"Spannend, oft überraschend und insgesamt die unterhaltsamste Sprachgeschichte [...] von einem mentalitäts- und sozialhistorischen Blickwinkel aus alle wichtigen Stationen der Sprachentwicklung [... z.B.] frühneuzeitliche Verwaltungssprache oder Besonderheiten der Sprache der Nationalsozialisten [erfasst ... und kann] mit so mancher Überraschung aufwarten, etwa dass die Mystikerinnen mit ihrem "sexuellen Wahn" entscheidenden Einfluss auf abstrakte Wortbildungen mit Endungen auf "heit" oder "keit" hatten [...]"*
(perlentaucher über Claude Haas in Die ZEIT, 18.03.2010)
*"Neuland erobert Mechthild [...] in wortbildnerischer Hinsicht. Man hat dies immer schon an den Abstrakta abgelesen [...] auf -heit, -keit, -ung(e) [...] Auch Bekenntnis (bekenntnisse) und Finsternis sind Abstraktbildungen, die typisch sind" (Göttert: Deutsch, S.113)
Zum Text:
Hildebrandslied
Heliand
Otfrid von Weißenburg
Sachsenspiegel
Die
älteste Überlieferung ist hochdeutsch geschrieben.
"Des Königs Straße soll sein so breit, dass ein Wagen dem anderen ausweichen kann. Der leere Wagen soll weichen dem beladenen und der weniger beladene dem schweren. [...] Welcher Wagen zuerst auf die Brücke kommt, der soll zuerst darüber fahren, er sei leer oder beladen.
(Denn)
wer zuerst zur Mühle kommt, der soll zuerst malen.
Eine berühmte Stelle des Mühlensprichworts wegen, das übrigens aus dem römischen Recht stammt. Nur ist die Mühle, wie man deutlich sieht, gar nicht der Witz an der Sache, sondern nur eine Art bildliche Stütze. Worum es geht, ist das Verkehrsrecht. Und tatsächlich ist der Grundsatz der Vorfahrt nach dem Sachsenspiegel noch in einem Bundesgerichtsurteil von 1952 bestätigt worden [...]" (Göttert: Deutsch, S.98)
Eine berühmte Stelle des Mühlensprichworts wegen, das übrigens aus dem römischen Recht stammt. Nur ist die Mühle, wie man deutlich sieht, gar nicht der Witz an der Sache, sondern nur eine Art bildliche Stütze. Worum es geht, ist das Verkehrsrecht. Und tatsächlich ist der Grundsatz der Vorfahrt nach dem Sachsenspiegel noch in einem Bundesgerichtsurteil von 1952 bestätigt worden [...]" (Göttert: Deutsch, S.98)
Sprachgesellschaften
Überall in Europa war man der Überzeugung, dass nur über die Muttersprache Bildung in weite Kreise zu tragen, nur von der Muttersprache hier nationale Identität zu begründen sei. [...]
Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen kannte die Idee also aus Italien und hatte deren großen Triumph vor Augen: den Abschluss eines italienischen Wörterbuchs im Jahre 1612. Die Gründung der FruchtbringendenGesellschaft auf Schloss Hornstein knüpfte Schon im Namen an die Nahrungsmetaphorik der Italiener an und verfolge auch die gleichen Ziele wie das italienische Vorbild. [...]
Dabei war die fruchtbringende Gesellschaft in erster Linie eine "Gesellschaft", ein Kreis von gleich gesinnten, der Sprachpflege als Teil höfischer Unterhaltung betrieb. [...]
Was
heute noch Rang und Namen hat, war vertreten: Martin Opitz genauso
wie Andreas Gryphius, die bedeutenden Dichter des Barock, weiter die
Theoretiker, die heute weniger bekannt sind: Philipp von Zeesen und
Justus Georg Schottel(ius) vor allem [...]
Sie standen im Wesentlichen in Korrespondenz miteinander, trafen sich aber auch gruppenweise und diskutierten anstehende Fragen, so wie im Jahre 1624, als man sich mitten in den Kriegswirren über die richtige Eindeutschung von materia auseinandersetzte. Günter Grass hat in seinem Treffen in Telgte eine solche Diskussionsrunde beschrieben, wobei er ihr freilich Züge der Gruppe 47 aus seiner eigenen Zeit verlieh." (S.174/75)
"Im Süden entstand in Straßburg die Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen, in Nürnberg gründete Georg Philipp Harsdörffer zusammen mit Johann Klaj den Pegnitzischen Blumenorden. Im Norden bildete sich unter Philipp von Zeesen die Deutschgesinnte Genossenschaft, in Hamburg, wo mit dem [...] Elbschwanenorden dann sogar eine Konkurrenz in der eigenen Stadt entstand. (S.176)
"Fürst Ludwigs sehnlichster Wunsch nach einem Wörterbuch ging erst sehr spät in Erfüllung: Mit Caspar Stieler realisierte es bis 1691 immerhin ein ehemaliges Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft, die (nach dem Tod ihrer Gründer) zu dieser Zeit längst untergegangen war. Was zuerst zustande kam, war 1638 der Entwurf einer deutschen Sprachlehre, den Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen beim Rektor des Halleschen Gymnasiums, Christian Gueintz, in Auftrag gegeben hatte und der 1645 zur Deutschen Rechtschreibung* ausgeweitet wurde." (S.177)
*Die Deutsche Rechtschreibung. Hildesheim [u. a.]: Olms 2008 (Ndr. d. Ausg. Halle 1645, hrsg. von Claudine Moulin)
"Weil eine Zentrale mit einer gewissermaßen "natürlichen" Vorrangstellung ihrer Sprache (wie in London, Paris oder Amsterdam) fehlte, entstand mehr jedenfalls als bei allen vergleichbaren europäischen Nachbarn die deutsche Einheitssprache am Schreibtisch der Gelehrten, auch wenn diese nur tatsächlich Vorhandenes aufgreifen und disziplinieren konnten." (S.184)
Aufklärung
Um 1683 und dann noch einmal knapp 15 Jahre später, 1697, setzte sich einer der bekanntesten der bedeutendsten Gelehrten Europas an den Schreibtisch und verfasste Denkschriften zur Rettung der deutschen Sprache es war Gottfried Wilhelm Leibniz. [...]
Letztlich war es nicht Berührungsangst, die bei Leibnitz den Alarm auslöste, sondern etwas ganz anderes, eine philosophische Überlegung. Seine eigentliche These lautet nämlich: eine Sprache muss rein sein, nicht im Sinne einer ästhetischen, auch nicht einer politischen, sondern einer rationalen Perspektive. Sprache dient dem Denken, sie ist ein heller Spiegel des Verstandes, eine Dolmetscherin des Gemüts und eine Behalterin der Wissenschaft. Der Zustand der Sprache, so lässt sich paraphrasieren zeigt den Zustand des Verstandes an, in der Sprache drückt man sein Inneres aus, alles wissen ist sprachlich abgelegt. Daraus ergibt sich: Nur wo man gut spricht bzw. schreibt, da denkt man auch gut." (Göttert: Deutsch, S. 206 u. 208)
Christian Wolff verwirklichte die Ideen von Leibniz. Er forderte nicht nur, dass Wissenschaftler auf Deutsch schreiben sollten. Er tat es auch. (S.210)
"Gottsched will, dass man spricht, wie man schreibt." (S.214)
Adelung schuf dann "sein großes Werk: das Grammatisch-kritische Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart" (1774-84) 1781 seine Deutsche Sprachlehre (vgl. auch s-Schreibung).(S.216) "Der aus der Lausitz stammende Lessing wird nicht berücksichtigt, weil seine Sprache zu wenig dem Hochdeutschen entspreche." (S.219)
1807-1813 erscheint dann das Wörterbuch der Deutschen Sprache in 5 Theilen" von Campe. Den "Schwerpunkt seiner Auswahl" (S.222) bildete die Literatursprache, inzwischen inklusiive Lessing. "Einzelne Persönlichkeiten konnten nur die Sprache prägen und taten es." (S.222)
Literatursprache
"1740 machte die religiös-erbauliche Literatur noch 40 Prozent aller Veröffentlichungen aus, bis 1800 sankk ihr Anteil auf 6 Prozent." (S.223) Sprache wurde zum Ausdruck des Selbstgefühls.
"Wie sich der Sturm und Drang kaum zwei Jahrzehnte behauptet hatte, so sollte allerdings auch die neue Welt der Klassik kaum mehr als zwei Jahrzehnte und angefochten Bestand haben." (S. 231)
"Goethe und Schiller schufen die Sprache der Klassik: eine Literatursprache höchsten Ranges. Aber auch sie war ganz und gar an ihre historische Stunde gebunden." (S.239)
Germanistik
"Bis zum Beginn des 20. Jahrhundert waren Germanisten Mittelalterspezialisten, der erste rein neugermanistische Lehrstuhl wurde erst 1916 für den Stefan-George-Freund Friedrich Gundolf in Heidelberg errichtet." (S.255)
Nationalismus
"Überall ging die Nationbildung mit Sprachnationalismus zusammen." (S. 259)
"Nach Gründung des Deutschen Reiches nahm der Nationalismus immer imperialistischere Züge an. Die polnische Bevölkerung gehörte zu den "Reichsfeinden". 1885 wurden fast 50.000 Menschen mit angeblich "ungeklärter Staatsangehörigkeit" aus den preußischen Ostprovinzen vertrieben, wo ist die seit Jahrhunderten gelebt hatten." (S. 272)
Stil und Jargon
"Die moderne deutsche Prosa ist ein Kind der (späten) Aufklärung, die sich selbst gerne als Popularphilosophie bezeichnete". (S.279) "[...] Lessing hat mit dieser Sprache das Feuilleton erfunden, die Verbindung von Informationen mit anregenden Witz." (S.281/82)
"Um 1800 begann sich vielmehr eine Schere zwischen Wissenschaft und Alltagswissen zu öffnen, die immer weiter auseinanderging." (S.286) "Was das europäische Ausland so nicht kannte, gehört ebenfalls zum "deutschen Sonderweg": eine Sprache der "Tiefe", bei der schon Kant die Gefahr des Unsinns angemahnt hatte." (S.287)
"Die März Revolution von 1848 brachte eine erste Verbesserung, 1874 hob das Reichspressegesetz die Zensur auf. In dieser Zeit entwickelte sich die Informationsflut zur Lawine: 200 Zeitungen an 150 Druckorten gab es um 1800, 3405 Zeitungen an 1884 Druckorten waren es um 1900. Binnen eines Jahrhunderts hat sich die Gesamtauflagenhöhe vervierzigfacht." (S.289)
"Als äußeres Zeichen dieser hochsprachlichen Einheit kann die einzige Reform betrachtet werden, die auf immerhin halbamtlichen Wege verwirklicht wurde: die der Orthografie. Offensichtlich als Reaktion auf die Reichsgründung war es der Gymnasialdirektor Konrad Duden, der 1872 seine Deutsche Rechtschreibung vorlegte, die gegen damalige radikale Vorschläge einer Vereinfachung im phonetischen Sinne die Tradition vorsichtig weiterzuentwickeln suchte." (S.293)
"Um diese Zeit hatte auch die Hochlautung eine Normierung erfahren und zwar durch den Germanistikprofessor Theodor Siebs. Der gebürtiger Norddeutsche und Spezialist für das Friesische legt er seine (aufgrund der Herkunft wieder einmal norddeutsch geprägte) Deutsche Bühnenaussprache erstmalig 1898 vor. Schon im nächsten Jahr wurde das Werk für den Schulunterricht empfohlen und sollte später den Rundfunk prägen. Auch diese Seite der Normierung war also wieder einmal allein privater Initiative entsprungen. Um 1900 hatte die deutsche Sprache jedenfalls ein Ziel erreicht, das noch wenige Jahrhunderte zuvor undenkbar schien. Die Hochsprache war Wirklichkeit geworden, der Dialekt auf eine Art privates Register zurückgedrängt." (S.294)
Literarische Moderne
"1890 tauchte der Begriff der "Moderne" in Proklamationen auf, seit 1892 erschien die Zeitschrift Die Zukunft." (S.296)
"In 40 Jahren - von 1889 bis 1929 - bot die literarische Avantgarde in Deutschland eine sprachliche Innovation, wie sie nie zuvor gewagt worden war. Ein Hauptgrund liegt in philosophischen Anregungen, die man als linguistic turn, als Wende von einer Philosophie des Seins zu einer Philosophie der Sprache, zusammengefasst hat. Ein weiterer Grund liegt in den wissenschaftlichen, politischen und sozialen Entwicklungen dieser großen Krisenzeit. [...]
Aber natürlich überlebte diese Literatur auch Verfolgung und Bücherverbrennung. Ihre Sprachtechniken wie etwa Zerstückelung und Montage fanden später, dann freilich ohne das einstige Pathos der Desillusionierung, auch Eintritt in die Praxis des Journalismus und die Werbung. Als bloßes Handwerkszeug stehen sie nun einer Sprache der Öffentlichkeit zur Verfügung." (S.313)
Lingua Tertii Imperii
Victor Klemperer hielt "minutiös Veränderungen der Sprache fest, die er in Zeitungen, Hörfunk und im mündlichen Umgang wahrnahm, und arbeitete das Material dann zu einer Studie über den Nazijargon aus. LTI steht für Lingua Tertii Imperii, für die Sprache des "Dritten Reiches". Klemperer behielt die Abkürzung im Titel bei, die einst zum Schutz gegen allzu schnelle Entdeckung diente, aber auch eine Parodie auf die Abkürzung Sprache der Nazis darstellte. (S.314)
Dabei weiß man heute, dass Klemperer in einem entscheidenden Punkte von falschen Vorstellungen ausging: Er sah die Sprache als Verführerin, hielt einzelne Wörter für ein Gift, das das Bewusstsein der damaligen Leser und Hörer angriff und all die Verbrechen der Nationalsozialisten ermöglichen half. [...]
In Wirklichkeit hat ein halbes Jahrhundert sprachwissenschaftlicher Forschung gezeigt, dass die Mittel der Sprache begrenzt sind, dass Sprache nicht selbst "verführt" oder das Denken "lenkt", sondern dass Verführung immer nur von den Benutzern der Sprache ausgeht - zum Beispiel in Form von verbrecherischen Versprechen. Eine viel zitierte Formel für diese Erkenntnis lautet: "Unschuld der Sprache und Schuld der Sprechenden" (Konrad Ehlich)." (S.315)
"Auf dem ersten Höhepunkt des Sieges über Polen und Frankreich schaffte Hitler im Januar 1941 zum großen Erstaunen viele Anhänger die "deutsche Schrift", die seit Luther gepflegte Fraktur, ab. Übrigens sollte eine Rechtschreibreform folgen, die ebenfalls auf "Modernisierung" abzielte, in diesem Falle auf Einfachheit, Klarheit (woran die Reform von 1998 inhaltlich durch aus anschloss).
Sprache im Nationalsozialismus - so lässt sich zusammenfassen - kann in erster Linie nur "Prägung" der Sprache im faschistischen Sinne bedeuten, Verwendung von Wörtern im Kontext einer den öffentlichen Raum monopolisierenden Diktatur. Eine andere Frage ist es, wieweit diese "Prägung" nach 1945 weiter wirkte." (S.320)
"An der Tatsache der Sprachregelung, wie sie insbesondere von Goebbels' Ministerium für Propaganda und Volksaufklärung verordnet worden wa,r besteht kein Zweifel. In Reichspressekammer, Reichskulturkammer und Reichsfilmkammer wurden genaue Anweisungen formulieren, an die man sich halten musste. [...]
Es ist auch interessant, dass sich das NS-Regime von einer behördlichen Sprachpflege überhaupt wenig versprach: das Sprachpflegeamt, das 1935 gegründet wurde, führte von Anfang an ein Schattendasein. Goebbels letzte offenbar mehr auf die 1923 gegründete Deutsche Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums, die 1932 das erste Goethe-Institut gründete und damit weltweit Einfluss auf die Verbreitung der deutschen Sprache nehmen sollte. Dieser Institution wurde 1941 das vom Deutschen Sprachverein so ersehnte institutionelle Sprachamt inkorporiert." (S.324)
Geteiltes und vereintes Deutschland
"Anfangs wurde gerade im Osten der "Fortbestand der Spracheinheit", die "gemeinsame Nationalsprache" betont, bevor Walter Ulbricht in den 1970er Jahren offen auf den Bruch hinsteuerte: "Die Sprache der Hitlergenerale, der Neonazis und Revanchepolitiker gehört nicht zu unserer deutschen Sprache, zur Sprache der friedliebenden Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, die wir lieben, schätzen und weiterentwickeln", hieß es damals. Eine eigene Orthografiereform scheiterte nur am Einspruch Moskaus, das seinen Germanistikstudenten nicht zweierlei Schreibweisen aufhalsen wollte." (S.333)
Ab 1984 kam es aber zu einem "Rückzieher" und es wurde ein sachlicher Sprachvergleich angestrebt.
"Man konzentrierte sich dabei vor allem auf das Vokabular, auf die Differenzen im Wortschatz zwischen dem DDR- und dem BRD-Deutsch. Tatsächlich waren diese nicht gering, Man zählte je nach wissenschaftlichen Ansatz zwischen 800 und 3000 Abweichungen. Bei einem Sprachvergleich zwischen den Tageszeitungen Die Welt und Neues Deutschland ergaben sich beispielsweise für das aus dem Finanzbereich stammende Wort Abschreibung 181 Nennungen im westdeutschen und 0 im ostdeutschen Blatt. Bei Aufsichtsrat betrug das Verhältnis 231 zu 6, bei Arbeiterklasse 3 zu 589, bei Arbeitsnormen 1 zu 23. (S.333)
Kein Österreichisch, kein Alemannisch"Als Exkurs sei ein Blick auf zwei unserer Nachbarstaaten geworfen, in denen ebenfalls deutsch gesprochen wird: auf Österreich mit Deutsch als alleiniger Amtssprache und auf die Schweiz, in der Deutsch eine von insgesamt vier Amtssprachen (neben Französisch, Italienisch und Rätoromanisch) darstellt.
[...] tatsächlich machten sich Bestrebungen bemerkbar, ein eigenständiges Österreichisch [...] zu etablieren.Entsprechend fahndete man auch hier nach Abweichungen vom Sprachgebrauch des Nachbarlandes, um auf diese Weise zu einem Österreichischen Wörterbuch zu kommen, das erstmals 1951 erschien und bis 1990 immerhin 37 Auflagen erlebte.
Allerdings halten sich die Austriazismen (also nur in Österreich gebräuchlichen Wörter) in Grenzen, sie machen mit etwa 4000 Einträgen nur 2 % der Gesamtsprache aus. Feber statt Februar, Fleischhauer statt Metzger sind Beispiele, auch Redewendungen wie Küss die Hand. Hinzukommen wienerische Regionalisten Jänner oder Fiaker, spezieller italienischer (Kassa, Paradeiser) und französischer Einfluss (Billeteur, pressieren). All dies summiert sich kaum zu einer eigenen Nationalsprache [...]" (S.338)
"[...] wenn von 36 im Österreichischen Wörterbuch aufgenommenen Austriazismen nur 5 im Duden fehlten, wird deutlich, dass jedenfalls auf der Wörterbuchebene kein
Auseinanderdriften des Deutschen in Deutschland und Österreich zu erwarten ist.
Auf ganz andere Verhältnisse trifft man in der Schweiz. Hier ist die deutsche Hochsprache zu 99 Prozent Schriftsprache, gesprochen wird außer in offiziellen Verlautbarungen oder in den Medien Schwyzertütsch, das selbst wieder in regionale Dialekte zerfällt [...]. Der in den 1930er Jahren unternommene Versuch, aus diesem Schwyzertütsch eine eigene Nationalsprache Alemannisch zu machen, wurde aufgegeben. Es blieb allerdings bei der strikten Trennung zwischen Schreib- und Sprechsprache." (S.339)
Fachsprachen und Jargon
"[...] Wer etwa das Buch Deutsch für Profis des langjährigen Leiters der Hamburger Journalistenschule, Wolf Schneider, aufschlägt sieht sich mit Forderungen nach gutem, interessanten und verständlichem Stil konfrontiert. [...]
Freilich zeigt sich auch, dass gute Journalisten nicht gute Kenner der Sprachgeschichte sein müssen. Wenn sich Schneider gegen atlantische Tiefausläufer als Geschwister von mailichen Bäumen oder halbseidenen Strumpffabrikanten richtet, übersieht er die seit alters als besonderes Stilmittel geschätzte "Vertauschung" der logischen Beziehung zwischen Adjektiv und Substantiv (in der Rhetorik Hypallage genannt). Jacob Burkhardts Buch Weltgeschichtliche Betrachtungen hieße also nicht besser Betrachtungen zur Weltgeschichte. (S.345)
"Schon immer hat Jargon zur Abgrenzung nach außen und Festigung nach innen gedient (Müslifresser, Mantafahrer). Jetzt wird er in der Standardsprache zitierfähig und vererbbar. Nicht das sprachlich Neue ist das Neue, sondern die schwindelerregende Schnelligkeit seiner Produktion und des Verbrauchs.
Vorreiter hinsichtlich der Entwicklung solcher sondern Sprachen war die Studentenbewegung der 68er, [...] Sehr bald zerfiel die Bewegung in Untergruppen, die den Frieden oder die Ökologie, die Bekämpfung der Atomkraft oder die Frauenemanzipation ins Zentrum ihre Bemühungen stellten. Von diesen Gruppen erlangte die zuletzt genannte die größte Wirkung, ja eroberte als feministische Sprachkritik bzw. feministische Linguistik Lehrstühle an den Universitäten." (S.346/347)
"Der PONS-Verlag gibt seit 2001 ein jährlich bearbeitetes Wörterbuch der Jugendsprache heraus, indem 480 wann neue Wörter besprochen und in andere Sprachen übersetzt sind: im Jahre 2008 von Aalkatchen bis Zockerweibchen." (S.348)
"Skinheads und Punks sind nur als soziale Erscheinungen einer extrem komplex gewordenen Gesellschaft zu begreifen. Etwas wieder anderes stellt die Jugendszene da, die sich im Lager der Migranten, speziell der dritten Generation ausgebildet hat. Auch hier gibt es eine bemerkenswerte sprachliche Entwicklung. Der [...] türkischstämmige deutsche Autor Feridun Zaimoglu hat dies in seinem Buch Kanak Sprak von 1995 beschrieben. Junge Türken, die gewohnt waren, als Kanaken beschimpft zu werden, haben den Begriff ins Positive gewendet und damit ihre zwischen den Kulturen changierende Sprache als Identitätssymbol aufgewertet. [...]
In diesem Fall geht es weniger um ein Aufbegehren gegen gesellschaftliche Verhältnisse als um den Versuch, unter Verletzung von sprachlichen Standards die eigene Kreativität unter Beweis zu stellen. (S.349)
"Aus der Sicht der Sprachgeschichte dürfte die Pointe jedoch darin liegen, dass die deutsche Sprache an ihren Flanken Sonderbildungen erhält, die auf die eine oder andere Weise auch den Standard beeinflussen." (S.351)
Zum Schlusskapitel über die heutige Situation der deutschen Sprache.
Sie standen im Wesentlichen in Korrespondenz miteinander, trafen sich aber auch gruppenweise und diskutierten anstehende Fragen, so wie im Jahre 1624, als man sich mitten in den Kriegswirren über die richtige Eindeutschung von materia auseinandersetzte. Günter Grass hat in seinem Treffen in Telgte eine solche Diskussionsrunde beschrieben, wobei er ihr freilich Züge der Gruppe 47 aus seiner eigenen Zeit verlieh." (S.174/75)
"Im Süden entstand in Straßburg die Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen, in Nürnberg gründete Georg Philipp Harsdörffer zusammen mit Johann Klaj den Pegnitzischen Blumenorden. Im Norden bildete sich unter Philipp von Zeesen die Deutschgesinnte Genossenschaft, in Hamburg, wo mit dem [...] Elbschwanenorden dann sogar eine Konkurrenz in der eigenen Stadt entstand. (S.176)
"Fürst Ludwigs sehnlichster Wunsch nach einem Wörterbuch ging erst sehr spät in Erfüllung: Mit Caspar Stieler realisierte es bis 1691 immerhin ein ehemaliges Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft, die (nach dem Tod ihrer Gründer) zu dieser Zeit längst untergegangen war. Was zuerst zustande kam, war 1638 der Entwurf einer deutschen Sprachlehre, den Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen beim Rektor des Halleschen Gymnasiums, Christian Gueintz, in Auftrag gegeben hatte und der 1645 zur Deutschen Rechtschreibung* ausgeweitet wurde." (S.177)
*Die Deutsche Rechtschreibung. Hildesheim [u. a.]: Olms 2008 (Ndr. d. Ausg. Halle 1645, hrsg. von Claudine Moulin)
"Weil eine Zentrale mit einer gewissermaßen "natürlichen" Vorrangstellung ihrer Sprache (wie in London, Paris oder Amsterdam) fehlte, entstand mehr jedenfalls als bei allen vergleichbaren europäischen Nachbarn die deutsche Einheitssprache am Schreibtisch der Gelehrten, auch wenn diese nur tatsächlich Vorhandenes aufgreifen und disziplinieren konnten." (S.184)
Aufklärung
Um 1683 und dann noch einmal knapp 15 Jahre später, 1697, setzte sich einer der bekanntesten der bedeutendsten Gelehrten Europas an den Schreibtisch und verfasste Denkschriften zur Rettung der deutschen Sprache es war Gottfried Wilhelm Leibniz. [...]
Letztlich war es nicht Berührungsangst, die bei Leibnitz den Alarm auslöste, sondern etwas ganz anderes, eine philosophische Überlegung. Seine eigentliche These lautet nämlich: eine Sprache muss rein sein, nicht im Sinne einer ästhetischen, auch nicht einer politischen, sondern einer rationalen Perspektive. Sprache dient dem Denken, sie ist ein heller Spiegel des Verstandes, eine Dolmetscherin des Gemüts und eine Behalterin der Wissenschaft. Der Zustand der Sprache, so lässt sich paraphrasieren zeigt den Zustand des Verstandes an, in der Sprache drückt man sein Inneres aus, alles wissen ist sprachlich abgelegt. Daraus ergibt sich: Nur wo man gut spricht bzw. schreibt, da denkt man auch gut." (Göttert: Deutsch, S. 206 u. 208)
Christian Wolff verwirklichte die Ideen von Leibniz. Er forderte nicht nur, dass Wissenschaftler auf Deutsch schreiben sollten. Er tat es auch. (S.210)
"Gottsched will, dass man spricht, wie man schreibt." (S.214)
Adelung schuf dann "sein großes Werk: das Grammatisch-kritische Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart" (1774-84) 1781 seine Deutsche Sprachlehre (vgl. auch s-Schreibung).(S.216) "Der aus der Lausitz stammende Lessing wird nicht berücksichtigt, weil seine Sprache zu wenig dem Hochdeutschen entspreche." (S.219)
1807-1813 erscheint dann das Wörterbuch der Deutschen Sprache in 5 Theilen" von Campe. Den "Schwerpunkt seiner Auswahl" (S.222) bildete die Literatursprache, inzwischen inklusiive Lessing. "Einzelne Persönlichkeiten konnten nur die Sprache prägen und taten es." (S.222)
Literatursprache
"1740 machte die religiös-erbauliche Literatur noch 40 Prozent aller Veröffentlichungen aus, bis 1800 sankk ihr Anteil auf 6 Prozent." (S.223) Sprache wurde zum Ausdruck des Selbstgefühls.
"Wie sich der Sturm und Drang kaum zwei Jahrzehnte behauptet hatte, so sollte allerdings auch die neue Welt der Klassik kaum mehr als zwei Jahrzehnte und angefochten Bestand haben." (S. 231)
"Goethe und Schiller schufen die Sprache der Klassik: eine Literatursprache höchsten Ranges. Aber auch sie war ganz und gar an ihre historische Stunde gebunden." (S.239)
Germanistik
"Bis zum Beginn des 20. Jahrhundert waren Germanisten Mittelalterspezialisten, der erste rein neugermanistische Lehrstuhl wurde erst 1916 für den Stefan-George-Freund Friedrich Gundolf in Heidelberg errichtet." (S.255)
Nationalismus
"Überall ging die Nationbildung mit Sprachnationalismus zusammen." (S. 259)
"Nach Gründung des Deutschen Reiches nahm der Nationalismus immer imperialistischere Züge an. Die polnische Bevölkerung gehörte zu den "Reichsfeinden". 1885 wurden fast 50.000 Menschen mit angeblich "ungeklärter Staatsangehörigkeit" aus den preußischen Ostprovinzen vertrieben, wo ist die seit Jahrhunderten gelebt hatten." (S. 272)
Stil und Jargon
"Die moderne deutsche Prosa ist ein Kind der (späten) Aufklärung, die sich selbst gerne als Popularphilosophie bezeichnete". (S.279) "[...] Lessing hat mit dieser Sprache das Feuilleton erfunden, die Verbindung von Informationen mit anregenden Witz." (S.281/82)
"Um 1800 begann sich vielmehr eine Schere zwischen Wissenschaft und Alltagswissen zu öffnen, die immer weiter auseinanderging." (S.286) "Was das europäische Ausland so nicht kannte, gehört ebenfalls zum "deutschen Sonderweg": eine Sprache der "Tiefe", bei der schon Kant die Gefahr des Unsinns angemahnt hatte." (S.287)
"Die März Revolution von 1848 brachte eine erste Verbesserung, 1874 hob das Reichspressegesetz die Zensur auf. In dieser Zeit entwickelte sich die Informationsflut zur Lawine: 200 Zeitungen an 150 Druckorten gab es um 1800, 3405 Zeitungen an 1884 Druckorten waren es um 1900. Binnen eines Jahrhunderts hat sich die Gesamtauflagenhöhe vervierzigfacht." (S.289)
"Als äußeres Zeichen dieser hochsprachlichen Einheit kann die einzige Reform betrachtet werden, die auf immerhin halbamtlichen Wege verwirklicht wurde: die der Orthografie. Offensichtlich als Reaktion auf die Reichsgründung war es der Gymnasialdirektor Konrad Duden, der 1872 seine Deutsche Rechtschreibung vorlegte, die gegen damalige radikale Vorschläge einer Vereinfachung im phonetischen Sinne die Tradition vorsichtig weiterzuentwickeln suchte." (S.293)
"Um diese Zeit hatte auch die Hochlautung eine Normierung erfahren und zwar durch den Germanistikprofessor Theodor Siebs. Der gebürtiger Norddeutsche und Spezialist für das Friesische legt er seine (aufgrund der Herkunft wieder einmal norddeutsch geprägte) Deutsche Bühnenaussprache erstmalig 1898 vor. Schon im nächsten Jahr wurde das Werk für den Schulunterricht empfohlen und sollte später den Rundfunk prägen. Auch diese Seite der Normierung war also wieder einmal allein privater Initiative entsprungen. Um 1900 hatte die deutsche Sprache jedenfalls ein Ziel erreicht, das noch wenige Jahrhunderte zuvor undenkbar schien. Die Hochsprache war Wirklichkeit geworden, der Dialekt auf eine Art privates Register zurückgedrängt." (S.294)
Literarische Moderne
"1890 tauchte der Begriff der "Moderne" in Proklamationen auf, seit 1892 erschien die Zeitschrift Die Zukunft." (S.296)
"In 40 Jahren - von 1889 bis 1929 - bot die literarische Avantgarde in Deutschland eine sprachliche Innovation, wie sie nie zuvor gewagt worden war. Ein Hauptgrund liegt in philosophischen Anregungen, die man als linguistic turn, als Wende von einer Philosophie des Seins zu einer Philosophie der Sprache, zusammengefasst hat. Ein weiterer Grund liegt in den wissenschaftlichen, politischen und sozialen Entwicklungen dieser großen Krisenzeit. [...]
Aber natürlich überlebte diese Literatur auch Verfolgung und Bücherverbrennung. Ihre Sprachtechniken wie etwa Zerstückelung und Montage fanden später, dann freilich ohne das einstige Pathos der Desillusionierung, auch Eintritt in die Praxis des Journalismus und die Werbung. Als bloßes Handwerkszeug stehen sie nun einer Sprache der Öffentlichkeit zur Verfügung." (S.313)
Lingua Tertii Imperii
Victor Klemperer hielt "minutiös Veränderungen der Sprache fest, die er in Zeitungen, Hörfunk und im mündlichen Umgang wahrnahm, und arbeitete das Material dann zu einer Studie über den Nazijargon aus. LTI steht für Lingua Tertii Imperii, für die Sprache des "Dritten Reiches". Klemperer behielt die Abkürzung im Titel bei, die einst zum Schutz gegen allzu schnelle Entdeckung diente, aber auch eine Parodie auf die Abkürzung Sprache der Nazis darstellte. (S.314)
Dabei weiß man heute, dass Klemperer in einem entscheidenden Punkte von falschen Vorstellungen ausging: Er sah die Sprache als Verführerin, hielt einzelne Wörter für ein Gift, das das Bewusstsein der damaligen Leser und Hörer angriff und all die Verbrechen der Nationalsozialisten ermöglichen half. [...]
In Wirklichkeit hat ein halbes Jahrhundert sprachwissenschaftlicher Forschung gezeigt, dass die Mittel der Sprache begrenzt sind, dass Sprache nicht selbst "verführt" oder das Denken "lenkt", sondern dass Verführung immer nur von den Benutzern der Sprache ausgeht - zum Beispiel in Form von verbrecherischen Versprechen. Eine viel zitierte Formel für diese Erkenntnis lautet: "Unschuld der Sprache und Schuld der Sprechenden" (Konrad Ehlich)." (S.315)
"Auf dem ersten Höhepunkt des Sieges über Polen und Frankreich schaffte Hitler im Januar 1941 zum großen Erstaunen viele Anhänger die "deutsche Schrift", die seit Luther gepflegte Fraktur, ab. Übrigens sollte eine Rechtschreibreform folgen, die ebenfalls auf "Modernisierung" abzielte, in diesem Falle auf Einfachheit, Klarheit (woran die Reform von 1998 inhaltlich durch aus anschloss).
Sprache im Nationalsozialismus - so lässt sich zusammenfassen - kann in erster Linie nur "Prägung" der Sprache im faschistischen Sinne bedeuten, Verwendung von Wörtern im Kontext einer den öffentlichen Raum monopolisierenden Diktatur. Eine andere Frage ist es, wieweit diese "Prägung" nach 1945 weiter wirkte." (S.320)
"An der Tatsache der Sprachregelung, wie sie insbesondere von Goebbels' Ministerium für Propaganda und Volksaufklärung verordnet worden wa,r besteht kein Zweifel. In Reichspressekammer, Reichskulturkammer und Reichsfilmkammer wurden genaue Anweisungen formulieren, an die man sich halten musste. [...]
Es ist auch interessant, dass sich das NS-Regime von einer behördlichen Sprachpflege überhaupt wenig versprach: das Sprachpflegeamt, das 1935 gegründet wurde, führte von Anfang an ein Schattendasein. Goebbels letzte offenbar mehr auf die 1923 gegründete Deutsche Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums, die 1932 das erste Goethe-Institut gründete und damit weltweit Einfluss auf die Verbreitung der deutschen Sprache nehmen sollte. Dieser Institution wurde 1941 das vom Deutschen Sprachverein so ersehnte institutionelle Sprachamt inkorporiert." (S.324)
Geteiltes und vereintes Deutschland
"Anfangs wurde gerade im Osten der "Fortbestand der Spracheinheit", die "gemeinsame Nationalsprache" betont, bevor Walter Ulbricht in den 1970er Jahren offen auf den Bruch hinsteuerte: "Die Sprache der Hitlergenerale, der Neonazis und Revanchepolitiker gehört nicht zu unserer deutschen Sprache, zur Sprache der friedliebenden Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, die wir lieben, schätzen und weiterentwickeln", hieß es damals. Eine eigene Orthografiereform scheiterte nur am Einspruch Moskaus, das seinen Germanistikstudenten nicht zweierlei Schreibweisen aufhalsen wollte." (S.333)
Ab 1984 kam es aber zu einem "Rückzieher" und es wurde ein sachlicher Sprachvergleich angestrebt.
"Man konzentrierte sich dabei vor allem auf das Vokabular, auf die Differenzen im Wortschatz zwischen dem DDR- und dem BRD-Deutsch. Tatsächlich waren diese nicht gering, Man zählte je nach wissenschaftlichen Ansatz zwischen 800 und 3000 Abweichungen. Bei einem Sprachvergleich zwischen den Tageszeitungen Die Welt und Neues Deutschland ergaben sich beispielsweise für das aus dem Finanzbereich stammende Wort Abschreibung 181 Nennungen im westdeutschen und 0 im ostdeutschen Blatt. Bei Aufsichtsrat betrug das Verhältnis 231 zu 6, bei Arbeiterklasse 3 zu 589, bei Arbeitsnormen 1 zu 23. (S.333)
Kein Österreichisch, kein Alemannisch"Als Exkurs sei ein Blick auf zwei unserer Nachbarstaaten geworfen, in denen ebenfalls deutsch gesprochen wird: auf Österreich mit Deutsch als alleiniger Amtssprache und auf die Schweiz, in der Deutsch eine von insgesamt vier Amtssprachen (neben Französisch, Italienisch und Rätoromanisch) darstellt.
[...] tatsächlich machten sich Bestrebungen bemerkbar, ein eigenständiges Österreichisch [...] zu etablieren.Entsprechend fahndete man auch hier nach Abweichungen vom Sprachgebrauch des Nachbarlandes, um auf diese Weise zu einem Österreichischen Wörterbuch zu kommen, das erstmals 1951 erschien und bis 1990 immerhin 37 Auflagen erlebte.
Allerdings halten sich die Austriazismen (also nur in Österreich gebräuchlichen Wörter) in Grenzen, sie machen mit etwa 4000 Einträgen nur 2 % der Gesamtsprache aus. Feber statt Februar, Fleischhauer statt Metzger sind Beispiele, auch Redewendungen wie Küss die Hand. Hinzukommen wienerische Regionalisten Jänner oder Fiaker, spezieller italienischer (Kassa, Paradeiser) und französischer Einfluss (Billeteur, pressieren). All dies summiert sich kaum zu einer eigenen Nationalsprache [...]" (S.338)
"[...] wenn von 36 im Österreichischen Wörterbuch aufgenommenen Austriazismen nur 5 im Duden fehlten, wird deutlich, dass jedenfalls auf der Wörterbuchebene kein
Auseinanderdriften des Deutschen in Deutschland und Österreich zu erwarten ist.
Auf ganz andere Verhältnisse trifft man in der Schweiz. Hier ist die deutsche Hochsprache zu 99 Prozent Schriftsprache, gesprochen wird außer in offiziellen Verlautbarungen oder in den Medien Schwyzertütsch, das selbst wieder in regionale Dialekte zerfällt [...]. Der in den 1930er Jahren unternommene Versuch, aus diesem Schwyzertütsch eine eigene Nationalsprache Alemannisch zu machen, wurde aufgegeben. Es blieb allerdings bei der strikten Trennung zwischen Schreib- und Sprechsprache." (S.339)
Fachsprachen und Jargon
"[...] Wer etwa das Buch Deutsch für Profis des langjährigen Leiters der Hamburger Journalistenschule, Wolf Schneider, aufschlägt sieht sich mit Forderungen nach gutem, interessanten und verständlichem Stil konfrontiert. [...]
Freilich zeigt sich auch, dass gute Journalisten nicht gute Kenner der Sprachgeschichte sein müssen. Wenn sich Schneider gegen atlantische Tiefausläufer als Geschwister von mailichen Bäumen oder halbseidenen Strumpffabrikanten richtet, übersieht er die seit alters als besonderes Stilmittel geschätzte "Vertauschung" der logischen Beziehung zwischen Adjektiv und Substantiv (in der Rhetorik Hypallage genannt). Jacob Burkhardts Buch Weltgeschichtliche Betrachtungen hieße also nicht besser Betrachtungen zur Weltgeschichte. (S.345)
"Schon immer hat Jargon zur Abgrenzung nach außen und Festigung nach innen gedient (Müslifresser, Mantafahrer). Jetzt wird er in der Standardsprache zitierfähig und vererbbar. Nicht das sprachlich Neue ist das Neue, sondern die schwindelerregende Schnelligkeit seiner Produktion und des Verbrauchs.
Vorreiter hinsichtlich der Entwicklung solcher sondern Sprachen war die Studentenbewegung der 68er, [...] Sehr bald zerfiel die Bewegung in Untergruppen, die den Frieden oder die Ökologie, die Bekämpfung der Atomkraft oder die Frauenemanzipation ins Zentrum ihre Bemühungen stellten. Von diesen Gruppen erlangte die zuletzt genannte die größte Wirkung, ja eroberte als feministische Sprachkritik bzw. feministische Linguistik Lehrstühle an den Universitäten." (S.346/347)
"Der PONS-Verlag gibt seit 2001 ein jährlich bearbeitetes Wörterbuch der Jugendsprache heraus, indem 480 wann neue Wörter besprochen und in andere Sprachen übersetzt sind: im Jahre 2008 von Aalkatchen bis Zockerweibchen." (S.348)
"Skinheads und Punks sind nur als soziale Erscheinungen einer extrem komplex gewordenen Gesellschaft zu begreifen. Etwas wieder anderes stellt die Jugendszene da, die sich im Lager der Migranten, speziell der dritten Generation ausgebildet hat. Auch hier gibt es eine bemerkenswerte sprachliche Entwicklung. Der [...] türkischstämmige deutsche Autor Feridun Zaimoglu hat dies in seinem Buch Kanak Sprak von 1995 beschrieben. Junge Türken, die gewohnt waren, als Kanaken beschimpft zu werden, haben den Begriff ins Positive gewendet und damit ihre zwischen den Kulturen changierende Sprache als Identitätssymbol aufgewertet. [...]
In diesem Fall geht es weniger um ein Aufbegehren gegen gesellschaftliche Verhältnisse als um den Versuch, unter Verletzung von sprachlichen Standards die eigene Kreativität unter Beweis zu stellen. (S.349)
"Aus der Sicht der Sprachgeschichte dürfte die Pointe jedoch darin liegen, dass die deutsche Sprache an ihren Flanken Sonderbildungen erhält, die auf die eine oder andere Weise auch den Standard beeinflussen." (S.351)
Zum Schlusskapitel über die heutige Situation der deutschen Sprache.
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