26 Juli 2014

Die Insel Felsenburg: Das Geständnis des Kapitäns Lemelie

Wer sich schon als Jugendlicher bei Karl May gewundert hat, weshalb die Gegner Old Shatterhands immer just dann ihre Pläne besprachen, wenn er gekommen war, sie zu belauschen, und wer nicht einsehen wollte, weshalb sie sich die Mühe machten, ihm ihre Übeltaten, ob geschehen oder erst geplant, in aller Ausführlichkeit darlegten, wenn er in ihrer Gewalt war, der wird Karl May Abbitte leisten müssen, wenn er diese "Beichte" eines Menschen gelesen hat, der sich nach Schnabels Darstellung dem Teufel verschrieben hat  und keinerlei Reue darüber empfindet?
Warum spricht er von seinen Kindern als Huren-Kindern, warum spricht er von "genothzüchtigt" und "abscheuliche[r] Blutschande", wo er doch angeblich bedenkenlos seiner Lust nachgegeben hatte? Woher nimmt er den Atem zu einem solch ausführlichen Geständnis, warum verschweigt er den Namen des "allervornehmsten" Geschlechts, das ihm doch sein Selbstbewusstsein gegeben haben muss?
Das bleiben unbeantwortete Fragen an Johann Gottfried Schnabels Motivierungskunst.

Sobald man sich die Frage nach der Motivation für einen so ausführlichen Bericht Lemelies stellt, legen sich freilich drei Möglichkeiten nahe:
1. Lemelie will sich seine Taten von der Seele reden, ohne sie wirklich zu bereuen. Dann müsste er sie freilich beschönigen und Concordia gegenüber den Eindruck zu erwecken versuchen, dass alle seine Taten nur auf ihre unwiderstehliche Attraktivität zurückzuführen seien.
2. Er will Vergebung finden. Dann müsste er bereuen oder doch wenigstens Reue vortäuschen.
3. Die nächstliegende Motivierung liegt freilich darin, dass der Erzähler Albert den Verdacht fürchten muss, ein Mann, der sich gegen zwei Rivalen um die Gunst der schönen Concordia durchsetzt, noch dazu auch gegen den ihr angetrauten Gatten, könnte sich dabei unehrenhaft verhalten haben, und wenn nicht, dann sei Concordias Tugendhaftigkeit doch nicht so über jeden Zweifel erhaben,  wie ein Mann es sich damals von seiner Frau wünschte. - Den Weg kann der Erzähler freilich nicht gehen. Denn den Eindruck, der Patriarch dieser Gemeinschaft auf der Insel der Glückseligen könne ein gemeiner Lügner und Heuchler sein, will er ja gerade vermeiden. Folgen wir also dem Bericht Lemelies und versuchen wir, uns unseren eigenen Vers darauf zu machen. 


"Wisset sagte er, daß ich aus einem der allervornehmsten Geschlechte in Franckreich entsprossen bin, welches ich, indem es mich als einen rechten Greuel der Tugenden erzeuget, nicht einmal nahmhafft machen will. Ich habe in meinem 18den Jahre meine leibliche Schwester genothzüchtiget, und nachhero, da es ihr gefiel, in die 3. Jahr Blut-Schande mit derselben getrieben. Zwey Huren-Kinder, die binnen der Zeit von ihr kamen, habe ich ermordet, und in Schmeltz-Tiegeln als eine besondere kostbare Massam zu Asche verbrannt. Mein Vater und Mutter entdeckten mit der Zeit unsere abscheuliche Blutschande, liessen sich auch angelegen seyn, eine fernere Untersuchung unsers Lebens anzustellen, doch weil ich alles bey Zeiten erfuhr, wurden sie beyde in einer Nacht durch beygebrachtes Gifft in die andere Welt geschickt. Hierauff wolten meine Schwester und ich als Ehe-Leute, unter verwechselten Nahmen, nach Spanien oder Engelland gehen, allein eine andere wollüstige Hure zohe meine gestilleten Begierden vollends von der Schwester ab, und auf sich, weßwegen meine um Ehre, Gut und Gewissen betrogene Schwester, sich nebst ihrer dritten von mir tragenden Leibes-Frucht selbst ermordete, denen Gerichten aber ein[213] offenhertziges Bekänntniß, meiner und ihrer Schand und Mordthaten, schrifftlich hinterließ, ich aber hatte kaum Zeit, mich, nebst meiner neu erwehlten Hure, und etlichen kostbaren Sachen, unter verstellter Kleidung und Nahmen, aus dem Lande zu machen. – – Hier wolte dem Bösewicht auch seine eigene schändliche Zunge den Dienst versagen, weßwegen ich, selbige zu stärcken, ihm noch einen Becher Palmen-Safft reichen muste, worauff er seine Rede also fortsetzte:
Ich weiß und mercke sagte er, daß ich nicht eher sterben kan, biß ich auch den sterblichen Menschen den meisten Theil meiner schändlichen Lebens-Geschicht offenbaret habe, wisset demnach, daß ich in Engelland, als wohin ich mit meiner Hure geflüchtet war, nicht allein diese, wegen ihrer Untreue, sondern nebst derselben 19. Seelen allein durch Gifft hingerichtet habe.
Indessen aber hatte mich doch am Englischen Hofe, auf eine ziemliche Stuffe der Glückseligkeit gebracht, allein mein Ehrgeitz und ausschweiffende Wollust stürtzten den auf üblen Grunde ruhenden Bau, meiner zeitlichen Wohlfarth gar bald darnieder, so daß ich unter abermals verwechselten Nahmen und in verstelleter Kleidung, als ein Boots-Knecht, sehr arm und elend aus Engelland abseegeln muste.
Ein gantz besonderes Glücke führete mich endlich auf ein Holländisches Caper-Schiff, und machte nach und nach aus mir einen ziemlich erfahrnen See-Mann, allein wie ich mich durch Gifft-mischen, Meuchel-Mord, Verrätherey und andere[214] Rancke mit der Zeit biß zu dem Posten eines Capitains erhoben, ist wegen der kurtzen Frist, die ich noch zu leben habe, unmöglich zu erzehlen. Der letztere Sturm, dergleichen ich noch niemals, ihr aber nebst mir ausgestanden, hätte mich bey nahe zur Erkäntniß meiner Sünden gebracht, allein der Satan, dem ich mich bereits vor etlichen Jahren mit Leib und Seele verschrieben, hat mich durchaus nicht dahin gelangen lassen, im Gegentheil mein Hertze mit immerwährenden Boßheiten angefüllet. – – Er forderte hierbey nochmals einen Trunck Palmen-Safft, tranck, sahe hierauff die Concordia mit starren Augen an, und sagte: Bejammerns-würdige Concordia! Nehmet den Himmel zu einem Artzte an, indem ich eure noch nicht einmal verblutete Hertzens-Wunde von neuen aufreisse, und bekenne: daß ich gleich in der ersten Minute, da eure Schönheit mir in die Augen gefallen, die verzweiffeltesten Anschläge gefasset, eurer Person und Liebe theilhafftig zu werden. Mehr als 8. mal habe ich noch auf dem Schiffe Gelegenheit gesucht, euren seeligen Gemahl mit Giffte hinzurichten: doch da er ohne eure Gesellschafft selten gegessen oder getruncken hat, euer Leben aber, mir allzukostbar war, sind meine Anstalten jederzeit vergeblich gewesen. Oeffentlich habe niemals mit ihm anzubinden getrauet, weil ich wol gemerckt, daß er mir an Hertzhafftigkeit überlegen, und ihn hinterlistiger Weise zu ermorden, wolte auch lange Zeit nicht angehen, da ich befürchten muste, daß ihr deßwegen einen tödtlichen Haß auf mich werffen möchtet. Endlich aber gab mir der Teuffel und meine verfluchte[215] Begierde, bey ersehener Gelegenheit die Gedancken ein, euren seeligen Mann von der Klippe herunter zu stürtzen. – – – Concordia wolte bey Anhörung dieser Beichte ohnmächtig werden, jedoch der wenige Rest einer bey sich habenden, balsamischen Artzeney, stärckte sie, nebst meinem zwar ängstlichen doch kräfftigen Zureden, dermassen, daß sie das Ende dieser jämmerlichen und erschrecklichen Geschicht, mit ziemlicher Gelassenheit vollends abwarten konte.
Lemelie fuhr demnach im reden also fort: Euer Ehe-Mann, Concordia! kam, indem er ein schönes Morgen-Lied sang, die Klippe hinauff gestiegen, und erblickte mich Seitwarts mit der Flinte im Anschlage liegen. Er erschrack hefftig, ohngeacht ich nicht auf ihn, sondern nach einem gegen mir über sitzenden Vogel zielete, dem er mit seiner Ankunfft verjagte. Wiewohl mir nun der Teuffel gleich in die Ohren bließ, diese schöne Gelegenheit, ihn umzubringen, nicht vorbey streichen zu lassen, so war doch ich noch listiger, als hitzig, warff meine Flinte zur Erden, eilete und umarmete den van Leuven, und sagte: Mein edler Freund, ich spüre daß ihr vielleicht einen bösen Verdacht habt, als ob ich nach eurem Leben stünde; Allein entweder lasset selbigen fahren, oder erschiesset mich auf der Stelle, denn was ist mir mein verdrießliches Leben ohne eure Freundschafft auf dieser einsamen Insul sonsten nütze. Van Leuven umarmete und küssete mich hierauff gleichfalls, versicherte mich seiner aufrichtigen und getreuen Freundschafft, setzte auch viele gute Vermahnungen hinzu, vermöge deren ich mich in Zukunfft[216] tugendhaffter und Gottesfürchtiger aufführen möchte. Ich schwur ihm alles zu, was er vermuthlich gern von mir hören und haben wolte, weßwegen wir dem äuserlichen Ansehen nach, auf einmal die allerbesten Freunde wurden, unter den vertraulichsten Gesprächen aber lockte ich ihn unvermerckt auf den obersten Gipffel des Felsens, und zwar unter dem Vorwande, als ob ich ein von ferne kommendes Schiff wahrnähme, da nun der höchsterfreute van Leuven, um selbiges zu sehen, auf die von mir angemerckte gefährlichste Stelle kam, stürtzte ich ihn mit einem eintzigen stosse, und zwar an einem solchen Orthe hinab, wo ich wuste, daß er augenblicklich zerschmettern muste. Nachdem ich seines Todes völlig versichert war, gieng ich mit zittern zurücke, weil mir die Worte seines gesungenen Morgen Liedes:


Nimmstu mich, GOTT in deine Hände,
So muß gewiß mein Lebens Ende
Den Meinen auch zum Trost gedeyhn,
Es mag gleich schnell und kläglich seyn.


gar nicht aus den Gedancken fallen wolten, biß der Teuffel und meine unzüchtigen Begierden mir von neuen einen Muth und, wegen meines künfftigen Verhaltens, ferner Lehren einbliesen. Jedoch, sprach er mit seufftzender und heiserer Stimme: mein Gottes-und Ehrvergessenes Aufführen kan euch alles dessen nachdrücklicher und besser überzeugen, als mein beschwerliches Reden. Und Mons. Albert, euch war der Todt ebenfalls schon vorlangst geschworen, insoweit ihr euch als einen Verhinderer meines Vergnügens angeben, und mir nicht als einem[217] Befehlshaber gehorchen würdet, jedoch das Verhängniß hat ein anders beschlossen, indem ihr mich wiewol wieder euren willen tödtlich verwundet habt. Ach machet derowegen meiner zeitlichen Marter ein Ende, rächet eure Freunde und euch selbst, und verschaffet mich durch den letzten Todes-Stich nur bald in das vor meine arme Seele bestimmte Quartier zu allen Teuffeln, denn bey GOTT ist vor dergleichen Sünder, wie ich bin, weder Gnade noch Barmhertzigkeit zu hoffen.
Hiermit blieb er stille liegen. Concordia aber und ich setzten allen unseren anderweitigen Jammer bey Seite, und suchten des Lemelie Seele durch die trostreichsten Sprüche aus des Teufels Rachen zu reissen. Allein, seine Ohren waren verstopfft, und ehe wir uns dessen versahen, stach er sich, mit einem bey sich annoch verborgen gehaltenen Messer, in etlichen Stichen das Hertze selbst vollends ab, und bließ unter gräßlichen Brüllen seine ohnfehlbar ewig verdammte Seele aus. Concordia und ich wusten vor Furcht, Schrecken und überhäuffter Betrübniß nicht, was wir anfänglich reden oder thun solten, doch, nachdem wir ein paar Stunden vorbey streichen lassen, und unsere Sinnen wieder in einige Ordnung gebracht hatten, schleppte ich den schändlichen Cörper bey den Beinen an seinen Ort, und begrub ihn als ein Vieh, weil er sich im Leben noch viel ärger als ein Vieh aufgeführet hatte.
Das war also eine zwar kurtze, doch mehr als Erstaunens-würdige Nachricht von dem schändlichen Leben, Tode und Begräbniß eines solchen[218]Menschen, der der Erden eine verfluchte unnütze Last, dem Teuffel aber eine desto nützlichere Creatur gewesen. Welcher Mensch, der nur ein Füncklein Tugend in seiner Seelen heget, wird nicht über dergleichen Abschaum aller Laster erstaunen, und dessen durchteuffeltes Gemüthe verfluchen? Ich vor meine Person hatte recht vom Glücke zu sagen, daß ich seinen Mord-Streichen, noch so zu sagen, mit blauen Augen entkommen war, wiewohl ich an meinen empfangenen Wunden, die, wegen der sauren Arbeit bey dem Begräbnisse dieses Höllenbrandes, starck erhitzt wurden, nachhero Angst und Schmertzen genung auszustehen hatte."
(Schnabel: Insel Felsenburg 1. Buch, S.212-219)

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