30 März 2021

Goethe: Reineke Fuchs

 Der Wolf hat Reineke trotz aller Listen, die der eingesetzt hat, im Kampf besiegt und fordert Unterwerfung.

"Isegrim brummte dagegen mit hohler Stimme die Worte:

»Deine Stunde, Dieb, ist gekommen! Ergib dich zur Stelle,

Oder ich schlage dich tot für deine betrüglichen Taten!

[...]

Reineke dachte: Nun geht es mir schlimm, was soll ich beginnen?

Geb ich mich nicht, so bringt er mich um, und wenn ich mich gebe,

Bin ich auf ewig beschimpft. Ja, ich verdiene die Strafe,

Denn ich hab ihn zu übel behandelt, zu gröblich beleidigt.

Süße Worte versucht' er darauf, den Gegner zu mildern.

»Lieber Oheim!« sagt' er zu ihm, »ich werde mit Freuden

Euer Lehnsmann sogleich mit allem, was ich besitze.

Gerne geh ich als Pilger für Euch zum Heiligen Grabe,

In das Heilige Land, in alle Kirchen und bringe

Ablaß genug von dannen zurück. Es gereichet derselbe

Eurer Seele zu Nutz und soll für Vater und Mutter

Übrigbleiben, damit sich auch die im ewigen Leben

Dieser Wohltat erfreun; wer ist nicht ihrer bedürftig?

Ich verehr Euch, als wärt Ihr der Papst, und schwöre den teuren

Heiligen Eid, von jetzt auf alle künftigen Zeiten

Ganz der Eure zu sein mit allen meinen Verwandten.

Alle sollen Euch dienen zu jeder Stunde. So schwör ich!

Was ich dem Könige selbst nicht verspräche, das sei Euch geboten.

Nehmt Ihr es an, so wird Euch dereinst die Herrschaft des Landes.

Alles, was ich zu fangen verstehe, das will ich Euch bringen:

Gänse, Hühner, Enten und Fische, bevor ich das mindste

Solcher Speise verzehre, ich laß Euch immer die Auswahl,

Eurem Weib und Kindern. Ich will mit Fleiße darneben

Euer Leben beraten, es soll Euch kein Übel berühren.

Lose heiß ich, und Ihr seid stark, so können wir beide

Große Dinge verrichten. Zusammen müssen wir halten,

Einer mit Macht, der andre mit Rat, wer wollt uns bezwingen?

[...]

Euch zu versöhnen, sollen sogleich sich meine Verwandten

Vor Euch neigen, mein Weib und meine Kinder, sie sollen

Vor des Königes Augen im Angesicht dieser Versammlung

Euch ersuchen und bitten, daß Ihr mir gnädig vergebet

Und mein Leben mir schenkt. Dann will ich offen bekennen,

Daß ich unwahr gesprochen und Euch mit Lügen geschändet,

Euch betrogen, wo ich gekonnt. Ich verspreche zu schwören,

Daß mir von Euch nichts Böses bekannt ist und daß ich von nun an

Nimmer Euch zu beleidigen denke. Wie könntet Ihr jemals

Größere Sühne verlangen als die, wozu ich bereit bin? [...]"

Als der Wolf ausspricht, dass er seinen Worten nicht glaubt, setzt Reineke überraschend den Kampf fort und bereitet ihm äußerste Schmerzen. 

Daraufhin wird er zum Sieger erklärt.

"[...]  Sie kamen zu Scharen zum Sieger gelaufen,

Alle Verwandte, der Dachs und der Affe und Otter und Biber.

Seine Freunde waren nun auch der Marder, die Wiesel,

Hermelin und Eichhorn und viele, die ihn befeindet,

Seinen Namen zuvor nicht nennen mochten, sie liefen

Alle zu ihm. Da fanden sich auch, die sonst ihn verklagten,

Seine Verwandten anjetzt, und brachten Weiber und Kinder,

Große, mittlere, kleine, dazu die kleinsten, es tat ihm

Jeglicher schön, sie schmeichelten ihm und konnten nicht enden.


In der Welt geht's immer so zu. Dem Glücklichen sagt man:

Bleibet lange gesund! er findet Freunde die Menge.

Aber wem es übel gerät, der mag sich gedulden!

Eben so fand es sich hier. Ein jeglicher wollte der Nächste

Neben dem Sieger sich blähn. Die einen flöteten, andre

Sangen, bliesen Posaunen und schlugen Pauken dazwischen.

Reinekens Freunde sprachen zu ihm: »Erfreut Euch, Ihr habet

Euch und Euer Geschlecht in dieser Stunde gehoben!

Sehr betrübten wir uns, Euch unterliegen zu sehen,

Doch es wandte sich bald, es war ein treffliches Stückchen.« [...]"


Der Löwenkönig erklärt nun:


»Alles hab ich gehört und, was Ihr meinet, verstanden.

Euch, als edlen Baron, Euch will ich im Rate wie vormals

Wieder sehen, ich mach Euch zur Pflicht, zu jeglicher Stunde

Meinen geheimen Rat zu besuchen. So bring ich Euch wieder

Völlig zu Ehren und Macht, und Ihr verdient es, ich hoffe.

Helfet alles zum besten wenden. Ich kann Euch am Hofe

Nicht entbehren, und wenn Ihr die Weisheit mit Tugend verbindet,

So wird niemand über Euch gehn und schärfer und klüger

Rat und Wege bezeichnen. Ich werde künftig die Klagen

Über Euch weiter nicht hören. Und Ihr sollt immer an meiner

Stelle reden und handeln als Kanzler des Reiches. Es sei Euch

Also mein Siegel befohlen, und was Ihr tuet und schreibet,

Bleibe getan und geschrieben. – So hat nun Reineke billig

Sich zu großen Gunsten geschwungen, und alles befolgt man,

Was er rät und beschließt, zu Frommen oder zu Schaden.«

Reineke dankte dem König und sprach: »Mein edler Gebieter,

Zu viel Ehre tut Ihr mir an, ich will es gedenken,

Wie ich hoffe, Verstand zu behalten. Ihr sollt es erfahren.«"


Jetzt ist sichergestellt, dass Reineke weiterhin allen Unrecht tun kann, wie er will. Den Segen des Königs hat er. Der Dichter schließt ironisch mit scheinbar christlichem Abschluss:


"Hochgeehrt ist Reineke nun! Zur Weisheit bekehre

Bald sich jeder und meide das Böse, verehre die Tugend!

Dieses ist der Sinn des Gesangs, in welchem der Dichter

Fabel und Wahrheit gemischt, damit ihr das Böse vom Guten

Sondern möget und schätzen die Weisheit, damit auch die Käufer

Dieses Buchs vom Laufe der Welt sich täglich belehren.

Denn so ist es beschaffen, so wird es bleiben, und also

Endigt sich unser Gedicht von Reinekens Wesen und Taten.

Uns verhelfe der Herr zur ewigen Herrlichkeit! Amen."


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