01 Dezember 2020

Ulrich de Maizière: In der Pflicht (Autobiographie)

 Zur Einordnung der folgenden Exzerpte und Referate von Textabschnitten kann der Wikipediaartikel Ulrich de Maizière dienen.

De Maizières Ausbilder im Fahnenjunkerlehrgang war der Hauptmann Ferdinand Schörner mit dem Orden, der fachlich sehr gut, aber zu arrogant und scharf war. (Er stellte sich 1933 als eifriger Nazi heraus und stieg dann zum Generalfeldmarschall auf.) Was de Maizière von ihm gelernt hat war die Befehlssprache. Die konnte er während seiner gesamten Berufszeit gut gebrauchen. Schörner blieb sein Ausbilder in Taktik auch im Fähnrichlehrgang. Hinzu kam als Infanterielehrer der Major Erwin Rommel, der wie Schörner auch Träger des Ordens Pour le Mérite (Seite 28 und 30) war.

Am 30.6.1934 wurde de Maizière mit einem Zug von Soldaten zur Verteidigung der Kaserne in Ruppin gegen die SA losgeschickt. Mit 22 Jahren war er dafür eigentlich zu jung.

"Die Vorgänge um den 30. Juni 1934 blieben noch längere Zeit Gesprächsgegenstand. Mit Erleichterung wurde es begrüßt, daß dem ungesetzlichen, oft revolutionären Treiben der SA ein Ende gesetzt war. Die SA war entmachtet und führerlos, der Nachfolger Röhms unbedeutend. Aber dass Mord ein Mittel der Politik geworden war, ließ doch viele erschrecken." (Seite 38/39)
1935 wurde de Maizière nach Landsberg an der Warthe versetzt. "Landsberg, eine Stadt mit etwa 45.000 Einwohnern, hatte seit 1918 keine Garnison mehr beherbergt. Die Bevölkerung begrüßte daher das Bataillon mit großer Freude und Zustimmung." (Seite 40)

"Die Entlassungen Blombergs und Fritschs gaben Hitler willkommenen Anlaß zu einer grundlegenden Änderung der militärischen Spitzengliederung. Er übernahm selbst den Oberbefehl über die Wehrmacht unmittelbar; aus dem Reichskriegsministerium wurde das Oberkommando der Wehrmacht, dessen Chef Generaloberst Keitel. [...] Welche Konsequenzen es haben mußte, daß aus einem formell selbstständigen Reichsminister nun ein abhängiger 'Chef OKW' [Oberkommando der Wehrmacht] geworden war, ist mir damals nicht bewußt geworden." (S.46) 

Seite 48 

Generalmajor von Hase wurde versetzt.
"Wenn auch nicht ganz frei von Eitelkeit, besaß Hase eine natürliche Autorität. Sein Auftreten erheischte Respekt. Aus seiner Abneigung gegen Adolf Hitler und dessen Regime machte er kein Hehl. Daß dem Regiment in den militärischen Vorbereitungen für einen durch das Münchener Abkommen zunichte gewordenen Umsturz eine besondere Rolle zugedacht war, hatte er sich für sich behalten, sicherlich nicht aus fehlendem Vertrauen, mehr wohl aus dem Bestreben, seine Untergebenen nicht mit einem Wissen zu belasten, das sie gefährden konnte." (S.48) 

[...] Die Bevölkerung hatte den deutschen Einmarsch im Sudetenland als Erfolg begrüßt. Dann "wurde die Öffentlichkeit am 9./10. November durch die Ereignisse der sogenannten 'Reichs-Kristallnacht' aufgeschreckt" [...] der Vorgang und sein zeitlicher Zusammenhang machten anschaulich, welchem Wechselbad von Erfolgen und Rechtsverletzungen, von Zustimmung und Ablehnung die Menschen jener Jahre ausgesetzt waren." (Seite 48)
Im Vorgang des Angriffs auf Polen:

"In der Nacht vom 25. zum 26. August rückte die Truppe in die Bereitstellungsräume ein.
Der Angriff auf Polen sollte um 04:00 Uhr morgens beginnen. Nur wenige Stunden vorher überraschte uns der Befehl, alle Angriffsvorbereitungen einzustellen und die Truppe sofort hinter eine von der Grenze deutlich abgesetzte Linie zurückzuziehen.[...]
Am 31. August aber schien es nun doch ernst zu werden. Ein um 18:00 Uhr eingehender Befehl wies das Regiment an, nach Einbruch der Dunkelheit erneut die Ausgangsstellungen zu beziehen und am 1. September, 04.45 Uhr, die Grenze zu überschreiten. [...] (S.51)

"Unvergeßlich ist das Erlebnis der 'Feuertaufe'. Man muß es erst lernen, im Feuer feindlicher Infanteriewaffen oder der Artillerie zu liegen. Ich kenne niemanden, der dabei nicht Angst empfunden hätte. Aber man kann die Angst überwinden. Der Vorgesetzte hat es dabei leichter; auf ihn richten sich die Augen der Untergebenen, von ihm erwarten sie beispielhaftes Verhalten. Der Zwang zum Handeln überdeckt die Angst, die Erwartungen der Untergebenen wirken als Ansporn." (S.52)
"Aber zum ersten Male zu erleben, wie Kameraden in unmittelbarer Nähe sterben, greift tief in das Bewusstsein ein. Nur die Pflicht, der eigenen Verantwortung gerecht werden zu müssen, hilft über solche Belastungen hinweg. [...] der Stolz über die eigenen Erfolge konnte das Mitgefühl für den geschlagenen Gegner nicht ganz verdrängen. "(S. 53)
Nach dem Ende des Polenfeldzug wurde die Truppe in 32-stündiger Eisenbahnfahrt an die französische Grenze verlegt
"Vor allem die Kameraden, die schon am Polenfeldzug nicht hatten teilnehmen können, fürchteten, es würde Ihnen zum zweiten Male die Möglichkeit verwehrt werden, sich im Gefecht zu bewähren und eigene Kriegserfahrungen zu sammeln." (S. 58)
"Obwohl der Feldzug in Frankreich praktisch schon entschieden war, erklärte Oberst von Witzleben: 'Sie brauchen keine Sorge zu haben. Sie haben noch nichts versäumt.' Damals hatten wir keinerlei Verständnis für seine Aussage, aber dieses Mal bewies er den größeren Weitblick." (Seite 59)

Zum 20. Juli 1944:
"Das Attentat bedeutete einen tiefen Einschnitt in das innere Gefüge der Truppe. Bisher hatte man im Heer offen sprechen, Kritik üben oder sogar Zweifel an dem vielbeschworenen Endsieg äußern können, ohne fürchten zu müssen, denunziert zu werden. Wenige Ausnahmen bestätigten nur die Regel. [...] Dies änderte sich nach dem 20. Juli. (Seite 90)

Mein angestauter Ärger über das 'Herumgereichtwerden' veranlasste mich, den Personalbearbeiter des OB West vorzuschlagen, mich, wenn er jetzt keine angemessene Verwendung für mich habe, nach Göttingen zu meiner Frau zur beurlauben, wo ich mich ja jederzeit abrufbereit halten könnte. Er stimmte zu und so verlebten wir zweite Flitterwochen in einer kleinen Wohnung, die uns eine Freundin meiner Frau in Göttingen zur Verfügung stellte. Wir genossen diese Zeit; aber je länger sie dauerte, umso mehr belastete sie mein Gewissen. (Seite 98) 

"[...] Die Alliierten drangen über die deutschen Reichsgrenzen auf den Rhein vor. Ich aber saß als Zuschauer in der Heimat. Unter Umgehung des OB West meldete ich mich Ende Januar von Hannover aus telefonisch beim Heeres-Personalamt mit der Frage, ob man mich eigentlich vergessen habe. Und anscheinend hatte man mich wirklich aus den Augen verloren; jedenfalls freute sich der zuständige Referent zu hören, daß ich wieder einsatzbereit und verfügbar sei. Er stellte eine Benachrichtigung innerhalb weniger Tage in Aussicht." (S.98/99)

Das Kriegsende
"Der Dienst in der Operationsabteilung führte mich mehrfach in die Reichskanzlei zum unmittelbaren Vortrag bei Adolf Hitler." (S. 103)
Die kleine Lage fand jede Nacht gegen 1:00 Uhr im Bunker der Reichskanzlei statt. Dort trugen nur rangjüngere Offiziere vor, [...]" (S. 104)  

"Aber so hinfällig Hitler auch zunächst erschien, Das Bild änderte sich mit dem Beginn des Vortrages. Er hörte aufmerksam zu, griff oft und lebhaft in die Vorträge ein, stellte ergänzende Fragen. Wenn er zu sprechen begann, belebten sich Augen und Sprache. Sie bekamen Farbe, Energie, oft auch Schärfe." (S. 105)


"Am 15. März hatte sich der eine Woche zuvor zum Oberbefehlshaber West ernannte Feldmarschall Kesselring zum Vortrag angemeldet. Wir glaubten zu wissen, daß Kesselring entschlossen war, Hitler zu erklären, die Westfront sei ohne wesentliche Verstärkungen nicht mehr zu halten. Die politischen Konsequenzen waren offensichtlich. Kesselring traf zwischen 01:00 Uhr und 02:00 Uhr nachts nach langer Autofahrt ein. Hitler ging ihm mit ausgestreckten Armen entgegen und bedankte sich mit überschwänglichen, warmen Worten für sein Erscheinen. Dann trug Kesselring etwa 1 Stunde lang vor, sachlich, nüchtern und wahrheitsgemäß. Anschließend nahm Hitler das Wort, sprach fast die gleiche Zeit mit großen Worten und Gebärden, ohne eine kurzfristig wirksame, konkrete Hilfe zu zu sagen. Und Kesselring verabschiedete sich mit den Worten: 'Mein Führer! Ich will es noch einmal versuchen.'
Dieser Vorgang machte ein Phänomen deutlich, über das schon oft geschrieben ist, das dennoch nur schwer zu verstehen ist. Von Adolf Hitler ging selbst in seinem kranken Zustand eine Wirkung aus, die – rückschauend betrachtet – ein Schlüssel für so vieles sein kann, was sich damals zugetragen hat und heute unverständlich erscheint. Hitler besaß eine unerklärliche, ich scheue mich nicht zu sagen, dämonische persönliche Ausstrahlungskraft, die man kaum beschreiben, erst recht nicht begreifen kann, und der sich nur ganz wenige Menschen haben entziehen können. Selbst ältere, lebenserfahrene und ranghohe Persönlichkeiten unterlagen dieser Wirkung." (S.105/06) [...]
Seine Geisteskrankheit bestand in einer hypertrophen Selbstidentifikation mit dem deutschen Volk. Er schien mir subjektiv davon überzeugt zu sein – und er sprach das auch so aus –, daß mit dem Ende seines Lebens und seiner Ideologie eine weitere Existenzmöglichkeit für das deutsche Volk nicht mehr bestünde. [...]
Schließlich besaß Hitler ein ebenfalls als abnorm zu bezeichnendes, detailliertes Gedächtnis für Zahlen und technische Daten. Es gelang ihm immer wieder, Vortragende bloßzustellen und zu verunsichern, indem er ihnen Ungenauigkeiten in technischen Details nachwies. Diese scheinbare fachliche Überlegenheit verstärkte die schon beschriebene erdrückende Ausstrahlungskraft.
Um nicht mißverstanden zu werden: ich habe hier nur über die von Hitler als Person ausgehende Wirkung auf seine Umgebung berichtet: die Amoralität seines Denkens und Handelns ist ein anderes Thema." (S.106)


"Dönitz und Jodl erwiesen sich jetzt als starke Persönlichkeiten mit Initiative und Tatkraft. Ihr politisches und militärisches Ziel war eine rasche Beendigung des Krieges. Die noch verbleibende Zeit sollte genutzt werden, so viele Menschen wie möglich, Soldaten und vor allem Zivilisten, aus dem Osten des Reiches dem Zugriff der Sowjets zu entziehen." (S. 107)
Über Jodl:
"Mit starkem Willen und nach einem klaren mit Dönitz abgestimmten Konzept war er die treibende Kraft für die Abwicklung des Krieges bis zur Kapitulation. Ihm ist es zuzuschreiben, daß du mit den Engländern eine vorgezogene Teilkapitulation abgeschlossen werden konnte. Ihm verdanken Hunderttausende von Menschen, daß sie noch in die von den britischen und amerikanischen Truppen eroberten Gebiete Deutschlands ausweichen konnten. Bei aller Schuld, die Jodl in jahrelanger engster Zusammenarbeit mit dem Diktator auf sich geladen hat, [...] gebietet es die Gerechtigkeit, die Leistung dieses Mannes in den letzten Tagen des Krieges nicht unerwähnt zu lassen." (S. 116)


Zur Abwägung der Rollen bei der Durchsetzung der Inneren Führung schreibt de Maizière:

"Kielmannsegg und ich unterstützten diese Prinzipien aus Überzeugung. Allerdings war unser gesamter Ansatz vorwiegend pragmatisch bestimmt. Wir gingen vom militärischen Auftrag aus. Unser Ziel war eine einsatzbereite Armee in einem demokratischen Staat, militärisch effiziente Streitkräfte, getragen von demokratisch denkenden Soldaten. Für Baudissin hatte Priorität die liberal-demokratische Reform, in die er die Streitkräfte einbeziehen wollte und aus der heraus er ihre Einsatzbereitschaft entwickeln wollte. In den praktischen Ergebnissen stimmten wir weitgehend überein, und auf dieser Übereinstimmung beruhte unsere enge Zusammenarbeit. Ich stehe nicht an zu erklären, daß das entscheidende Verdienst in jener Zeit* Baudissin zufällt. Er war es, der die Vorstellungen vieler Mitwirkender innerhalb und außerhalb von Regierung und Parlament inspirierte und sie schließlich zu einem überzeugenden Gedankengebäude zusammenführte. Hierbei bewies er konsequente Durchsetzungskraft, auch wenn diese nicht immer frei von Intoleranz war, und eine bemerkenswerte Zivilcourage, die ihn auch schon in früheren Zeiten ausgezeichnet hatte." (S. 175)

*1951


 "Es war eine glückliche Entscheidung Adenauers gewesen, Heusinger und Speidel schon früh zur Mitarbeit zu berufen und Ihnen die militärische Verantwortung für die Vorbereitung und Durchführung des Aufbaus der Bundeswehr anzuvertrauen. In Alter und Rang fast gleich, geprägt durch vergleichbare Ausbildung als Generalstabsoffiziere und kameradschaftlichen verbunden, wurden sie von uns Jüngeren mit respektvollem Unterton gerne die 'Zwillinge' genannt, auch wenn es sich offensichtlich um zweieiige Zwillinge handelte." (Seite 197/198)

Weil ein Mangel an Offizieren bestand "entschlossen sich Bundesregierung und Parlament, den Angehörigen des Bundesgrenzschutzes (BGS) den freiwilligen Übertritt in die Bundeswehr zu ermöglichen, ein Angebot, von dem am 1. Juli 1956 etwa 10.000 Beamte aller Ränge Gebrauch machten." (Seite 208)
"Der BGS hatte bisher abseits der öffentlichen Beobachtung und Aufmerksamkeit gestanden und dabei mit großer Prägekraft einen Stil entwickelt, von dem wir fürchteten, er könne die Durchsetzung der Grundsätze der Inneren Führung erschweren. Rückschauend muss ich zugeben, daß unsere Besorgnis übertrieben war und sich nicht bestätigt hat." (Seite 209)

"Die fast sieben Bonner Jahre von Januar 1951 bis Ende 1957 bedeuteten die längste in sich geschlossene Zeit meiner bisherigen beruflichen Arbeit, die ich in der Rückschau auch als die interessanteste und fruchtbarsten Periode meines Lebens ansehe. Sie stellte meine Kameraden und mich vor eine Aufgabe, wie sie Soldaten nur selten geboten wird, die faszinierende Chance, verhältnismäßig jung an Rang und Jahren, gleichwohl geprägt durch bittere Erfahrungen, unter veränderten politischen Bedingungen praktisch aus dem Nichts heraus an der Gestaltung und dem Aufbau einer neuen Militärorganisationen mitzuwirken und dabei Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, die das Gesicht der Streitkräfte einer jungen Demokratie für die nächsten Jahrzehnte bestimmen sollten.

Wir haben in diesen Jahren, In denen die Bundesministerien, noch im Aufbau und personell klein, frei von Routine und einengenden Regelungen flexibel und reaktionsschnell arbeiten durften, mehr 'in Gang setzen' können, als mir das nur ein Jahrzehnt später als Inspektor und Generalinspektor noch möglich war." (S.210)


Truppenführer in Hannover
"In Bonn hatte ich mich aus sicherheitspolitischen Gründen für ein rasches Aufstellungstempo eingesetzt. Jetzt sah ich mich mit den nachteiligen Konsequenzen dieser Entscheidung in der Praxis gegenüber. [...] Das Dilemma zwischen dem raschen Aufstellungstempo und dem Zeitbedarf für eine solche Ausbildung ließ sich nur überbrücken, wenn die Kommandeure Schwerpunkte setzten und vorerst Lücken bewußt in Kauf. [...] Von einem homogenen Offizierskorps konnte nicht die Rede sein. Kriegserfahrene Offiziere, jedoch meist ohne solide Friedensausbildung, standen neben den Offizieren aus dem Bundesgrenzschutz und den noch wenigen aus der jungen Bundeswehr stammenden Leutnanten mit sehr kurzer Ausbildungszeit." (S. 214)


Schule der Bundeswehr für Innere Führung
Mit der Schule der Bundeswehr für Innere Führung, deren Leitung mir General Heusinger [...] über trug, hatte die Bundeswehr eine Einrichtung geschaffen, die weder im deutschen Militär noch in ausländischen Streitkräften ein Vorbild besaß. Idee und erste Planung hierzu gingen von Baudissin und seinen Mitarbeitern aus. (S. 225)
Als Definition für Innere Führung war folgende Formulierung gefunden worden:
"Die Innere Führung ist die Aufgabe aller militärischen Vorgesetzten, Staatsbürger zu Soldaten zu erziehen, die bereit und willens sind, Freiheit und Recht des deutschen Volkes und seiner Verbündeten im Kampf mit der Waffe oder in der geistigen Auseinandersetzung zu verteidigen.

Hierbei geht sie von den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten aus, bekennt sich zu den Grundwerten unserer demokratischen Ordnung, übernimmt bewährte soldatische Tugenden und Erfahrungen in unsere heutige Lebensform und berücksichtigt die Folgen der Anwendung und Wirkung moderner technischer Mittel." (Seite 228)
Schon General Weber hatte es durchgesetzt, daß die Schule davon entbunden wurde, Beurteilungsnotizen über die Lehrgangsteilnehmer zu fertigen. [Daher konnten sich die Soldaten frei äußern, ohne Nachteile befürchten zu müssen....] So erhielt die Schule einen ungeschminkten Einblick in das Leben der Truppe und konnte – wie ein 'Frühwarnsystem' – Fehlentwicklungen und unterschiedliche Handhabung in den Verbänden rechtzeitig erkennen." (Seite 231)


Führungsakademie der Bundeswehr
"Bei der Kommandoübernahme am 1. April 1962 fand ich eine Institution vor, die in kurzer Zeit eine feste, wenn auch nicht endgültige Gestalt erhalten und in der Truppe wie in der Stadt Hamburg eine anerkannte Stellung als die höchste Ausbildungsstätte der jungen Bundeswehr erworben hatte. "(Seite 241)
Wichtige Vorgänge in dieser Zeit : die Diskussion über die Notstandsgesetze "Die später in den Artikeln 115a bis 115l GG gefundenen Lösungen sind das Ergebnis mühsam ausgehandelten Kompromisse. Ich habe allerdings Zweifel, ob sie denn im Voraus kaum Einzuschätzenden schweren Belastungen eines Verteidigungsfalles wirklich gerecht zu werden vermögen." (S. 245)

Spiegel Affäre
"Verteidigungsminister Strauß rechtfertigte in einer geschickt angelegten Rede sein Verhalten in der die Öffentlichkeit erregenden 'Spiegel -Affäre'. Trotz seiner bemerkenswerten Leistung als dynamischer Verteidigungsminister während der Aufstellungszeit mußte er wenige Wochen später sein Amt verlassen." (S. 249)


Kubakrise im Oktober 1962

Inspekteur des Heeres
Die derzeit wichtigste Aufgabe für Führung und Truppe bestand in der Verbesserung der Personallage. Die Bundeswehr litt unter Mangel an Offizieren und unter Offizieren. (S. 260)
"[...] Dennoch konnte er die Sorgen um einen ausreichenden Offiziernachwuchs kaum mildern. Im Zuge der allgemeinen Bildungsreform der siebziger Jahre wurde diese Konzeption durch die Gründung der Bundeswehrhochschulen gänzlich verändert. (S. 261)


Generalinspekteur der Bundeswehr

"Mit der Ernennung General de Maizières zum Generalinspekteur 1966 setzte die politische Führung ein klares Signal für die Innere Führung." (WikipediaInnere Führung)

Die letzten Wochen der Regierung Erhard
"[...] Die Vorgänge um den Rücktritt dreier hohe Generale – nach meinem Vorgänger, General Trettner und dem Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutenant Panitzki, hat er auch der Befehlshaber im Wertbereich III, Generalmajor Günter Pape, um seine Entlassung gebeten – wurden im Parlament und Öffentlichkeit aufmerksam beobachtet und als Prüfstein für die Anerkennung des Primats der Politik durch die hohen Offiziere der Bundeswehr angesehen. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, ein General könne seinem Minister in einer schwierigen Situation seinen politischen Willen aufzwingen, gar einen Minister stürzen, sagte mir unter vier Augen ein befreundeter besorgter Bundestagsabgeordneten.

Daran hatte ich auch beileibe nicht gedacht. Gewiß besaß der neue Generalinspekteur zunächst eine starke Position – der Minister konnte ihn ja nicht sofort wieder fallen lassen. Ich konnte daher einiges durchsetzen, was bisher kaum erreichbar erschien. Andererseits hielt ich mich mit meinen Forderungen bewußt im Rahmen von Wortlaut und Geist des Grundgesetzes. Eine Verfassungsänderung zugunsten der militärischen Führung stand außerhalb meiner Überlegungen; das ließ ich auch die hohen Offiziere der Bundeswehr wissen. Diese Haltung erleichterte die Entscheidungen des Ministers, auch wenn er sie gegen den Rat seines Staatssekretärs traf. (S. 282)
"
Es war der Öffentlichkeit kaum bewusst, wie eng sich das Beziehungsgeflecht zwischen den Generalstabschefs der NATO-Mitgliedstaaten inzwischen entwickelt hatte. Sie trafen sich regelmäßig während der Sitzungen des Militärausschusses, zu den Beratungen der Verteidigungsminister im DPC (Defence Planning Committee) und der NPG." (S. 301)

Unter dem ersten sozialdemokratischen Verteidigungsminister

"Ich erinnerte mich an ein Gespräch, das Fritz Erler – damals Führer der Opposition – etwa ein Jahr vor seinem Tode (22. Februar 1967) mit mir geführt hatte. Ihre eigentliche Bewährungsprobe auf Verfassungstreue und demokratische Zuverlässigkeit, so meinte er damals, werde die Bundeswehr erst dann abzulegen haben, wenn einmal einem Sozialdemokraten als Verteidigungsminister die Befehls- und Kommandogewalt übertragen würde. Dies sollte nun Wirklichkeit werden, fast 50 Jahre, nachdem der Sozialdemokrat Gustav Noske als Reichswehrminister für kurze Zeit ein vergleichbares Amt innegehabt hatte." (S.312)
Helmut Schmidt fragte wie denke der Generalinspekteur, wie die Mehrheit der Offiziere darüber, und was erwarte man von ihm? In meiner Antwort wies ich zunächst darauf hin, dass der Verteidigungsminister – möglichst von der gleichen Partei wie der Kanzler – eine politisch erfahrene und profilierte Persönlichkeit sein müsse, mit Gewicht im Kabinett und Parlament, mit internationaler Erfahrung und nicht zuletzt mit Autorität gegenüber den Streitkräften. In der SPD sähe ich keinen Politiker, der bessere Voraussetzungen für dieses Amt mitbringe als ihn. Die Zuschriften aus der Bundeswehr kämen wohl überwiegend von jüngeren Offizieren – Schmidt nickte –, während ich die Stimmung der älteren Offiziere am besten mit dem Worten beschreiben könne: 'Wenn schon SPD, dann Helmut Schmidt.' (S. 312)
"Schmidt erwarb sich durch seine mit politischer Erfahrung geplante Sachkenntnis bald Respekt und Ansehen bei seinen Kollegen. Die von ihm bevorzugte ungeschminkte Sprache – ähnlich der des langjährigen britischen Verteidigungsministers Denis Healey – entsprach nicht immer diplomatischen Brauch, ließ aber dafür seine Auffassungen klar erkennen. Die Amerikaner, insbesondere ihr Verteidigungsminister Melvin Laird, schätzten diesen Umgangston." (S.323)

"Nach den Ansprachen des stellvertretenden Generalinspektors und des Ministers erhielt ich das Wort zu einer letzten Rede als aktiver Soldat. Es spiegelt mein Empfinden für den Sinn meines Dienstes seit 1951 wieder, wenn ich dabei sagte:
Wir Soldaten träumen nicht von Frieden. Wir planen ihn – oder lassen Sie mich lieber sagen – wir helfen, ihn zu planen. Wir planen, den Frieden zu erhalten, zu sichern und – falls eher verloren gehen sollte – so rasch wie möglich wieder herzustellen. Wir meinen dabei einen Frieden in Freiheit. Das ist zugleich die Aufgabe der Bundeswehr. Der Soldat bezieht seinen Selbstverständnis aus dieser Aufgabe, er ist daher mit der Politik aufs engste verbunden." (S.333)

Willy Brandt sagte dazu: "Das, was Sie da vorhin in Ihrer Rede gesagt haben, Herr General, ist im besten Sinne des Wortes preußisch." (S. 333)

(Ulrich de Maizière: In der Pflicht (Autobiographie) 1989)



Die Welt 2011 über Ulrich de Maizière:

"Kurz nach seiner Ernennung hält er am 20. Juli, dem Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler, eine viel beachtete Rede in der Bonner Beethovenhalle: "Der Widerstand formt das Traditionsbild der Bundeswehr". Bald darauf droht der Kalte Krieg heiß zu werden, im August 1968 rücken Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei ein und beenden den Prager Frühling brutal. Nun trägt jener Mann, der einst in Hitlers Bunker saß, Kurt Georg Kiesinger die Lage im Bundeskanzleramt vor.

Insgesamt fünfeinhalb Jahre bekleidet Ulrich de Maizière das Amt des ranghöchsten Soldaten - unter drei höchst unterschiedlichen Regierungskoalitionen. Nach dem Abschied aus dem Amt 1972 bleibt er noch beratend für das Verteidigungsministerium tätig und wird Ehrenpräsident der Clausewitz-Gesellschaft. In seiner Zeit in der Bundeswehr erwirbt er sich den Ruf eines untadeligen Reformers.

Darauf kann sein Sohn als neuer Verteidigungsminister aufbauen, wenn er jetzt die größte Strukturveränderung in der Geschichte der Bundeswehr vollenden muss: Der Name de Maizière hat in der Truppe einen guten Ruf." (Die Welt, 6.3.2011)



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