"Es wurden die Speisen aufgetragen, von denen die Mutter vermutete, daß sie mir die liebsten sein könnten. Die Vertraulichkeit und die Liebe ohne Falsch, wie man sie in jeder wohlgeordneten[182] Familie findet, tat mir nach der längeren Vereinsamung außerordentlich wohl."
(Stifter: Der Nachsommer Band 1, 6. Der Besuch, zeno.org, S.181-182)
Zum Zusammenhang:
"[...] Ich ging wieder gerades Weges nach Hause. Dort machte ich einen Gang durch den Garten, sprach einige liebkosende Worte zu dem Hofhunde, der mich mit Heulen und Freudensprüngen begrüßte, und brachte dann noch[181] eine Weile bei der Mutter und der Schwester zu. Hierauf ging ich in alle Zimmer unserer Wohnung, besonders in die mit den alten Geräten, den Büchern und Bildern. Sie kamen mir beinahe unscheinbar vor.
Nach einiger Zeit kam auch der Vater. Es war heute in dem Stübchen, in welchem die alten Waffen hingen, und um welches der Efeu rankte, zum Abendessen aufgedeckt worden. Man hatte sogar bis gegen Abend die Fenster offen lassen können. Da während meines Ganges in die Stadt mein Koffer und meine Kisten von dem Schiffe gekommen waren, konnte ich die Geschenke, welche ich von der Reise mitgebracht hatte, in das Stübchen schaffen lassen: für die Mutter einige seltsame Töpfe und Geschirre, für den Vater ein Ammonshorn von besonderer Größe und Schönheit, andere Marmorstücke und eine Uhr aus dem siebenzehnten Jahrhunderte, und für die Schwester das gewöhnliche Edelweiß, getrockneten Enzian, ein seidenes Bauertüchlein und silberne Bruskettlein, wie man sie in einigen Teilen des Gebirges trägt. Auch was man mir als Geschenke vorbereitet hatte, kam in das Stüblein: von der Mutter und Schwester verfertigte Arbeiten, darunter eine Reisetasche von besonderer Schönheit, dann sämtliche Arten guter Bleifedern, nach den Abstufungen der Härte in einem Fache geordnet, besonders treffliche Federkiele, glattes Papier, und von dem Vater ein Gebirgsatlas, dessen ich schon einige Male Erwähnung getan, und den er für mich gekauft hatte. Nachdem alles mit Freuden gegeben und empfangen worden war, setzte man sich zu dem Tische, an dem wir heute abend nur allein waren, wie es nach und nach bei jeder meiner Zurückkünfte nach einer längeren Abwesenheit der Gebrauch geworden war. Es wurden die Speisen aufgetragen, von denen die Mutter vermutete, daß sie mir die liebsten sein könnten. Die Vertraulichkeit und die Liebe ohne Falsch, wie man sie in jeder wohlgeordneten[182] Familie findet, tat mir nach der längeren Vereinsamung außerordentlich wohl.
Als die ersten Besprechungen über alles, was zunächst die Angehörigen betraf, und was man in der jüngsten Zeit erlebt hatte, vorüber waren, als man mir den ganzen Gang des Hauswesens während meiner Abwesenheit auseinandergesetzt hatte, mußte ich auch von meiner Reise erzählen. Ich erklärte ihren Zweck und sagte, wo ich gewesen sei, und was ich getan habe, ihn zu erreichen. Ich erwähnte auch des alten Mannes, und erzählte, wie ich zu ihm gekommen sei, wie gut ich von ihm aufgenommen worden sei, und was ich dort gesehen habe. Ich sprach die Vermutung aus, daß er seiner Sprache nach zu urteilen aus unserer Stadt sein könnte. Mein Vater ging seine Erinnerungen durch, konnte aber auf keinen Mann kommen, der dem von mir beschriebenen ähnlich wäre. [...]"
(Stifter: Der Nachsommer Band 1, 6. Der Besuch, zeno.org, S.180-182)
Vgl. auch: "Lob des Herkommens" in Gottfried Keller: Der grüne Heinrich, 1. Kapitel
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