Heute mal kein Bericht über ein Buch, sondern ein Bericht über mein Lesen.
Wer diesen Blog mitverfolgt, hat festgestellt, dass ich eigentlich immer mehrere Bücher abwechselnd lese. Gestern habe ich den Bericht über Applebaum, den ich am 21.11.24 auf einem anderen Blog angefangen und erst kürzlich hierher verlagert habe, abgeschlossen, zwischen 4 - 6 anderen Büchern, die ich gegenwärtig lese, habe ich mich für ein elektronisch lesbares (für die Bettlektüre) entschieden, doch halbherzig, denn es könnte doch etwas darin stehen, was ich im Bett schlecht festhalten kann und und und ...
Heute fällt mein Blick in eins der Regale der Kinderbücher (und andere) von vor vermutlich über 30 Jahren. Da sehe ich - wie neu gekauft - ein Buch mit mir unbekanntem Titel: Cuore von Edmondo De Amicis. "Eine Kindheit vor hundert Jahren" mit Abbildungen aus der "Prachtausgebe" von 1892. Daneben "David Copperfield" 1. Teil. Das Buch, das ich als Jugendlicher in Übersetzung angefangen habe, angesichts der Dicke trotz großen Lexikonformats sterbenslangweilig fand. Meine Frau zitierte mir daraus "I am a (a)lon(e) lorn creature. I feel it more than others do". Typisch für einen Typ Frau, den man zu kennen glaubt, und doch viel typischer für mich, wenn ich in der ersten drei, vier Tagen meines Laufschnupfens leide. Typischer überhaupt für Männer als für etwa die Kriegerwitwen, die den Krieg allein mit einer großen Kinderschar durchgestanden haben, wobei sie fast täglich dem Mann "im Feld" Ermutigendes und Erheiterndes zu schreiben bemüht waren (auch wenn gelegentlich auch mal von 4 Stunden Schlaf und Sorgen die Rede war). Frauen, die dann in der Nachkriegszeit wie meine Tante auch 9 Kinder betreut haben und die ihrem Vater Rechenschaft darüber ablegte, wie sie die 5 Kinder der Schwester vorgefunden habe und wie es dieser in der Nervenheilanstalt gehe.
Copperfield also, den ich auch als Erwachsener trotz des Hinweises auf die Qualität von Dickens nicht gelesen habe. Als ich meiner Tochter, die schon mit 10 Jahren etwa doppelt so schnell las wie ich von meiner Mühe berichtete, weil sie soo begeistert von der Lektüre des englischen Originals berichtete, meinte: "Ja, die Jugendausgabe fand ich auch langweilig; aber das Original ist ja so witzig, die reine Freude."
Dabei hatte sie mit 8 Jahren, als sie "Der Mond hinter den Scheunen" von Erwin Moser gelesen hatte, sehr geweint, weil sie nie (!) wieder so ein schönes Buch lesen werde.
Jetzt aber wieder ich und Dickens. Laut meinem Blog habe ich 2009 und 2021 wieder in ein Werk von Dickens gesehen und im Februar 2024 sogar in Copperfield, im Unterschied zu Hard Times und Oliver Twist wieder auf Deutsch.
Zum Vergleich hier eine Passage des englischen Originals:
"I was born with a caul, which was advertised for sale, in the newspapers, at the low price of fifteen guineas. Whether sea-going people were short of money about that time, or were short of faith and preferred cork jackets, I don’t know; all I know is, that there was but one solitary bidding, and that was from an attorney connected with the bill-broking business, who offered two pounds in cash, and the balance in sherry, but declined to be guaranteed from drowning on any higher bargain." (https://www.gutenberg.org/cache/epub/766/pg766-images.html)
Die Übersetzung bietet für caul Haarnetz, die deutsche Wikipedia "Glückshaube". Für meine Tochter offenbar kein Problem. Ich musste in der Wikipedia nachsehen, um Dickens zu verstehen:
"Eine Glückshaube (lateinisch Caput galeatum) sind Teile der Fruchtblase (Eihäute = Amnion und Chorion), die in seltenen Fällen nach der Geburt den Kopf eines Neugeborenen bedecken.
Die zähen Eihäute sind weißlich durchschimmernd, so dass man die Konturen des Gesichtes schemenhaft erkennen kann. Die Glückshaube ist harmlos und kann einfach von der Hebamme oder dem Arzt unmittelbar nach der Geburt vom Kopf abgezogen werden. Generell kann eine Glückshaube bei allen Säugetieren vorkommen.
Im Mittelalter galten Glückshauben als Glückszeichen. Sie wurden als ein gutes Omen dafür betrachtet, dass das Kind für Geistesgröße und Großmütigkeit auserkoren oder auch mit advokatorischer Beredsamkeit ausgestattet war. Außerdem glaubte man, dass solche Kinder übernatürliche Fähigkeiten hatten und „sehen“ konnten.
Tatsächlich war das Vorhandensein einer Glückshaube im Mittelalter mitunter ein Glück für die Mutter, falls ihr Kind – aus welchem Grund auch immer – tot geboren wurde. Kindstötung wurde im Mittelalter hart bestraft, und eine Mutter mit einem toten Neugeborenen hatte wenig Chancen zu beweisen, dass sie es nicht getötet hatte. War bei dem toten Neugeborenen aber die dünne Membran der Fruchtblase noch intakt, glaubte man, die Mutter könnte das Kind nicht getötet haben. Somit blieb sie von Strafen verschont.
Es gehörte die Tradition dazu, das Häutchen auf einem Papier zusammenzulegen. Die Hebamme rieb mit einem Stück Papier das Gesicht des Neugeborenen und drückte so das Häutchen auf das Papier. Dieses wurde der Mutter übergeben und sollte als Erbstück behalten werden. Häufig wurde die „Glückshaube“ auch in der Kleidung der Kinder vernäht.
Mit der Zeit kam der Aberglaube auf, dass der Besitzer einer Glückshaube von besonderem Glück beseelt sei und ihn die Haube vor dem Ertrinken schütze. Deswegen bezahlten Seeleute den Müttern und Hebammen hohe Summen für Glückshauben. Eine Glückshaube war ein wertvoller Talisman.
Nach dem Aberglauben der Nordländer wohnte der Schutzgeist oder ein Teil der Seele des Kindes in der Glückshaube." (Glückshaube)
So viel zum Verständnis dafür, wenn ich demnächst Passagen aus Cuore (nach der deutschen Jugendausgabe) und David Copperfield vorstellen sollte. Copperfield auf Deutsch meist anhand der Jugendausgabe, auf Englisch anhand von gutenberg.org.
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