Mit sehr verschiedenartigen Empfindungen nahmen die Hauptstadt und das Reich die Nachricht auf, daß der Herrscher eine allgemeine Kirchenversammlung nach Byzanz berufen habe, auf der Bischöfe und Priester der katholischen Kirche wie aller christlichen Sekten, aber auch Lehrer der Juden erscheinen und ihre Lehrmeinungen in einem Religionsgespräch vertreten sollten. Der Imperator selbst behielt sich Vorsitz und Leitung vor, um, wie er verkünden ließ, die Freiheit jeder Meinung, den unparteilichen Gang der Verhandlungen zu sichern.
Am meisten erstaunt waren über diesen Beschluß Julians nächste Freunde, Jovian und Serapio; Lysias hatte schon lange die Hauptstadt verlassen und seine Amtstätigkeit, zunächst in den Provinzen Pontus und Bithynien, begonnen. Bei dem Lustwandeln in dem Haine der Artemis vor dem Westtore der Stadt blieb Serapio plötzlich stehen und fragte: »Warum tust du das, o Julian?« – »Was?« – »Das mit den vielen Geistlichen.« – »Ja«, unterstützte Jovianus lebhaft die Frage. »Warum? Denn an Erfolg glaubst du ja doch nicht!«
Mit feinem Lächeln antwortete der Schalk: »Und warum nicht? Irgendein Erfolg wird schon herauskommen! Aber, bitte, beschleunigt eure Schritte. Die Arbeit ruft mich in den Palast zurück. Unter all den vielen Dingen, daran es mir gebricht, steht obenan die Zeit.« – [...]
»Ei, sie sollen hier Duldung lernen und Nächstenliebe.« – »Die Katholiken von den Ketzern?« fragte Jovian. »Oder umgekehrt?« zweifelte der Franke. »Beides wird schwerhalten!« – »Nein, sondern alle von uns Hellenisten. Und übrigens: Wenn das Gegenteil erreicht werden sollte, wenn die alten Feinde, stehen sie sich nun alle gegenüber und hört jeder die verhaßte Lehre des andern, in tobenden Streitzorn ausbrechen, heißer als je zuvor...« – »Nun dann?« – »Ja, was dann?« forschte Serapio.
»Denn das wird doch höchstwahrscheinlich geschehen!« – »Dann ist's erst recht gut«, lachte Julian nun laut auf. »Dann beweist sie sich wieder einmal, die vielgepriesene Liebe, Milde, Einigkeit der Kirche vor den Augen der ganzen Welt; und ganz besonders vor den meinen. Diesen Augen aber – ist ihnen bei dem vielen Verdruß, den ihnen die Galiläer tagtäglich bereiten, nicht auch einmal eine kleine Freude durch die Galiläer zu gönnen?«
An dem bestimmten Tag eröffnete der Augustus die Versammlung, zu der in heiligem Eifer die frommen Väter aller Bekenntnisse, auch Vertreter des Judentums, in so großer Menge aus allen Provinzen des Reiches zusammengeströmt waren, daß keine Basilika sie aufzunehmen vermochte.
So war von vornherein das Anstößige ausgeschlossen, daß der »hellenistische« Imperator in einem christlichen Gotteshaus den Vorsitz einnahm. Und auch die Frömmsten konnten nicht dawider eifern, daß aus dem Grund solch zwingender Not die Beratungen in ein weltliches Gebäude verlegt wurden; man wählte den weitesten Raum, der in der Hauptstadt zu finden war: die Säulenhalle des vom großen Constantin erbauten Gymnasiums.
Zartfühlig ließ Julian aus dem Haus und dem umgebenden schönen Hain für diesen Tag die Götterbilder entfernen, die Artemidor auch hier bereits wieder aufgestellt hatte. »Ich bin der Wirt, ich darf nicht unwirtlich scheinen«, sprach er, »nicht meine ohnehin so leicht reizbaren Gäste verletzen.«
Bis auf den letzten Platz waren die Stühle und Bänke besetzt, die, in sieben Reihen hintereinander aufgestellt, einen Halbkreis bildeten, geöffnet gegen den purpurbehangenen Thron, den der Herrscher, gekleidet in die volle Festgewandung des Imperators, nun feierlichen Ganges bestieg.
Zu Füßen des auf mehreren Stufen erhöhten Sitzes nahmen die ersten weltlichen Würdenträger Platz. Eine Schar von Kriegern – meist blondhaarige, Julian selbst hatte sie ausgesucht – stand in vollen Waffen, befehligt von Sigiboto und Sigibrand, hinter dem Thron; und draußen, vor dem nun geschlossenen Eingang, in dem weiten Garten, waren zweitausend weitere unter Garizo und Ekkard aufgestellt.
Lange musterte Julian die Versammlung schweigend – manch hochehrwürdige Gestalt, manch edles, vergeistigtes Antlitz erschaute er; aber auch viele Eiferer, deren Züge, von Glaubenshaß und Verfolgungswut, von Rachgier und von andern üblen Leidenschaften entstellt, durchaus nicht Frieden atmeten oder ankündeten. Endlich hob der Imperator an: »Ehrwürdige, fromme, ja vielleicht zum Teil schon heilige Väter der Kirche, Häupter der verschiedenen Lehrmeinungen, auch ihr, o weise Lehrer der Juden! Ich heiße euch alle willkommen. Ich habe euch hier versammelt, euch Gelegenheit zu geben, eure Glaubenssätze vorzutragen und zu vertreten. Ich wünsche, aber ich wage (nach früheren Erfahrungen) freilich nicht stark zu hoffen«, hier spielte, kaum merklich, ein Lächeln um den feinen Mund, »daß aus euren Verhandlungen, wenn auch nicht Versöhnung, doch gegenseitige Duldung hervorgehen möge. Bevor ihr beginnt, möchte ich euch (als Mahnung) ein paar Sätze vorlesen, die sich in einer eben veröffentlichten Geschichte unserer Tage finden. Ihr Verfasser ist der ausgezeichnete Grieche Ammianus Marcellinus, dessen Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit noch niemand bezweifelt hat. Seine Worte sind vielleicht geeignet, jenen geistigen Stolz ein ganz klein wenig zu dämpfen, den manche Zeitgenossen euch, heilige Bischöfe (gewiß mit Unrecht), vorwerfen. Ein wenig Demut ist gewiß uns allen (auch mir gebricht es leider daran) zu wünschen. Und wo die Demut fehlt, da ist so recht am Platz: die Demütigung.
Ammianus also schreibt – gib die Rolle, bitte, Serapio: ›Nicht reißende Bestien, nicht Raubtiere zerfleischen sich untereinander mit solcher Wut wie die Christen verschiedner Bekenntnisse. Hätte Mark Aurel unsere Tage erlebt, nicht von den zanksüchtigen Juden in Ägypten, von den sich zerreißenden Christen hätte er sein berühmtes Wort gesprochen: O Markomannen, Quaden und Sarmaten, endlich habe ich noch ärgere Wüteriche gefunden als ihr seid.‹ Ferner: ›Papst Liberius und Papst Felix der Zweite streiten schon lange miteinander um den römischen Bischofstuhl; da wurden neulich in der Basilika des Sicinius, wo sich die römische Christenschaft zum frommen Gottesdienst zu versammeln pflegt, an einem Tage hundertundsiebenunddreißig Menschen erschlagen.‹
Aber das ist ja nur ein kleines Vorfrühstück des Glaubenseifers gewesen! Stattlich war seine Hauptfestmahlzeit hier, in der Stadt Constantins; das erste Blut, das die neue Hauptstadt befleckte, von Gläubigen aus Gläubigen um des Glaubens willen ward es vergossen: ›Vor kurzem lieferten sich die beiden Bischöfe von Byzanz, Paulus der katholische, und Makedonius der arianische, eine regelrechte Schlacht in diesen Straßen. Auf dem Platz vor der Bischofskirche allein lagen dreitausendeinhundertfünfzig Tote. Der Magister Equitum Hermogenes, der Frieden stiften wollte, ward von den Katholischen aus seinem brennenden Palast an den Füßen durch die Straßen geschleift und die Leiche auf das scheußlichste (sehr unanständig) verstümmelt. Aber als später die Arianer gesiegt hatten, erfanden sie eine hölzerne Hebelmaschine, mit der sie den gefangenen Katholiken die Zähne des geschlossenen Mundes aufbrachen, und nun die arianisch geweihte Hostie ihnen in den Schlund hinabzwängten. Katholischen Jungfrauen verbrannten sie die Brüste mit glühenden Eisenschalen oder quetschten sie ab mit scharfen Brettern.‹ Weiter: ›Die Arianer in Edessa sind vor drei Monaten über andere Galiläer, die Valentinianer, hergefallen und haben mit Mord und Brand gegen sie gewütet.‹ (Der Statthalter beantragte die in den Gesetzen gedrohte Todesstrafe gegen die Überführten; aber ich halte alle glaubenswütigen Galiläer für nicht ganz zurechnungsfähig und habe sie begnadigt. Nur ihr Vermögen ward eingezogen, die Verletzten zu entschädigen.) ›Bald darauf hat die katholische Sekte der Novatianer in Paphlagonien viertausend römische Legionäre erschlagen.‹ Ihr werdet nun vielleicht zugeben, heilige Väter, der Staat muß doch ein wenig den Kopf schütteln über eine Religion der Liebe, welche so befremdliche Früchte zeitigt. So sagt Ammianus nicht zuviel mit den Worten: ›Der Haß der Christen untereinander übersteigt die Wut reißender Bestien gegen den Menschen.‹ Aber er ist ›Hellenist‹, werdet ihr sagen. Wohl, so führe ich ein Wort eines eurer Bischöfe an, jenes liebenswürdigen Gregor von Nazianz (um dessen Beifall ich mit so geringem Erfolg ringe); er sagt (alle Grazien standen an seiner Wiege und daneben der Engel der Nächstenliebe) in seiner jüngsten Schrift (ich studiere so gern seine an Kraftworten reiche Sprache, ohne sie doch erreichen zu können): ›Das Königreich des Himmels (das ist nämlich die Kirche) ist durch Zwietracht in ein Chaos, in einen nächtlichen Orkan, ja sogar in die Hölle selbst umgewandelt.‹
Dieser Freund der Wahrheit hat auch in einer Predigt behauptet (es ist die dritte in seiner jüngst veröffentlichten Sammlung; ich habe sie mir sofort – wegen der starken Nachfrage – gekauft, obwohl sie ziemlich teuer ist, da meine galiläischen Untertanen jeder Lehrmeinung so was gern lesen), ich, Julianus, pflege ziemlich häufig Knaben und Mädchen zu schlachten, aus ihrem Blut die Zukunft zu erforschen; die Leichen lasse ich dann – wie ich erfuhr – in die Flüsse versenken.
(Warum ich ihn nicht bestrafe, diese Schriften nicht unterdrücke, fragen meine Freunde. O nein, ich freue mich darüber, daß ein Feind von uns Hellenisten, trotz hoher Weihen, so lügt, so haßt und so verleumdet!)
Übrigens – Gerechtigkeit vor allem! Die Rechtgläubigen treiben es nicht ärger als die Arianer und die andern Ketzer; man kann homoiusios sagen oder homousios, und gleich streitsüchtig, blutdürstig und verfolgungswütig sein. Zu vielen Tausenden habt ihr euch gegenseitig geschlachtet! Aber hören wir weiter unsern trefflichen Ammian: ›Es gibt‹, sagt er, ›ausgezeichnete Bischöfe in den Provinzen; aber in Rom und in andern Großstädten bieten sie die ganze Kraft ihrer Lungen nur zum Zanken auf. Sie sammeln sich Schätze aus den Spenden alter Weiblein, zeigen sich nur in prachtvollen Gewanden, die aller Augen auf sich ziehen, und ihre schwelgerischen Gastmahle überbieten die Tafeln der Könige.‹
Und ein frommer Kirchenvater – Eusebius von Cäsarea – klagt, daß ›unaussprechliche Heuchelei und Verstellung es unter den Christen zum höchsten Grade der Bosheit gebracht haben‹; so schreibt er wörtlich. (Es sind euer überhaupt ein bißchen viele: Achtzehnhundert Bischöfe zählt man in meinem Reich.)
›Diese achtzehnhundert haben‹, berichtet Ammian, ›behufs ihrer Verständigung, in zweiundzwanzig Jahren neunzehn Kirchenversammlungen gehalten.‹ Verständigt habt ihr euch, wie es scheinen will, dabei nicht erheblich, wohl aber, klagt Ammian, durch das Hin- und Herfahren die ganze Post des Staates zugrunde gerichtet. Also (offen bekenn ich's, und ihr wißt es ja von mir) ich kann euch nicht so recht lieben und auch euch nicht glauben! Aber wie könnt ihr mir aus meinem Unglauben einen Vorwurf machen, da ihr selbst lehrt, den Glauben kann man weder erlernen noch erzwingen; er ist eine freie Gnade, die am Menschenherzen Gott wirkt, der von Ewigkeit her im voraus weiß (also unabänderlich vorherbestimmt hat), welche Seelen er so begnadigen wird. Ich zähle offenbar nicht zu den Begünstigten, bin also im voraus von Ewigkeit her zur Hölle verurteilt gewesen, bevor ich geboren ward, bevor ich in die Möglichkeit kam, eure Lehre anzunehmen oder zu verwerfen. Das ist doch nicht hübsch von eurem Gott! Vernehmt zum Schluß noch, was ich neulich den Bostrenern geschrieben habe, es gilt euch allen: ›Wieviel besser als Constantius behandle ich die Priester und Bischöfe der Galiläer. Er hat sie in Scharen verbannt, Athanasianer und andere (so daß in Samosata, in Kyzikus, in Paphlagonien, Bithynien, Galatien gar keiner mehr zu finden war), hat eure Kirchengüter eingezogen; ich habe allen die Rückkehr gestattet, allen die Güter zurückgegeben. Ja, den wackeren Bischof Aëtius von Ephesus hier, der sich um den Frieden zwischen den Seinen und den Hellenisten bemüht, hab ich längst als meinen Gast hierher geladen. Nur laß ich euch nicht, wie das früher geschah, untereinander und gegen uns Götterverehrer wüten. Gerade darüber aber toben viele von euch, frevelnd gegen die Götter und gegen unsere Gesetze. Sowenig zwing ich einen Galiläer an unsere Altäre, daß ich vielmehr von jedem, der zu den Göttern zurückkehren will, vorher Buße, Entsühnung fordere, Reinigung an Leib und Seele, die er durch den Abfall – zu den Gräbern – befleckt hat vor den hochheiligen Göttern. Aber viele Bischöfe, die nun seit Jahrzehnten geherrscht haben, wollen nicht aufhören zu herrschen, Gericht zu halten, alten Weiblein Testamente zu diktieren, Erbschaften an sich zu reißen. Gar häufig hetzen sie das dumme Volk und lassen es mit Steinen werfen auf unsere Götterbilder. Und doch ermahne ich immer wieder und wieder: Vergeltet nicht den Galiläern Gewalt mit Gewalt! Nicht Haß, Mitleid verdienen sie, belehren muß man sie, nicht verfolgen.‹
Beginnt nun eure Verhandlungen. Diese unmittelbar zu leiten, steht mir nicht zu. Ich übertrage dies Geschäft dem den Jahren nach ältesten unter den Anwesenden; es ist, wie festgestellt ward, Aëtius, der ehrwürdige Bischof der Katholiken von Ephesus.«
Sofort erhob sich ein dumpfes, grollendes Murren auf den Bänken aller Andersgläubigen.
»Ruhe, meine Lieblinge!« bat Julian. »Einer muß es nun doch wohl sein. Und bei jeder Wahl hätte der Rangstreit kein Ende genommen. Übrigens bleibe ich hier, in eurer Mitte, und sollte (was ich aber durchaus nicht annehme) der greise Aëtius nicht mit voller Unparteilichkeit seines Amtes walten, so werde ich selbst eingreifen. Ich – von dem ihr wisset, daß ich all euren abweichenden Lehrmeinungen mit gleicher – nun sagen wir, mit gleicher Unvoreingenommenheit gegenüberstehe. Mit Schmerz vermisse ich aber manch teures Haupt. So meinen gütigen Gönner, meinen Mitschüler einst zu Athen, den vorbelobten sanftmütigen Bischof Gregor von Nazianz, der in seiner jüngsten Schrift bewiesen hat, ich trage neun lebendige Teufel im Leibe. Schade, daß er nicht kam! Es hätte mich doch so lebhaft angezogen, deren richtige Namen zu erfahren; und wo im Leibe mir jeder einzelne sitzt.
Auch sind leider ausgeblieben (wohl zu stark miteinander selbst beschäftigt) die beiden heiligen Bischöfe, die sich, wie vorher beklagt, seit nunmehr sechs Jahren um den heiligen Stuhl von Rom recht lebhafte Straßengefechte liefern: Felix der Zweite und zumal der demutvolle Liberius, den ich an eine frühere Begegnung, eine (selbstverständlich nur für mich selbst) lehrreiche Unterhaltung über die Grenze von Kirchen- und von Staatsgewalt sowie über Urkundeneinführung würde gern erinnert haben. Ich behalte mir vor, bei meinem längst geplanten Besuch bei ihm in Rom darauf zurückzukommen. Ich höre übrigens mit Bedauern, ihr Katholiken, daß Papst Liberius aus Menschenfurcht in der letzten Zeit des Constantius diesem zuliebe von dem katholischen Glaubensbekenntnis (dem von Nicäa, dem athanasianischen) abgefallen ist und sich einer arianischen Sekte zugewendet hat. Ist er, der Irrgläubige, nun doch noch Haupt der rechtgläubigen Kirche? Aber das ist eure Sache! Verzeiht, ich bitte, die Frage.
Allein auch ihn, den eben genannten, den berühmten Athanasius von Alexandria (ja, ihr Arianer, brummt nicht! ›Berühmt‹ ist er doch jedenfalls und von Alexandria ist er auch; nämlich das heißt: bald zu Alexandria, bald von euch vertrieben – also von Alexandria weg), auch Athanasius also nicht hier zu sehen, bedaure ich lebhaft. Um so tiefer beklage ich das, als ich beschlossen habe, zur Grundlage eurer Verhandlungen zu machen...«, hier hielt er eine Weile inne und fuhr dann, als alle mit größter Spannung an seinem Munde hingen, mit erhobener Stimme fort, »das von ihm verfaßte und nach ihm benannte Glaubensbekenntnis: Das Athanasianum von Nicäa.«
Da brach's los.
Tobender, höllischer Lärm und wildes, wüstes, ohrenzerreißendes Geschrei. Mit Ausnahme der Katholiken und der Juden sprangen alle Anwesenden von ihren Sitzen, sprachen, riefen, zischten, schrien, brüllten zugleich gegen die Reihen der Katholiken hin, wütend und drohend auch gegen den Thron des Imperators. Der verzog keine Miene; ruhig sah er in den brodelnden, schäumenden, häßlichen Kessel hinab; nur ein Lächeln konnte er nicht ganz unterdrücken.
Der Vorsitzende, Aerius, der wackere Bischof von Ephesus, bemühte sich vergebens, die Ordnung wiederherzustellen: Alle sprachen, schrien, mit den Händen dem Gegner bis nah an die Nase fuchtelnd. Ja, aus den Reihen der heißblütigen Afrikaner flogen schon die Papyrusrollen als Wurfgeschosse gegen die Köpfe der katholischen Amtsgenossen, auf welchen die heiligen Schriften verzeichnet standen. Ein Neues Testament streifte mit scharfer Kante das Ohr des noch jugendlichen Bischofs Fortunatian von Aquileja; er blutete stark.
Lange hatte Julian von seinem erhöhten Thron herunter dem ausgebrochenen Wirrwarr zugesehen, ohne sich einzumischen: Er hatte sie recht lange gewähren lassen! Jetzt aber, als der verwundete Bischof auf den Werfer, Adherbal von Ruspe, mit geballten Fäusten losfuhr, gab er Sigiboto und Ekkard einen Wink. Die sprangen dazwischen und rissen die bereits Raufenden auseinander; zugleich hob der Imperator den rechten Zeigefinger. Da schmetterte von dem hohen Bogengang oberhalb der Säulen herab der eherne Klang der römischen Tuba, das fromme, aber lebhafte Gespräch übertönend. Alle verstummten und sahen erschrocken nach oben; totenstill ward's in der weiten Halle.
Nun erhob sich Julian vom Thron und sprach: »Nein, ihr frommen Herren, beruhigt euch. Es ist noch nicht die Posaune des Weltgerichts; freilich war es kein Wunder, brach es strafend über euch herein. Vergeblich bat ich euch, als ihr so ... nun, sagen wir, so angeregt, so eifrig wurdet: ›Hört auf mich! Selbst trotzige Alemannen und wilde Franken haben auf mich gehört.‹ Ihr nicht! Ihr gehorcht nicht meinem Wort. So muß euch die Tuba mahnen. Haltet doch Frieden, ihr Herren! ›Kindlein, liebet euch doch untereinander‹ (mahnt der Lieblingsjünger eures Gottes), statt euch die Ohren blutig zu werfen. ›Friede sei auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen‹, so sangen ehemals die Engelein. Muß ich euch Bibelsprüche lehren, ich, der von neun Dämonen Besessene? Für heute muß ich's wohl aufgeben, euch zu versöhnen. Fast besorge ich, ihr werdet auch morgen, ja noch einige Jahrhunderte so weiterstreiten. Streitet mit Gründen, aber, ich bitte sehr, nur die feineren Fragen entscheidet mit Fäusten. Und die heiligen Schriften wirken doch nur innerlich, nicht äußerlich angewendet. Eure Gewissen sind frei, eure Lehren sind mir unantastbar; wer aber den Frieden meines Reiches bricht, der wird lernen: ›Irret euch nicht, auch der Staat läßt sich nicht spotten!‹ Und da ich eurer Sanftmut nicht ganz trauen darf – nach dem eben Erlebten – kann ich euch nicht unbehütet auf die Straßen von Byzanz entlassen; leicht könnte dort der heilige Eifer neu erwachen. Deshalb (Serapio, rufe die befohlenen Germanen dort vor, die anderen stehen draußen bereit!) wird jeder von euch in seine Herberge geleitet von je zwei heidnischen Alemannen, Franken, Friesen, Sachsen, Quaden, Markomannen – die werden gewiß nicht Partei ergreifen für Athanasius oder für Arius! Dir, Sachse Sigibrand (ich kenne deine Theologie – heute ward sie beinahe hier angewandt), dir anbefehl ich den heiligen Bischof von Ruspe da. Aber sei auf deiner Hut, Kriegshauptmann! Er ist ein streitbarer Herr, er wirft gar kräftig.«
Der rotblonde Riese in seinem Wisentfell trat vor und legte nur leicht die Hand auf des Afrikaners Schulter; der knickte zusammen.
»So führe mir, Serapio, die frommen Priester durch die Straßen von Byzanz, jeden mit einer Ehrenwache von zwei Heiden. Sonst könnte euer Ansehen leiden bei dem Volk, sähe es euch werfen, schlagen und raufen auf den Gassen! Friede sei mit euch!«
(Felix Dahn: Julian der Abtrünnige, II,12 (77))
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