01 Februar 2024

Knut Hamsun: Segen der Erde

 Knut Hamsun: Segen der Erde (2 Wikipediaartikel)

Die Sprache ist nicht von Blut und Boden getränkt. Halbnaiv wird berichtet. 

Ich wurde hineingezogen, wollte dann unbedingt mehr über das Buch wissen und werde aber angesichts meiner anderen Lektüren wohl nicht weit über die Seite 40 hinauskommen. 

Ich bin aber froh, dass ich erstmals mehr als 2 - 3 Seiten von Hamsun im Zusammenhang gelesen habe. 

Der Roman spielt etwa in der Zeit von 1870 bis 1900. Die Hauptpersonen sind Isak und seine Frau Inger mit ihren Söhnen Eleseus und Sivert; der Nachbar Brede mit seiner Tochter Barbro, der andere Nachbar Aksel, der Kaufmann Aronsen mit seinem Ladendiener Andresen  sowie der Lensmann Geißler, der für fragwürdige Geschäftstüchtigkeit steht, am Schluss aber Hamsuns Überzeugung ausspricht, dass das Leben in Naturverbundenheit als Bauer das einzig richtige ist.

1

"Der lange, lange Pfad über das Moor in den Wald hinein – wer hat ihn ausgetreten? Der Mann, der Mensch, der erste, der hier war. Für ihn war noch kein Pfad vorhanden. Später folgte dann das eine oder andere Tier der schwachen Spur über Sümpfe und Moore und machte sie deutlicher, und wieder später schnupperte allmählich der oder jener Lappe den Pfad auf und benützte ihn, wenn er von Berg zu Berg wanderte, um nach seinen Renntieren zu sehen. So entstand der Weg durch die weite Allmende, die niemand gehörte, durch das herrenlose Land.

Der Mann kommt in nördlicher Richtung gegangen. Er trägt einen Sack, den Sack, der Mundvorrat und einiges Handwerkszeug enthält. Der Mann ist stark und derb, er hat einen rostigen Bart und kleine Narben im Gesicht und an den Händen – diese Wundenzeichen, hat er sie sich bei der Arbeit oder im Kampf geholt? Er kommt vielleicht aus dem Gefängnis und will sich verbergen, vielleicht ist er ein Philosoph und sucht Frieden, jedenfalls aber kommt er dahergewandert, ein Mensch mitten in dieser ungeheuren Einsamkeit. Er geht und geht, still ist es ringsum, kein Vogel, kein Tier ist zu hören, bisweilen redet er ein paar Worte mit sich selbst. Ach ja, Herrgott im Himmel! sagt er. Wenn er auf seiner Wanderung an Moore und wirtliche Stellen oder offene freie Plätze im Walde kommt, legt er seinen Sack ab, geht umher und untersucht die Bodenverhältnisse; nach einer Weile kehrt er zurück, nimmt seinen Sack wieder auf den Rücken und wandert weiter. Dies währt den ganzen Tag, er sieht an der Sonne, welche Zeit es ist, es wird Nacht und er wirft sich ins Heidekraut und schläft auf seinem Arm.

Nach einigen Stunden geht er wieder weiter. Ach ja, Herrgott im Himmel! geht wieder geradeaus nach Norden, sieht an der Sonne die Tageszeit, hält Mittagsrast mit einem Stück Hartbrot und Ziegenkäse, trinkt Wasser aus einem Dach dazu und setzt seinen Weg fort. Auch diesen ganzen Tag wandert er ununterbrochen weiter, denn er muß sehr viele wirtliche Plätze im Walde untersuchen. Was sucht er? Land, Erde? Er ist vielleicht ein Auswanderer aus den Dörfern, denn er schaut sich scharf und spähend um, manchmal ersteigt er auch einen Hügel und späht von da umher. Jetzt ist die Sonne wieder am Untergehen.

Er befindet sich jetzt auf der Westseite eines langgestreckten Tales mit gemischtem Wald, hier ist auch Laubwald und Weideflächen mischen sich darein, stundenlang geht es so fort; es dämmert, aber der Mann hört das leise Rauschen eines Flusses, und dieses leichte Rauschen ist wie etwas Lebendiges und muntert ihn auf. Als er die Höhe erreicht, sieht er das Tal im Halbdunkel vor sich liegen und weit draußen nach Süden den Himmel darüber. Nun legt er sich schlafen.

Am Morgen sieht er eine Landschaft mit Wald und Weideland vor sich ausgebreitet. Er steigt hinunter: da ist ein grüner Berghang, weit unten erblickt er ein Stück des Flusses und einen Hasen, der in einem Sprung darüber hinwegsetzt. Der Mann nickt, als sei es ihm gerade recht, daß der Fluß nicht breiter ist als ein Hasensprung. Ein brütendes Schneehuhn flattert plötzlich zu seinen Füßen auf und zischt ihn wild an, und wieder nickt der Mann: hier sind Tiere und Vögel, das ist abermals gerade recht! Seine Füße waten durch Blaubeerenbüsche und Preiselbeerkraut, durch siebengezackte Waldsterne und niedere Farnkräuter; wenn er da und dort anhält und mit einem Eisen in der Erde gräbt, findet er hier Walderde und dort mit Laub und verrotteten Zweigen seit Tausenden von Jahren gedüngten Moorboden. Der Mann nickt, hier will er sich niederlassen, ja, hier sich niederlassen, das will er. Noch zwei weitere Tage streift er in der Gegend umher, kehrt aber am Abend immer wieder zu dieser Halde zurück. Des Nachts schläft er auf einem Lager aus Tannenzweigen, er ist ganz daheim hier, er hat ja schon ein Lager unter einem Felsvorsprung.

Das schlimmste war gewesen, den Ort zu finden, einen Ort, der niemand gehörte, der sein war; jetzt kamen die Tage der Arbeit. Er fing sofort an, in den etwas weiter entfernten Wäldern Rinde von den Birken zu schälen, jetzt, während der Saft noch in den Bäumen war. Dann legte er die Rinden fest zusammen, beschwerte sie mit Steinen und ließ sie trocknen. Wenn er eine große Last beisammen hatte, trug er sie die vielen Meilen zurück ins Dorf und verkaufte sie als Baumaterial. Und auf seine Halde dort droben brachte er neue Säcke mit Lebensmitteln und Werkzeug heim: Mehl, Speck, einen Kochtopf, einen Spaten; unverdrossen wanderte er den Pfad hin und her und schleppte sich ab. Ein geborener Lastträger, ein Prahm, der durch die Wälder ging, o es war, als liebe er diesen seinen Beruf, viel zu gehen und viel zu tragen, als dünke ihn, ohne Last auf dem Rücken zu gehen, ein faules Dasein, das für ihn nicht passe.

Eines Tages kam er dahergewandert mit seiner schweren Last auf dem Rücken und außerdem mit zwei Ziegen und einem jungen Bock an der Leine. Er war so beglückt über die Ziegen, gerade als seien es Kühe, und er war gut gegen sie. Der erste fremde Mensch kam vorüber, ein wandernder Lappe. Dieser sah die Ziegen und erriet, daß er auf einen Mann traf, der sich da niedergelassen hatte, und sagte:

Willst du hier dauernd wohnen? – Ja, antwortete der Mann. – Wie heißt du? – Isak. Weißt du keine Magd für mich? – Nein, aber ich will darüber reden, dort, wo ich vorüberkomme. – Ja, tu das! Sage, daß ich Haustiere habe, aber niemand, der sie besorgt.

Isak also, ja, auch das wollte der Lappe ausrichten. Der Mann auf der Halde war kein Flüchtling, er sagte seinen Namen. Er ein Flüchtling? Dann hätte man ihn aufgespürt. Er war nur ein unverdrossener Arbeiter, er sammelte Winterfutter für seine Ziegen, fing an Boden urbar zu machen, einen Acker zu roden, Steine wegzuschaffen, Steinwälle aufzurichten. Im Herbst hatte er eine Wohnung fertig, eine Erdhütte, eine Gamme, die war dicht und warm, sie krachte nicht in den Fugen beim Sturm, und sie konnte nicht abbrennen. Er konnte in diese Heimstätte hineingehen, die Türe hinter sich zumachen und da drinnen bleiben, oder er konnte vor der Türöffnung stehen und sich als den Herrn seines Hauses zeigen, wenn jemand vorbeikäme. Die Gamme war in zwei Teile geteilt, in dem einen wohnte er selbst, im andern seine Tiere. Ganz innen unter dem Felsen hatte er seinen Heuboden errichtet. Alles war da.

Wieder kommen ein paar Lappen vorüber, Vater und Sohn. Sie bleiben stehen, stützen sich mit beiden Händen auf ihre langen Stöcke, betrachten die Hütte und das urbar gemachte Land und hören die Ziegenglocken oben am Hang.

Ja, guten Tag, sagen sie, hier sind ja große Leute hergekommen. Die Lappen schmeicheln immer.

Ihr wißt wohl keine Magd für mich? versetzt Isak, denn er hat nur das eine im Kopf.

Eine Magd zur Hilfe? Nein. Aber wir wollen es weiter sagen. – Ja, wenn ihr so gut sein wollt. Und daß ich ein Haus und Ackerland und Vieh habe, aber keine Magd zur Hilfe, das sollt ihr sagen.

Ach, so oft er mit seinen Birkenrinden drunten im Dorfe war, hatte er nach dieser Magd zur Hilfe ausgeschaut, aber keine gefunden. Sie hatten ihn betrachtet, eine Witwe, ein paar ältere Mädchen, es aber nicht gewagt, ihm Hilfe zu versprechen; woher das kommen mochte, das begriff Isak nicht. Begriff er es wirklich nicht? Wer wollte bei einem Manne dienen, draußen im Ödland, meilenweit von den Menschen, ja eine Tagereise von der nächsten menschlichen Behausung entfernt! Und der Mann selbst war nicht die Spur lieb und hübsch, im Gegenteil, wenn er sprach, war er kein Tenor mit gen Himmel gerichteten Augen, sondern hatte eine etwas tierische und grobe Stimme.

Dann mußte er eben allein bleiben.

Im Winter machte er große Holztröge, verkaufte diese im Dorfe und kam mit Säcken voll Lebensmitteln und Werkzeug durch den Schnee zurück. Das waren harte Tage, ja er hatte eine schwere Last. Er hatte ja Haustiere, und die konnte er nicht längere Zeit verlassen. Wie hielt er es da? Die Not macht erfinderisch, sein Gehirn war stark und unverbraucht, und er übte es immer mehr. Das erste, was er tat, wenn er fortging, war, die Ziegen loszulassen, so daß sie an den Zweigen im Walde ihren Hunger stillen konnten. Aber er wußte auch noch einen anderen Ausweg. Er hängte am Fluß ein großes Holzgefäß auf und ließ ein kleines Rinnsal hineinlaufen; es dauerte vierzehn Stunden, bis dies Gefäß voll war. Wenn das Gefäß bis zum Überlaufen voll war, dann hatte es gerade das rechte Gewicht, daß es heruntersank, aber indem es sank, zog es an einer Leine, die mit dem Heuboden in Verbindung stand, eine Luke öffnete sich, drei abgemessene Geißenmahlzeiten fielen herunter, und die Tiere hatten ihre Nahrung.

Auf diese Weise machte er es.

Eine geistreiche Erfindung, ja vielleicht eine Eingebung von Gott, dem Manne war geholfen. Es ging gut bis in den Spätherbst, dann kam Schnee, dann Regen, dann wieder Schnee, dauernd Schnee; da wirkte die Einrichtung mit der Heuversorgung verkehrt, das Gefäß füllte sich mit Regenwasser und öffnete die Luke vor der Zeit. Der Mann deckte das Gefäß zu, dann ging es wieder eine Weile gut, aber als der Winter einsetzte, fror das Rinnsal ein, und die Einrichtung versagte gänzlich.

Da mußten die Ziegen und auch der Mann selbst entbehren lernen.

Das waren harte Tage, der Mann mußte Hilfe haben, hatte jedoch keine. Er wurde aber deshalb doch nicht ratlos. Er schaffte an seinem Heim weiter, machte ein Fenster in die Hütte, ein Fenster mit zwei Glasscheiben. Das war ein merkwürdiger und heller Tag in seinem Leben, als er nicht auf dem Herd Feuer anzünden mußte, um sehen zu können, nun konnte er drinnen sitzen bleiben und bei Tageslicht Tröge aus Holz anfertigen. Es wurde besser für ihn und lichter. Ach ja, Herrgott im Himmel! Er las nie in einem Buche, seine Gedanken beschäftigten sich aber oft mit Gott, er konnte nicht anders, Vertrauen und Ehrfurcht wohnten in seiner Seele. Der Sternenhimmel, das Rauschen des Waldes, die Einsamkeit, die Schneemassen, die Gewalten auf der Erde und über der Erde stimmten ihn oftmals am Tage nachdenklich und andächtig; er fühlte sich sündig und war gottesfürchtig, des Sonntags wusch er sich zur Ehre des Feiertages, arbeitete aber sonst wie alle Tage.

Der Frühling kam heran, er bebaute seinen kleinen Acker und steckte Kartoffeln. Er hatte jetzt einen größeren Viehbestand, jede Ziege hatte Zwillinge gebracht, es waren jetzt sieben Geißen, groß und klein zusammengerechnet. Mit der Zukunft vor Augen erweiterte er seinen Stall und setzte auch da ein paar Fensterscheiben ein. Es wurde heller und tagte in jeder Weise.

Eines Tages kam die Hilfe. Droben auf der Halde wanderte sie lange hin und her, ehe sie sich hervorwagte. Es wurde Abend, bis sie herankam, aber dann kam sie – ein großes, braunäugiges Mädchen; sie war so üppig und derb, mit festen guten Händen, mit Lappenschuhen an den Füßen, obgleich sie keine Lappin war, und mit einem Kalbfellsack auf dem Rücken. Sie war wohl schon etwas bei Jahren, höflich gesprochen, nahe an den Dreißigern.

Warum sollte sie sich denn fürchten? Sie grüßte, fügte jedoch rasch hinzu: Ich muß nur über die Berge, darum bin ich diesen Weg gegangen. – So, sagte der Mann. Er verstand sie nicht ganz, sie redete undeutlich und wendete überdies das Gesicht weg. – Ja, sagte sie. Und es ist ein sehr weiter Weg. – Ja, antwortete er. Willst du über das Gebirge? – Ja. – Was willst du dort? – Ich habe meine Leute dort. – So, hast du deine Leute dort? Wie heißt du? – Inger, und wie heißt du? – Isak. – So, Isak. Wohnst du hier? – Ja, ich wohne hier und habe es so, wie du hier siehst. – Das ist wohl nicht übel, sagte sie lobend.

Isak war im Denken ein ganzer Mann geworden, und nun kam ihm der Gedanke, daß sie wohl im Auftrag von jemand gekommen, ja daß sie direkt von zu Hause hierher gekommen sei und nicht weiter wolle. Sie hatte vielleicht gehört, daß ihm weibliche Hilfe fehle.

Komm herein und ruh dich aus! sagte er.

Sie traten in die Hütte, aßen von ihrem Mundvorrat und tranken von seiner Geißenmilch; dann kochten sie Kaffee, den sie in einer Blase bei sich hatte. Sie hatten es sehr behaglich beim Kaffee, ehe sie schlafen gingen. Nachts lag er da und war gierig nach ihr und bekam sie.

Am Morgen ging sie nicht wieder weg und den Tag über auch nicht; sie machte sich nützlich, melkte die Ziegen und scheuerte die Holzgefäße mit feinem Sand und machte sie sauber. Sie ging nie wieder fort. Inger hieß sie, Isak hieß er.

Nun begann ein anderes Leben für den einsamen Mann. Das einzige war, daß seine Frau undeutlich redete und wegen einer Hasenscharte immer das Gesicht wegwendete; aber das war nichts, um sich darüber zu beklagen. Ohne diesen verunstalteten Mund wäre sie wohl nie zu ihm gekommen, die Hasenscharte war sein Glück. Und er selbst, war er ohne Fehl? Isak mit dem rostigen Vollbart und dem zu untersetzten Körper, er war wie ein greulicher Mühlgeist, ja wie durch eine verzerrende Fensterscheibe gesehen. Und wer sonst ging mit einem solchen Ausdruck im Gesicht umher? Es war, als könne er jeden Augenblick eine Art von Barrabas loslassen. Es bedeutete schon viel, daß Inger nicht davonlief.

Sie lief nicht davon. Wenn er fort war und wieder heimkam, war Inger bei der Hütte, die beiden waren eins, die Hütte und sie.

Er hatte nun einen Menschen mehr zu versorgen, aber es lohnte sich, er konnte länger fort sein, er konnte sich rühren. Da war der Fluß, ein freundlicher Fluß, der neben seinem freundlichen Aussehen auch tief und raschen Laufes war; es war durchaus kein geringer Fluß, er mußte aus einem großen See droben im Gebirge kommen. Nun verschaffte Isak sich Fischgeräte und suchte diesen See auf, wenn er dann am Abend heimkam, brachte er eine ordentliche Anzahl Forellen und Alpensalme mit. Inger empfing ihn mit großer Verwunderung, sie war ganz überwältigt, schlug die Hände zusammen und rief: Um alles in der Welt! Sie merkte wohl, wie erfreut und stolz er über ihr Lob war, und da sagte sie noch mehr freundliche Worte: daß sie so etwas noch nie gesehen habe und gar nicht verstehe, wie er das zuwege bringen konnte.

Auch auf andere Weise war Inger ein Segen für ihn. Obgleich sie nicht gerade ein schönes Gesicht und Verstand im Kopfe hatte, so hatte sie doch bei einem ihrer Leute zwei Schafe mit ihren Lämmern stehen, und die holte sie. Das war das notwendigste, was jetzt in die Gamme gebracht werden konnte, Schafe mit Wolle und Lämmern, vier lebende Tiere, der Viehstand vermehrte sich im großen Stil, wunderbar war es, wie er zunahm. Inger holte außerdem noch ihre Kleider und andere Sachen, die ihr gehörten, einen Spiegel, eine Schnur mit einigen hübschen Glasperlen daran, Kartätschen und ein Spinnrad. Sieh, wenn sie so weiter machte, war bald alles voll vom Boden bis zur Decke, und die Gamme hatte nicht Raum für alles! Isak war natürlich sehr bewegt beim Anblick dieser irdischen Reichtümer; aber da er von Natur wortkarg war, fiel es ihm schwer, sich darüber auszusprechen, er ging hinaus vors Haus, sah nach dem Wetter und kam wieder herein. Ja, gewiß hatte er großes Glück gehabt, und er fühlte immer mehr einen heißen Drang in sich aufsteigen, Zuneigung oder Liebe, oder was es nun genannt werden konnte.

Du brauchst nicht so viel mitzubringen, sagte er. – Ich habe sogar anderswo noch mehr. Und dann habe ich den Oheim Sivert, den Bruder meiner Mutter, hast du von ihm gehört? – Nein. – Das ist ein reicher Mann, er ist Bezirkskassierer der Gemeinde.

Die Liebe macht den Klugen dumm; Isak wollte sich auf seine Weise angenehm zeigen, und da tat er zu viel.

Was ich sagen wollte, begann er; du sollst die Kartoffeln nicht hacken. Ich werde sie hacken, wenn ich heute abend heimkomme.

Damit nahm er die Axt und ging in den Wald. Sie hörte ihn im Walde Bäume fällen, es war nicht weit weg, und sie hörte am Krachen, daß er große Stämme fällte. Nachdem sie eine Weile zugehört hatte, ging sie hinaus und hackte die Kartoffeln. Die Liebe macht den Dummen klug.

Am Abend kam er mit einem großen Balken an, den er an einem Seil hinter sich herschleppte. Ach, der grobe, treuherzige Isak, er machte so viel Lärm mit dem Balken, als er nur konnte, räusperte sich und hustete, damit sie herauskommen und sich nicht wenig über ihn verwundern sollte.

Ganz richtig, als er daherkam, rief sie auch: Ich glaube, du bist verrückt! Du bist doch wohl ein Mensch! sagte sie. Der Mann erwiderte nichts. Das fiel ihm nicht ein. Im Vergleich zu einem Baumstamm etwas mehr als ein Mensch zu sein, das war nicht der Rede wert. – Und wozu willst du denn den Stamm? fragte sie. – Ach, das weiß ich selbst noch nicht, antwortete er wichtigtuend.

Aber jetzt sah er, daß sie die Kartoffeln schon gehackt hatte, und dadurch zeigte sie sich fast ebenso tüchtig wie er. Das war jedoch nicht nach seinem Sinn, da machte er das Seil von dem Baumstamm los und ging damit fort. Gehst du wieder fragte sie. – Ja, antwortete er beleidigt.

Er kam mit einem zweiten Baumstamm daher, schnaufte nicht, lärmte nicht, sondern zog ihn nur wie ein Ochse bis zur Gamme heran und ließ ihn da liegen.

Im Laufe des Sommers schleppte er noch viele Baumstämme vor die Gamme. (Hamsun: Segen der Erde 1. Teil, 1. Kapitel)


9

Im Frühjahr ereignete sich etwas höchst Unerwartetes und dabei sehr Bedeutungsvolles: der Betrieb in den Kupfergruben sollte wieder aufgenommen werden, Geißler hatte seinen Berg verkauft. War das Unglaubliche geschehen? Ach, dieser Geißler war nun einmal ein unergründlicher Herr, er konnte tun und konnte lassen, verneinend den Kopf schütteln und bejahend nicken. Er konnte ein ganzes Dorf wieder zum Lächeln bringen.

Hatte ihm am Ende doch das Gewissen geschlagen und wollte er den Bezirk, in dem er Lensmann gewesen war, nicht länger mit selbstgebauter Grütze und mit Geldmangel strafen? Oder hatte er gar seine Viertelmillion bekommen? Oder war vielleicht die Sache so, daß Geißler selbst Geld brauchte und den Berg für das, was er eben dafür bekam, verkaufen mußte? Fünfundzwanzigtausend oder fünfzigtausend sind ja schließlich auch ein schönes Geld. Es wurde übrigens behauptet, sein Sohn habe in seinem Namen das Geschäft abgeschlossen.

Jedenfalls aber wurde der Betrieb wieder aufgenommen; derselbe Ingenieur mit verschiedener Arbeiterschaft kehrte zurück, und dieselbe Arbeit fing wieder an. Dieselbe Arbeit ja, aber auf eine ganz andere Weise als früher, gerade umgekehrt.

Alles schien ganz in Ordnung zu sein; die Schweden kamen mit Leuten und Dynamit und Geld, was konnte da noch fehlen? Und auch Aronsen kam wieder, der Kaufmann Aronsen, und wollte durchaus Storborg wieder kaufen. – Nein, erklärte Eleseus, ich verkaufe nicht. – Ihr werdet doch gewiß verkaufen, wenn Ihr Geld genug bekommt? – Nein.

Nein, Eleseus wollte Storborg nicht verkaufen. Die Sache war die, sein Dasein als Kaufmann auf dem Ödland kam ihm nicht mehr gar so elend vor, er hatte eine schöne Veranda mit bunten Glasscheiben, er hatte einen Ladendiener, der die Arbeit tat, er selbst konnte auf Reisen sein. Ja, reisen auf dem ersten Platz, zusammen mit vornehmen Leuten. Wenn er nur einmal ganz bis nach Amerika kommen könnte, daran hatte er schon oft gedacht. Schon allein von diesen Geschäftsreisen in die Städte im Süden, um Verbindungen anzuknüpfen, konnte er nachher immer noch lange zehren. Nicht, als ob er üppig gelebt hätte, mit eigenem Dampfschiff gefahren wäre und Orgien gefeiert hätte. Er und Orgien! Er war eigentlich ein sonderbarer Mensch, um Mädchen bekümmerte er sich gar nicht mehr, er ließ sie links liegen, hatte alles Herz für sie verloren. Nein, aber natürlich war er der Sohn des Markgrafen, der auf dem ersten Platz fuhr und vielerlei Waren kaufte. Er selbst kam jedesmal von seinen Ausflügen ein wenig feiner und vornehmer nach Hause, das letztenmal kam er mit Galoschen an den Füßen zurück. Trägst du zwei Paar Schuhe, wurde er gefragt. – Ja, ich leide an kalten Füßen, erklärte Eleseus. Und da hatte man herzliches Mitleid mit seinen kalten Füßen.

Glückselige Tage, ein Herrenleben und Müßiggang! Nein, er wollte Storborg nicht verkaufen. Sollte er wieder in das Städtchen zurückkehren, von neuem in dem kleinen Bauernkramladen stehen und keinen Ladendiener unter sich haben! Übrigens hoffte er auch darauf, es werde sich von nun an ein ungeheurer Betrieb auf Storborg entwickeln; die Schweden waren zurückgekehrt und würden die Gegend mit Geld überschwemmen, er wäre ein Narr, wenn er verkaufen würde! Aronsen mußte einmal ums andere mit einer Absage seines Weges ziehen und entsetzte sich immer mehr über seine eigene Dummheit, das Ödland verlassen zu haben.

Ach, Aronsen hätte mit seinen Selbstvorwürfen Maß halten und ebenso hätte Eleseus seine großen Erwartungen einschränken dürfen; aber vor allen Dingen hätten die Ansiedler und die Dorfbewohner weniger große Hoffnungen hegen und nicht lächeln und sich die Hände reiben sollen, wie es die Englein tun, weil sie selig sind; nein, das hätten die Ansiedler und Dorfbewohner durchaus nicht tun sollen, denn nun wurde die Enttäuschung gewaltig. Sollte man es glauben, die Grubenarbeit begann zwar ganz richtig, aber sie begann auf der andern Seite des Berges, zwei Meilen weit entfernt, am südlichen Ende von Geißlers Gebiet, weit drinnen in einem anderen Kirchspiel, das die diesseitigen Bewohner nichts anging. Von da aus sollte sich die Arbeit langsam nach Norden zu durchfressen, bis zu der ersten Fundstelle des Kupfers, bis zu Isaks Fundstelle, und ein Segen für das Ödland und das Dorf werden. Das würde im besten Fall viele Jahre dauern, vielleicht Menschenalter.

Diese Erkenntnis kam und wirkte wie die ärgste Dynamitsprengung mit Bewußtlosigkeit und Taubheit. Die Dorfbewohner versanken in Kummer und Sorgen. Einige schimpften auf Geißler: dieser verfluchte Geißler habe ihnen wieder einen Possen gespielt; andere krochen zu einer Versammlung zusammen und schickten eine neue Gesandtschaft von Vertrauensmännern aus, diesmal zu der Grubengesellschaft, zu dem Ingenieur. Dieser Schritt führte zu gar nichts; der Ingenieur setzte ihnen auseinander, daß er mit der Arbeit auf der Südseite beginnen müsse, weil es von dort näher zum Meere sei, dort brauche man keine Luftbahn, dort sei fast gar kein Transport nötig. Nein, die Arbeit müsse aus der Südseite anfangen. Damit basta!

Da reiste Aronsen sofort hinüber auf das neue Arbeitsfeld zu der neuen Goldgrube. Er wollte auch den Ladendiener Andresen mitnehmen: Wozu willst du hier im Ödland bleiben? sagte er. Es ist viel besser für dich, wenn du mit mir .gehst. – Aber der Ladendiener Andresen wollte das Ödland nicht verlassen, es war unbegreiflich, aber es war gerade, als ob ihn etwas hier fesselte, es schien ihm hier zu gefallen, er war hier festgewurzelt. Andresen selbst mußte sich verändert haben, das Ödland hatte sich nicht geändert. Hier waren die Leute und die Verhältnisse noch genau so wie früher: der Bergwerksbetrieb war zwar aus der Gegend verschwunden, aber keiner der Ödlandbewohner hatte darüber den Kopf verloren, sie hatten ihre Landwirtschaft, ihre Ernten und ihren Viehbestand. Bares Geld gab es allerdings nicht so viel bei ihnen, sie hatten alle Lebensbedürfnisse, einfach alle. Nicht einmal Eleseus verzweifelte darüber, daß der Geldstrom an ihm vorüberfloß; das Schlimmste war, daß er in der ersten Begeisterung eine Menge unverkäuflicher Waren angeschafft hatte. Nun, die mußten eben vorläufig lagern bleiben, sie putzten den Laden heraus und dienten ihm zur Ehre.

Nein, der Ödlandbewohner verlor den Kopf nicht. Er fand die Luft nicht ungesund, hatte Bewunderer genug für seine neuen Kleider, er vermißte die Diamanten nicht, und Wein kannte er nur von der Hochzeit zu Kanaan. Der Ödlandbewohner quälte sich nicht wegen der Herrlichkeiten, auf die er verzichten mußte: Kunst, Zeitungen, Luxus, Politik waren gerade soviel wert, als die Menschen dafür bezahlen wollten, nicht mehr. Der Erntesegen aber mußte erarbeitet werden um jeden Preis, das war der Ursprung, die Quelle von allem und jedem.

Hamsun: Segen der Erde, 2. Teil Kapitel 9


10

Eine Frau wandert durch das Ödland hinauf. Es fällt ein milder Sommerregen, sie wird naß, aber darum kümmert sie sich nicht, sie hat anderes zu denken, sie ist sehr gespannt, ob – es ist Barbro, und keine andere, Barbro, Bredes Tochter. Jawohl, sie darf wohl gespannt sein, sie kann nicht wissen, wie dieses Abenteuer ablaufen wird, aber sie ist von der Frau Lensmann entlassen und ist fort aus dem Dorf. So steht es.

Sie macht einen Bogen um alle Ansiedlungen im Ödland herum, denn sie möchte alle Menschen vermeiden. Jedermann würde ja gleich erraten, wohin sie will, den sie trägt ein Bündel mit Kleidern auf dem Rücken. Jawohl, sie will nach Maaneland und will wieder dort bleiben.

Zehn Monate lang hat sie bei der Frau Lensmann gedient, und das ist keine kurze Zeit, wenn man sie in Tage und Nächte umrechnet, aber wenn man den Zwang und alle die hinausziehenden Gedanken bedenkt, dann ist es eine Ewigkeit. Im Anfang ging alles wirklich gut; Frau Heyerdahl war sehr besorgt um Barbro und gab ihr Schürzen und putzte sie heraus, es war eine Freude, in so schönen Kleidern in den Kaufladen geschickt zu werden. Barbro war ja schon als Kind hier im Dorf gewesen, sie kannte alle Leute von der Zeit her, wo sie hier in die Schule gegangen war und die Jungen geküßt und mit Steinen und Muscheln allerlei Spiele gespielt hatte. Ein paar Monate ging alles gut. Aber dann umsorgte die Frau Heyerdahl sie immer noch mehr, und als die Weihnachtsvergnügungen angingen, wurde Frau Heyerdahl streng. Aber wozu das alles, doch nur um das gute Verhältnis zu stören! Barbro hätte es überhaupt nicht ausgehalten, wenn sie nicht gewisse Nachtstunden für sich gehabt hätte: von zwei Uhr an bis morgens um sechs konnte sie ziemlich sicher sein, und sie gestattete sich manche verstohlene Freuden in diesen Stunden. Aber was für ein Mädchen war denn die Köchin, daß sie Barbro nicht anzeigte? Sie war das ganz gewöhnliche Dienstmädchen und ging selbst unerlaubterweise aus. Die beiden hielten abwechselnd Wache. [Das geht aber einmal schief, weil sie sich beide unwillentlich gegenseitig hineinreiten. Ohne diese Vergnügungen hält Barbro aber nichts mehr bei Frau Heyerdahl.

Während der Tage, die seither verflossen sind, hat sich Barbro bei ihren Eltern aufgehalten. Aber dort konnte sie nicht immer bleiben. O, es ging ihnen nicht schlecht, die Mutter trieb jetzt einen Kaffeeausschank, und es kamen immer viele Leute ins Haus; aber davon konnte Barbro nicht leben, und sie konnte ja auch andere gute Gründe haben, warum sie wieder in eine feste Stellung kommen wollte. So nahm sie also heute einen Sack mit Kleidern auf den Rücken und wanderte das Ödland hinauf. Nun kam es darauf an, ob Axel Ström sie wieder aufnehmen würde! Aber sie hatte am letzten Sonntag das Aufgebot verkünden lassen.

Es regnet, der Weg ist schmutzig, aber Barbro geht weiter. Es wird Abend, und da der Sankt Olafstag noch nicht gewesen ist, wird es nicht dunkel. Arme Barbro, sie schont sich nicht, sie hat eine bestimmte Absicht, sie hat ein Ziel, und so nimmt sie den ersten Kampf auf. Sie hat sich im Grunde niemals geschont, ist niemals träge gewesen, darum ist sie auch ein schönes und feines Geschöpf. Barbro hat eine leichte Auffassungsgabe, gebraucht sie jedoch oftmals zu ihrem eigenen Verderben. Was war auch anderes zu erwarten? Sie hat gelernt, sich von einer Not in die andere zu retten, aber sie hat verschiedene gute Eigenschaften behalten; der Tod eines Kindes ist ihr nichts, aber ein lebendes Kind könnte es gut bei ihr haben. Außerdem hat sie ein sehr musikalisches Ohr, sie klimpert weich und richtig auf der Gitarre und singt mit etwas heiserer Stimme dazu, was angenehm und etwas wehmütig anzuhören ist. Sich selbst schonen? Ho, so wenig, daß sie sich selbst völlig weggeworfen und den Verlust nicht einmal empfunden hatte. Dann und wann weinte sie, und das Herz wollte ihr über dies und jenes in ihrem Leben fast brechen; das gehört dazu, das kommt von den rührenden Liedern, die sie singt, das ist die Poesie und die süße Wonne der Wehmut in ihr, sie hat häufig sich selbst und andere damit angeführt. Hätte sie ihre Gitarre mit sich nehmen können, so hätte sie heute abend Axel etwas vorgeklimpert.

Sie richtet sich so ein, daß sie spät anlangt, und auf Maaneland ist alles still, als sie den Hofraum betritt. Sieh, Axel hat schon in der Nähe des Hauses mit dem Mähen begonnen und wahrhaftig auch schon etwas trockenes Heu eingefahren! Nun überlegt sich Barbro, die alte Oline werde drinnen in der Schlafkammer schlafen und Axel in der Heuscheune, wo sie selbst früher geschlafen hatte. Wie ein Dieb in der Nacht schleicht sie auf die bekannte Tür zu, dann ruft sie leise: Axel! – Was gibt's? antwortet Axel sofort. – Ich bin's nur, sagt Barbro und tritt zu ihm ein. Kannst du mich über Nacht hier behalten?

Axel schaut sie an, er ist etwas langsam, er sitzt in seinen Unterkleidern da und schaut sie an. So, du bist's? sagt er. Wo willst du hin? – Ja, das kommt nun zuerst darauf an, ob du eine Hilfe für die Sommerarbeit brauchst, erwidert sie. – Axel denkt darüber nach und fragt: Bleibst du nicht mehr dort, wo du gewesen bist? – Nein, bei Lensmanns hab ich Schluß gemacht. – Ich könnte recht gut eine Hilfe für die Sommerzeit brauchen, sagt Axel. Aber was soll das heißen, willst du etwa wiederkommen? – Nein, du brauchst dich gar nicht um mich zu kümmern, wehrt Barbro ab. Morgen geh ich weiter, ich geh nach Sellanraa und über die Berge, dort hab ich eine Stelle. – So, du hast dich verdingt? – Ja. – Ich könnte wohl eine Hilfe für den Sommer brauchen, wiederholt Axel.

Barbro ist ganz naß, sie hat Kleider in ihrem Bündel bei sich und muß sich umziehen. Kümmere dich gar nicht darum, daß ich hier bin, sagt Axel und weicht nur ein wenig nach der Tür zurück. Barbro zieht die nassen Kleider aus, und währenddessen sprechen sie miteinander und Axel dreht öfters den Kopf nach ihr um. – Aber jetzt mußt du ein wenig hinausgehen, sagt Barbro. – Hinausgehen? fragt er. Und es war auch wirklich kein Wetter zum Hinausgehen. Er steht da und sieht zu, wie sie immer nackter wird, er kann kein Auge von ihr abwenden; und wie gedankenlos Barbro ist, sie hätte gut immer ein trockenes Stück anlegen können, wenn sie das nasse abzog, aber das tat sie nicht. Ihr Hemd ist ganz dünn und klebt an ihrem Körper, sie knöpft es auf der einen Achsel auf und wendet sich um, sie ist sehr geübt. In diesem Augenblick schweigt Axel bums still, und sieht, daß sie nur einen Griff oder zwei braucht, um das Hemd abzuziehen. Das ist prachtvoll gemacht, denkt er. Und da bleibt sie nun ganz gedankenlos stehen.

Später liegen sie im Heu und unterhalten sich. Jawohl, er brauche eine Hilfe für den Sommer, das sei schon wahr. – Ja, so sagte man mir, stimmt Barbro bei. – Er habe auch in diesem Jahr wieder allein mit dem Mähen und Heumachen anfangen müssen, Barbro könne wohl verstehen, wie ratlos er sei. – Ja, Barbro verstand alles. – Andererseits sei es doch gerade Barbro gewesen, die damals davongelaufen sei und ihn ohne weibliche Hilfe zurückgelassen habe; das könne er nicht vergessen, und die Ringe habe sie auch mitgenommen. Und zu aller Schmach sei auch noch ihre Zeitung immer weiter gekommen, diese Bergensche Zeitung, die er gar nicht loswerden konnte, und er habe sie hinterher noch für ein ganzes Jahr bezahlen müssen. – Das war ja ein schändliches Blatt, sagte Barbro und stellte sich die ganze Zeit auf seine Seite. Aber bei so großer Willfährigkeit konnte auch Axel kein Unmensch sein, er gab zu, daß Barbro Grund gehabt haben könnte, sich auch über ihn zu ärgern, weil er die Aufsicht über die Telegraphenlinie ihrem Vater weggenommen hatte. Übrigens kann dein Vater den Telegraphen wieder haben, ich mache mir nichts daraus, es ist nur Zeitverlust. – Ja, sagte Barbro. – Axel überlegte eine Weile, dann fragte er geradezu: Ja, wie ist das, willst du nur den Sommer über bleiben? – Ach, das soll so werden, wie du es haben willst, entgegnete Barbro. – So, ist das deine aufrichtige Meinung? – Ja, genau was du willst, das will ich auch. Du brauchst nicht mehr an mir zu zweifeln. – So. – Nein. Und ich hab uns auch in der Kirche aufbieten lassen.

So. Das war keine schlimme Kunde. Axel blieb ruhig liegen und überlegte. Wenn es diesmal ernst war und nicht wieder ein schändlicher Verrat, so hatte er die eigene Frau im Hause, und es war ihm für alle Zeit geholfen. – Ich hätte eine Frau von daheim haben können, sagte er. Sie hat geschrieben, sie wolle mich haben. Aber ich hätte ihr die Rückreise von Amerika bezahlen müssen. – Barbro fragt: So, ist sie in Amerika? – Ja, sie ist voriges Jahr hingereist; aber es gefällt ihr nicht dort. – Nein, du mußt dich nicht um sie kümmern! erklärt Barbro. Was würde sonst aus mir? fragt sie und beginnt zu weinen. – Darum hab ich es auch nicht fest mit ihr gemacht, sagt Axel. [...]

11

Die Zeit vergeht, der Winter vergeht, es wird wieder Frühling. Natürlich mußte Isak eines Tages notwendig ins Dorf. Es wurde gefragt, was er dort wolle. Ich weiß es nicht recht, sagte er. Aber er putzte den Karren sehr rein, stellte den Sitz darauf und fuhr davon. Und natürlich hatte er verschiedentliche Eßwaren für Eleseus auf Storborg bei sich. Es fuhr ja kein Wagen von Sellanraa ab, der nicht irgend etwas für Eleseus mitnahm.

Wenn Isak das Ödland hinunterfuhr, so war das kein unbedeutendes Ereignis; er selbst tat es nur selten, Sivert pflegte es an seiner Statt zu tun. In den zwei ersten Ansiedlungen stehen die Leute unter der Gammentür und sagen zueinander: Das ist der Isak selbst, ich möchte nur wissen, warum er heute fährt. Als er nach Maaneland kommt, steht Barbro mit einem Kind auf dem Arm unter dem Fenster, und als sie ihn sieht, denkt sie: das ist der Isak selbst!

Er kommt nach Storborg und hält an: Prrr! Ist Eleseus daheim? – Eleseus kommt heraus. Jawohl, er ist daheim, er ist noch nicht abgereist, aber er will abreisen, er will seinen Frühlingsausflug nach den Städten im Süden antreten. – Da schickt dir die Mutter etwas, sagt der Vater. Ich weiß nicht, was es ist, es wird weiter nichts Besonderes sein. – Eleseus nimmt die Gefäße entgegen, dankt und fragt: Hast du nicht auch einen Brief oder so etwas? – Doch, antwortet der Vater und sucht in seinen Taschen. Er ist wohl von der kleinen Rebekka. – Eleseus bekommt den Brief, darauf hat er gewartet, er sieht, das er schön dick ist, und sagt zu seinem Vater: Es ist sehr schade, daß du so früh kommst, zwei Tage zu früh. Aber wenn du ein bißchen warten willst, kannst du meinen Koffer gleich mitnehmen.

Isak steigt ab und bindet das Pferd an. Dann macht er einen Gang über die Felder. Der kleine Ladendiener Andresen ist kein schlechter Landwirt auf Eleseus Grund und Boden, Sivert ist ihm allerdings mit den Pferden von Sellanraa zu Hilfe gekommen, aber er hat auch auf eigene Faust Moor entwässert und einen Mann zu Hilfe genommen, der die Gräben mit Steinen auslegte. In diesem Jahr braucht auf Storborg kein Futter gekauft zu werden, und im nächsten Jahr konnte sich Eleseus vielleicht ein eigenes Pferd halten. Das hatte er Andresens Freude an der Landwirtschaft zu verdanken. [...]

Endlich kommen sie zu den beiden Ansiedlungen, die am weitesten unten im Tal liegen, und man merkt jetzt wohl, daß man in der Nähe des Dorfes ist, auf beiden Neusiedlungen hängen wahrhaftig an dem kleinen Stubenfenster, das nach der Straße geht, weiße Vorhänge, und auf dem Dachfirst des Heubodens ist eine kleine Stange für die Flagge zu Ehren des siebzehnten Mai aufgepflanzt. – Das ist der Isak selbst, sagen die Leute der beiden Ansiedlungen, als sie die Reisenden sehen.

Endlich vermag Eleseus seine Gedanken so weit von seiner eigenen Person und seinen eigenen Angelegenheiten abzulenken, daß er fragt: Was hast du eigentlich heute vor? – Hm! eigentlich nichts Besonderes, erwidert sein Vater. Aber Eleseus reiste ja jedenfalls ab, so konnte es also nichts schaden, wenn er erfuhr, was der Vater vorhatte. – Die Jensine vom Schmied will ich holen, erklärte der Vater, ja, gesteht er wirklich zu. – Mußt du dir selbst die Mühe machen; hätte denn nicht Sivert fahren können? fragt Eleseus. – Seht, Eleseus verstand es nicht besser, er meinte also, Sivert werde Jensine mit dem Wagen wieder holen, nachdem sie einmal so hochmütig getan hatte und von Sellanraa fortgegangen war!

Nein, es war letztes Jahr mit dem Heumachen gar nicht gegangen. Inger hatte sich allerdings sehr darangehalten, wie sie versprochen hatte, Leopoldine tat auch ihre Arbeit, und dazu hatten sie auch den Heurechen, der von einem Pferd gezogen wurde. Aber das Heu war zum Teil schweres Timotheusgras und die Wiesen weit vom Hause entfernt. Sellanraa war jetzt ein großes Gut, die Frauen hatten dort anderes zu tun, als Heu zu machen; all das viele Vieh mußte versorgt werden, das Essen mußte zur rechten Zeit fertig sein, das Buttern und Käsemachen war zu besorgen, desgleichen das Waschen und das Backen, Mutter und Tochter schafften sich gar zu sehr ab. Einen solchen Sommer wollte Isak nicht noch einmal erleben, er bestimmte kurz und gut, daß Jensine wiederkommen solle, wenn sie zu haben sei. Inger hatte jetzt auch nichts mehr dagegen, sie hatte ihren Verstand wieder und sagte: Meinetwegen mach es, wie du willst. O, Inger war jetzt fügsamer geworden, es ist keine kleine Sache, wenn man seinen verlorenen Verstand wiederkriegt. Inger hatte keine heiße Glut mehr zu verstecken, keine innere Leidenschaft mehr im Zaum zu halten, der Winter hatte sie abgekühlt, sie hatte nur noch Glut genug für den Hausgebrauch. Sie fing jetzt an, an Körperfülle zuzunehmen, schön und stattlich sah sie aus. Es war merkwürdig, wie wenig sie alterte, sie wurde nicht stückweise alt und welk, vielleicht kam es daher; weil sie erst so spät aufgeblüht war. Gott mag wissen, woher alles kommt, nichts hat nur eine einzige Ursache, alles hat eine Ursachenreihe! Und hatte nicht Inger das größte Lob bei der Frau des Schmieds? Was konnte die Schmiedfrau ihr vorwerfen? Durch ihr verunziertes Gesicht war sie um ihren Lenz betrogen worden, später war sie in künstliche Luft versetzt worden, und dadurch waren ihr sechs Jahre ihres Sommers gestohlen; da sie aber doch heißes Blut hatte, mußte ihr Herbst wilde Schößlinge treiben. Inger ist besser als so eine Schmiedfrau, zwar ein bißchen beschädigt, ein bißchen verzerrt, aber eine gute Natur, eine tüchtige Natur ...

Vater und Sohn fahren weiter, sie fahren an Brede Olsens Herberge vor und führen das Pferd in den Schuppen. Es ist Abend geworden. Sie selbst gehen ins Haus.

Brede Olsen hat dieses Haus gemietet, es ist eigentlich ein Nebengebäude, das dem Kaufmann gehört, jetzt sind zwei Stuben und zwei Schlafkammern darin eingerichtet; es ist ganz erträglich, und die Lage ist gut, das Haus wird von Kaffeegästen besucht und außerdem von den Leuten in der Umgegend, die mit dem Postschiff fahren wollen.

Brede scheint wirklich einmal Glück gehabt zu haben, er ist auf den richtigen Platz gekommen, und das hat er seiner Frau zu verdanken. Bredes Frau kam auf den Gedanken, dieses Kaffeehaus und diese Herberge einzurichten, als sie während der Versteigerung auf Breidablick Kaffee verkaufte; das war damals sehr unterhaltend gewesen, es war angenehm, Münze zwischen den Fingern zu haben, bares Geld. Seit sie hierher gekommen sind, ist alles gut gegangen, die Frau verkauft jetzt im Ernst Kaffee und beherbergt allerlei Leute, die kein Dach über dem Kopf haben. Sie wird auch von den Reisenden recht gelobt. Natürlich ist ihre Tochter Katrine, die jetzt ein großes Mädchen und eine flinke Aufwärterin ist, eine gute Hilfe. Aber ebenso natürlich ist es nur eine Zeitfrage, bis wann die kleine Katrine nicht mehr im Hause ihrer Eltern sein und da aufwarten wird. Aber inzwischen geht es ganz ordentlich mit dem Umsatz, und das ist die Hauptsache. Der Anfang war entschieden gut gewesen und hätte noch besser sein können, wenn sich der Kaufmann genügend mit Brezeln und Spekulatius zum Kaffee vorgesehen hätte; da saßen nun alle Leute, die den siebzehnten Mai feiern wollten, und riefen vergebens nach Kuchen zum Kaffee: Kaffeekuchen! Da lernte es der Kaufmann, sich mit Backwaren für die Feste des Dorfes zu versehen.

Brede und die ganze Familie leben von diesem Betrieb, so gut es geht. Zu gar vielen Mahlzeiten gibt es nichts als Kaffee mit übriggebliebenem Kaffeekuchen, aber auch das hält Leib und Seele zusammen, und die Kinder bekommen davon ein feines, ja sozusagen ein verfeinertes Aussehen. Es haben nicht alle Kuchen zum Kaffee! sagten die Leute im Dorf. Der Familie Brede scheint es gut zu gehen, sie halten sogar einen Hund, der bei den Gästen herumschleicht, Bissen erschnappt und fett wird. Was ist doch so ein fetter Hund eine Anpreisung für die Verpflegung in einer Herberge!

Brede Olsen nimmt also die Stelle des Hausherrn in diesem Betrieb ein und hat sich auch nebenher emporgearbeitet. Er ist wieder der Begleiter und Amtsdiener des Lensmannes geworden und hatte in dieser Stellung eine Zeitlang viel zu tun. Aber letzten Herbst hat seine Tochter Barbro mit der Frau Lensmann Streit bekommen, wegen einer Kleinigkeit, gerade herausgesagt, wegen einer Laus, und seit der Zeit ist auch Brede bei der Herrschaft nicht mehr gern gesehen. Aber Brede hat dadurch nicht viel verloren, er hat andere Herrschaften, die ihn, gerade um die Frau Lensmann zu ärgern, aufsuchen, so daß er als Doktorskutscher ein gesuchter Mann ist, und die Frau Pfarrer hat gar nicht so viele Schweine, als sie Brede gerne schlachten lassen würde, – das sind seine eigenen Worte.

Manchmal ist allerdings auch jetzt noch bei der Familie Brede Schmalhans Küchenmeister, und nicht alle sind so fett wie der Hund. Aber Gott sei Dank, Brede hat einen leichten Sinn: Die Kinder werden alle Tage größer, sagt er, obgleich auch immer wieder neue kleine dazu kommen. Die Großen, die fortgezogen sind, sorgen ja nun für sich selbst und schicken zuweilen auch eine Kleinigkeit nach Hause. Barbro ist auf Maaneland verheiratet, und Helge ist beim Heringsfang, sie geben den Eltern Waren oder Geld, wenn sie es möglich machen können, ja sogar Katrine, die zu Hause die Gäste bedient, hat im Winter einmal, als es recht trübe aussah, ihrem Vater einen Fünfkronenschein zustecken können. [...]

Eleseus ist an das Leben in Gasthäusern gewöhnt, er macht sich's bequem, hängt seinen Überzieher und seinen Stock auf und verlangt Kaffee. Etwas zu essen hat der Vater mit. Katrine kommt mit Kaffee. – Nein, ihr dürft nichts bezahlen, erklärt Brede. Ich bin schon so oft in Sellanraa bewirtet worden, und bei Eleseus stehe ich auch im Schuldbuch. Du nimmst keinen Öre, Katrine! – Aber Eleseus bezahlt, er zieht den Beutel und bezahlt und gibt noch zwanzig Öre Trinkgeld. Nichts da! Kein Geschwätz!

Isak geht zum Schmied, und Eleseus setzt sich wieder.

Mit Katrine spricht er das Notwendigste, aber nicht mehr, er unterhält sich lieber mit ihrem Vater. Nein, Eleseus macht sich nichts aus den Mädchen, er ist einmal von ihnen schlecht behandelt worden, und jetzt will er nichts mehr von ihnen wissen. Vielleicht hat er überhaupt nie einen Liebesdrang gehabt, der der Rede wert gewesen wäre, da er sich gar nicht um sie kümmert. Ein wunderbarer Mann im Ödland, ein Herr mit schmächtigen Schreiberhänden und ganz weiblichem Sinn für Putz und Regenschirm und Spazierstock und Gummischuhe. Verschroben, verdreht, ein unverständlicher Junggeselle. Auf seiner Oberlippe will nicht einmal ein rechter Bart wachsen. Aber vielleicht hatte dieser Junge einmal gute Anlagen gehabt, war einmal von Natur ordentlich ausgesteuert gewesen, war aber dann in unnatürliche Verhältnisse gekommen und zum Wechselbalg geworden. Ist er so fleißig auf einem Bureau und in einem Kaufladen gewesen, daß all seine Ursprünglichkeit verloren gegangen ist? Vielleicht war es so. Jedenfalls ist er nun da, gewandt und leidenschaftslos, etwas schwächlich, etwas gleichgültig, und geht weiter und weiter auf seinem Abweg. Er könnte jeden einzelnen Mann im Ödland beneiden, allein nicht einmal dazu ist er imstande. [...]

Gebt doch dem Hund nichts! sagte Brede. – Aber Eleseus war wieder ein bißchen Mensch geworden und spielte sich auf. Das ist einmal ein riesig fetter Hund! sagte er.

Von dem einen Gedanken kam er auf den andern, er brach die Unterhaltung mit Brede ab und ging hinaus, ging in den Schuppen zu dem Pferd. Dort machte er den Brief auf, den er in der Tasche hatte. Er hatte ihn nur eingesteckt und nicht nachgesehen, wieviel Geld er enthielt, er hatte solche Briefe von zu Hause schon öfters erhalten, und es waren immer verschiedene Geldscheine darin gewesen, eine Beisteuer zu der Reise. Was war aber jetzt das? Ein großes Stück graues Papier, über und über bemalt von der kleinen Rebekka für ihren lieben Bruder Eleseus, dabei ein Briefchen von der Mutter. Was sonst noch? Nichts mehr. Kein Geld.

Die Mutter schrieb, sie habe den Vater nicht mehr um Geld bitten können, denn es sei jetzt von dem Reichtum, den sie seinerzeit für den Kupferberg bekommen hätten, nicht mehr viel übrig. Das Geld sei für den Ankauf von Storborg und seither für alle die Waren und für die vielen Reisen draufgegangen. Nun müsse er versuchen, sich das Geld für die Reise diesmal selbst zu beschaffen, denn das Geld, das jetzt noch da sei, müßten seine Geschwister bekommen, die dürften auch nicht ganz leer ausgehen. Glückliche Reise und herzliche Grüße!

Kein Geld.

Eleseus hatte selbst nicht genug Geld für die Reise, er hatte seine Ladenkasse umgekehrt, aber nicht viel darin gefunden. Ach, wie dumm war er gewesen, er hatte erst neulich seinem Lieferanten in Bergen einen Geldbrief geschickt und einige Rechnungen bezahlt. Das hätte warten können. Natürlich war es auch allzu sorglos von ihm gewesen, sich auf den Weg zu machen, ohne vorher den Brief zu öffnen, da hätte er sich die Wagenfahrt ins Dorf mit seinem elenden Koffer sparen können. Jetzt stand er da ...

Der Vater kam vom Schmied zurück mit wohlgelungener Besorgung: Jensine wollte morgen mit ihm kommen. Seht, Jensine war durchaus nicht querköpfig gewesen und hatte sich nicht lange bitten lassen, sie hatte sofort begriffen, daß man auf Sellanraa eine Hilfe für die Sommerarbeit brauchte und hatte nichts dagegen, wiederzukommen. Wieder ein glatter Bescheid.

Während der Vater erzählt, denkt Eleseus über seine eigenen Angelegenheiten nach. Er zeigt dem Vater den Koffer des Amerikaners und sagt: Ich wäre froh, wenn ich da stünde, wo dieser Koffer hergekommen ist! – Und der Vater erwidert: Ja, das wäre noch nicht das Schlimmste ...

Am nächsten Morgen macht sich der Vater zur Heimfahrt bereit; er frühstückt, spannt an und fährt beim Schmied vor, um Jensine und ihre Truhe abzuholen. Eleseus sieht ihnen lange nach, und als der Wagen im Walde verschwunden ist, bezahlt er in der Herberge und gibt wieder ein Trinkgeld. Laß meinen Koffer dastehen, bis ich zurückkomme, sagt er zu Katrine und geht fort.

Wo geht Eleseus hin? Er hat nur einen Ort, wo er hingehen kann, er dreht um, er muß in sein Heim zurückkehren. Er nimmt den Weg hinauf unter die Füße und gibt sich Mühe, dem Vater und Jensine so nahe als möglich zu bleiben, ohne von ihnen gesehen zu werden. Er geht und geht, und jetzt fängt er wirklich an, jeden einzelnen Ödlandbauern zu beneiden.

Es ist schade um Eleseus, er ist vom Leben so verdreht worden.

Betreibt er denn nicht auf Storborg einen Kaufladen? Jawohl, aber dort Herr zu sein, das will doch gar nichts heißen, er macht zu viele vergnügliche Reisen, um Geschäftsverbindungen anzuknüpfen, die kosten zuviel, er reist nicht billig. Nur nicht kleinlich sein! sagt Eleseus und gibt zwanzig Öre Trinkgeld, wo zehn auch genug wären. Diesen flotten Herrn kann sein Geschäft nicht erhalten, er braucht Zuschuß von zu Hause. Jetzt erntet man auf Storborg Kartoffeln, Heu und Korn für den Haushalt, aber der Belag aufs Brot muß von Sellanraa kommen. Ist das alles? Sivert muß alle Waren umsonst von der Küste herauffahren. Ist das jetzt alles? Die Mutter muß ihm vom Vater das Geld zu seinen Reisen verschaffen. Ist das jetzt alles?

Das Schlimmste kommt noch.

Eleseus betreibt sein Geschäft wie ein Narr. Er fühlt sich so geschmeichelt, wenn die Leute aus dem Dorf zu ihm heraufkommen, um einzukaufen, daß er ihnen gern auf Borg gibt. Und als das einmal bekannt wird, kommen mehr und immer mehr und kaufen auf Borg, Eleseus ist entgegenkommend und borgt, sein Laden wird leer und füllt sich wieder. Das alles kostet Geld. Wer bezahlt? Der Vater.

Im Anfang war die Mutter seine gläubige Fürsprecherin: Eleseus sei der helle Kopf in der Familie, man müsse ihm ordentlich vorwärts helfen. Bedenke nur, wie billig er Storborg bekommen hat, und wie er gleich haarscharf sagte, was er dafür geben wolle! Wenn der Vater meinte, Eleseus' Geschäft sei allmählich die reine Komödie, so erwiderte seine Mutter: Was ist das für ein Geschwätz! und sie gebrauchte so deutliche Redensarten, daß es war, als sei der gute Isak Eleseus gegenüber doch gar zu familiär geworden.

Seht, die Mutter war selbst weggewesen und hatte Reisen gemacht, sie begriff, daß Eleseus hier im Ödland nicht recht gedeihen konnte, er war an feinere Sitten gewöhnt, hatte sich in allerlei Gesellschaftskreisen bewegt, und hier fehlten ihm Ebenbürtige. Allerdings, er borgte armen Leuten zuviel; aber das tat Eleseus nicht aus Bosheit und um seine Eltern zu ruinieren, er tat es aus guter und vornehmer Veranlagung, er hatte den Drang, den Leuten, die unter ihm standen, zu helfen. Du liebe Zeit, er war der einzige Mensch im Ödland mit einem weißen Taschentuch, das fortwährend gewaschen werden mußte. Wenn sich die Leute vertrauensvoll an ihn wandten und um Kredit baten und er hätte Nein gesagt, so hätte das mißverstanden werden können, als sei er nicht der ausgezeichnete Mensch für den er galt. Außerdem hatte er auch Pflichten als der Städter und das Genie unter den Bewohnern des Ödlandes.

Dies alles zog die Mutter wohl in Betracht.

Aber der Vater, der davon keinen Deut begriff, öffnete ihr eines Tages die Augen und die Ohren und sagte: Sieh her, das ist jetzt der Rest von dem Geld für das Kupferbergwerk. – So so, sagte sie. Und wo ist denn das andere hingekommen? – Das hat alles Eleseus bekommen. – Da schlug sie die Hände zusammen und rief: Dann soll er endlich einmal seinen Verstand gebrauchen!

Armer Eleseus, er ist zerfahren und verpfuscht. Er hätte Ödlandbauer bleiben sollen, jetzt ist er ein Mensch, der Buchstaben zu schreiben gelernt hat, er hat keinen Unternehmungsgeist, keine Tiefe. Aber ein kohlschwarzer Teufelskerl ist er auch nicht, er ist nicht verliebt und nicht ehrgeizig, er ist eigentlich gar nichts, nicht einmal ein großer Übeltäter.

Der junge Mann hatte etwas Unglückliches, etwas Verurteiltes an sich, wie wenn er in seinem Innern Schaden genommen hätte. Der gute Bezirksingenieur aus der Stadt hätte ihn lieber in seiner Jugend nicht entdecken, ihn nicht zu sich nehmen und nicht etwas aus ihm machen sollen, da wurden dem Kinde die Wurzeln abgerissen und es fuhr schlecht dabei. Alles, was er jetzt vornimmt, läßt einen Schaden bei ihm erkennen, etwas Dunkles auf hellem Grunde ...

Eleseus geht und geht. Die beiden auf dem Wagen sind an Storborg vorbeigefahren. Eleseus macht einen Bogen darum herum und wandert auch an Storborg vorbei; was sollte er daheim in seinem Kaufladen? Die zwei auf dem Wagen kamen mit Anbruch der Nacht auf Sellanraa an, Eleseus ist ihnen dicht auf den Fersen. Er sieht daß Sivert auf den Hofplatz herauskommt und verwundert Jensine betrachtet; die beiden geben einander die Hand und lachen ein wenig, dann nimmt Sivert das Pferd am Zügel und führt es in den Stall.

Jetzt wagt sich auch Eleseus hervor, er, der Stolz der Familie wagt sich hervor. Er geht nicht, er schleicht, er trifft Sivert im Stall. Ich bin's nur, sagt er. – Was, du bist auch da! ruft Sivert und ist von neuem verwundert.

Die beiden Brüder reden leise miteinander, es handelt sich darum, ob Sivert wohl die Mutter dazu bringen kann, Geld herbeizuschaffen, eine Rettung, Reisegeld. So wie jetzt könne es nicht weitergehen.

Eleseus habe es jetzt satt, er habe schon oft daran gedacht, und heute nacht solle es nun geschehen, eine lange Reise, Amerika, jetzt in dieser Nacht noch. – Amerika! sagt Sivert laut. – Pst! Ich habe schon oft daran gedacht, jetzt mußt du die Mutter dazu bringen, es geht so nicht weiter, ich habe schon oft daran gedacht. – Aber Amerika! sagt Sivert. Nein, das darfst du nicht tun. – Unbedingt! Ich gehe auf der Stelle wieder zurück, ich erreiche das Postschiff noch. – Du wirst doch wohl vorher etwas essen? – Ich bin nicht hungrig. – Willst du nicht ein wenig schlafen? – Nein.

Sivert will seinem Bruder wohl und sucht ihn zurückzuhalten, allein Eleseus ist standhaft, zum erstenmal standhaft. Sivert ist ganz verwirrt, zuerst, als er Jensine sah, war ihm schon ein wenig sonderbar zumut geworden, und nun will Eleseus das Ödland vollständig verlassen, sozusagen diese Welt verlassen. – Was willst du mit Storborg anfangen? fragt er. – Andresen kann es haben, antwortet Eleseus. – Andresen kann es haben, wieso denn? – Bekommt er denn nicht Leopoldine? – Das weiß ich nicht. Doch das kann wohl sein.

Sie reden und reden immer leise weiter. Sivert meinte, es wäre am besten, wenn der Vater selbst herauskäme, so daß Eleseus mit ihm reden könnte; aber Nein, nein! flüstert Eleseus zurück. Nein, das könne er nicht; er hat es noch nie vermocht. Gefahren von solcher Art ins Angesicht zu schauen, er hat stets einen Vermittler nötig gehabt. Sivert sagt: Du weißt ja, wie die Mutter ist. Mit ihr kommst du nicht weiter vor lauter Tränen und Zuständen, sie darf es nicht wissen. – Nein, sagt auch Eleseus, sie darf es nicht wissen. [...]

Die Brüder wandern zusammen den Weg hinunter, und nach einer Weile setzen sie sich und essen. Eleseus ist hungrig, er kann kaum ersättigt werden. Es ist die herrlichste Frühlingsnacht, auf allen Hügeln balzen die Auerhähne, und dieser heimische Laut macht den Auswanderer einen Augenblick verzagt. Es ist schönes Wetter, sagt er. Aber jetzt mußt du umdrehen, Sivert. – So, sagt Sivert und geht weiter. – Sie kommen an Storborg vorbei, an Breidablick vorbei, die Auerhähne balzen auf dem ganzen Weg auf dem und jenem Hügel; es ist keine Hornmusik wie in den Städten, nein, aber es sind Stimmen, das öffentliche Aufgebot, das den Frühling verkündigt. Plötzlich hören sie den ersten Singvogel vom Gipfel eines Baumes, er weckt auch andere, sie fragen und antworten von allen Seiten, das ist mehr als ein Gesang, das ist ein Lobgesang. Der Auswanderer fühlt etwas Heimweh in sich aufsteigen, etwas Hilfloses, er soll nach Amerika, niemand ist dazu so reif wie er. – Aber jetzt mußt du umkehren, Sivert, sagt er. – Ja, erwiderte der Bruder, da du es durchaus willst.

Sie setzen sich am Waldrand nieder und sehen das Dorf vor sich liegen, den Kaufladen, den Landungsplatz, Bredes Herberge. Beim Postschiff laufen einige Leute hin und her und machen sich zur Abreise fertig.

Ich habe keine Zeit mehr, noch länger hier sitzen zu bleiben, sagt Eleseus und steht wieder auf. – Es ist recht schade, daß du so weit fortgehst, sagt Sivert. – Eleseus erwidert: Aber ich komme wieder. Und dann reise ich nicht bloß mit einem Wachstuchkoffer.

Als sie einander Lebewohl sagen, steckt Sivert dem Bruder ein kleines Ding zu, etwas, das in Papier gewickelt ist. – Was ist das? fragt Eleseus. – Sivert entgegnet: Schreib auch fleißig! dann geht er.

Eleseus macht das Papier auf und sieht nach: es ist das Goldstück, die zwanzig Kronen in Gold. – Nein, das sollst du mir nicht geben! ruft er dem Bruder nach. – Aber Sivert geht weiter.

Er geht eine Weile, dann dreht er um und setzt sich wieder am Waldrand nieder. Um das Postschiff her wird es immer lebhafter, er sieht, wie die Leute an Bord gehen, auch sein Bruder geht an Bord, und das Schiff fährt ab. Da reist Eleseus nach Amerika.

Er kam niemals wieder. (Hamsun: Segen der Erde 2. Teil, Kapitel 10 und 11]


12 [...]

Plötzlich wird Sivert von jemand angerufen. Die Stadt ist also doch nicht völlig verlassen, nicht ganz ausgestorben. Ein Mann an einer Hausecke winkt ihnen. Sivert schwankt mit seiner Last auf ihn zu und erkennt sofort, wer es ist: Es ist Geißler.

Ein merkwürdiges Zusammentreffen! sagt Geißler. Er hat ein blühend rosiges Gesicht, aber seine Augen scheinen in der hellen Frühlingssonne Schaden gelitten zu haben, denn er trägt einen grauen Zwicker. Er spricht lebhaft wie immer. Ein glückliches Zusammentreffen! sagt er. Das spart mir den Weg nach Sellanraa, ich habe soviel zu besorgen. Wie viele Ansiedlungen sind jetzt dort auf der Allmende? – Zehn. – Zehn Ansiedlungen? Das gefällt mir, da bin ich zufrieden. Zweiunddreißigtausend solche Männer wie dein Vater sollten im Lande sein, ich hab es ausgerechnet! sagt er und nickt dazu.

Kommst du, Sivert? ruft die Karawane. – Geißler horcht auf und antwortet rasch: Nein! – Ich komme nach! ruft Sivert und legt seine Last ab.

Die beiden setzen sich und reden zusammen; über Geißler ist der Geist gekommen, und er schweigt nur, so oft Sivert eine kurze Antwort gibt, dann legt er wieder los: Ein ganz einzigartiges Zusammentreffen! Ich komme gar nicht davon weg! Meine ganze Reise ist so ausgezeichnet verlaufen, und nun treffe ich dich auch noch hier und kann mir den Umweg über Sellanraa sparen! Wie geht's zu Hause? – Dank der Nachfrage. – Habt ihr schon den Heuboden auf dem steinernen Stallgebäude aufgeschlagen? – Ja. – Ja, ich bin sehr überlastet, die Geschäfte wachsen mir allmählich über den Kopf. Sieh dir doch einmal an, wo wir jetzt sitzen, lieber Sivert? Auf der Ruine einer Stadt. Die haben nun die Menschen ihrem eigenen Vorteil gerade entgegen aufgebaut. Eigentlich bin ich die Ursache von dem allem, das heißt, ich bin einer der Vermittler in einem kleinen Komödienspiel des Schicksals. Es hat damit angefangen, daß dein Vater im Gebirge einige Steine fand und dich damit spielen ließ, als du noch ein Kind warst. Damit hat es angefangen. Ich wußte ganz genau, daß diese Steine nur den Wert hatten, den die Menschen ihnen beilegten; gut, ich setzte einen Preis dafür fest und kaufte sie. Von da an gingen die Steine von Hand zu Hand und plünderten die Leute aus. Die Zeit verging. Vor einigen Tagen bin ich hier heraufgekommen, und weißt du, was ich hier will? Die Steine wieder zurückkaufen!

Geißler schweigt und schaut Sivert an. Dabei fällt ihm auch der große Sack in die Augen und er fragt plötzlich: Was hast du da? – Waren, antwortet Sivert. Wir wollen damit hinunter ins Kirchspiel.

Geißler bezeugt keine besondere Teilnahme für diese Antwort, er hat sie vielleicht gar nicht gehört, er fährt fort: Ich will also die Steine zurückkaufen. Das letztemal ließ ich meinen Sohn verkaufen, der ist ein junger Mann deines Alters und weiter nichts. Er ist der Blitz in der Familie, ich bin der Nebel. Ich gehöre zu denen, die das Rechte wissen, aber es nicht tun. Er ist der Blitz, zur Zeit hat er sich in den Dienst der Industrie gestellt. Er hat das letztemal in meinem Namen verkauft. Ich bin etwas, aber er ist nichts, er ist nur der Blitz, der rasche Mann der Gegenwart. Aber der Blitz als solcher ist unfruchtbar. Nehmen wir einmal euch Leute auf Sellanraa. Ihr seht alle Tage blaue Berge vor euch; das sind keine erfundenen Dinge, das sind alte Berge, die stehen da seit alter grauer Vorzeit, aber sie sind eure Kameraden. So geht ihr zusammen mit Himmel und Erde, seid eins mit ihnen, seid eins mit dieser Weite und seid bodenständig. Ihr braucht kein Schwert in der Faust, ihr geht unbewehrten Hauptes und mit unbewehrter Faust durchs Leben, umgeben von großer Freundlichkeit. Sieh, da ist die Natur, sie gehört dir und den Deinen. Der Mensch und die Natur bekämpfen einander nicht, sie geben einander recht, sie treten nicht in Wettbewerb, laufen nicht um die Wette irgendeinem Vorurteil nach, sie gehen Hand in Hand. Mitten drin geht ihr Leute auf Sellanraa und gedeiht. Die Berge, der Wald, die Moore, die Matten, der Himmel und die Sterne – ach, das alles ist nicht armselig und karg zugemessen, das ist ohne alles Maß! Hör auf mich, Sivert, sei zufrieden mit deinem Los! Ihr habt alles, was ihr zum Leben braucht, alles, wofür ihr lebt, ihr werdet geboren und erzeugt neue Geschlechter, ihr seid notwendig auf der Erde. Das sind nicht alle, aber ihr seid es: notwendig auf der Erde. Ihr erhaltet das Leben. Bei euch folgt ein Geschlecht dem andern, wenn das eine stirbt, tritt das nächste an seine Stelle. Das eben ist unter dem ewigen Leben zu verstehen. Und was habt ihr dafür? Ein Dasein in Recht und Gerechtigkeit, ein Dasein in wahrer und aufrichtiger Stellung zu allem. Was habt ihr weiter dafür? Nichts unterjocht und beherrscht euch Leute von Sellanraa, ihr habt Ruhe und Macht und Gewalt, ihr seid umschlossen von der großen Freundlichkeit. Das habt ihr dafür. Ihr liegt an einem warmen Busen und spielt mit einer weichen Mutterhand und trinkt euch satt. Ich denke an deinen Vater, er ist einer von den zweiunddreißigtausend. Was ist so mancher andere? Ich bin etwas, ich bin der Nebel, ich bin hier und ich bin dort, ich woge hin und her, zuweilen bin ich der Regen auf einer dürren Stätte. Aber die anderen? Mein Sohn ist der Blitz, der eigentlich nichts ist, ein nutzloses Aufleuchten, er kann Handel treiben. Mein Sohn ist der Typus des Menschen unserer Zeit, er glaubt aufrichtig an das, was die Zeit ihn gelehrt hat, was der Jude und der Janker ihn gelehrt haben; ich jedoch schüttle den Kopf dazu. Aber ich bin nichts Geheimnisvolles, nur in meiner eigenen Familie bin ich der Nebel, da sitze ich und schüttle den Kopf. Die Sache ist die, mir fehlt die Gabe zu einem reuelosen Handeln. Hätte ich diese Gabe, dann könnte ich selbst der Blitz sein. So bin ich der Nebel.

Plötzlich kommt Geißler gleichsam wieder zu sich und fragt: Habt ihr den Heuboden auf eurem steinernen Stallgebäude aufgeschlagen? – Ja. Und der Vater hat auch noch ein Wohnhaus gebaut. – Noch ein Wohnhaus? – Ja, für den Fall, daß jemand kommt, sagt er, für den Fall, daß der Geißler kommt, sagt er. – Geißler denkt darüber nach und erklärt: Dann muß ich gewiß kommen. Doch, dann komm ich, sag das deinem Vater. Aber ich habe so viele Geschäfte. Jetzt bin ich hier heraufgekommen und habe zu dem Ingenieur gesagt: Grüßen Sie die Herren in Schweden und sagen Sie, ich sei Käufer. Und nun müssen wir sehen, was daraus wird. Mir ist es einerlei, ich habe keine Eile. Du hättest den Ingenieur sehen sollen! Er hat hier den Betrieb im Gang gehalten mit Menschen und Pferden und Geld und Maschinen und allem Zeug, er glaubte, das Rechte zu tun, er wußte es nicht anders. Er meint, je mehr Steine er zu Geld mache, desto besser sei es und er tue etwas Verdienstvolles damit, daß er dem Kirchspiel, daß er dem Lande Geld verschafft, es rast mit ihm immer mehr dem Untergang entgegen und er merkt es nicht. Nicht Geld braucht das Land, das Land hat Geld mehr als genug. Solche Männer, wie dein Vater einer ist, davon hat es nicht genug. Wenn man bedenkt, daß sie das Mittel zum Zweck machen und stolz darauf sind! Sie sind krank und verrückt, sie arbeiten nicht, sie kennen den Pflug nicht, sie kennen nur den Würfel. Haben sie denn keine Verdienste, sie reiben sich ja auf mit ihrer Narretei? Sieh sie an, setzen sie denn nicht ihr alles ein? Der Fehler dabei ist nur, daß dieses Spiel nicht Übermut ist, nicht einmal Mut, es ist Schrecken. Weißt du, was Glücksspiel ist? Es ist Angst, die einem den Schweiß auf die Stirne treibt, das ist es. Der Fehler ist, daß sie nicht im Takt mit dem Leben schreiten wollen, sie wollen rascher gehen als das Leben, sie jagen, sie treiben sich selbst wie Keile ins Leben hinein. Aber dann sagen ja ihre Flanken – halt, es knackt, such einen Ausweg, halt inne, die Flanken! Dann zerbricht sie das Leben, höflich, aber bestimmt. Und dann beginnen die Klagen über das Leben, das Toben gegen das Leben. Jeder nach seinem Gefallen, einige haben wohl Grund zur Klage, andere nicht, aber niemand sollte gegen das Leben toben. Man sollte das Leben nicht hart und streng und gerecht beurteilen, man sollte barmherzig gegen es sein und es verteidigen: bedenke doch, mit welchen Mitspielern das Leben sein Spiel spielen muß!

Geißler kommt wieder zu sich und sagt: Wir wollen das auf sich beruhen lassen. Er ist augenscheinlich müde, er gähnt. Willst du hinunter? fragt er. – Ja. – Das eilt nicht. Du bist mir noch einen weiten Gang über die Berge schuldig, lieber Sivert, weißt du noch? Ich erinnere mich noch an alles und jedes. Ich erinnere mich noch, wie ich anderthalb Jahre alt war: Da stand ich schwankend auf der Scheunenbrücke auf dem Hof Garmo in Lom und roch einen bestimmten Geruch. Diesen Geruch kenne ich immer noch. Aber wir wollen auch das auf sich beruhen lassen. Wir hätten jetzt den Gang über die Berge machen können, wenn du nicht den Sack da tragen müßtest. Was hast du in dem Sack? – Waren. Andresen will sie verkaufen. – Ich bin also ein Mann, der das Richtige weiß, aber es nicht tut, sagt Geißler. Das ist buchstäblich zu verstehen. Ich bin der Nebel. An einem der nächsten Tage kaufe ich vielleicht den Berg wieder, das ist gar nicht unmöglich. Aber in diesem Falle stelle ich mich nicht hin, schaue in die Luft und sage: Luftbahn, Südamerika! Das ist etwas für Glücksspieler. Die Leute hier meinen, ich sei der leibhaftige Teufel, weil ich wußte, daß es hier einen Krach geben werde. Aber es ist nichts Geheimnisvolles an mir, die ganze Sache ist sehr einfach: die neuen Kupferlager in Montana. Die Yankees sind schlauere Spieler als wir, die schlagen uns mit ihrem Wettbewerb in Südamerika tot. Unser Erz ist zu arm. Mein Sohn ist der Blitz, er hörte ein Vögelchen davon singen, da bin ich hergeschwommen. So einfach ist es. Ich war nur den Herren in Schweden ein paar Stunden voraus, das ist alles.

Geißler gähnt wieder, steht auf und sagt: Wenn du hinunter willst, so wollen wir jetzt gehen.

Sie gehen miteinander den Berg hinunter, Geißler stapft hinterdrein und ist schlapp und müde. Die Karawane hat am Landungsplatz haltgemacht, der muntere Fredrik Ström ist dabei, Aronsen steigen zu lassen. Ich habe keinen Tabak mehr, habt ihr Tabak? – Ich werd dir Tabak geben! ruft Aronsen. – Fredrik lacht und tröstet ihn: Nehmt es doch nicht so schwer, Aronsen! Wir wollen jetzt nur diese Waren vor Euren Augen verkaufen, dann gehen wir wieder heim. – Halt deinen ungewaschenen Mund! ruft Aronsen erbost. – Hahaha, nein, Ihr sollt nicht so aufgeregt umherlaufen, Ihr sollt wie eine ruhige Landschaft sein!

Geißler ist müde, sehr müde, nicht einmal der graue Zwicker hilft mehr, die Augen wollen ihm in dem hellen Frühlingsschein zufallen. Leb wohl, lieber Sivert! sagt er plötzlich. Nein, ich kann diesmal doch nicht nach Sellanraa kommen, sag das deinem Vater. Ich habe so viel zu besorgen. Aber sag ihm, daß ich später einmal komme. – [...]

Dort schreitet Isak übers Feld und sät, er ist ein Mühlengeist von Gestalt, ein Klotz. Er trägt hausgewebte Kleider, die Wolle stammt von seinen eigenen Schafen, die Stiefel stammen von seinen eigenen Kälbern und Kühen. Er geht nach frommer Sitte barhaupt, während er sät, auf dem Wirbel ist er kahl, sonst aber überaus haarig, ein ganzer Kranz von Haar und Bart steht um seinen Kopf. Das ist Isak der Markgraf.

Er wußte selten das genaue Datum, wozu hätte er es wissen sollen? Er hatte keine Papiere einzulösen. Die Kreuze im Kalender zeigten an, wann jede Kuh kalben sollte. Aber er wußte, daß bis zum Sankt Olafstag im Herbst alles Heu hereingebracht sein mußte, und er wußte, wann im Frühjahr der Viehmarkt war und daß drei Wochen danach der Bär aus seiner Höhle ging. Da mußte die Saat in der Erde sein. Das Notwendige wußte er.

Er ist Ödlandbauer bis in die Knochen und Landwirt vom Scheitel bis zur Sohle. Ein Wiedererstandener aus der Vorzeit, der in die Zukunft hinausdeutet, ein Mann aus der ersten Zeit des Ackerbaus, ein Landnamsmann, neunhundert Jahre alt und doch auch wieder der Mann des Tages.

Nein, er hatte nichts mehr übrig von dem Geld für den Kupferberg, das war in alle Winde verflogen. Und wer hatte jetzt noch etwas davon, da der Berg wieder verlassen war? Aber die Allmende liegt da und trägt zehn Neusiedlungen und wartet auf weitere Hunderte.

Wächst und gedeiht hier nichts? Hier wächst und gedeiht alles, Menschen und Tiere und die Früchte des Feldes. Isak sät. Die Abendsonne bescheint das Korn, er streut es im Bogen aus seiner Hand, und wie ein Goldregen sinkt es auf die Erde. Da kommt Sivert und eggt, nachher walzt er, dann eggt er wieder. Der Wald und die Berge stehen da und schauen zu, alles ist Macht und die Hoheit, hier ist ein Zusammenhang und ein Ziel.

Klingeling! sagen die Kuhglocken auf den Halden, sie kommen näher und näher, das Vieh zieht seinem Stalle zu. Es sind fünfzehn Kühe und fünfundvierzig Stück Kleinvieh, im ganzen sechzig Stück Vieh. Da gehen die Frauen mit ihren Melkkübeln dem Sommerstall zu, sie tragen sie am Joch über den Schultern, es ist Leopoldine, Jensine und die kleine Rebekka. Alle drei gehen barfuß. Die Markgräfin, Inger selbst, ist nicht mit dabei, sie ist im Haus, sie kocht das Abendessen; hoch und stattlich schreitet sie durch ihr Haus, eine Vestalin, die das Feuer in einem Kochherd unterhält. Nun, Inger ist auf das weite Meer hinausgesegelt, sie ist in der Stadt gewesen, jetzt ist sie wieder daheim. Die Welt ist weit, es wimmelt auf ihr von Punkten, Inger hat mitgewimmelt. Sie war beinahe ein Nichts unter den Menschen, nur ein einzelner unter ihnen.

Und nun wird es Abend. (Knut Hamsun: Segen der Erde, 2. Teil Kapitel 12) 


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