In der Tat können wir länger nicht verbergen, daß diese unbeschreibliche Empfindung (wie er dasjenige nannte was ihm die schöne Danae eingeflößt hatte) dieses ich weiß nicht was, welches wir, so wenig er es auch gestanden hätte, ganz ungescheut Liebe nennen wollen, in dem Lauf von wenigen Tagen so sehr zugenommen hatte, daß einem jeden andern als einem Agathon die Augen über den wahren Zustand seines Herzens aufgegangen wären. Wir wissen wohl, daß die Umständlichkeit unsrer Erzählung bei diesem Teile seiner Geschichte, den Ernsthaftern unter unsern Lesern, wenn wir anders dergleichen haben werden, sehr langweilig vorkommen wird. Allein die Achtung, die wir ihnen schuldig sind, kann uns nicht verhindern, uns die Vorstellung zu machen, daß diese Geschichte vielleicht künftig, und wenn es auch nur aus einem Gewürzladen wäre, einem jungen noch nicht ganz ausgebrüteten Agathon in die Hände fallen könnte, der aus einer genauern Beschreibung der Veränderungen, welche die Göttin Danae nach und nach in dem Herzen und der Denkungsart unsers Helden hervorgebracht, sich gewisse Beobachtungen und Kautelen ziehen könnte, von denen er vielleicht einen guten Gebrauch zu machen Gelegenheit bekommen möchte. Wir glauben also, wenn wir diesem zukünftigen Agathon zu Gefallen uns die Mühe nehmen, der Leidenschaft unsers Helden von der Quelle an in ihrem wiewohl noch geheimen Lauf nachzugehen, desto eher entschuldiget zu sein, da es allen übrigen, die mit diesen Anekdoten nichts zu machen wissen, frei steht, das folgende Kapitel zu überschlagen. [...]
"Die Quelle der Liebe", sagt Zoroaster, oder hätte es doch sagen können, "ist das Anschauen eines Gegenstandes, der unsre Einbildungskraft bezaubert." [...]
"Die Quelle der Liebe", sagt Zoroaster, oder hätte es doch sagen können, "ist das Anschauen eines Gegenstandes, der unsre Einbildungskraft bezaubert." [...]
Sein ernsthaftes Wesen machte nach und nach einer gewissen Munterkeit Platz, die ihm vieles, das er ehmals mißbilligst hatte, in einem günstigern Lichte zeigte; seine Sittenlehre wurde unvermerkt freier und gefälliger, und seine ehmaligen guten Freunde, die ätherischen Geister, wenn sie ja noch einigen Zutritt bei ihm hatten, mußten sich gefallen lassen, die Gestalt der schönen Danae anzunehmen, um vorgelassen zu werden. Vor Begierde der Beherrscherin seines Herzens zu gefallen, vergaß er, sich um den Beifall unsichtbarer Zuschauer seines Lebens zu bekümmern; und der Zustand der entkörperten Seelen deuchte ihn nicht mehr so beneidenswürdig, seitdem er im Anschauen dieser irdischen Göttin ein Vergnügen genoß, welches alle seine Einbildungen überstieg. [...]
Agathon, welcher sich angewöhnt hatte, den Leib und die Seele als zwei verschiedene Wesen zu betrachten, und in dessen Augen Danae eine geraume Zeit nichts anders, als (nach dem Ausdruck des Guidi) eine himmlische Schönheit in einem irdischen Schleier gewesen war, vermengte diese beiden Wesen je länger je mehr in seiner Phantasie mit einander, und er konnte es desto leichter, da in der Tat alle körperlichen Schönheiten seiner Göttin so beseelt waren, und alle Schönheiten ihrer Seele so lebhaft aus diesem reizenden Schleier hervorschimmerten, daß es beinahe unmöglich war, sich eine ohne die andre vorzustellen. Dieser Umstand brachte zwar keine wesentliche Veränderung in seiner Art zu lieben hervor; doch ist gewiß, daß er nicht wenig dazu beitrug, ihn unvermerkt in eine Verfassung zu setzen, welche die Absichten der schlauen Danae mehr zu begünstigen als abzuschrecken schien. "O du, für den wir aus großmütiger Freundschaft uns die Mühe gegeben haben, dieses dir allein gewidmete Kapitel zu schreiben, halte hier ein und frage dein Herz. Wenn du eine Danae gefunden hast (armer Jüngling! welche Molly Seagrim kann es nicht in deinen bezauberten Augen sein?) und du verstehest den Schluß dieses Kapitels, so kömmt unsre Warnung schon zu spät, und du bist verloren, fliehe, von dem Augenblick an, da du sie gesehen; fliehe, und ersticke den Wunsch sie wieder zu sehen! Wenn du das nicht kannst; wenn du, nachdem du diese Warnung gelesen, nicht willst: so bist du kein Agathon mehr, so bist du was wir andern alle sind; tue was du willst, es ist nichts mehr an dir zu verderben." [...]
Die große Kunst war, unter der Masque der Freundschaft seine Begierden zu eben der Zeit zu reizen, da sie selbige durch eine unaffektierte Zurückhaltung abzuschrecken schien. Allein auch dieses war nicht genug; er mußte vorher die Macht zu widerstehen verlieren; wenn der Augenblick einmal gekommen sein würde, da sie die ganze Gewalt ihrer Reizungen an ihm zu prüfen entschlossen war. Eine zärtliche Weichlichkeit mußte sich vorher seiner ganzen Seele bemeistern, und seine in Vergnügen schwimmende Sinnen mußten von einer süßen Unruhe und wollüstigen Sehnsucht eingenommen werden, ehe sie es wagen wollte, einen Versuch zu machen, der, wenn er zu früh gemacht worden wäre, gar leicht ihren ganzen Plan hätte vereiteln können. Zum Unglück für unsern Helden ersparte ihr seine magische Einbildungskraft die Hälfte der Mühe, welche sie aus einem übermaß von Freundschaft anwenden wollte, ihm die Verwandlung, die mit ihm vorgehen sollte, zu verbergen. [...]
Eine mit Lorbeerbäumen beschattete Anhöhe erhob sich aus einem spiegelhellen See, der mit Marmor gepflastert, und ringsum mit Myrten und Rosenhecken eingefaßt war. Kleine Quellen schlängelten den Lorbeerhain herab, und rieselten mit sanftem Murmeln oder lächelndem Klatschen in den See, an dessen Ufer hier und da kleine Grotten, mit Korallenmuscheln und andern Seegewächsen ausgeschmückt hervorragten, und die Wohnung der Nymphen dieses Wassers zu sein schienen. [...]
Eine Stimme, welche fähig schien, die Seelen ihren Leibern zu entführen, und Tote wieder zu beseelen (wenn wir einen Ausdruck des Liebhabers der schönen Laura entlehnen dürfen) eine so bezaubernde Stimme beseelte diese reizende Anrede. [...]
So wisset dann, schöne Leserinnen, (und hütet euch, stolz auf diesen Sieg eurer Zaubermacht zu sein,) daß Agathon, nachdem er eine ziemliche Weile in einem Gemütszustand, dessen Abschilderung den Pinsel eines Thomsons oder Geßners erfoderte, allein zurückgeblieben war, wir wissen nicht ob aus eigner Bewegung oder durch den geheimen Antrieb irgend eines antiplatonischen Genius den Weg gegen einen Pavillion genommen, der auf der Morgenseite des Gartens in einem kleinen Hain von Zitronen-, Granaten—und Myrtenbäumen auf jonischen Säulen von Jaspis ruhte; daß er, weil er ihn erleuchtet gefunden, hineingegangen, und nachdem er einen Saal, dessen herrliche Auszierung ihn nicht einen Augenblick aufhalten konnte, und zwei oder drei kleinere Zimmer durchgeeilet, in einem Cabinet, welches für die Ruhe der Liebesgöttin bestimmt schien, die schöne Danae auf einem Sofa von nelkenfarbem Atlas schlafend angetroffen; daß er, nachdem er sie eine lange Zeit in unbeweglicher Entzückung und mit einer Zärtlichkeit, deren innerliches Gefühl alle körperliche Wollust an Süßigkeit übertrifft, betrachtet hatte, endlich — von der Gewalt der allmächtigen Liebe bezwungen, sich nicht länger zu enthalten vermocht, zu ihren Füßen kniend, eine von ihren nachlässig ausgestreckten schönen Händen mit einer Inbrunst, wovon wenige Liebhaber sich eine Vorstellung zu machen jemals verliebt genug gewesen sind, zu küssen, ohne daß sie daran erwacht wäre; daß er hierauf noch weniger als zuvor sich entschließen können, so unbemerkt als er gekommen, sich wieder hinwegzuschleichen; und kurz, daß die kleine Psyche, die Tänzerin, welche seit der Pantomime, man weiß nicht warum, gar nicht seine Freundin war, mit ihren Augen gesehen haben wollte, daß er eine ziemliche Weile nach Anbruch des Tages, allein, und mit einer Miene, aus welcher sich sehr vieles habe schließen lassen, aus dem Pavillion hinter die Myrtenhecken sich weggestohlen habe.
(Wieland: Geschichte des Agathon)
(Wieland: Geschichte des Agathon)
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