Zitate:
8. Kapitel
"[...] Fabrizio wollte mit ihm sprechen, nicht nur weil er ihn für einen klugen Mann hielt, sondern auch weil er in seinen Augen ein treuer ergebener Freund war. Zweck und Ziel dieses Abstechers und die Empfindungen, die unseren Helden während der 50 Stunden bestürmten, so lange seine Reise währte, sprachen dermaßen gegen jeglicher kühlen Überlegung Hohn, dass es zweifellos im Hinblick auf unsere Erzählung besser gewesen wäre, wir hätten sie unerwähnt gelassen. Ich fürchte, Fabrizios abergläubische / Veranlagung könnte ihm das Wohlwollen des Lesers verscherzen. Doch war es schließlich nun einmal so. Weshalb sollten wir ihn auch beschönigen, und zwar ihn eher als andere? Auch den Grafen Mosca und den Fürsten habe ich ja nicht im geringsten schmeichelhaft geschildert.
Fabrizio also – da denn nun alles gesagt werden soll – begleitete seine Mutter bis zum Hafen von Laveno auf dem linken Ufer des Lago Maggiore am österreichischen Gestade, wo sie um acht Uhr abends an Land stieg. [...]"Alles Wirkliche dünkte ihn noch seicht und schmutzig. Ich kann es ja verstehen, dass man die Wirklichkeit nicht gern ins Auge fasst, dann darf man aber auch nicht darüber reden oder gar urteilen. Vor allem darf man keine Einwände dagegen erheben, die sich auf das Stückwerk eigene Unerfahrung und Unwissenheit gründen.
So brachte es Fabrizio, obwohl es ihm sonst keineswegs am Verstand fehlte, nicht zustande, einzusehen, dass ein halbwegs ehrlicher Glaube an Vorbedeutungen und Vorzeichen für ihn eine Art gläubiger Religion war, ein tiefer Eindruck, den er in seiner frühesten Kindheit empfangen hatte. An diesen Glauben zu denken, bedeutete ihm tiefes Fühlen, es war für ihn ein Glück. [...] Während er aber glaubte, er überlege folgerichtig und sei der Wahrheit auf der Spur, verweilten seine Gedanke in seligem Glück bei der Erinnerung an alle die Fälle, bei denen er nach dem Vorzeichen in vollen Umfange die glücklichen oder unheilvollen Ereignisse eingetreten waren, die sie anzukündigen schienen, und dann war seine Seele von Ehrfurcht erfüllt und weich gestimmt. Er hätte einen unüberwindlichen Widerwillen gegen jeden Menschen verspürt, der solche Vorzeichen geleugnet hätte, vor allem wenn er sie sogar noch höhnisch abgetan hätte." (S. 166)
"Diese Denunziation eines aus der Art geschlagen Bruders ist der ursprüngliche Anlass zu meinem gegenwärtigen Leben. Ich kann sie verabscheuen, ich kann sie gering achten, aber schließlich hat sie /meinem Schicksal eine andere Wendung gegeben. Was wäre aus mir geworden, nachdem ich einmal erst einmal nach Novara verbannt war und aus Gnade und Barmherzigkeit beim Verwalter meines Vaters geduldet wurde, hätte nicht meine Tante ein Liebesverhältnis mit einem allmächtigen Minister gehabt? [...]
Doch er warf kaum einen Blick auf das große, alte schwarze Gebäude. Die edle Sprache dieser Architektur ließ ihn völlig gefühllos. Die Erinnerung an seinen Bruder und seinen Vater machte seine Seele jedem Gefühl für Schönheit unzugänglich. (S. 167)
Gespräch mit dem Abbate Blanès:
"[ ] Lass dich niemals zu einer Missetat hineißen, so groß und heftig auch die Versuchung sein mag. Ich glaube, ich sehe, dass es darum geht, einen Unschuldigen zu ermorden, der sich ahnungslos dein Recht anmaßt. Kannst du die mächtige Versuchung überwinden, die freilich die Gesetze der Ehre scheinbar rechtfertigen, dann wird dein Leben in den Augen der Menschen sehr glücklich, und leidlich glücklich in den Augen der wahrhaft Weisen sein", setzte er nach kurzem Nachdenken hinzu. (S.169)
"Vom Kirchturm herab konnten seine Blicke über die beiden Seearme auf eine Entfernung von mehreren Meilen hinschweifen, und dieser zauberhaft schöne Anblick ließ ihn bald alles andere vergessen, was er sah. Er erweckte in seinem Innern die hehrsten Gefühle. Alle Erinnerungen aus seiner frühsten Kindheit stürmten auf ihn ein und nahmen alles seine Gedanken gefangen. Und dieser Tag, den er als Gefangener oben auf einem Kirchturm zubrachte, war einer der glücklichsten seines ganzen Lebens." (S.172)
"Seltsam ist das, dachte er weiter, das Vergnügen, das ich empfände, wenn ich mit ansehen könnte, wie dieser hässliche Bursche zu sämtlichen Teufeln geht, ist noch zählebiger als die flüchtige Neigung, die ich der kleinen Marietta entgegenbrachte… Sie reicht ja bei weitem nicht an die Herzogin von A… heran, die ich notgedrungen in Neapel lieben musste, hatte ich doch ihr doch gesagt, ich sei in sie verliebt. Großer Gott, wie oft habe ich mich während der langen Stunden zärtlichen Beisammenseins, die mir die Herzogin gewährte, gelangweilt! Niemals aber habe ich dergleichen in dem ärmlichen Stübchen, das gleichzeitig als Küche diente, verspürt, wo mich die kleine Marietta zweimal empfing, und jedes Mal bloß für zwei Minuten." (S. 173)
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