»Sonderbar«, sagte der Alte, während er in den Frühlingstag hinausblickte, »dieser Lorenzen is eigentlich gar kein richtiger Pastor. Er spricht nicht von Erlösung und auch nicht von Unsterblichkeit, und is beinah, als ob ihm so was für alltags wie zu schade sei. Vielleicht is es aber auch noch was andres, und er weiß am Ende selber nicht viel davon. Anfangs hab ich mich darüber gewundert, weil ich mir immer sagte: Ja, solch Talar- und Beffchenmann, der muß es doch schließlich wissen; er hat so seine drei Jahre studiert und eine Probepredigt gehalten, und ein Konsistorialrat oder wohl gar ein Generalsuperintendent hat ihn eingesegnet und ihm und noch ein paar andern gesagt: ›Nun gehet hin und lehret alle Heiden.‹ Und wenn man das so hört, ja, da verlangt man denn auch, daß einer weiß, wie's mit einem steht. Is gerade wie mit den Doktors. Aber zuletzt begibt man sich und hat die Doktors am liebsten, die einem ehrlich sagen: ›Hören Sie, wir wissen es auch nicht, wir müssen es abwarten.‹ Der gute Sponholz, der nun wohl schon[389] an der Brücke mit dem Ichthyosaurus vorbei ist, war beinah so einer, und Lorenzen is nu schon ganz gewiß so. Seit beinah zwanzig Jahren kenn ich ihn, und noch hat er mich nicht ein einziges Mal bemogelt. Und daß man dasvon einem sagen kann, das ist eigentlich die Hauptsache. Das andre... ja, du lieber Himmel, wo soll es am Ende herkommen? Auf dem Sinai hat nun schon lange keiner mehr gestanden, und wenn auch, was der liebe Gott da oben gesagt hat, das schließt eigentlich auch keine großen Rätsel auf. Es ist alles sehr diesseitig geblieben; du sollst, du sollst, und noch öfter ›du sollst nicht‹. Und klingt eigentlich alles, wie wenn ein Nürnberger Schultheiß gesprochen hätte.«
Theodor Fontane: Der Stechlin, 41. Kapitel, S.388-389
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