Man hat an Schwanitz' Buch kritisiert, dass es nicht über Bildung, sondern über Allgemeinbildung handele und damit einer verfälschenden Gleichsetzung Vorschub leiste und dass er bei seiner Darstellung die Naturwissenschaften ausklammerte.
Dies zugegeben, ist dagegen anzuführen, dass er mit dem Untertitel "Alles, was man wissen muss" erstens sein Unternehmen selbst ironisiert und gleichzeitig mit den Worten "alles" und "wissen" auf den eigentlichen Gegenstand Allgemeinwissen verweist.
Mehr noch, im zweiten Teil seines Buches, der freilich nur etwa ein Füftel des Textes ausmacht und den Schwanitz mit "Können" überschreibt, stellt er klar, dass Bildung zum einen eine "Summe von Kenntnissen und Fähigkeiten" (S.395) ist und zum anderen etwas so Komplexes beschreibt, dass es sich der Definition weitgehend entzieht. Dann geht er noch weiter, indem er Bildung als "soziales Spiel" (S.396) bezeichnet.
Dass im Zeichen von Internet und Smartphone manche seiner Aussagen über dies Spiel überholt sind, bedeutet nicht, dass seine Ausführungen nicht Verständnishilfen dafür böten, was heute als Allgemeinbildung verstanden wird.
Wegen der aufgrund der Mathematisierung, der konsequent aufeinander aufbauenden Grundlagen und der großen Spezialisierung der Naturwissenschaften eignen sich diese nicht für dies 'soziale Spiel', bei dem man nur Teilkenntnisse braucht und das meiste schon vergessen haben kann, wenn man nur ein paar Grundkenntnisse hat und die Spielregeln kennt. Insofern ist es konsequent, wenn Schwanitz das naturwissenschaftliche Wissen ausklammert.
Was mir aber beim Hineinsehen knapp 20 Jahre nach der Erstlektüre auffällt:
die anschauliche Darstellung, die immer wieder anklingen lässt, dass es nicht um eine präzise Wiedergabe von Zusammenhängen, sondern nur um Vorverständnis schaffende Veranschaulichung geht und die Erläuterung zur Wissenschaftsentwicklung nach Thomas S. Kuhn, die verdeutlicht, dass alles wissenschaftliche Wissen nur vorläufig ist und dass es nach Kuhn keinen Weg zu immer besserer Erkenntnis darstellt, sondern eine Entwicklung, die immer wieder von kleinen Revolutionen unterbrochen wird, nach denen vorherige Gewissheiten aufgrund eines Paradigmenwechsels aufgehoben sind.
Als ich vor kurzem feststellte, dass Teenager das Buch mit Vergnügen lesen können, war mir noch nicht klar, wie viel von meinen Kenntnissen über Wissenschaftsentwicklung und Philosophie darin veranschaulicht werden.
Wenn Schwanitz diese Kenntnisse Teenagern nahe bringen konnte, dann sollte dies Buch keinesfalls in Vergessenheit geraten.
Link zu einer Rezension
Meine erste Vorstellung des Buches
Zur Ergänzung:
Ernst Peter Fischer:
Die andere Bildung.
Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte (Rezension)
Bildungskanon
Bildung und Lernen
Peter Bichsel: Die schöne Schwester Langeweile (2023)
vor 16 Stunden
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