24 April 2018

Musil, Stefan Zweig und seine Schachnovelle

Das Urteil der Mit- und Nachwelt über den Wert des Werks von Stefan Zweig ist uneinheitlich und widersprüchlich. Im Vergleich zu anderen Autoren der Moderne wie Robert Musil oder Franz Kafka wird Zweigs Erzählform als allzu traditionell, seine Sprache als rhetorisch oder gar manieriert kritisiert. Andererseits war Stefan Zweig zu Lebzeiten einer der meistgelesenen, auch vom Fachpublikum geachteten Autoren. Auch heute werden seine zahlreichen Werke, vor allem seine Erzählungen, Essays und biografischen Erzählwerke immer wieder Neuauflagen. Die "Schachnovelle" ist in vielen Schulen dauerhaft zur Klassenlektüre geworden. 

Schachnovelle (Wikipedia) 
Verfilmung 1960  (Wikipedia) 
Verfilmung 2021  (Wikipedia) 
zur Verfilmug 2021 SZ 22.9.21

Ein Journalist, der Musil Mitte der dreißiger Jahre in Wien besucht hat, berichtet, er sei mit den Worten begrüßt worden: "Sie sehen hier eine gescheiterte Existenz." Koketterie oder vielleicht doch ein heller Augenblick? Die Musil-Forschung will uns einreden, Musil sei in der Tat gescheitert, doch auf höchster Ebene, seine Niederlage sei ein Sieg, sei in Wirklichkeit ein Triumph, ja, gerade dieses Scheitern zeuge von der Größe und von der Modernität seines Werks. Die Wahrheit ist: "Der Mann ohne Eigenschaften" war misslungen und Musil tatsächlich ein ganz und gar gescheiterter Mann. Aber warum eigentlich?
Seine Bewunderer rühmen gern Musils fanatische Hingabe an sein Hauptwerk. Das ist in der Tat nicht zu bestreiten, nur trifft es den wunden Punkt. Denn noch nie hat der Fanatismus das kritische Bewusstsein begünstigt, vielmehr schließen sie sich gegenseitig aus. Vom mehr oder weniger manischen Sendungsbewusstsein geblendet, wurde Musil in wachsendem Maße zu einem unglücklichen, weltfremden Individuum.
Schon in den zwanziger Jahren fiel es ihm schwer, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. In den dreißiger Jahren wurde seine Not, da er sich fast ausschließlich dem "Mann ohne Eigenschaften" widmete, immer schlimmer. Musil lebte zusammen mit seiner Frau in Wien, in einer dürftigen, einer engen und ärmlichen Wohnung ohne fließendes Wasser, "mit dem Wasserhahn draußen im Treppenhaus". Karl Corino hat das erkundet. Doch auch für dieses kümmerliche Dasein fehlten Musil die Mittel. Er war auf Almosen angewiesen: Einige Schriftsteller und Literaturfreunde, die sein Elend sahen, gründeten, um ihm zu helfen, eine "Musil-Gesellschaft", deren Mitglieder sich verpflichteten, allmonatlich kleine Beträge für Musil zu spenden. So bescheiden sie auch waren, so reichten sie aus, das Existenzminimum für ihn und seine Frau zu sichern. Um doch etwas Geld zu verdienen, wollte er nebenher, ebenfalls in den dreißiger Jahren, einen Kriminalroman verfassen. Er sollte beweisen - mit Selbstlob hat Musil ja nie gespart -, "dass er das auch, und noch besser, könne". Er konnte es nicht, natürlich ist nichts daraus geworden.
Weil er sich selber stets im Wege stand, weil ihm seit Mitte der zwanziger Jahre so gut wie nichts gelingen wollte, wurde er mit der Zeit zu einem verbitterten und gehässigen Menschen. Seine unsägliche, seine verbissene Wut ließ er an allen Schriftstellern aus, die erfolgreich waren, vor allem an Thomas Mann, Franz Werfel, Stefan Zweig und Emil Ludwig. Als Musil im Schweizer Exil von den Behörden bedrängt wurde und ihm die Ausweisung drohte, sagte ihm Hans Mayer, er und seine Frau könnten die Erlaubnis zur Einreise nach Kolumbien er soll Mayer knapp und missbilligend erklärt haben, warum für ihn der ganze südamerikanische Kontinent nicht in Betracht komme: Da sei bereits Stefan Zweig. Ob sich das Gespräch so abgespielt hat oder nicht - es ist charakteristisch für Musils Hass auf alle Schreibenden, die Beachtliches zu Stande gebracht hatten."
(Marcel Reich-Ranicki: Musils Fiasko, 19.8.2002)


"[...] set against the gargantuan modernist tomes being written at the time, Zweig's novellas seemed pedestrian and quaint. Hofmannsthal and Joseph Roth both dispraised him, Thomas Mann plainly thought him a bad writer, and when a friend suggested to Robert Musil that he apply for a visa to Colombia in 1940, Musil protested on grounds of proximity: “Stefan Zweig’s in South America.” For Musil, apparently, anywhere in the same continent with Zweig was too close for comfort."


Yet in the cultural milieu of fin-de-siècle Vienna, the same environment that produced Arthur Schnitzler and Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil and Joseph Roth, Zweig was neither genius nor alchemist. We remember him first as a tragic victim of his own dark times, second as a Viennese bon vivant who knew everyone worth knowing—Sigmund Freud, Theodor Herzl, Romain Rolland, the list goes on—and only third as a writer, whose work has been called the “Pepsi of Austrian writing.”
After all, there is also more than a little to dislike about Zweig himself. Born in 1881 as the scion of a prosperous Moravian textile family, Zweig possessed wealth that, at least for a time, shielded him from the brutal political realities of his era, which he often refused to confront. As he wrote to Rolland in 1932: “I don’t fear the Hitlerians, even if they reach power—in two months they will devour each other.” When “the Hitlerians” did not devour each other, Zweig, whose books, because he was a prominent Jewish intellectual, had been burned in 1935, still refused to speak out against Nazi brutality. “I would never speak out against Germany,” he said on a visit to New York that same year. “I would never speak against any country.” In a striking lack of solidarity, he even continued to collaborate with Richard Strauss, then the head of the Reichsmusikkammer, on the libretto for The Silent Woman well into 1935, after the Nuremberg Laws had banished the majority of his fellow Jewish artists from their crafts.

Keine Kommentare: