26 Juni 2021

Lewis Wallace: Ben Hur - Latein und die Römer; der König, der da kommen sollte

Ein privater Konflikt mit Messala und der jüdische Wunsch nach Autonomie

"[...]  »Heute nachmittag, Scheik, werde ich dir Sirius zurückgeben.« Ben Hur streichelte bei diesen Worten den Hals des alten Pferdes. »Ich werde ihn dir zurückgeben und es mit dem Wagen versuchen.« »So bald schon?« fragte Ilderim. »Bei Tieren wie diesen, guter Scheik, genügt ein Tag. Sie sind nicht furchtsam. Sie haben Menschenverstand und lieben die Übungen. Dieses da« – er schüttelte das Leitseil über dem Rücken des Jüngsten des Viergespanns – »du nanntest es, glaube ich, Aldebaran, ist das schnellste. Auf einer Runde um die Rennbahn würde es die anderen um das Dreifache seiner Körperlänge überflügeln.«

Ilderim wühlte in seinem Bart und sprach mit leuchtenden Augen: »Aldebaran ist das schnellste.«

»Ich habe nur eine Besorgnis, Scheik.«

Der Scheik wurde doppelt ernst.

»In seiner Gier nach Sieg kann ein Römer die Ehre nicht rein bewahren. Ihre Kniffe bei den Spielen sind unzählbar, im Wagenrennen erstreckt sich ihre Hinterhältigkeit auf alles, vom Pferd bis auf den Lenker, vom Lenker bis auf den Herrn. Deshalb, guter Scheik, laß von heute an, bis das Rennen vorüber ist, keinen Fremden die Pferde auch nur sehen. Willst du vollkommen sicher sein, so tue noch mehr: bewache sie mit bewaffneter Hand wie mit schlaflosem Auge, dann will ich für den Ausgang nichts fürchten.«

Am Zelteingang stiegen sie ab.

»Deine Worte sollen beachtet werden. Bei der Herrlichkeit Gottes! Niemand soll ihnen nahekommen und keine Hand sie berühren, außer sie gehöre einem meiner Getreuen. Heute nacht werde ich Wachen aufstellen. Doch, Sohn des Arrius,« – Ilderim zog das Päckchen hervor und öffnete es langsam, während sie an den Diwan traten und sich setzten – »sieh hier und hilf mir mit deinem Latein aus.«

Er reichte Ben Hur das Schriftstück hin.

»Da, lies. Lies laut und übertrage, was du liesest, in die Sprache deiner Väter. Latein ist mir ein Greuel.*«

Ben Hur war in guter Laune und begann sorglos zu lesen: »Messala an Gratus!« Er hielt inne. Eine Ahnung trieb ihm das Blut zum Herzen. Ilderim bemerkte seine Erregung. »Nun, ich warte.«

Ben Hur bat um Entschuldigung und begann neuerdings zu lesen. Die ersten Zeilen waren nur insofern bemerkenswert, als sie ihm bewiesen, daß der Schreiber seine Spottsucht nicht abgelegt hatte. Als der Leser sodann zu den Stellen kam, die des Gratus Gedächtnis auffrischen sollten, zitterte seine Stimme und er setzte zweimal ab, um seine Fassung wiederzugewinnen. Mit großer Anstrengung las er weiter: »– erinnere ich Dich daran, wie Du über die Familie Hur verfügtest« – hier hielt der Leser abermals inne und holte tief Atem – »und wie wir beide damals den gefaßten Plan für den wirksamsten zur Erreichung unserer Absichten hielten, nämlich die Familie zum Stillschweigen und zum unvermeidlichen, aber natürlichen Tode zu verurteilen.«

Hier versagte Ben Hur vollends die Stimme. Das Papier entfiel ihm und er barg sein Gesicht in den Händen.

»Sie sind tot – tot! Ich allein bin übrig!«

Der Scheik hatte schweigend, aber nicht teilnahmlos den Schmerz des jungen Mannes mitangesehen. Nun erhob er sich und sprach: »Sohn des Arrius, es ist an mir, dich um Entschuldigung zu bitten. Lies den Brief für dich allein. Wenn du stark genug bist, mir den Rest mitzuteilen, so laß es mich wissen, und ich werde wiederkommen.«

Er ging aus dem Zelte hinaus; nichts in seinem ganzen Leben hatte ihm besser gestanden. [...]" (19. Kapitel)


*Diesen Satz hatte mein Bruder in dem Exemplar unserer Familie unterstrichen. Daher besinne ich mich an ihn. - In dem mir vorliegenden gedruckten Exemplar steht er im 23. Kapitel. - Weshalb die Zählung von der in gutenbg.org abweicht, ist mir nicht bekannt. 


"[...] Bald darauf wurden die Taue der Galeere gelöst, diese drehte sich herum und stieß unter dem Schein der Fackeln und unter den lauten Rufen fröhlicher Schiffsleute ins Meer. Ben Hur blieb an die Sache des Königs gebunden, der da kommen sollte."  (21. Kapitel)

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