16 Februar 2024

Hermann Hesse: Wenn der Krieg noch zwei Jahre dauert

 Der Ich-Erzähler ist in eine kafkaeske Welt geraten, , wo von ihm ungezählte Berechtigungsscheine gefordert werden und wo er für alles bestraft wird.


Zitate:

"Ich sah, ich war zu lange weg gewesen. Es war schwer, sich wieder einzuleben." (S.250)

"[...] Ich verstehe, sagte ich. Es ist eigentlich weiter nicht erstaunlich. Nur eins begreife ich nicht ganz. Sagen Sie mir: wozu eigentlich macht nun die ganze Welt diese riesigen Anstrengungen? Diese Entbehrungen, diese Gesetze, diese tausend Ämter und Beamte – was ist es eigentlich, was man damit beschützt und aufrecht erhält?" /
Erstaunt sah der Herr mir ins Gesicht.
"Ist das eine Frage!" rief er mit Kopfschütteln. Sie wissen doch, dass Krieg ist, Krieg in der ganzen Welt! Und das ist es, was wir erhalten, wofür wir Gesetze geben, wofür wir Opfer bringen. Der Krieg ist es. Ohne diese enormen Anstrengungen und Leistungen könnten die Armeen keine Woche länger im Felde stehen. Sie werden verhungern – es wäre unausstehlich!"
"Ja", sagte ich langsam, "das ist allerdings ein Gedanke! Also der Krieg ist das Gut, das mit solchen Opfern aufrechterhalten wird! Ja, aber  – erlauben Sie eine seltsame Frage – warum schätzen Sie den Krieg so hoch? Ist er denn alles wert? Ist denn der Krieg überhaupt ein Gut?"
Mitleidig zuckte der Beamte die Achseln. Ich sah, ich verstand ihn nicht.
"Lieber Herr Sinclair*", sagte er, Sie sind sehr weltfremd geworden. Aber bitte, gehen Sie durch eine einzige Straße, reden Sie mit einem einzigen Menschen, strengen Sie ihre Gedanken nur ein klein wenig an und fragen Sie sich: was haben wir noch? Worin besteht unser Leben? Dann müssen Sie doch sofort sagen: Der Krieg ist das einzige, was wir noch haben! Vergnügen und persönlicher Erwerb, gesellschaftlicher Ehrgeiz, Habgier, Liebe, Geistesarbeit – alles existiert nicht mehr. Der Krieg ist es einzig und allein, dem wir es verdanken, dass noch so etwas wie Ordnung, Gesetz, Gedanke, Geist in der Welt vorhanden ist. – Können Sie denn das nicht sehen?" [1917] (S.251/252) (in: "Europäische Erzähler des 20. Jahrhunderts", Copyright 1985, Heyne Allgemeine Reihe Nr. 01/8708 - Wikipedia)

*Emil Sinclair war eine Zeitlang Hermann Hesses Pseudonym.

Keine Kommentare: