29 Juli 2014

Dichter und ihre Gesellen

Baron Fortunat, die Hauptfigur aus Eichendorffs Roman "Dichter und ihre Gesellen", plant eine Reise nach Italien und besucht auf der Reise seinen Studienkollegen Walter, der inzwischen Richter geworden ist. Walter erinnert sich an die Italienreisepläne aus der Studien zeit und bezeichnet sie als "schöne Jugendträume".
[Meine 1. Lektüre: März/April 1966]
»Das verhüte Gott!« versetzte Fortunat lebhaft, »warum denn Träume? Die Ahnung war es, der erste Schauer des schönen, überreichen Lebens, das gewißlich mit aller seiner geahnten und ungeahnten herrlichen Gewalt über uns kommen wird, wenn wir nur fröhlich standhalten. Wo wären wir denn aufgewacht von den sogenannten Träumen? Was hätte sich denn seitdem verändert? Aurora scheint noch so jung über die Berge wie damals, die Erde blüht alljährlich wieder bis ins fernste, tiefste Tal – warum sollte denn unsere unsterbliche Seele, die alle den Plunder überdauert, allein alt werden? Was hindert denn zum Exempel dich, alle den Ballast von Vor-, Neben- und Rücksichten frisch wegzuwerfen, und frei mit mir in das offene Meer zu stechen? – Reise mit, alter Kumpan!« [...]
Amtspflichten lässt Fortunat nicht gelten:
Das nennt man Pflichttreue; als hätte der Mensch nicht auch die höhere Pflicht, sich auf Erden auszumausern und die schäbigen Flügel zu putzen zum letzten, großen Fluge nach dem Himmelreich, das eben auch nicht wie ein Wirtshaus an der breiten Landstraße liegt, sondern treu und ernstlich und mit ganzer, ungeteilter Seele erstürmt sein will. [...]
Walter aber fing nun an, einige Lieblingsstellen aus Victors Werken zu rezitieren, was Fortunaten immer störte, weil ein gutes Gedicht keine Stellen, sondern eben nur das ganze gute Gedicht gibt, gleichwie eine abgeschlagene Nase oder ein Paar abgerissene Ohren der Mediceischen Venus für Kenner recht gut, aber sonst ganz nichtswürdig sind. [...]
Bei dem schönsten Frühlingswetter zogen die beiden Freunde, auf ihren Pferden fröhlich von den alten Zeiten miteinander schwatzend, in das morgenrote Land hinein. [...]


Walter schwor endlich, nicht einen Schritt mehr weiterzugehen, er band sein Pferd an und setzte sich maulend daneben. Fortunat hatte sich gleichfalls auf den Rasen hingestreckt, während sein Gefährte nun allerlei Reden über unzeitige Romantik und verlorene Zeit verlauten ließ. Fortunat antwortete nicht darauf, und da es gar nicht enden wollte, zog er seinen Mantel über den Kopf und schlummerte bald vor Ermüdung ein.
Als er wieder aufwachte, war Walter unterdes vor Ärger fest eingeschlafen. Er sah freudig rings um sich her, die tiefe Einsamkeit, die unbekannte Gegend, der Schlafende und die Pferde im Mondschein, alles war ihm so neu und wunderbar; er ging unter den Bäumen auf und nieder und sang halb für sich:
Wie schön, hier zu verträumen
Die Nacht im stillen Wald,
Wenn in den dunklen Bäumen
Das alte Märchen hallt.
Die Berg im Mondesschimmer
Wie in Gedanken stehn,
Und durch verworrne Trümmer
Die Quellen klagend gehn.
Denn müd ging auf den Matten
Die Schönheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kühlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu.
Das ist das irre Klagen
In stiller Waldespracht,
Die Nachtigallen schlagen
Von ihr die ganze Nacht.
Die Stern gehn auf und nieder –
Wann kommst du, Morgenwind,
Und hebst die Schatten wieder
Von dem verträumten Kind?
Schon rührt sich's in den Bäumen,
Die Lerche weckt sie bald –
So will treu verträumen
Die Nacht im stillen Wald.
Und wie er aufblickte, hörte er wirklich schon den Klang einer früherwachten Lerche durch den Himmel schweifen. »Frisch auf!« rief er fröhlich Waltern zu, »frisch auf, ich wittre Morgenluft!« Walter erhob sich taumelnd und konnte sich lange nicht in dem wunderlichen Schlafsaal zurechtfinden. Der kurze Schlummer hatte ihn neu gestärkt und verwandelt, er schämte sich seines gestrigen Mißmuts, und bald saßen die beiden Freunde wieder rüstig zu Pferde, um, wo möglich, noch vor Tagesanbruch aus dem Labyrinth der Wälder herauszukommen.

Nach einem kurzen Ritt hatten sie die Freude, unerwartet wieder einen ordentlichen Weg zu erreichen. »Land! Land!« rief endlich Walter vergnügt aus, »dorthin zu liegt Hohenstein!«
[...] schwangen sich von den steinernen Sphinxen, die den Eingang bewachten, über das Gitter in den Garten hinein. Da war noch alles still und duftig, einzelne Marmorbilder tauchten eben erst aus den lauen Wellen der Nacht empor. [...]
Walter ist freilich nicht auf Abenteuer aus, sondern sucht Kontakt zur Amtmannstochter Florentine. Fortunat freilich nutzt jede Gelegenheit, wo sich ihm ansprechende Eindrücke bieten:
 [...] Blumenbeete erblickte, von denen dunkelglühende Päonien und prächtige Kaiserkronen glänzten. Es war, als hätte ein wunderbarer Zauberer über Nacht seine bunten Signaturen über das Grün gezogen und säße nun selber eingeschlummert in dem Labyrinth beim Rauschen der Wasserkünste und träumte von der alten Zeit, die er in seine stillen Kreise gebannt. [...]
an den Statuen hingen Mieder, Poschen und Schleier umher, [...]
Aber nun erschallte ein lauter Schrei, und aus allen Hecken, in Taft und Seide rauschend, fuhren erschrocken fliehende Mädchengestalten durchs Grüne, als hätte der Wind Aprikosenblüten umhergestreut. [...]
Doch zweifelt er gelegentlich an dem ständigen Unterwegssein:
O glückselige, bangsame Einsamkeit, dachte Fortunat, wer es wie Walter über sich gewönne, sich ganz darin zu versenken! [...] Unsere Jungens wissen schon jetzt mehr, als wir jemals erfahren haben, und recken und sehnen sich aus allen Gelenken heraus, während wir in unserer lustigen und gesunden Jugendzeit ohne besondere Sehnsucht hinreichend dumme Streiche machten und erst die fatalen Lümmeljahre überstehen mußten. [...]
Doch wenn Walter sich in diesem Sinne äußert, muss Fortunat doch die Position der Jungen verteidigen:
»Es geht doch nichts übers Reisen«, rief sie fröhlich aus, »wenn ich so manchmal im Sommer recht früh erwache und höre unten aus den Dörfern die Hähne krähen oder ein Posthorn von fern über den Garten herüber, da wünsch' ich mir oft, ich wäre ein Mann und könnte auch so mit in die Welt hinaus.« – »Ich meine«, fiel hier Walter etwas grämlich ein, »man müsse erst sich selbst und die kleine Welt um sich herum recht verstehen gelernt haben, ehe man sich weiter umsieht, und das Reisen zieme überhaupt nur dem reiferen Alter.« – Fortunaten ärgerte der Schulmeisterton. – »Gerade umgekehrt«, rief er aus, »nur die Jugend versteht recht aus Herzensgrunde die Schönheit der Welt mit ihren morgenroten Gipfeln und kühlen Abgründen und funkelnden Auen im Grün, und malt es alles fresko nach, daß das Alter einst sich daran erfrische, wenn draußen die Blätter fallen und die sinkende Herbstsonne die Schildereien noch einmal wunderbar beleuchtet. Während dein sogennantes reifes Alter vom Schifflein sorgsam die Tiefe mit dem Senkblei mißt, sitzt die Jugend über Bord geneigt, und sieht ihr eignes weinbekränztes Haupt in der klaren Flut und hört die Glocken der versunkenen Stadt aus der Tiefe heraufklingen. Ja, glaubt nur, die Welt ist wie eine eigensinnige Schöne, die nur in jungen Augen sich mit ihrem fröhlichsten Schmucke spiegeln mag, für Klugheit und Kenntnisse gibt sie nur Brot, für Liebe und rechte Freude an ihr aber wieder Freude und Liebe.« [...]
 (Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen)

Die Fortsetzung findet sich hier.

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