04 Dezember 2021

Christian Fürchtegott Gellert

Christian Fürchtegott Gellert (1715-69)

"Vielleicht würde ich bei der Erzählung meines Geschlechts ebenso beredt oder geschwätzig als andre sein, wenn ich anders viel zu sagen wüßte. Meine Eltern sind mir in den zartesten Jahren gestorben, und ich habe von meinem Vater, einem Livländischen von Adel, weiter nichts erzählen hören, als daß er ein rechtschaffener Mann gewesen ist und wenig Mittel besessen hat. 

Mein Vetter, der auch ein Landedelmann war, doch in seiner Jugend studiert hatte, nahm mich nach meines Vaters Tode zu sich auf sein Landgut und erzog mich bis in mein sechzehntes Jahr. Ich habe die Worte nicht vergessen können, die er einmal zu seiner Gemahlin sagte, als sie ihn fragte, wie er es künftig mit meiner Erziehung wollte gehalten wissen. »Vormittags«, fing er an, »soll das Fräulein als ein Mann und nachmittags als eine Frau erzogen werden.« Meine Muhme hatte mich sehr lieb, zumal weil sie keine Tochter hatte, und sie sah es gar nicht gern, daß ich, wie ihre jungen Herren, die Sprachen und andere Pedantereien, wie sie zu reden pflegte, erlernen sollte. Sie hätte mich dieser Mühe gern überhoben; allein ihr Gemahl wollte nicht. [...]" (Romananfang)

"Cleon. Lottchen. 

 LOTTCHEN. Lieber Papa, Herr Damis ist da. Der Tee ist schon in dem Garten; wenn Sie so gut sein und hinuntergehen wollen? 

CLEON. Wo ist Herr Damis? 

 LOTTCHEN. Er redt mit Julchen. 

 CLEON. Meine Tochter, ist dir's auch zuwider, daß ich den Herrn Damis auf eine Tasse Tee zu mir gebeten habe? Du merkst doch wohl seine Absicht? Geht dir's auch nahe? Du gutes Kind, du dauerst mich. Freilich bist du älter als deine Schwester und solltest also auch eher einen Mann kriegen. Aber ... 

 LOTTCHEN. Papa, warum bedauern Sie mich? Muß ich denn notwendig eher heiraten als Julchen? Es ist wahr, ich bin etliche Jahre älter; aber Julchen ist auch weit schöner als ich. Ein Mann, der so vernünftig, so reich und so galant ist als Herr Damis und doch ein armes Frauenzimmer heiratet, kann in seiner Wahl mit Recht auf diejenige sehen, die die meisten Annehmlichkeiten hat. Ich mache mir eine Ehre daraus, mich an dem günstigen Schicksale meiner Schwester aufrichtig zu vergnügen und mit dem meinigen zufrieden zu sein. 

 CLEON. Kind, wenn das alles dein Ernst ist: so verdienst du zehn Männer. Du redst fast so klug als dein Bruder und hast doch nicht studiert. [...]" (Anfang eines Theaterstücks)

"Die schlauen Mädchen

Zwei Mädchen brachten ihre Tage

Bei einer alten Base zu.

Die Alte hielt zu ihrer Muhmen Plage

Sehr wenig von der Morgenruh'.

Kaum krähte noch der Hahn bei frühem Tage,

So rief sie schon: »Steht auf, ihr Mädchen! es ist spät;

Der Hahn hat schon zweimal gekräht.«

Die Mädchen, die so gern noch mehr geschlafen hätten,

(Denn überhaupt sagt man, daß es kein Mädchen giebt,

Die nicht den Schlaf und ihr Gesichte liebt)

Die wandten sich in ihren weichen Betten

Und schwuren dem verdammten Hahn

Den Tod und taten ihm, da sie die Zeit ersahn,

Den ärgsten Tod rachsüchtig an.

Ich hab's gedacht, du guter Hahn!

Erzürnter Schönen ihrer Rache

Kann kein Geschöpf so leicht entfliehn.

Und ihren Zorn sich zuzuziehn,

Ist leider! eine leichte Sache.

Der arme Hahn war also aus der Welt.

Vergebens nur ward von der Alten

Ein scharf Examen angestellt.

Die Mädchen taten fremd und schalten

Auf den, der diesen Mord gethan,

Und weinten endlich mit der Alten

Recht bitterlich um ihren Hahn.

Allein was half's den schlauen Kindern?

Der Tod des Hahns sollt' ihre Plage mindern,

Und er vermehrte sie noch mehr.

Die Base, die sie sonst nicht eh' im Schlafe störte,

Als bis sie ihren Haushahn hörte,

Wußt' in der Nacht itzt nicht, um welche Zeit es wär'.

Allein weil es ihr Alter mit sich brachte,

Daß sie um Mitternacht erwachte:

So rief sie die auch schon um Mitternacht,

Die, später aufzustehn, den Haushahn umgebracht.

Wärst du so klug, die kleinen Plagen

Des Lebens willig auszustehn:

So würdest du dich nicht so oft genötigt sehn,

Die größern Übel zu ertragen." (Fabel)


Im dritten Buch der Fabeln schreibt er dann zu moralphilosophischen Themen.

Die Lerche

Die Lerche, die zu Damons Freuden

Frei im Gemach ihr Lied oft sang

Und ungewohnt, den Widerhall zu leiden,

Der aus dem nahen Zimmer drang,

Mit desto stärkrer Stimme sang;

Saß itzt dem Spiegel gegenüber

Und sang und sah ihr eignes Bild

Und floß, mit Eifersucht erfüllt,

Von schmetternden Gesängen über;

Und bildete zu ihrer Pein[195]

An ihrem eignen Wiederschein

Sich einen Nebenbuhler ein.


Noch oft erhöhte sie die Stimme;

Allein umsonst war Kunst und Müh',

Stets sang der Wiederhall wie sie.

Sie schoß darauf mit ehrsuchtsvollem Grimme

Auf ihren Nebenbuhler zu,

Den ihr der Spiegel vorgelogen,

Und starb, sich selbst zu sehr gewogen,

Fast so, Ruhmsüchtiger, wie du!

Durch Eitelkeit und durch ein Nichts betrogen.


Der Hochzeittag

Das Glück und die Liebe



Geistliche Gesänge

Die Ehre Gottes aus der Natur
Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre,
 

Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort.

Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere;

Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort!

Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne?

Wer führt die Sonn aus ihrem Zelt?

Sie kömmt und leuchtet und lacht uns von ferne,

Und läuft den Weg, gleich als ein Held.


Vernimm's, und siehe die Wunder der Werke,

Die die Natur dir aufgestellt!

Verkündigt Weisheit und Ordnung und Stärke

Dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt?


Kannst du der Wesen unzählbare Heere,

Den kleinsten Staub fühllos beschaun?

Durch wen ist alles? O gib ihm die Ehre!

Mir, ruft der Herr, sollst du vertraun.


Mein ist die Kraft, mein ist Himmel und Erde;

An meinen Werken kennst du mich.

Ich bin's, und werde sein, der ich sein werde,

Dein Gott und Vater ewiglich.


Ich bin dein Schöpfer, bin Weisheit und Güte,

Ein Gott der Ordnung und dein Heil;

Ich bin's! Mich liebe von ganzem Gemüte,

Und nimm an meiner Gnade teil.

(von Beethoven vertont)


Preis des Schöpfers

Wenn ich, o Schöpfer! deine Macht,

Die Weisheit deiner Wege,

Die Liebe, die für alle wacht,

Anbetend überlege:

So weiß ich, von Bewundrung voll,

Nicht, wie ich dich erheben soll,

Mein Gott, mein Herr und Vater!


Mein Auge sieht, wohin es blickt,

Die Wunder deiner Werke.

Der Himmel, prächtig ausgeschmückt,

Preist dich, du Gott der Stärke!

Wer hat die Sonn an ihm erhöht?[251]

Wer kleidet sie mit Majestät?

Wer ruft dem Heer der Sterne?


Wer mißt dem Winde seinen Lauf?

Wer heißt die Himmel regnen?

Wer schließt den Schoß der Erden auf,

Mit Vorrat uns zu segnen?

O Gott der Macht und Herrlichkeit!

Gott, deine Güte reicht so weit,

So weit die Wolken reichen!


Dich predigt Sonnenschein und Sturm,

Dich preist der Sand am Meere.

Bringt, ruft auch der geringste Wurm,

Bringt meinem Schöpfer Ehre!

Mich, ruft der Baum in seiner Pracht,

Mich, ruft die Saat, hat Gott gemacht;

Bringt unserm Schöpfer Ehre!


Der Mensch, ein Leib, den deine Hand

So wunderbar bereitet;

Der Mensch, ein Geist, den sein Verstand,

Dich zu erkennen, leitet;

Der Mensch, der Schöpfung Ruhm und Preis,

Ist sich ein täglicher Beweis

Von deiner Güt und Größe.


Erheb ihn ewig, o mein Geist!

Erhebe seinen Namen!

Gott, unser Vater, sei gepreist,

Und alle Welt sag Amen!

Und alle Welt fürcht ihren Herrn,

Und hoff auf ihn, und dien ihm gern!

Wer wollte Gott nicht dienen? 

(EG 506; GL 463)


Jesus lebt, mit ihm auch ich (EG 115; GL 336


Gellert kenne ich vor allem aus der Literaturgeschichte (dort wird meist auch sein bekanntester Roman erwähnt (sieh oben) und aus Goethes Dichtung und Wahrheit. Er wirkt menschlich sympathisch und weit lockerer als der damalige Literaturpapst Gottsched, an dem sich die, die für eine Erneuerung der deutschen Literatur eintraten, abarbeiteten. Als wichtigster Lessing in seinen Briefen, die neueste Literatur betreffend:

"Für die spätere Literaturgeschichtsschreibung ist vor allem der viel zitierte 17. Literaturbrief von Bedeutung. Darin wendet sich Lessing entschieden gegen Johann Christoph Gottscheds normative Poetik:[11]

»Niemand, sagen die Verfasser der Bibliothek,* wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.« Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu. Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen.[12]"

Von dieser Kritik, erholte sich Gottscheds Ruf bis heute nicht. Gellert blieb davon verschont. Grund genug, hier einmal auf ihn aufmerksam zu machen, indem ich meine Beschäftigung mit ihm hier dokumentiere. 



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