28 Juli 2019

Felix Dahn: Fredigundis II

Erstes Buch [...]


Drittes Buch Drittes Kapitel.

Mißmutig erwachte am andern Morgen König Chilperich. –
»Wie ich geschlafen habe? Schlecht! Ganz schlecht!« erwiderte er auf die zärtliche Frage seiner Königin und sprang aus den Decken. »Mich schmerzt der Kopf! Das viele unnütze Trinken! Dieser Barbaren gute Meinung und gute Stimmung kann sich auch ihr König nur durch zahllose Becher ertrinken. – Und dann hab' ich schwer geträumt.« – »Wovon? Ich verstehe mich darauf, Träume auszulegen.« – »Das verbieten aber die Priester. Steht auch in der Schrift! Wenn ich nicht irre im Buche...–« – »Aber sie selbst deuten Träume. Wenn sie Kirchen und Klöster gestiftet haben wollen, dann erscheinen ihnen gar fleißig die Heiligen und geben ihnen Auftrage an den – Seckel des guten Königs! In den paar Tagen meiner Herrlichkeit hat der heilige Martinus mich schon mit vier solcher Aufträge beehrt durch Mönche und Diakone, denen er erschien. Wovon hast du geträumt?« – »Von: – ihr.« – »Ja, wie soll ich das raten? Von welcher?Allzugroß ist bisher die Zahl deiner Gespielinnen gewesen, oh böser Chilperich.« – »Von der jüngst – – Verstorbenen.« – »Von Toten träumen – das bedeutet Glück.« – »Ja, man sagt's. Aber an der Leiche stand drohend Frau Brunichildis und schwang ein nacktes Schwert und forderte zornig – die reichen Perlenschnüre zurück. Ich erschrak und gab sie ihr.« – »Das ist gut. Perlen bedeuten Schmerzen, Thränen, dem, der sie verlangt, Freudenthränen, dem, der sie unverlangt geschenkt erhalt – wie ich.« – Wenig getröstet schlug Chilperich die Vorhänge auseinander, welche die Fensteröffnung schlossen, »O weh. Du hast kein Glück beim Himmel. Gestern noch schönster Sonnenschein – heute alles bewölkt – so schwül schon am Morgen, das giebt ein Gewitter.« – »Willkommen sei's! Bei Blitz und Donner gewannst du meinen Gürtel, bei Blitz und Donner gewinn' ich deine Krone. – Übrigens, wer wird auf Wetterzeichen achten? Meine Großmutter konnte Hagel hexen!« Lachend stieg Fredigundis aus dem Bett und rief durch einen Metallhammer ihre Dienerinnen, ihr beim Ankleiden behilflich zu sein.
Chilperich ging aus dem Gemach. »Wie sie die Mägde herum befehligt! Als sei sie von jeher von zwölf Händen bedient worden.« –
Als er zurückkam, fand er Fredigundis voll angekleidet; nur der dunkelrote Königsmantel fehlte noch; ihr Haar, mit Galsvinthas Perlen durchflochten, flutete auf ein prachtvolles Gewand von weißer Seide. Sie war zauberschön; sehr behaglich schlürfte sie aus einer großen Silberschale Milch.
Einigermaßen erheiterte sich bei dem Anblick seiner strahlend schönen Königin Chilperichs umdüsterte Stirn. »Verdruß! Nichts als Verdruß. Und Schwierigkeiten! Herzog Drakolen läßt sich durch einen Eilenden entschuldigen: er liege krank zu Chartres.« – »Das ist erlogen, lieb Männchen. Er reist mit – ihm. Wollte sagen: mit König Sigibert.« – »Woher weißt du –?« – »Genug, ich weiß es! Gieb acht: – der ist dir nicht treu.« – »Ich staune über dein Erraten; es ist wahr: er schwankt insgeheim wohl schon lang. Aber du kennst ihn ja nicht
– wie –?« – »Du sollst doch nicht umsonst dein Seelenheil gewagt haben, als du der Hexe Enkelin gefreit.« – »Und daß von Sigibert, von der heißblütigen Gotin noch gar keine Antwort auf unsern, das heißt auf meinen Brief gekommen, das macht mich stutzig.« – »Laß ihnen doch Zeit! Die beiden können nicht so rasch denken, Schatz, und so klug schreiben wie wir.« – »Und Prätextatus ...«
– »Nun? Was mit ihm?« – »Macht Schwierigkeiten. Er weigert sich, dich zu konsekrieren,«– »Der Unverschämte! Er allein – von allen Priestern dieser Stadt – hat sich noch nicht bei mir gemeldet. – Befiehl ihm, König.« – »Ich kann nicht. Er stützt sich auf einen Kanon. Vor der Konsekration, einem heiligen Akt, müßtest du gebeichtet und Absolution empfangen haben,« – »Wenn's weiter nichts ist! So beicht' ich denn! Ihm will ich beichten. Schaff' ihn nur her.« Chilperich erschrak. »Nein, das thue nicht, Fredigundis!« – »Warum nicht?« – »Weil – ! Weil – ! Du weißt –, verschweigst du – wissentlich – eine Sünde und erlistest dir so die Absolution, – das ist eine Todsünde.« – »Ich werde ihm aber nichts verschweigen.« Er sah sie erstaunt an. »Wüßte ich's nicht gewiß,« – murmelte er – »fehlte ihr nicht noch heute das Büschel Haare, – ich würde irre. –«
»Nein!« sagte er laut. »Er hat durch seine Weigerung die Gunst verwirkt, dich konsekrieren zu dürfen. Ich habe schon einen Diakon gewonnen – ich versprach ihm, die Untersuchung niederzuschlagen wegen – wegen einer jungen Nonne, die – sehr plötzlich starb. Der weiht dich ohne Beichte und Absolution.«
Fredigundis schmollte. »Ich wäre aber gerade durch Prätextatus gern geweiht worden. Das wäre ihm recht geschehen. Und du lässest ihn dir trotzen – ungestraft?«
– »Nein! Ich hab ihn vorläufig einsperren lassen im Kloster des heiligen Anianus. Ich bin übrigens ganz froh, einen Vorwand zu finden, nein zu sagen, falls sie ihn demnächst zum Nachfolger des Bischofs vorschlagen.«
– »Gut, Männchen.« – »Ich kann ihm nicht in die Augen sehen, – vor ihr,« murrte Chilperich für sich.
Wenige Stunden darauf setzte sich der Krönungszug in Bewegung.
Das Volk drängte in dichten Massen, obwohl der Himmel sich verfinstert hatte und die schwer geballten Gewitterwolken sich jeden Augenblick zu entladen drohten. Schon pfiffen einige kurze Windstöße durch die Straßen, den Staub des Seine-Muschelkalks – es hatte sehr lange nicht geregnet – zu hohen Säulen emporwirbelnd und die Düsterheit, so unheimlich um die Mittagsstunde, noch mehrend. Leise rollte schon der Donner, als der Zug aus den Thoren des Palastes trat.
»Hörst du? Der Himmel grollt!« sprach Chilperich, der heute an Krone und Königsmantel schwer zu tragen schien. »So laß die Hörner schmettern, ihn zu übertönen. Vorwärts, König Chilperich, schreite rascher! – Du trägst die Krone schon: aber meine weiße Stirne brennt danach, sie dort am Altare zu empfangen. – Auf, Sohn Theudebert; Euer lieber Vater hört nicht, – er träumt! So gebt denn Ihr das Zeichen!«
Der Jüngling winkte mit der Rechten nach rückwärts: hell fielen Hörner und Trompeten ein. Fredigundis ergriff Chilperichs linke Hand und schritt stolzen Ganges aus; mechanisch begleitete ihre Schritte der Gemahl.
So ging langsam der Zug vorwärts; nur selten drang der leise murrende Donner durch das Geschmetter der Trompeten, das Psallieren der Priester und das Heilrufen des dichtgedrängten Volkes; kein Regentropfen fiel: es war erdrückend schwül. Chilperich sah sehr bleich; er wischte mit einem Schweißtuch wiederholt die Stirn. Fredigundis strahlte in Schönheit, in Stolz; huldvoll zwar, aber doch sehr vornehm dankte sie manchmal, mit kaum merklichem Nicken des leuchtenden Hauptes, dem ihr zujubelnden Volk. »Wie schön sie ist!« – »Wie zauberschön!« Unaufhörlich drang dieser Ruf an ihr Ohr; sie lächelte still vor sich hin.
Plötzlich gellte dicht in ihrer Nähe ein Schrei.
»Sie ist's! Wirklich! Sie ist es! Fredigundis, unselig Kind! Halt ein! Kehr' um! Laß von ihm! Du bist verloren!« Nur einzelne dieser Worte vernahm sie.
Denn alsbald entstand ein Getümmel an jener Stelle. Das Volk schalt und lärmte. Eine alte Frau ward zu Boden gestoßen. Ein Mann im Hirtengewand schützte sie vor der Menge, die über die Störung erbost war. Als er die Alte wieder aufgerichtet hatte und in eine Nebengasse fortführte, sah Fredigundis von der Seite der Greisin Züge.
»Was ist dort?« fragte Chilperich, der, in tiefes Sinnen versunken, die Augen auf den Boden gerichtet, neben ihr ging. »Nichts! Eine Besessene wohl. – Wir sind zur Stelle – gieb doch acht! – die Stufen!« Der König war über die unterste Stufe des Domes gestolpert. Fredigundis hielt ihn ab vom Straucheln. Stets einen Schritt, eine Stufe voran stieg sie hinauf.
Als sie auf der Freiplatte vor der Basilika standen, schoß der erste Blitz aus dem schwarzen Gewölk: ein hellkrachender Donnerschlag folgte unmittelbar darauf und heller Feuerschein. In dem Glockenturm, der neben dem Dome stand, hatte es gezündet: die Glocke, die früheste im Frankenreich, war eine kostbare Seltenheit damals! Sie ward von außen durch Hammerschläge gerührt und hätte nun die Krönung mit feierlichem Zeichen begrüßen sollen: sie gab statt dessen einen furchtbaren Klang von sich; sie stürzte, vom Strahle gestreift, aus ihrem hölzernen Gerüst, schlug die Lattendecke des Turmes durch, fiel, furchtbar erdröhnend, wie schreiend und wie stöhnend, auf den Marmorestrich des Turmbodens und zersprang hier in hundert Stücke. Entsetzt schrie das Volk auf und wollte auseinanderstieben, konnte aber nicht, so dicht gedrängt standen die Haufen.
»Bleibt!« rief Fredigundis mit lauter, befehlender Stimme, »bleibt, freudige Franken! Ihr seht, es brennt nicht mehr: der Regen hat bereits gelöscht. – Vorwärts! dem Dom ist nichts geschehen: – in den Dom!« Und sie zog Chilperich an der Hand in das weitoffene Doppelthor hinein. Sie hatte recht. Der plötzlich nach jenem ersten Blitz herniederflutende Regen hatte den Brand des Turmdaches sofort gelöscht. Das Paar schritt nun an den Hauptaltar, von Chorknaben mit brennenden Wachskerzen geleitet; die schwangen dabei Rauchfässer und sangen eintönige, aber sehr süß melodische Weisen.
Nachdem der Diakon, welcher den Bischof und den Archidiakon vertrat, ein kurzes Gebet über das Paar gesprochen, schickte er sich an sie zu segnen. Schon erhob er feierlich beide Hände, da scholl von dem Eingang her ein Getön streitender, zankender Stimmen. »Halt! Ihr stört jetzt! Wartet bis nach der Krönung!« – »Nein! Wir können nicht warten! Platz! Gebt Raum! Im Namen König Sigiberts.«
Bei diesem Wort wichen die Höflinge zurück, die den Eindringenden den Weg versperrt, und alsbald standen auf der untersten Stufe des Altars zwei vollgewaffnete Männer, die, – der Staub und Schmutz auf ihren Reitermänteln und an ihren Knieriemen zeigten es, – nach langem, scharfem Ritt wohl soeben von den Rossen gesprungen waren; statt der Speere trugen sie lange weiße Stäbe in den Händen.
»Halt' ein, du Priester!« rief der eine von ihnen mit lauter Stimme.
»Hör' uns, König Chilperich,« schloß der zweite.
Unbeschreibliche Verwirrung entstand in den Reihen der Höflinge rings um den Altar. Einen flammenden Zornesblick warf Fredigundis auf die beiden Störer. »Wer sind die Frechen?« fragte sie tonlos. »Nieder mit ihnen, mein Sohn Theudibert!« Dieser fuhr ans Schwert. Aber der König rief: »Charigisel! – Sigila! – Das sind die Boten Sigiberts.«
Da stieß Theudibert das halbgezückte Kurzschwert in die Scheide zurück.
»Ja, und Frau Brunichildens,« rief Sigila, der Gote. »Und also sprechen sie zu dir, König Chilperich: ›Laß, laß ab von diesem Weibe! Steh' ab von dem Frevel, sie mit der Frankenkrone zu schmücken. Du weißt es nicht, bethörter Fürst, aber vernimm es jetzt – und vernehmt es all, ihr Franken – dieses Weib hier ist eine Mörderin: die Mörderin der Königin Galsvintha.‹«
Laut auf schrie alles Volk – der Diakon stürzte hinweg von dem Altar. Chilperich wankte und hielt sich aufrecht an einer der Altarsäulen: er sah auf Fredigundis. Diese war sehr blaß geworden: aber hoch aufgerichtet stand sie da.
»Und der Beweis?« fragte sie mit lauter stolzer Stimme. »Ja, der Beweis für solch fürchterliche Anklage?« rief Theudibert, vortretend. »Der Beweis?« wiederholte Chilperich sich ermannend, aufgerichtet durch Fredigundens ruhigen Trotz. »Dir, o Bruder unseres Herrn, nicht jenem Weib antworten wir,« sprach Charigisel. – »Der Beweis ist voll erbracht!« »Sofort nach Empfang deines Briefes,« fuhr Sigila fort, »flog Frau Brunichildis, trotz ihres tödlichen Wehs, gefaßt wie eine Heldin, allein, an den Ort der That. König Sigibert war auf der Jagd abwesend, er folgte erst am dritten Tag. – Sie selbst untersuchte, prüfte alles, vernahm alle Leute, auch die beiden gefangenen Landkrämer. Diese hatten, – selbst auf der Folter – jede Schuld geleugnet. Nun forderte die Königin sie auf, nachzuweisen, wo sie den Tag über gewesen. Sie fingen damit an, daß sie am frühen Morgen Villa Amica aufgesucht und dort den Bewohnern allerlei verkauft hätten!« –
Charigisel fiel ein: »Auf die Frage, was, sagten sie: unter anderem der stolzen Herrin der Villa ein Paar Bastschuhe, wie sie sonst nur Bäuerinnen tragen.«
Um Fredigundens Lippen zuckte es leise: es war wohl Hohn.
»Frau Brunichildis,« ergänzte Sigila, »ließ den in dem Gang vor dem Schlafgemach gefundenen Bastschuh bringen, ihnen vorlegen – sie erkannten nicht nur den Schuh ... –« »Ein Bastschuh sieht aus wie der andre,« lachte Chilperich. »Wohl!« erwiderte Charigisel. »Aber sie führten deren noch mehrere Paare mit sich und sie wiesen an dem gefundenen das gleiche Abzeichen nach, – die gleiche Hausmarke ihres Heimathofes – wie an ihrem ganzen Vorrat.«
Theudibert warf einen raschen Blick auf Fredigundis. Diese fühlte den Blick, wie sie tausend Augen auf sich gerichtet wußte.
»Und darauf hin,« sprach sie ruhig, »hat die Gotin die von ihr bestochenen Angeber freigelassen, nicht wahr? Und auf das Zeugnis von zwei gebrandmarkten Landfahrern –« »Noch mehr!« rief Sigila. »Die Freigelassene Suavigotho, die das verhüllte Weib in der Mordnacht in dem Gange traf, hat, noch bevor sie an Herrn Sigibert gesandt ward, durch Zufall die Herrin von Amicavilla an deiner Seite reiten sehen, o König. Sie will beschwören, daß diese jenem Weib höchst ähnlich sah.« [...]

(Felix Dahn: Fredigundis)

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