihn zu entzünden,« lachte sie. »Brauchte keinen Liebesknoten dazu! Nur immer ›Nein‹ sagen! Und ihn dabei anschauen als wäre es ›Ja‹. – Was er eigentlich von mir will? – Ich weiß es nicht! – Sein Weib soll ich werden, sagt er, vor Gott, bis ich dereinst es vor den Menschen werden könne. Und dabei küßte er mich – bis zum Wehe thun; ich wehrte ihm nicht mehr stark – und er fragte: ›Glühst du denn nicht ganz von innen?‹ Ich mußte lachen. – Denn ich dachte gar nicht an ihn! An den Goldbecher seines Vaters dacht' ich, der in der Halle auf dem Eckbrett prangt, und ob ich dann wohl täglich daraus trinken würde? – Aber er drohte, davonzulaufen in die weite Welt, wenn ich ihn nicht endlich ›erhöre‹ –, was immer das nun auch bedeuten mag. Und lesen und schreiben und alles was er lehren kann an Wissen, das hab ich von ihm gelernt. Und so versprach ich denn, heut' abend unter der Mark-Eiche auf ihn zu warten. Und sein Weib zu werden heute noch. Und mich dann von ihm in jene Försterhütte flüchten zu lassen, viele Stunden weit. Und jetzt sitze ich also hier, unter der Eiche. Und warte.« [...]
Unbedeutende aber erwecken nicht das Interesse des Lesers. Wer über bedeutende Personen schreiben will, tut also gut, Personen aus ihrem Umfeld einzuführen, über die man so gut wie nichts weiß (Beispiel Scotts Quentin Durward). Sind es unbedeutende Personen, helfen die Tricks von Trivialromanen: Schwarzweißmalerei, Sex und Crime.
Bevor Dahn uns also eine Geschichte der frühen Frankenkönige zumutet, stellt er zuvor eine hoch attraktive Unfreie vor, die mit allen Mitteln in die Welt des Adels eindringen will. Die historische Person Fredegunde bringt dafür alle notwendigen Voraussetzungen mit. Der Leser fragt sich: "Was für Unheil stiftet sie für sich und für welche der handelnden adligen Personen?"
Deshalb wird ihr erster adliger Geliebter als Unbekannter eingeführt.
[Fredigundis:] "Und vor allem: ich halte dies Leben nicht mehr aus! Not, Hunger, Schmutz, die Zaubersprüche der Alten, die nichts hervorzaubern! – Und Landerich ist nicht mehr abzuwehren. – Ich glaube fast, ich hab's zu arg gemacht, ihn zu entzünden,« lachte sie. »Brauchte keinen Liebesknoten dazu! Nur immer ›Nein‹ sagen! Und ihn dabei anschauen als wäre es ›Ja‹. – Was er eigentlich von mir will? – Ich weiß es nicht! – Sein Weib soll ich werden, sagt er, vor Gott, bis ich dereinst es vor den Menschen werden könne. Und dabei küßte er mich – bis zum Wehe thun; ich wehrte ihm nicht mehr stark – und er fragte: ›Glühst du denn nicht ganz von innen?‹ Ich mußte lachen. – Denn ich dachte gar nicht an ihn! An den Goldbecher seines Vaters dacht' ich, der in der Halle auf dem Eckbrett prangt, und ob ich dann wohl täglich daraus trinken würde? – Aber er drohte, davonzulaufen in die weite Welt, wenn ich ihn nicht endlich ›erhöre‹ –, was immer das nun auch bedeuten mag. Und lesen und schreiben und alles was er lehren kann an Wissen, das hab ich von ihm gelernt. Und so versprach ich denn, heut' abend unter der Mark-Eiche auf ihn zu warten. Und sein Weib zu werden heute noch. Und mich dann von ihm in jene Försterhütte flüchten zu lassen, viele Stunden weit. Und jetzt sitze ich also hier, unter der Eiche. Und warte.« [...]
Er kommt noch nicht. Oh, wenn er doch gar nicht käme! – Seltsam! – Ich sollte ihm zürnen, dem Bräutigam, der säumt, zur Braut zukommen. Ach! Und ich wollte, er käme gar nicht, der Bräutigam! Ei ja! Ich nehme mein Bündel wieder auf und laufe zurück zur Ahne und sage, das Gewitter – denn jetzt kommt's mit Macht! – hat mich aufgehalten. – Oh je, wieder in der Ziegenhütte! Und wieder Hunger und Öde und – eitel nichts! Komm, Bräutigam! – Oh hießest du doch nichtLanderich! Aber wie sollte er heißen, mir zu gefallen? Keiner gefällt mir! Ich kann vielleicht wirklich nicht lieben! Rulla mit den glühenden Wangen hat wohl recht.
Hei, das Wetterleuchten! Das war schaurig schön! Ein Wink, ein stummer, des Donnerherrn, des roten, ein Götterzeichen, sagt die Ahne: ein Teufelszeichen, sagt der Diakon. – Wie der Wind jetzt heult und pfeift! Staub wirbelt auf der Geißenhalde empor! Wie der Sturm den Rauch niederdrückt über den Dächern im Dorf! – Hui, jetzt Blitz und Donner! – Und horch! Was war das? Fern im Wald hinter mir. Ein Hornruf? Ein Jäger? Im Bannwald jagen bei solchem Unwetter? Das ist der wilde Jäger wohl, der im Gewittersturme jagt! Hei, der wäre mir gerade recht, der starke Buhle! Komm, roter Donnerkönig, oder wer du auch bist, der im Gewitter dahinrast über mir: – Wildjäger, Rotjäger, Rotkönig, komm! Hier harrt eine Braut eines Bräutigams. Komm!
Da! Blitz auf Blitz! Und der Donner jetzt ganz nah! Ist es der Sturm, was mich so wild macht, so berauscht, so freudig? Oh, wüchsen mir Flügel, durch die Lüfte mich zu tragen – zu ihm. Ja, zu wem denn?«
»Hei, hilf Sankt Martinus!« kreischte sie und sprang auf mit Entsetzen: ein furchtbarer Schlag krachte über ihrem Haupt, in langhin rollendem Donner sich entladend.
Sie sah zitternd empor. »Die Eiche brennt! Der Blitz! Er schlug in unser Brautbett, Landerich! – Und horch! Gewiß, gewiß, das ist ein Horn! Ein Jagdhorn! Es naht! Er naht! Ein Reiter! aus dem innersten Wald! Auf rotem Roß! Rot flattert im Sturmwind sein Mantel. Rot aus dem Jägerhut fluten die langen Locken. Ja, es ist der rote Dämon des Blitzes! Schützt mich, ihr Heiligen! – Oder nein, schützt mich nicht: er hat meinen Ruf gehört – der Bräutigam ist 'kommen.«
Und vor ihr hielt ein Reiter, der mit dem rechten Arm weit vom schnaubenden Rotroß herab nach ihr griff. Sie schmiegte sich zitternd an den nächsten Baum. Der brennende Eichenwipfel beleuchtete grell beide Gestalten.
Regungslos stand das Mädchen, an den Stamm geduckt, und starrte auf den stolzen Reiter, seine reiche Tracht, seinen blitzenden Goldschmuck: nie hatte sie solche Pracht geschaut. »Wer bist du?« fragte sie bebend, aber sie konnte das Auge nicht von ihm wenden. »Wer ich bin? Dein Herr! – Wer du bist? Ich frag' es nicht, denn du bist zauberschön! Ich bin ein Jäger und du – meine Beute! Willst du nicht? Muß ich dich zwingen!« »Ich will!« rief sie leidenschaftlich und sprang von dem Baume weg auf ihn zu. Rasch hatte er nun die schlanke, fast noch kindliche Gestalt um die Hüfte gefaßt und vor sich in den Sattel gerissen. Er breitete seinen langen roten Flattermantel um sie und jagte mit ihr davon in den dichten Wald unter lohendem Blitz und hell nach prasselndem Donner. [...]
»Verzeiht, ehrwürdige Bischöfe und große Herzoge,« begann ein stattlicher junger Krieger, dessen schönes Antlitz von südlicherer Sonne gebräunt schien, – er sprach das Latein mit andrem Anklang als die Franken, – »wenn ich ein paar Fragen an euch richte. Die Dinge in euren drei – oder vier? – Reichen liegen etwas kraus. Wir Goten kennen nur Einen König, der mächtig zu Toledo thront. Mir ist nicht alles klar geworden aus euren Reden; auch aus den Urkunden nicht ganz. Eure Stadt, Herr Bischof, Paris, scheint mehreren Königen zu gehören? Wie kam das?«
»Das kam so, Herr Marschall Sigila. Wir haben noch Zeit: rechtzeitig ruft uns das Zeichen, bevor das Hochzeitschiff den Hafen erreicht. – Ihr könnt dann Eurer jungen Herrin und Königin alles genau klarlegen. Sie ist – das fand ich bald, als ich in Toledo um ihre Hand warb bei ihrem Vater, König Athanagild, – sie ist gar hohen herrschgewaltigen Geistes, eine echte Königstochter vom Wirbel bis zur Sohle.«
»Herrlich ist Frau Brunichildis, meine Herrin,« sprach der Gote mit blitzenden Augen. »Glückliches Frankenreich, das sie zur Königin empfing. ›Die neue Perle, die Hispania gebar,‹ wie Venantius Fortunatus gesungen hat. Wie rühmt er sie doch?:
›Schön, anmutig und klug, echt königlich: hehr und doch gütig,
Mächtig durch Reiz und durch Geist wie durch ihr fürstlich Geschlecht.‹
Mächtig durch Reiz und durch Geist wie durch ihr fürstlich Geschlecht.‹
»Ja, sie ist unvergleichlich,« sprach ein jüngerer Priester, über die edeln, sehr bleichen Züge flog ein leiser Schimmer hin. »Ei, Prätextatus,« lächelte der Bischof. »Seit Ihr sie mit mir geschaut in Toledo, seid Ihr so begeistert wie jener Poet. Aber ich darf nicht schelten. Ging mir es doch ebenso wie Euch.« »Reinheit thront auf ihrer Stirn,« sprach Prätextatus mit tiefem Ernst, »und hoher Seelenadel leuchtet aus ihrem klaren Auge. Reinheit und Seelenadel! Wie dringend bedarf dieser Tugenden der arge, im Schmutz der Lüste versunkene Hof der Merowingen.«
»Nicht unser Herr!« rief da laut ein junger Franke, »nicht König Sigibert. Wer wagt es, ihn zu vergleichen mit jenem geilen Fuchs, dem roten ... –« »Gemach, Herr Charigisel!« unterbrach ein andrer der Großen, ein älterer Mann mit leicht ergrautem Haar, von schönem Antlitz und ruhiger, vornehmer Haltung, der auf der Marmorbrüstung des Bogenfensters saß: der reiche Schmuck seiner Gewandung überstrahlte bei weitem alle andern. – »Zwar sind wir – leider! – keineswegs sonderlich zufrieden mit unserm Herrn – gar nicht! Und die Zeit mag kommen, fürcht' ich, da er das erfährt! – Aber wenn über König Chilperich gescholten wird, so wollen wir das selber thun, nicht von andern gegen ihn schelten hören, Herr Kämmerer!« – »Freilich, Herzog Drakolen, Ihr seid diesem Rechte der nächste! Doch gesteht selbst: ragt nicht Herr Sigibert, der junge Held, wie ein Erzengel Gottes hoch über den guten, aber trägen König Guntchramn von Orleans und über Euren schlauen, ja geistvollen, erfindungsreichen Herrn? Von König Chilperichs Hinterlist, von seiner Wollust ist ganz Gallien voll, – von seinen Heldenthaten hat noch niemand was gehört.« »Daß Gott erbarm!« rief der Herzog, unwillig aufspringend: »Kommt, ihr Getreuen König Chilperichs! Wir können ihn nicht verteidigen mit Gründen – mit den Waffen dürfen wir's nicht – in Gegenwart der heiligen Reliquien, vor denen wir soeben den Frieden beschworen. Aber unsern Herrn schmähen hören ohne dem zu wehren, das stößt mir gegen das Herz. – Wir gehen voran! – Habt ihr ausgescholten, so kommt uns nach.« – Waffenklirrend verließen der Herzog und die übrigen Mannen des Königs von Neustrien den Saal.
Der Gote sah ihm nach. »Ein wack'rer Held! Und seinem Herrn getreu.« »Treu wie Gold,« sprach der Bischof. »Gott hat seine Tugend auch auf Erden schon belohnt.« »Ja,« rief der Kämmerer, »das muß wahr sein. Der Herr Herzog von Aquitanien ist wohl der glücklichste Mann im ganzen Reich der Franken; reich wie kein andrer – im schönsten Land des schönen Rhonestroms! – begütert, hochangesehen: in Krieg und Frieden gleich gerühmt; König Chilperich hat ihm seine starke Feste Chartres zur Behütung anvertraut; an der Seite einer trefflichen Gemahlin, umgürtet und umblüht von sechs trefflichen Söhnen, wackern Eidamen vermählt sind die zwei schönen Töchter. – ›glücklich wie Herzog Drakolen.‹ sagt man im Volk.«
»Ich sehe aber noch immer nicht klarer,« mahnte der Gote. »So hört,« begann Bischof Germanus. »Als König Chlothachar, der das ganze Frankenreich in seiner Hand vereinigt hatte, zu sterben kam, verteilte er es unter seine vier Söhne: Charibert, Guntchramn und – den Jüngsten – Sigibert, welche drei Königin Ingundis und Chilperich, den ihm deren Schwester Aregundis geboren.« »Wie?« staunte Sigila, »Zwei Schwestern nacheinander?« Beschämt schwieg der Bischof. Aber der Kämmerer lachte. »Nacheinander? Ha, ha! Zugleich, nebeneinander hat er sie gehabt. Als Ehefrauen! Alle beide!« »Die Kirche verbietet das,« fiel Prätextatus eifrig ein, »im Frankenreich, wie überall... –« »Aber,« fuhr Charigisel fort, »ein Merowing läßt sich auch von der heiligen Kirche nicht viel einreden.« – »Und am wenigsten,« seufzte Prätextatus, »wo es sich um Weiber handelt.« »Hei, das war schnurrig,« lachte der Kämmerer, »wie König Chlothachar die zweite Schwester dazu nahm, nur um der ersten einen rechten Gefallen zu erweisen.« »Wie das?« staunte Sigila. – »Je nun, so! Frau Ingundis sprach eines schönen Morgens, da sie sich vom ehelichen Lager hob, zu ihrem Gatten: ›Alles hab ich nun, mein königlicher Herr, erreicht durch deine Liebe und Gnade, was deine Magd ersehnen konnte. Nur Ein Wunsch übrigt noch: siehe, o Herr, Aregundis, meine Schwester, ist allmählich gar schön aufgeblüht; sie sollte nun doch auch bald der Liebe, der Ehe Glück genießen; o thu' mir die Gnade, such' ihr einen ihrer würdigen Gatten. Denn gar sehr begehrenswert ist die reizvoll üppige Gestalt. Du hast sie über Jahr und Tag nicht mehr gesehen. Sie wohnt im Hofe Clichy bei Paris.‹ Der König schwieg und nickte mit dem Kopfe. Zwei Tage darauf trat er vor seine Königin und sprach: ›Aus Clichy komm' ich. Wahr hast du gesprochen. Sehr schön ist deine Schwester geworden, die weißarmige Aregundis. Und ich weiß ihr in meinem ganzen Reich keinen ihrer würdigen Mann – als mich selber. So hab ich sie denn gestern mir vermählt.‹ Und Ingundis, wohl gezogen, sprach: ›Was mein Herr thut, das ist wohl gethan. Wenn nur auch ich... –‹ Darüber beruhigte sie sofort der gnädige Herr König. Und so ist nun Chilperich, Aregundens Sohn, zugleich der Vetter und der Bruder von Ingundens drei Söhnen.« »Das ist ja himmelschreiend,« rief der Gote. »Merowingisch ist es!« meinte Charigisel. – »Und die Kirche – die Bischöfe?« »Leider,« zürnte Prätextatus, »schwiegen sie damals zu solcher Fleischeslust und Vielweiberei. Heute, nicht wahr, ehrwürdiger Vater, würden wir nicht schweigen!« »Wir nicht, mein eifriger Sohn,« sprach Germanus. »Aber auch heute giebt es gar manche Bischöfe und Äbte, welche die Herren Könige aus Herzogen und Grafen plötzlich in Priestergewande steckten und die weltlich denken, nach wie vor der Weihe.« »Aber,« fuhr Charigisel fort, »damit hatte Herr Chlothachar noch lange nicht genug! Im ganzen hat er es, teils neben-, teils nacheinander, auf sieben Weiber gebracht – Eheweiber, – die Buhlinnen nicht gezählt, die er im ganzen Reich sich aufgriff, Hirtinnen, Bäuerinnen, Unfreie, wie Freie und Edle.« Der Gote schüttelte das Haupt; Bischof Germanus aber fiel ein: »Laßt diese Dinge ruhen, die der Kirche und ihrer lässigen Zucht zur Schmach gereichen. – Also König Chlothachar gab vor dem Sterben seinem Sohn Charibert Paris und Aquitanien, Guntchramn Orleans und Burgund, Sigibert Reims und Austrasien, Chilperich Soissons mit Neustrien.« »Aber kaum,« ergänzte der Kämmerer, »hatte er die Augen geschlossen, als, trotz dem Erbvertrag, der Bruderkrieg begann.« »Warum?« fuhr Prätextatus fort. »Weil König Chilperich in maßloser Habgier sofort den Frieden brach, des Vaters Schatzhaus zu Braine überfiel und plünderte und Paris, das er so heiß begehrt, wie sonst nur noch ein schönes Weib ... –« »Wegschnappte,« zürnte Charigisel, »das heißt, durch seine Feldherren, durch seine drei Söhne von Audovera.« »Wie?« fragte Sigila, »Ja, wie alt ist er denn, dieser König Chilperich?« »Etwa zweiundvierzig,« antwortete der Bischof. »Die Merowingen haben meist schon mit sechzehn, siebzehn Jahren Kinder.« »Sogar eheliche,« grollte Prätextatus, »von den andern zu schweigen!« »Das ist ja Unzucht!« rief der Gote entsetzt. »In welchen Pfuhl haben wir dich verpflanzt, o Lilie von Toledo!« »Ihr Gemahl, unser Herr Sigibert, ist frei von solchem Schmutz,« rief Charigisel. – »Durch seine Söhne: Theudibert, Merovech und Chlodovech, vollführt Herr Chilperich seine Heldenthaten.«
»Er selbst bleibt klüglich zu Hause, verführt Frauen und Mädchen...« – eiferte Prätextatus. »Oder dichtet zur Abwechslung fromme Lieder,« lachte Charigisel. »Oder erfindet neue Buchstaben,« meinte der Bischof. »Oder neue Steuern,« seufzte ein Kaufherr aus Chartres. »Oder stiftet und beschenkt Klöster, hat ihm der ehrwürdige Vater Germanus das Gewissen wieder einmal geweckt,« meinte der Kämmerer. »Oder widerlegt Juden in scharfsinniger theologischer Disputation« –, fuhr Prätextatus fort. »Sie dürfen ihm aber nicht antworten!« lachte Charigisel. »Und kann er sie nicht zur Taufe bereden ...« – sprach der Bischof – »So führt er sie auf der Folter gelinde zu besserer Einsicht« – meinte Prätextatus. »Und verbrennt die Rückfälligen!« rief der Kämmerer. »Oder behauptet ihren Rückfall, d.h. der Reichen, um sie verbrennen und dann beerben zu können!« schloß der Kaufherr. »Nun also,« begann der Bischof aufs neue, »die drei vollbürtigen Brüder thaten sich zusammen, jagten ihm Paris und seinen übrigen Raub wieder ab und zwangen ihn, Ruhe zu halten.« »Herr Charibert wollte den schlimmen Bruder bestraft wissen; der dicke Guntchramn schwankte,« fuhr Charigisel fort. »Wie gewöhnlich!« meinte der Kaufmann. »Doch unser edler König, Herr Sigibert,« rief der Kämmerer, »erwirkte ihm Verzeihung.« »Der Dank blieb nicht aus,« seufzte Prätextatus. – »Jawohl! Wenige Monate, später ward er heimgezahlt! Kaum hatte Herr Sigibert den ganzen Heerbann Austrasiens ins Thüringland geführt, die Avaren, diese greulichen Unholde, hinauszuschlagen, als Herr Chilperich unsere Länder überfiel.« »Schmählich!« rief der Gote. – »Und da vollführte er denn selbst große Heldenthaten: er nahm Reims, Herrn Sigiberts Königssitz, – freilich: nur Weiber standen auf den Wällen! – und andre Städte mehr. Aber er faßte sich das Herz dazu doch nur, weil ein Gerücht unsern Herrn in der Schlacht geschlagen und gefallen gemeldet hatte. Allein Herr Sigibert war nicht tot. Nach heißem Kampf hatte er den Avaren-Chan bezwungen und auf die Nachricht von dem Fall von Reims flog er aus Thüringland über den Rhein zurück, zornig und rasch, dem Adler gleich, der den eingedrungenen Geier aus dem Horste jagt.« »Herr Chilperich hatte sich zwar längst davongemacht. Nicht einmal in seinem eigenen Königssitz Soissons glaubte er sich sicher,« erzählte der Kaufmann weiter. – »Nur Theudibert, sein ältester Sohn, verteidigte die Stadt: und zwar recht tapfer. Aber wir nahmen sie mit Sturm. Und Herr Sigibert griff mit eigner Hand seinen Neffen, umarmte und küßte ihn, lobte seinen Mut und – ließ ihn frei.« »Ein edler, wahrhaft königlicher Herr!« rief Sigila. »Nur mußte er schwören,« schaltete Prätextatus ein, »niemals wieder gegen Herrn Sigibert das Schwert zu heben. Und da bald darauf Herr Charibert starb, vermittelte Herr Guntchramn den Frieden. Abermals verzieh Sigibert dem besiegten Bruder.« »Aber Soissons behielten wir,« lachte Charigisel. »Herr Chilperich mußte seinen Sitz in das kleine schmale Tournay verlegen. Gewaltig soll es ihn wurmen.« – »Das Erbe Chariberts – Aquitanien – ward unter den drei Brüdern geteilt. Nur über Paris konnten sie sich nicht verständigen. Schon drohte neuer Kampf darüber auszubrechen...« »Da fand,« sprach Prätextatus, »die Weisheit des Bischofs der Stadt, stets bemüht, Blutvergießen zu verhüten, den Ausweg, daß Paris Gemeingut der drei Brüder werden sollte.« »Aber mit so mißtrauischen Augen,« rief der Kämmerer, »betrachten sich die Merowingen, daß keiner den andern in jenen Wällen weilen wissen mag.«
»Daher ward,« belehrte Germanus, »von den drei Brüdern, unter fürchterlicher Selbstverwünschung für den Fall des Eidbruches, auf die heiligsten Reliquien von Sankt Hilarius und Sankt Martinus den Bekennern, und zumal von Sankt Polyeuktus dem Martyr, dem furchtbaren Rächer des Meineids, ein schwerer Schwur geleistet, daß keiner ohne die beiden andern Brüder je einreiten solle durch die Thore von Paris.« »Ich erschauerte,« schloß Prätextatus, und ein leises Zittern flog über seine Glieder. »Ich stand nur als Zeuge dabei. Aber Grauen ergriff mich in die Seele der Schwörenden hinein, da sie nun, die heiligen Pfänder, den Reliquienschrein, berührend, die fürchterlichen Worte wiederholten, die der hochwürdige Bischof hier ihnen vorsprach.« »Ich aber hätte das Friedenswerk nicht zu stande gebracht,« beteuerte dieser, »ohne die eifrige Unterstützung dieses jungen Freundes hier. Der Sohn Herrn Landberts, in kurzer Zeit zum Archidiakon des Bischofs von Rouen emporgestiegen, ist ebenso gewandt in weltlichen Geschäften wie eifrig im Gebet und in fast allzustrenger Askese.« »Und als nun unser König Sigibert Friede hatte vor seinem bösen Bruder,« rief der Kämmerer freudig, »da eilte er, das Verlöbnis abzuschließen mit der Königstochter der Westgoten. Der reine Mann, den nie, wie seine Brüder, der Schmutz der Lust besteckt, er wollte nun in seine Halle die edle Gattin führen.« »Und keine herrlichere wahrlich,« sprach Prätextatus, »hätte er wählen können, als diese königliche Brunichildis.« »Ja, gewiß!« rühmte Charigisel. »Wie er bisher schon seine Brüder an Heldenkraft, an Siegesruhm, an edlen Sitten überstrahlte, so wird nun vollends diese Königstochter an seiner Seite seinen Hof, seine ganze Herrschaft weit erhöhen über seine beiden Brüder, die mit unfreien Mägden in Buhlschaft, mit vielen Weibern zugleich leben, ein Zerrbild echter Ehe.«
»Und vergeßt nicht, ihr Herren,« sprach der Gote stolz sich aufrichtend, »wie auch seine Kriegsmacht gestärkt wird durch das enge Waffenbündnis mit König Athanagild. Auf sechzig Tausendschaften tapfrer Goten kann er fortab als Rückhalt seines Heerbanns zählen, – wider jeden Feind.« »Horch!« unterbrach der Kaufmann, »das Hornzeichen! Es meldet, daß das Hochzeitsschiff demnächst einlaufen wird.« »Auf! mahnte Germanus. »Schon hör' ich das Psallieren der Geistlichen und Mönche. Der ehrwürdige Herr Bruder, der Bischof von Marseille, zieht mit seinem ganzen Klerus dem Brautpaar entgegen bis in den Hafen.« »Auf, hinunter in den Hafen!« scholl es nun ringsum. Und eilfertig verließen Bischöfe, Äbte, Krieger und Kaufherren den Saal und stiegen die steile Felsentreppe hinab, welche in die untere Stadt führte.[...]
»Jetzt kommen sie!« rief ein Bürger von Marseille. »Eben biegen sie um die Ecke! Seht! König Sigiberts Gefolgschaft in vollem Waffenschmuck!« – »Auf trefflichen Rossen!« – »Ja, alamannischer Zucht!« – »Und nun die Goten, die Begleiter der jungen Königin! Wie glänzt da alles an ihnen von Gold und Silber und bunten Steinen.« – »Ja, sind reiche Herren. Große Schätze soll die Braut von Toledo Herrn Sigibert zubringen.« – »Horch, Trompeten!« – »Was bedeutet das?« – »Ein König reitet an! – Das ist das Brautpaar! Seht nur, seht! Herr Sigibert! Hoch zu Roß! Wie herrlich flutet ihm das dunkel-goldne Gelock aus dem Kronhelm auf die Schultern! Wie Sankt Georg, der den Drachen sticht, auf Goldgrund gemalt, drüben in dem Oratorium! – Was drängst du so, Weib? – 's ist wieder die junge Rothaarige! – Mußt du durchaus den König sehen? Mußt du?«
»Ja, ich muß!« – Und eine schlanke junge Frau in schlechtem Gewand, wie es unfreie Mägde trugen, drängte sich keck durch die vor ihr dicht gereihten Männer; es gelang ihr wirklich; aalgleich glitt sie vor; nun stand sie hart an dem Bug des herrlichen weißen Rosses, das den König trug; jetzt sah sie voll sein Antlitz! da rieselte ein süßer Schauer durch ihren Leib: Lohen schlugen ihr in die Wangen, sie suchte gierig sein Auge, aber er sah sie nicht. Ganz versunken in seinen Anblick, machte sie noch einen Schritt weiter vor, da scheute, vielleicht über ihr plötzlich aufleuchtend Rothaar, – denn die Kapuze des Mantels war ihr bei der raschen Bewegung herabgefallen, – ein Pferd neben dem des Königs, – es bäumte sich; das Weib wollte rasch ausbiegen und trat dabei heftig in eine der Pfützen; hoch auf spritzte das gelbbraune Wasser.
»Verfluchte Sklavin!« schrie Sigila, welcher jenes zweite, ebenfalls weiße Roß am Zügel führte. »Beschmutzest Frau Brunichildens Hochzeitskleid! Über und über! Da! Freche Magd!« Und mit der Reitpeitsche gab er ihr einen leichten Hieb über das Gesicht.
Grimmig schrie die Getroffene auf: beide Hände und das rote Haar vor die Augen drückend.
»Was ist, meine geliebte Königin?« fragte Sigibert. Wie wohllautend scholl diese schöne klangreiche Stimme! »Nichts, mein Gemahl!« – die Stimme Brunichildens war fast tiefer, – »einer Plebejerin Keckheit. Sie fand bereits, was solcher Brut gebührt.«
Schon waren Braut und Bräutigam vorüber. –-
Die Geschlagene warf beiden einen langen, langen Blick nach; sie stand unbeweglich. Sie hemmte so den Zug. »Aus dem Wege, Straßenunkraut!« rief ein fränkischer Reiter vom Pferd herab. Die Gescholtene hörte nicht: sie starrte dem Paare nach. –
»Vorwärts! Was stockt da? Was staut den Zug?« rief Charigisel, der Kämmerer, und spornte seinen Rappen. »Eine Dirne? Eine Bettelmagd? Packe dich aus dem Wege! Du trotzest? So stampfe ich denn Kot zu Kot!« Und ein Sprung des Rosses: das Weib lag in der Schmutzlache. Sofort war sie wieder auf den Füßen; sie sah dem Kämmerer stumm ins Auge: der erschrak und sprengte rasch hinweg.
»Ha, schau einer die rote Katze! Die ist flink!«
»Zurück, Weib!«
Über und über beschmutzt schlich die junge Frau wieder hinter die vorderste Reihe. Und sie hielt sich, offenbar mit Mühe, aufrecht an einem auf dem Platz eingemauerten hochragenden Kreuz.
»Horch! Wieder ein Trompetenstoß!« – »Wieder ein König?« – »Gewiß! Aber welcher?« – »Guntchramn von Orleans?« – »Nein! Der liegt ja krank zu Bett in Chalons.« – »Dann muß es Chilperich sein!« – »Jawohl! Der ist's auch! Seht! Da trägt schon sein Bandalarius seine scharlachrote Heerfahne.« – »Mit der goldnen Schlange.« – »Ja, unter dem Meerwicht mit dem Fischleib.« – »Den haben alle Merowingen.« – »Jawohl! Und da kommt er selbst! Auf seinem roten Roß! Auch ein gar schöner Herr!« – »Bah! Aber neben seinem Bruder!« »Wie Loge neben Paltar,« murmelte ein eisgrauer Mann. »Du alter Heide, schweig von den Dämonen, daß dich keiner der Geschorenen hört!«
Da flog ein Blick des Königs über die Gruppe hin; hastig duckte sich die junge Frau hinter das breite Kreuz.
»Aber wer ist das Weib auf dem goldbraunen Zelter an seiner Seite?« – »Ha, wird eine seiner vielen Buhlinnen sein. Wohl Audovera ...« –
»Oder die neue, die er sich vor ein paar Monden im Wald gegriffen haben soll. Wie heißt sie doch?«
»Nein, nein! König Sigibert soll ihm zur Bedingung gemacht haben bei der Einladung zu seiner Hochzeit, daß er keines seiner Weiber ... –« – »Dirnen sinds! Nicht Frauen!« – »Mitbringen darf, sieben Meilen weit von Marseille!«
Hoch auf horchte das Weib an dem Steinkreuz.
»Und das, bei Sankt Julianus ...« – »Das ist keine Buhle!« »Laßt sehen, laßt sehen!« riefen alle, zumal die Frauen, und drängten sich vor. »Schaut nur, Nachbarin,« rief ein Weib dem andern zu, wie herrlich die fremde Jungfrau geschmückt ist!« – »Ja, wie ein echtes Königskind.« – »Sehet nur hin! Was glänzt da so weiß an ihrem Halse?« – »Das sind Perlen!« – »Nicht möglich! Nie sah ich soviele auf einmal!«
»Wieder stockt der Zug. Man kann alles bequem mustern.« – »Was thut ihr?« – »Vier – fünf! – Ich zähle. – Sieben Schnüre der größten Perlen trägt sie um den Hals!« – »Ja, die reichen Goten! Das stammt all' aus dem Königsschatz zu Toledo.« »Oh,« rief ein junges Mädchen, »welch wunderholde Züge!« – »Nicht so stolz königlich wie Brunichildis.« – »Aber ihr sehr, sehr ähnlich! Nur gar so bleich! Ob sie krank ist?« – »Und gar so schlank!« – »Und gar so jung noch! Seht nur, wie sie so schüchtern den Worten König Chilperichs lauscht.«
»Wie er in ihr Ohr flüstert!« – »Wie er sich vorbeugt! Ihr weißes Haar... –« – »Ja, das ist nicht mehr blond, 's ist fast weiß,« – »Es mischt sich mit seiner roten Merowingenmähne.« – »Aber Weib, dränge doch nicht so!«
»Du rote, freche Fliege dahinten!« – »Mußt du denn alle Könige begaffen?« – »Hast du nicht genug am ersten Peitschenschlag?« – »Zurück mit dir!« zürnten Bürger und Frauen durcheinander. »Nur Einen Blick. – Nicht auf den König! – Auf das Weib an seiner Seite.«
So weichflehend ward das gesprochen, daß ein junger Matrose, von der Stimme gelockt, sich wandte, und die so schmeichelnd Bittende betrachtete. »Zurück,« wiederholte drohend der andere, ein graubärtiger Bürger von Marseille. »Oder –« und er hob die Faust zum Schlag. Da blitzte des Matrosen Messer; der Bürger schrie auf, das Blut spritzte aus seinem Arm: er ließ ihn sinken. »So!« lachte der Seefahrer, das junge Weib vorschiebend, »jetzt magst du schauen nach dem Milchgesicht. Ich kann nichts an ihr finden, du gefällst mir viel besser, Rote.« Und er faßte ihren vollen, nackten Arm und drückte einen Kuß darauf.
Das Weib hatte nun die jugendliche Reiterin zur Genüge gemustert. Es wandte sich jetzt seinem Beschützer zu. »Zum Dank für dieses Wort,« flüsterte es und senkte die grauen Augen in die seinen, »nimm das!« Und sie drückte dem Erstaunten ein schweres Goldstück in die Hand. »Und komm heute nacht in die Herberge vor dem Rhonethor, Vergiß dein Messer nicht!« [...]
Bischof Theodor selbst gab dem Scheidenden das Geleit bis an die Schwelle.
»Dank, ehrwürdiger Vater, für die reiche Bewirtung! Freute mich.« – »Das ehrt mich, königlicher Herr!« – »Warum freute sie mich? Warum? Ratet! – Ihr erratet 's doch nicht. Will's Euch sagen. Wo soviel Reichtum ist, da kann, ja, da muß die Steuer erhöht werden, dreifach! So! – Hi, hi! – So! Nun schlaft wohl! Dies Wort sei Euer Schlummerkissen. – Ihr mit euern Fackeln – trollt euch! – Herr Mond giebt Licht genug. – Und des führenden Armes bedarf ich nicht! – Trinke nie zu viel! – Nur ein wenig heiter. Trollt euch, sag ich.« Und er gab dem nächsten einen Schlag mit dem eingescheideten Langschwert, das er, aus dem Wehrgehäng gelöst, in der Rechten trug. »Schurke von einem Knecht!«
»Herr König,« rief der Geschlagene und Gescholtene, »ich bin kein Knecht. Freiwillig hab' ich mich dem Herrn Bischof heut' zu Diensten erboten. Ich bin ein freigeborner Bürger dieser Stadt.« – »So! Frei bist du? Dann nimm noch eins dazu.« Und er schlug ihm diesmal schwerer über den Kopf. »Vor uns Königen seid ihr alle Knechte, das merkt euch!«
Er schritt nun rasch weiter. – »Heller Mondschein!
– Ich spüre Lust, noch auf Abenteuer durch die Stadt zu streunen. Berühmt sind um ihrer Schönheit willen die Weiber von Marseille. Und um ihr heißes Blut. – Ja so! – Ich bin ja Bräutigam! – Wieder einmal! – Zwar hab' ich dem gestrengen Bruder – was hat der Gelbschnabel den reifen Mann zu meistern? – versprochen, meine bisherigen Weiber und – Gespielinnen fortzujagen. Aber nicht hab' ich versprochen, wenn neue auftauchen, die Augen zu schließen! – Hi hi! – Seit ich in der Dialektik diese Kunst der ›Distinktionen‹ lernte, bin ich stärker als alle Gegner, stärker als alle Verträge und alle Eide. – Jedoch Vorsicht! Erst nach der Hochzeit! – Merken sie's vorher, weder der weißen Jungfrau noch ihres roten Goldes werd' ich froh. – Da ist ja das Haus, in dem ich abgestiegen.«
Zwei Speerträger hielten davor Wache, sie senkten ehrerbietig die Spitzen ihrer Lanzen. Ohne Gruß schritt er über die Schwelle. In der Vorhalle lag ein junger schöner Knabe am Fuß eines Pfeilers, der in einer Öse eine Kienfackel trug. Der Knabe war tief eingeschlafen, ein Lächeln spielte um die reinen Züge. Der Heimkehrende blieb vor ihm stehen: einen Augenblick betrachtete er den Schlummernden: »der jüngste Sohn des Herzogs Drakolen, Der Alte ist so stolz, so aufrecht! Und so unsinnig reich! Könnt ich ihm an seine Güter! Doch er hütet sich vor jeder Verfehlung! – Der Junge da ist sein Augapfel. Warte!« – Mit einem Fußtritt weckte er den Schläfer: schreiend fuhr der auf und griff ans Schwert: aber bestürzt sank er sofort aufs Knie: »König Chilperich! – Vergebung! Ich war so müde – vier Nächte... –«
»Wofür hält man die Wächterhunde, als damit sie wachen?« Der Knabe erbleichte. »So? Blaß, nicht rot wirst du im Zorn? Solche Art ist gefährlich. Sag deinem Vater, du bist aus dem Hofdienst weggejagt.«
Und der König drehte ihm den Rücken, und schritt weiter, in sein Schlafgemach. Hier trat er sofort an das offene Fenster und legte Stirnreif und Schwert und Oberkleid ab, seinem Lager, das im Hintergrund des Zimmers hinter Vorhängen aufgeschlagen war, den Rücken kehrend. Eine kurze Weile sah er noch in die Maiennacht, in die schweigenden Straßen hinaus. »Das ist keine Nacht zum Durchschlafen! Weich, warm, wohlig! Zum Durchküssen und Durchkosen! – Ich möchte wohl wissen, wo –? Ei. das ist aber kein Nachtgebet.« – Und plötzlich ernsten, ja furchtsamen Ausdruck annehmend bog er ein wenig das rechte Knie, griff nach der versilberten Reliquienkapsel, die er an seidener Schnur auf der Brust trug und murmelte: »Schütze mich, heiliger Martinus, dieweil ich selbst mich nicht schützen mag, in den unheimlichen Stunden vor den Dunkelelben der Nacht und allen Dämonen. Amen.« –
Nun schritt er auf sein Lager zu und schlug den Vorhang zurück. Da saß auf dem Rande seines Bettes regungslos eine verhüllte Gestalt. Kreischend vor Schreck, sinnlos vor Angst fuhr er zurück: »Mörder! Zu Hilfe! Mörder!« lallte er; er wollte nach seinem Schwerte springen, aber er glitt aus auf dem glatten Marmorestrich; – hilflos lag er auf der Seite. Jedoch die Gestalt rührte sich nicht. »Schweig, Chilperich,« sagte sie leise. »Es ist nur ein Weib.«
»Ein Weib?« wiederholte er, rasch aufspringend, – »Du – Fredigundis?« – Und zornig stampfte er mit dem Fuß: »Du Walandine! Mich so zu erschrecken!« – »Was kann ich für deine Feigheit –!« – »Und welche Frechheit! Hab' ich dir nicht befohlen – dir und den andern! – bei meinem Zorn, euch nicht nach Marseille zu wagen, auf Meilenweite? Weshalb kommst du?« – »Weil du's verboten hast!« – »Weib!« – Er hob die geballte Faust. – »Schlag' nur zu. Es ist nicht das erste Mal.«
Er senkte den Arm. »Wäre aber das letzte Mal,« drohte er. »Denn du siehst mich nie mehr wieder. Das macht dir gar keinen Eindruck? – Du lächelst. – Das Lachen wird dir geschwind vergehen. – Es ist am Ende ganz gut, daß du kamst. So erfährst du noch vorher, was du nicht früh genug befolgen kannst. Aber – was suchtest du hier?« – »Meinen Ehegemahl.« – Er lachte, »Das weiß kein Mensch, ob du, nach der Kirche und des Volkes Recht, mein Eheweib bist.«
»Du bist mit mir getraut. Das Gewissen trieb dich doch dazu.« – »Ja, aber auch mit Audovera, mit manchen andern. Leben alle noch! – Trauen! Ich laß' mich immer trauen! Beruhigt die Weiblein! – Und du bist eine Unfreie, bist nach Volksrecht gar nicht der Ehe fähig.« – »Du hast mich losgekauft von Herrn Landbert.«
»Aber erst nach der Trauung, hi, hi. Das nennt man ›distinguieren‹. Trauung gilt nicht und Ehevertrag gilt nicht. Nichts gilt, als mein Wille. Und übrigens: als ich dich im Wald, an dem Grenzgraben, auf der Straße auflas, – hast du da lang mit mir – dem niegesehenen Jäger – ein Eheverlöbnis verhandelt? Oder habe ich dich gezwungen? ›Ich will!‹ riefst du – gar laut scholl's durch den Donner – und sprangst mir entgegen in die Arme. Keinen Schatten hast du eines Rechts. Hi, hi,« lachte er, »freilich, große Augen machtest du – später! Im Walde noch, da du mein wardst unter lohendem Blitz und krachendem Donner – die Dämonen freuten sich unserer Umarmung und eine brennende Eiche leuchtete dazu! – erfuhrst du, daß ich der Frankenkönig. Nun wähntest du, – hi, hi! – Frankenkönigin zu sein, Chilperichs alleinige Gemahlin, du! Die Plebejerin, die unfreie Magd!« –
Hier zum erstenmal zuckte Fredigundis.
»Als du aber nun daheim in meinem Palast Audoveren im Vorbesitze trafst und die andern alle –, da warst du sehr erstaunt! Frech wurdest du vor lauter ›Staunen‹«. »Und du schlugst mich,« sprach sie tonlos. »Mit der Faust. Hierher! Auf Schulter und Rücken!«
»Ja, weil du schäumtest! An die Gurgel wolltest du mir fahren. Aber plötzlich – nach dem Faustschlag – wardst du lammfromm. Weiß Gott, was dir da durch die Seele ging!« »Die Hölle weiß es,« sagte Fredigundis ruhig. »Und wahr ist es,« sprach er nachsinnend, »du bist von allen meinen Gespielinnen die schönste, die berückendste. Und – weitaus! die gescheiteste. Weitaus! – Klug sind deine Ratschläge. Ein wenig zaubern kannst du auch, die Eifersucht hast du dir abgewöhnt. – Reizvoll, sehr reizvoll bist du!« Er sprang auf sie zu und küßte sie auf den Mund. – »Warum bist du in tiefster Niedrigkeit geboren!«
Fredigundis bebte leise.
»Ich verlangte mir keine bessere Königin von Neustrien. Aber so! – Es geht nicht! – Mein Bruder Sigibert mit dieser gotischen Fürstin neben sich – es ist wahr: jede Bewegung Brunichildens bezeugt das throngeborne Königskind. – Was hast du? Was knirschest du mit den Zähnen? – Und dann dieses ungeheure Heiratsgut, das die Gotinnen mit erhalten! Die Jüngere, – denk dir nur! – erhält ebensoviel wie die Ältere.« – »Und ein neues Spielzeug ist das Wachsbild auch. Aber hüte dich, Chilperich, wenn du sie küssest: halte den Atem an. Sie hat die Schwindsucht. Schwindsucht steckt an.« – Der König fuhr zusammen, furchtbar, auf das äußerste erschrocken. »Was? Was? – Bah, Eifersucht! – Du willst sie mir verleiden.« – »Warum? Da ich ja doch verstoßen bin, könnte mir's gleich sein, ob ich der Brustsiechen weiche oder einer andern. – Aber du, du thust mir leid! Siehe, dir das zu sagen, – deshalb kam ich.« Sie erhob sich von dem Bette. – »Wirklich? Nur deshalb? – Das wäre ja –! Diese Sanftmut? – Ich glaub's nicht! Nur deshalb?«
»Nein, noch um ein andres Wort.« Sie beugte, wie verschämt, das schöne Haupt, trat dicht an ihn heran und flüsterte in sein Ohr. Dann wollte sie, – so schien's, – zur Thüre eilen: aber er hielt sie fest und riß sie an die Brust. »Mein rotes Fredelein, mein süßes! Wirklich? wirklich? – Nun, mein Gundelein, dann wünsch' ich dir Glück. – Das bringt dir Glück! – Hat dir's schon gebracht! – Nun sollst du nicht, wie ich's vorhatte, in ein Kloster.« Fredigundis lachte übermütig; es stand ihr gut: »Armes Kloster, das mich aufnehmen müßte.« – Chilperich lachte auch und küßte sie: »Du hast Witz. Darum taugst du so gut zu mir. – Taugtest!« seufzte er, »Denn leider – geschieden muß es sein. Geh in meinen – das heißt: jetzt deinen Hof Amica bei Limoges. Ich hab' ihn dir ja geschenkt mit aller Zubehör von Wald, Wiesen und Weide, mit Hirten und Herden, Knechten und Mägden: – recht reichlich kannst du leben von dem Ertrag und noch rotes Gold zurücklegen. Von dort melde mir's. Lauter schreiende Mädchen haben mir die andern geboren. Das allein hat Audovera solange gehalten in meiner Gunst, – sie ist ja fast so alt wie ich, sie muß jetzt ins Kloster! – daß sie mir drei Söhne gab. Aber«, und hier nahm sein Gesicht eine unheimlich drohende Miene an – »ich bin unzufrieden mit meinen Söhnen in jüngster Zeit. Der Trotzkopf Chlodovech grollt, weil ich dich mir gesellt. Merovech! – ha, der ist eigentlich mehr Sigiberts Neffe als mein Sohn.« – »Wie meinst du das?« – »Der seltsame, weiche, träumerische Mensch! Hat von mir gar nichts geerbt. Ich hab' ihn schon als Knaben nicht leiden mögen: nun, da lernte er auch wohl nicht, mich lieben. Als er heranwuchs, – er sah mich immer so vorwurfsschwer an: ich wußte nicht, was er wollte. Endlich kam es heraus. Als er etwa sechzehn Winter zählte, trat er eines Tages vor mich, mit ungewohnter Festigkeit –, und verlangte, fast drohend, – weiß Gott, welcher Priester ihm das in das Ohr gesetzt hatte! – Audovera selbst nicht: der hatte ich solch Ansinnen längst ausgetrieben! – ich müsse seine Mutter feierlich zu meiner Ehefrau erheben. Das sei ich Gott und ihr und ihm und seinen beiden Brüdern schuldig. Ich lachte ihn aus. Aber der weiche Träumer war auf einmal wie Stein und Eisen geworden: er ließ nicht ab, trotz meiner Drohung – er zerrte mich am Mantel: gar rasch fährt mir im Zorn die Hand an den Skramasachs! – ich traf ihn tief. Bruder Sigibert kam dazu, trug den Blutenden davon. – Seither hab ich Merovech wenig gesehen. Sein Oheim hat ihn an seinen Hof genommen seit vielen Jahren. Er hat eine feine Seele, der Junge. Aber eine allzu zarte. Und verträumte Augen, die nur die Sterne suchen, statt die Dinge dieser Welt.« –
»Solche Menschen bringen es nicht weit auf Erden,« meinte Fredigundis ruhig, »auch wenn sie Königssöhne sind.« – »Und jüngstens, so scheint's« – lachte er hämisch – »liebt Merovech seine Muhme, Frau Brunichilden, mehr als seine Mutter –«
Fredigundis horchte hoch auf.
»Nur Theudibert blieb mir: aber der« – und er warf einen raschen, lauernden Blick auf sie – »der verehrt mir seine schöne junge Stiefmutter mehr als nötig.«
Fredigundis zeigte die kleinen weißen Zähne: »der Milchbart!« lachte sie.
Beruhigt fuhr Chilperich fort: »kurz, die Söhne sind mir nicht recht sicher. Zudem: die Pest hat auch Bruder Guntchramns Söhne sämtlich hingerafft. Meine Knaben schlagen meine Schlachten: – ich werde doch nicht so thöricht sein, diesen meinen gedankenvollen Kopf den Schlachtbeilen dummer Feinde auszusetzen! – Wie leicht fällt man in jenem rohen Mordhandwerk, das sie Heldentum nennen! So steht mein Geschlecht auf sechs Augen nur. Söhne, Söhne will ich haben! Kann ein König gar nicht genug haben! Bring mir einen Knaben, Fredeline! Kann dein Glück werden.«
Chilperich lachte hell: »Hihi! Da hinaus wolltest du? Nein, Gundelchen! Damit erzwingst du die Ehe nicht! Nach zweifellosem Frankenrecht kann jeder Königssohn die Krone seines Vaters erben, auch der Bastard, wenn nur der Vater ihn als sein Blut anerkennt.«
Hoch auf atmete Fredigundis; ihr graues Auge leuchtete Triumph. Chilperich sah es scharf. »Du scheinst mir des Knaben allzusicher, Fredeline,« lachte er hämisch. »Ich befragte Zauberlose: – dreimal fielen sie auf den Speer, nicht auf die Spindel.« – »Hi, hi! Ich geh doch lieber sicher! Ich werde einen verlässigen Mann dir an die Seite geben –, daß du mir nicht das Mägdelein, das du etwa geboren, vor lauter Liebe zu mir in einen Buben verzauberst! Ich trau' dir nicht über den Weg! Wie sollte ich? Trau' ich doch mir selber nicht!« – »Wirst du dein Kind nicht sehen?« – »Das Kind? Ja! – Aber dich, Gundelchen, leider nie mehr! Ich mußte es beschwören« – er schauderte hier – »mit gräßlichen Eiden.« – »Wem?« – »Bruder Sigibert. Euch alle fortzujagen. Zumal auch dich. Er hasset dich vor allen.« Sie atmete gepreßt. »Er kennt mich nicht.« – »Er hat genug von dir gehört.« – »Und – warum Chilperich, warum thust du das alles? Was erhältst du dafür? Nur jene Sieche, jene wandelnde Leiche, deren Atem tödlich?« Chilperich stampfte mit dem Fuß. »Schweig davon! Ich muß ein Königskind haben, meiner Franken wegen. Und dann – die volle Aussöhnung mit Bruder Sigibert!« – »Du liebst ihn, diesen Bruder? – Heute hört ich alles Volk rufen: Heil Sigibert dem Helden! Ein feiger Fuchs ist der rote Chilperich.« »Bah,« meinte er spöttisch, aber doch recht geärgert, »ein Stier ist auch ein Held. Giebt gar nichts Dümmeres als so einen Helden.«
»Also volle Aussöhnung! – Das ist ja schön. – Giebt er dir auch Soissons zurück?« fragte sie, sich harmlos vorbeugend und ihm ins Auge sehend. »Hölle, Tod und Teufel! Nein! Das thut er nicht! Aber schweig davon! – Es macht mich wütig.« – »Nun gut, gut! – Mir kann es jetzt ja gleich sein. Ich habe ja nicht mehr teil an dir. – Nur noch ein Wort zum Abschied von deiner – armen Fredigundis.« Sie schluchzte.
»Nicht weinen, Gundelchen. Ich kann's nicht hören – du weißt es recht gut, es macht mich weich.« Seine Nasenflügel bebten und zuckten. »Ein Wort der Warnung nur. Du kennst meinen Zauberspiegel –? Du weißt... –« »Er zeigt wahr. Sahst du was darin?« forschte er ängstlich. »Ich sah den Dolch des Mörders gegen dich gezückt. Morgen Abend wird's versucht. Trag unter dem Wams die geschuppte Brünne. Und denke Fredigundens!« Ein flammender Blick; sie war verschwunden.
»Bleib – bleib doch!« rief er ihr nach. »Noch einen Kuß! Bleib doch! Du hast mein ganzes Herz entzündet. – Fort ist sie! – Läßt mich allein in solchem Sehnen! – Ah so, ja! – O, weshalb ist sie nicht König Athanagilds Tochter geworden?« [...]"
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