David Graeber: Schulden
Vereinfachte Darstellung der Grundgedanken Graebers
Graeber hält die gegenwärtige Situation, wo Schuldverhätnisse bestehen, für ungerecht und versucht die Entstehung dieser Verhältnisse anders zu erklären als mit den herkömmlichen Theorien von Ökonomen. Dabei beruft er sich auf Beobachtungen, die er weltweit in ähnlicher Form gemacht hat.
Vorüberlegung: Jeder Mensch verdankt sehr viel seiner menschlichen Umwelt: die Eltern sorgen für ihn, bis er so weit heran gewachsen ist, dass er für sich selber sorgen kann. Darüber hinaus verdanken die Menschen aber sehr viel auch ihrer gesellschaftlichen Umgebung: die Sprache und die Regeln des wohlorganisierten Zusammenlebens ohne ständigen Streit und Streitregelung durch rohe Gewalt. Für diese Leistung der gesellschaftlichen Umwelt erwartet diese, dass man etwas an sie zurückgibt.
Durch das Geldwesen ist eine Maßeinheit geschaffen, die die Leistungen, die man der Gesellschaft leisten sollte, genau bestimmbar machte.
Wenn es ein Maß für diese Schulden gibt, kann man fordern, dass exakt die Menge zurückgezahlt wird, die die Schuld von vorher ausmacht. (Er nimmt also an, dass es nie einen Tauschhandel gegeben hat, sondern nur Verhältnisse zwischen Menschen, wo einer etwas geleistet hat und der andere dafür eine Gegenleistung erbringen will oder soll.
Wenn ein bestimmter Betrag einsetzbar ist, dann kann man ihn nicht nur präzise bestimmen und zurückfordern, sondern man kann auch Zinsen auf den auch ausgegebenen Betrag fordern.
Damit kommt dann die Schuldknechtschaft und passend dazu die Sklaverei in die Welt.
Dazu passt, dass die Kolonisatoren von der Bevölkerung des Landes, das sie beanspruchten, ursprünglich keine Rechtfertigung hatten, von ihren Arbeit zu verlangen. Dafür mussten sie Steuern erheben, die ihrerseits in einer von den Kolonisatoren festgelegten Währung erbracht werden mussten. Dafür mussten die Kolonisierten Arbeit leisten, um das Geld, das sie zu bezahlen hatten, zu erhalten.
Soweit die Theorie: Graeber stützt sie dadurch, dass er darauf hinweist, dass Kriege es ermöglichen, den Reichtum eines anderen Volkes in Anspruch zu nehmen. Entweder, indem man ihnen ihre Werte wegnahm, oder in dem man von ihnen Personen wegnahm und sie verkaufte. Man konnte aber auch Reparationen verlangen, d.h. die Rückzahlung des Aufwandes, den der Angreifer hatte, um die anderen zu besiegen, um dann Geld von Ihnen verlangen zu können.
Insofern wäre Wallensteins Formel: der Krieg ernährt den Krieg von Anfang an eine Devise aller Eroberer gewesen.
Graeber hat also das Ziel Befreiung von der Schuldknechtschaft und unternimmt es als Ethnologe, den Nachweis zu führen, dass überall, wo Geldwirtschaft entstand, ein aufgezwungenes Verhältnis zwischen zwei Partnern vorlag, üblicherweise das zwischen Eroberern und Unterworfenen
Allgemein wird die Notwendigkeit von staatlichen Steuern dadurch erklärt, dass der Staat Leistungen erbringt, die die Gemeinschaft braucht. Wenn aber ein Eroberer ins Land kommt, der seinerseits nicht bestehende Verhältnisse aufrecht zu erhalten versucht, sondern die Verhältnisse ändern will und dafür bezahlt werden will, dann bedarf es der abstrakten Maßeinheit für zu leistende Verpflichtungen in Waren oder Arbeit, die wir Geld nennen.
Zur Bestätigung seiner Theorie betrachtet Graeber sehr viele Beispiele an sehr vielen unterschiedlichen Ländern und Volkswirtschaften.
David Graeber nennt als zentrale Fragestellung seines Buches »Schulden. Die ersten 5000 Jahre»[1] : «Was heißt das genau, zu sagen, unser Gefühl für Moral und Gerechtigkeit werde auf die Sprache eines Geschäfts reduziert? Was bedeutet es, wenn wir moralische Verpflichtungen auf Schulden reduzieren? Was ändert sich, wenn das eine zum anderen wird? Und wie sprechen wir darüber, wenn unsere Sprache so sehr vom Markt bestimmt wurde? Auf einer Ebene ist der Unterschied zwischen Verpflichtung und Schuld einfach und offensichtlich. Eine Schuld ist eine Verpflichtung, eine bestimmte Geldsumme zu zahlen. Folglich lässt sich eine Schuld anders als jede andere Form der Verpflichtung genau quantifizieren. Dadurch werden Schulden einfach, kalt und unpersönlich - und das macht sie wiederum übertragbar. Wenn man jemandem einen Gefallen schuldet oder sein Leben verdankt, ist man dieser bestimmten Person verpflichtet.» [2]
Graeber führt für seine Untersuchung basale Unterscheidungen ein: die Unterscheidung zwischen Verantwortung und Verschuldung, und die Unterscheidung zwischen Angehörigen und Fremden.
Zwischen Angehörigen besteht ursprünglich eine Beziehung der Verantwortung und Verpflichtung:
»Es herrscht die Annahme, von jedem, der nicht ausdrücklich Feind ist, könne man etwas erwarten nach dem Grundsatz »jeder nach seinen Fähigkeiten«, wenigstens bis zu einem gewissen Grad: ...» [3] Dagegen sind Fremde erst einmal Feinde, mit denen man friedfertigen Umgang erst aushandeln muss. Fremde werden verjagt, getötet oder versklavt.
Zwischen den Angehörigen einer solchen ursprünglichen Gesellschaft entfaltet sich eine Ökonomie des Gebens und Nehmens, die Graeber als »humane Ökonomie« bezeichnet. Ich hätte hier den Begriff Verpflichtungsökonomie als weniger missverständlich empfunden.
Zwischen den Angehörigen einer 'humanen Ökonomie' gibt es Kredit (man kann anschreiben lassen) und Geld (virtuelles Geld, eine Methode zu bestimmen: X entspricht sechsmal Y). In den 'humanen Ökonomien', « … [dient] Geld in erster Linie als soziales Zahlungsmittel [...], um Beziehungen zwischen Menschen zu schaffen, zu erhalten und zu trennen, und nicht dazu, Dinge zu kaufen.» [4]
Tauschen findet gelegentlich statt, normalerweise mit Fremden; Tauschen ist ein Austauschen von Geschenken – mit viel Trickserei (Tauschen = Täuschen). Dieser Vorgang zwischen (wilden) Angehörigen ist gefährlich (jeder ist "nur einen Millimeter von der Kehle aller anderen entfernt")[5]. Schon von daher verbietet sich die Annahme einer Tauschwirtschaft.
Nachdem die Verpflichtungsökonomie allmählich zerstört und durch die kommerzielle Ökonomie verdrängt worden war, werden Verantwortung, Tausch Geld und Schenken neu definiert. «Der Tauschhandel hingegen war offenbar in erster Linie eine Art zufälliges Nebenprodukt der Verwendung von Münzen und Papiergeld: Historisch betrachtet fand Tauschhandel anscheinend immer dann statt, wenn Menschen, die Transaktionen mit Geld gewohnt waren, aus dem einen oder anderen Grund keinen Zugang zu geldlichen Zahlungsmitteln hatten.» [6]
Die kommerzielle Ökonomie bestimmt nun, was «...Staat und Markt, unseren grundlegenden Vorstellungen, was Freiheit, Moral und Zusammenleben in einer Gesellschaft bedeuten. All das wurde durch eine Geschichte voller Krieg, Eroberungen und Sklaverei geprägt in einer Weise, die wir nicht einmal mehr wahrnehmen, weil wir uns die Dinge gar nicht mehr anders vorstellen können.» [7]
Der größere Teil des Buches befasst sich mit den falschen Mythen der kommerziellen Ökonomik, zentral mit dem Mythos vom Tauschhandel. Wenn man beim Lesen von David Graebers Buch nicht sorgfältig den Sprachgebrauch der kommerziellen Ökonomik, also den Sprachgebrauch, der seit spätestens Adam Smith bei der Beschreibung und Rechtfertigung von Gesellschaft, Wirtschaft, Markt und Arbeit vorherrschend ist, unterscheidet von Graebers Sprachgebrauch, bekommt man schnell Verständnisprobleme.
David Graeber stellt die Frage, warum der Tauschwirtschaftsmythos nicht verschwindet, obwohl er historisch nicht begründbar ist: «Anscheinend kann der Mythos vom Tausch nicht verschwinden, weil er für den gesamten Diskurs der Wirtschaftswissenschaften so entscheidend ist.» [8]
Kritik einzelner Thesen Graebers
Freiheit
Graeber behauptet, jedes Recht bestehe in den Verpflichtungen des anderen. "Mein Recht auf freie Meinungsäußerung ist die Verpflichtung eines anderen, mich nicht dafür zu bestrafen" [9] Wenn wir das Recht der Selbstbestimmung haben, bedeutet das, dass wir unsere Sklaven sind [10].
Jede entfremdete Arbeit bedeutet nach Graeber Sklaverei. Dass wir ihren Gewaltcharakter nicht erkennen, ist danach darauf zurückzuführen, "dass wir uns nicht mehr vorstellen können, wie eine Welt aussähe, die auf sozialen Vereinbarungen beruht, welche nicht die ständige Bedrohung durch Elektroschockwaffen und Überwachungskameras erfordern." [11]
Kritik
- Seit langem ist bei uns Freiheit als durch die Freiheit des anderen begrenzt angesehen. Das heißt, die Meinungsäußerung ist nur so weit frei, wie sie nicht beleidigend ist oder zu ungesetzlichen Handlungen aufruft (weil dieses beides Freiheiten anderer einschränken würde). Der Staat kann zum Schutz dieser Freiheit aufgerufen werden.
- Dagegen haben andere das Recht, uns wegen unserer Meinungsäußerungen durch soziale Ausgrenzung zu sanktionieren, so lange diese Ausgrenzung nicht unsere unmittelbaren Persönlichkeitsrechte berührt.
- Auch in unserer Welt gibt es Arbeit, die wir nicht für sinnvoll halten, die wir aber aufgrund von sozialen ausführen, ohne dass ein durch physische Gewalt abgesichertes Machtverhältnis besteht.
- Kurz gesagt: Graeber vertritt ein philosophisches Konzept, das durchaus nicht schlüssig hergeleitet ist und andere bestehende Konzepte stillschweigend negiert. (Walter)
Erwiderung
- Um Graeber angemessen zu lesen muss man bereit sein, die 'gängige' Metaphysik (z.B. den mataphysischen Begriff 'Freiheit' wie Schiller ihn gebraucht in seinem Gedicht 'Drei Worte des Glaubens') zu dekonstruieren. Graeber: »Dass die Vorstellung von Ehre ohne die Möglichkeit der Entwürdigung keinen Sinn ergibt, zeigt eine Rekonstruktion dieser Geschichte, und das kann uns noch mehr Grund zur Beunruhigung bieten, wie stark unsere grundlegenden Konzepte von Freiheit und Moral durch Institutionen geformt wurden — vor allem, aber nicht ausschließlich durch die Sklaverei —, an die wir lieber nicht mehr erinnert werden möchten.« [12]
Schuld, Kredit, Zins
Nach Graeber gilt: "Eine Schuld ist definitionsgemäß eine schriftliche Aufzeichnung wie auch eine Vertrauensbeziehung." [13]
Kritik
Aber: "Die Ursprünge des Zinses [...] liegen vor der Schrift."[14] Er wurde für "Darlehen" erhoben.
- Walter: Darlehen begründen doch offenkundig ein zahlenmäßig bestimmbare Schuld. Sonst könnte ja kein Zins berechnet werden. Was gilt also: Schriftform oder keine?
Die Einführung von Darlehen bringt (nach G.) "einen grundlegenden Mangel an Vertrauen zum Ausdruck".[15]
- Walter: Setzt eine Schuld also eine Vertrauensbeziehung voraus oder einen Mangel an Vertrauen?.
Erwiderung
Der Kredit setzt immer eine Vertrauensbeziehung voraus; auf der Seite des Gläubigers mindestens das Vertrauen in die Verfügbarkeit von Mitteln, den Schuldner bei Fälligkeit zur Zahlung der Schuld zwingen zu können; auf der Seite des Schuldner das Vertrauen, bis zur Fälligkeit unbehelligt zu bleiben. Der Unterschied zwischen den den einzelnen Kreditverhältnissen besteht hauptsächlich darin, ob Gläubiger und Schuldner Nächste sind, oder Fremde. In dem Maße, in dem die Regeln der Kreditverbindungen sich an dem Usus der Fremdenkredite ausrichten reduzieren sich Menschen und Dinge zu Wertgegenständen, die einen Preis haben. Schuldner und Gläubiger sind nur noch wechselseitig am Besitz/Eigentum des Gegenübers interessiert. Graeber sieht Schulden als Indikator von gestörten Sozalbeziehungen: »Was sind Schulden denn überhaupt? Sie sind nichts weiter als die Perversion eines Versprechens, das von der Mathematik und der Gewalt verfälscht wurde. Wenn wirkliche Freiheit darin besteht, Freundschaften zu schließen, so umfasst sie zwangsläufig auch die Fähigkeit, wirkliche Versprechen abzugeben. Welche Art von Versprechen könnten wirklich freie Menschen einander geben? Heute sind wir nicht einmal in der Lage, diese Frage zu beantworten. Wir müssen erst einmal die Fähigkeit entwickeln, herauszufinden, wie solche Versprechen aussehen könnten.«[16]
Medien
David Graeber bei Maybrit Illner
Mehr zu Geldtheorie
Hier die Darstellung der Wikipedia:
"Schulden: Die ersten 5000 Jahre ist ein 2011 in englischer Sprache als Debt: The first 5,000 Years veröffentlichtes Buch des US-Amerikaners David Graeber (1961–2020), Ethnologe, Anarchist und Wirtschaftsprofessor an der London School of Economics and Political Science. Es wurde 2012 mit dem britischen Literaturpreis Bread and Roses Award for Radical Publishing ausgezeichnet und erschien im selben Jahr auf Deutsch. Graeber analysiert darin die Rolle von Schulden in der Geschichte, vor allem vor dem Hintergrund von Revolutionen und sozialen Umbrüchen, und kritisiert verschiedene grundlegende ökonomische Konzepte.
Graeber gibt als Motiv für das Verfassen des Buches an, dass Verschuldung nahezu jeden Aspekt unseres Lebens durchdringe. Er nennt hierbei Defizitfinanzierung sowie Schulden von Verbrauchern und Staat und betont, dass die meisten Menschen mindestens einen Teil des Lebens als Schuldner verbringen. Er behauptet, dass dauerhafte politische Systeme eine Lösung für die „Schuldenfalle“ finden mussten, um die Bevölkerung davor zu schützen, Sklaven oder Tagelöhner ihrer Gläubiger zu werden. Er postuliert, Platon oder Aristoteles würden, wenn sie heute leben würden, den Großteil der US-amerikanischen Bevölkerung heute für Schuldsklaven halten, und sagt, dass man einen Staat benötige, um eine solche Situation überhaupt zu schaffen.[1]
Zu Beginn bezieht sich Graeber etwa auf die Schriften Alfred Mitchell-Innes’ von 1913 und 1914, in welchen jener darlegt, dass die in den Wirtschaftswissenschaften vorherrschenden, axiomatischen Annahmen über die Entstehung des Geldes (z. B. die Erzählung Adam Smiths) nicht den Tatsachen entsprechen würden. Graeber meint hierzu: „Kein Historiker hat Mitchell-Innes je widerlegt. Sie ignorierten ihn kurzerhand. Die Lehrbücher blieben bei ihrer Geschichte - obwohl alles dafür sprach, dass sie schlichtweg falsch war.“[e 1]
„‚Offenbar haben sich diese Leute gesagt: Wenn heute schon jeder ein Miniatur-Kapitalist werden soll, warum sollen wir dann nicht auch Geld aus nichts schaffen dürfen?‘ Jetzt erkennen sie, dass der American International Group erlaubt ist, was ihnen verwehrt ist – ein Blick auf Mesopotamien, das antike Griechenland und Rom zeigt, dass das die Inkubation sozialer Umsturzbewegungen ist. Das Schuldensystem, das auf einer ‚Schöpfung aus Nichts‘ aufgebaut ist, hat deshalb in den Augen des Anthropologen nichts mehr mit Märkten und auch nichts mit Wissenschaft zu tun (die Formeln bei AIG mussten von Astrophysikern geschrieben werden, weil sie so schwierig waren), sondern mit Theologie. Wir leben in einer Welt der doppelten Theologie, ‚eine für die Geldgeber und eine für die Schuldner‘.“
In der geschichtlichen Perspektive unterteilt Graeber die Entwicklung von Geld und Schulden in fünf Zeitalter:
- Die Phase der frühen städtischen Zivilisationen (Ägypten, Mesopotamien, Industal, China) etwa von 3.000 v. Chr. bis 800 v. Chr.[e 7] Aufgrund der Quellenlage behandelt Graeber hauptsächlich Mesopotamien, postuliert aber ähnliche Verhältnisse für die anderen drei Regionen. Der Handel habe auf Kreditvereinbarungen beruht, Geld sei in erster Linie eine Verrechnungseinheit gewesen. Staatliche oder religiöse Autoritäten horteten große Edelmetallschätze und Warenvorräte, die Tempel oder Depots fungierten gleichzeitig als zentrale Warenumschlagplätze. Die Verschuldung von Privatleuten führte immer wieder zu sozialen Krisen, denen durch regelmäßige allgemeine Schuldenerlasse begegnet wurde.
- Die „Achsenzeit“[e 8] von 800 v. Chr. bis 600 n. Chr. Den Begriff „Achsenzeit“ übernimmt Graeber von Karl Jaspers, erweitert aber den Zeitraum gegenüber Jaspers erheblich. Während Jaspers die philosophischen und religiösen Entwicklungen betrachtet, stellt Graeber die wirtschaftlichen Wandlungen der Zeit in den Vordergrund und betrachtet den geistigen Wandel als deren Folge. Unabhängig voneinander, aber fast zeitgleich sei in China, in Nordindien und im Mittelmeerraum Münzgeld aus Edelmetall eingeführt worden. Dies sei jeweils in einer Phase geschehen, in der in der Region zahlreiche Kleinstaaten permanent Krieg gegeneinander führten, das Münzgeld sei von den Staaten zur Bezahlung ihrer Söldnerheere eingeführt worden, da sich das bisherige Kreditsystem dazu wenig eignete: „a heavily armed itinerant soldier is the very definition of a poor credit risk“[e 9]. Das Edelmetall habe man beschafft, indem die Heere auf ihren Feldzügen Staats- und Tempelschätze plünderten, außerdem durch den massenhaften Einsatz von Sklaven (Kriegsgefangenen) in Gold- und Silberminen. Schließlich sei eine völlig auf Sklavenarbeit beruhende Ökonomie entstanden. Schuldenerlasse wurden abgeschafft, die Verelendung verarmter freier Bürger (und daraus folgende soziale Unruhen) sei durch Aussiedlung in eroberte Gebiete oder durch direkte staatliche Alimentierung (Brot und Spiele) vermieden worden. Geistige Folge des durch Münzgeld unpersönlich gewordenen Warentausches seien materialistische Anschauungen gewesen, die Profitstreben als einzige Leitschnur menschlichen Handelns postulierten. Dagegen wandten sich idealistische philosophische und religiöse Schulen, aus denen die heutigen Weltreligionen, die klassische griechische Philosophie und der Konfuzianismus hervorgegangen seien. Diese setzten sich schließlich durch, nachdem durch die Bildung von Großreichen die Basis der Eroberungsökonomien wegfiel.
- Das „Mittelalter“[e 10] von 600 bis 1450. Die Zeit der freien Dorfmarken des frühen europäischen Mittelalters, sowie der freien Städte, Kommunen und Stadtbünde des Hochmittelalters.
- Das „Zeitalter der großen kapitalistischen Imperien“[e 11] von 1450 bis 1971.
- Graeber beendet sein Buch mit der heutigen Phase ab der Aufhebung des Goldstandards des US-Dollars am 15. August 1971, genannt „Der Anfang von etwas, das noch nicht bestimmt werden kann“ („The Beginning of Something Yet to Be Determined“).[e 12]
Für Frank Schirrmacher, den damaligen Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zeigt das Buch, dass „praktisch alle Aufstände, Umstürze und sozialen Revolutionen der europäischen Geschichte […] aus einer Situation der Überschuldung entstanden“ seien. Dabei seien Schulden eine Kategorie, die nicht allein der Deutungshoheit des Systems der „scheinbar ökonomischen Realität“ überlassen werden dürfe. Denn Schulden seien im Kern „ein moralisches Prinzip und eine moralische Waffe'“, und zwar seit der Zeit Mesopotamiens ein machtgebundenes. „Käme Plato mit einer Zeitmaschine zu uns […], er würde sich nicht wundern, Menschen zu sehen, die arbeiten müssen, nicht um ihr Leben zu leben, sondern um eine Schuld zu bezahlen, für die ihr Leben gar nicht ausreicht. Zu seiner Zeit nannte man sie Sklaven.“ In der Antike etwa wurden immer wieder Schulden erlassen und das Land neu verteilt.[3]
Für Thomas Meaney in der New York Times behandelt „Graeber, in der besten Tradition der Ethnologie, Schuldenobergrenzen, Subprime-Hypotheken und Credit Default Swaps als wären sie exotische Praktiken eines selbstzerstörerischen Stammes. Das Buch, geschrieben in frechem, einnehmenden Stil, ist zudem eine philosophische Untersuchung über die Natur von Schuld – woher sie kam und wie sie entstand.“[6]
Der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank Thomas Mayer stützt sich in seiner Analyse der Zentralbankwirtschaft im Kontext der Entstehung der Kreditwirtschaft auf Graebers Buch.[7]
Zitate aus dem Buch:
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