Allgemeines zur Erforschung der jüdischen Geschichte in Deutschland (bpb)
Brodersen/Dammann: Zerrissene Herzen. Die Geschichte der Juden in Deutschland
Rezension: Perlentaucher
Machtkampf zwischen dem christlichen Kaiser Theodosius und Ambrosius, dem Bischof von Mailand (S.36):
"388 stürmte hier [in: Kallinikon] eine aufgebrachte Menge Christen die örtliche Synagoge und steckte sie in Brand, was zu einer Konfrontation zwischen Kaiser Theodosius I., der gegen die Brandstifter vorgehen wollte, und Ambrosius von Mailand führte.* Als Vorwand könnte möglicherweise eine grausame Christenverfolgung des Sassanidenkönigs Schapur II. gedient haben, an der einige Jahre zuvor angeblich auch Juden mitgewirkt hatten. Ambrosius empörte sich vor allem über die kaiserliche Anweisung, die zerstörte Synagoge wieder aufzubauen. Theodosius konnte sich nicht gegen den Bischof durchsetzen; der Pogrom blieb ungesühnt." (Wikipedia: a-Raqqa)
* Dieser Vorgang von 388 sollte nicht mit dem Massaker von Thessaloniki von 390 verwechselt werden, wo Ambrosius dem Kaiser sogar mit dem Kirchenbann drohte.
Weil Juden schriftkundig waren, wurden sie bald wichtig für die weltlichen Herrscher. Unter den Kaufleuten waren sie so stark, dass schon einmal von "Juden und anderen Kaufleuten" gesprochen wurde. (S.40)
Im Mittelalter unterschied man zwischen den spanischen Juden (Serafad) und denen im deutschsprachigen Raum (Aschkenas). Unter Otto II. spielte die aus Italien stammende Familie Kalonymos eine wichtige Rolle.
Im Zusammenhang mit dem ersten Kreuzzug kam es 1096 zu Angriffen auf Juden (S. 54)
Zitat:
"Eine Folge der Gewaltausbrüche bestand deshalb darin, dass sich eine Gruppe von Juden regelrecht in ihren durch das Martyrium gestärkten Glauben hineinsteigerte. So entstand zu Zeiten der Kreuzzüge eine besondere Form der Mystik deren Anhänger als die Chasside Aschkenas, die Frommen Deutschlands, bezeichnet wurden. Begründer dieser im zwölften Jahrhundert einflussreichen Schule war Rabbi Jehuda ben Samuel genannt Juda he-Chassid (der Fromme), wiederum ein Angehöriger der Familie Kalonymos, dessen Frau und zwei Kinder von Kreuzfahrern ermordet worden waren. [...] Diese jüdische Mystik hat die religiöse Kultur des Mittelalters stark geprägt und wird im 18. Jahrhundert, m Chassidismus, noch einmal eine Blüte erleben. (S. 55) Heinrich IV. stellte sie im Mainzer Reichslandfrieden "zweifellos in guter Absicht als "homines minus potentes" (Menschen minderer Kraft) unter seinen besonderen / Schutz, entzog ihnen damit aber nebenbei das Waffenrecht, wodurch sich die Juden sozial herabgewürdigt sahen; denn wer in dieser Zeit – wie ein Sklave – keine Waffen tragen durfte, der war nicht gerade geachtet und konnte schnell zur leichten Beute werden.
So kamen die meisten Juden während des zweiten von Papst Eugen III. im Jahre 1145 initiierten Kreuzzuges zwar mit dem Leben davon, viele wurden aber – derart wehrlos – durch Plünderungen um ihren mit steigender Missgunst betrachteten Besitz gebracht: "Unterstützt durch das Geld der frevelhaften Juden", so der Abt von Cluny, Petrus Venerabilis, solle "der Übermut der ungläubigen Sarazenen besiegt" werden. Nunmehr trachtete man den Juden nicht mehr sofort nach dem Leben; dafür mussten sie den heiligen Krieg mit ihrem Hab und Gut unterstützen. (S. 56)
Das den Juden erlaubte Pfandleihgeschäft verlor wegen des Aufkommens von Schuldscheinen – und auch weil Papst Eugen III. in einer Verordnung schlicht die Zinsen annullierte, die die Kreuzfahrer jüdischen Geldverleihern für Kredite hätten zahlen müssen – zunehmend an Boden." (S.56)
"Im Pfandleihgeschäft verleiht ein Pfandleiher gegen Hinterlegung eines Pfandes und gegen einen festgesetzten Zinssatz kurzfristig Geld. Von solchen jüdischen Zinsgeschäften berichten christliche und jüdische Quellen seit dem 12. Jahrhundert. Sie wurden für viele jüdische Gemeinden zu einer wichtigen wirtschaftlichen Grundlage. Der Zinssatz, den die jüdischen Geldverleiher fordern konnten, war zumeist in amtlichen Schutzbriefen festgelegt. Er war relativ hoch: 33 Prozent Zinsen waren durch aus üblich, auch weil die Juden einen großen Anteil davon an die Regierenden abzuführen hatten." (S. 57)
Antonius Margaritha, ein jüdischer Konvertit, verfasste im frühen 16. Jh. eine Streitschrift gegen die Juden: Der gantz judisch Glaub. Josel von Rosheim, der bedeutendste Fürsprecher der Juden erwirkte dagegen 1544 ein Privileg Kaiser Karls V., das die Rechte der Juden normalisierte."In den nächsten Jahren verteidigte er [Josel von Rosheim] "jüdische Gemeinden in Deutschland, Ungarn, Prag, Italien und an anderen Orten. Nachdem Martin Luther ihm die Unterstützung beim Kampf um die Aufhebung des kurfürstlichen Ediktes der Ausweisung aller Juden aus Sachsen und eine persönliche Begegnung 1537 verwehrt hatte und 1543 mit seiner Schmähschrift Von den Juden und ihren Lügen eine offen judenfeindliche Position einnahm, blieb für Josel von Rosheim und die jüdischen Gemeinden nur, auf die Schutzmacht des katholischen Kaisers zu bauen. (Wikipedia) Doch mehr und mehr Städte entzogen den Juden das Aufenthaltsrecht in der Stadt, so dass im gesamten deutschen Reichsgebiet nur noch in Prag, Frankfurt/M, Worms und Friedberg größere jüdische Gemeinden zurückblieben. (S.67)
Während des Dreißigjährigen Krieges besannen sich aber die kriegführenden Parteien auf die Expertise der Juden in Geldgeschäften, als Armeeausstatter und als Unterhändler, so dass auch gegen den Widerstand der Stadtoberen Judenviertel eingerichtet wurden. Freilich kam es nach dem Ende des Krieges wieder zu Vertreibungen (Lübeck, Augsburg, Heilbronn, Schweinfurt). (S.71)
Die weit überwiegende Mehrzahl der Juden konnten freilich keinen Schutzbrief eines Territorialherren bezahlen. Sie durften daher nicht in der Stadt wohnen. Um ihnen zu ermöglichen, wenigstens tageweise eine Stadt zu besuchen und Handel zu treiben gaben die städtischen jüdischen Gemeinden Bletten, eine Art von Schutzbrief für einen Tag, an Landjuden aus. (S.73)
"Mit Isaak aus Aachen, der für Karl den Großen diplomatische Missionen übernahm, wirkte bereits Ende des 8. Jahrhunderts ein Großkaufmann im Dienste eines Fürsten. Im Mittelalter wurden Pfandleihe und Kreditvergabe gegen Zinsen ein Schwerpunkt jüdischer Kaufleute. Mehr durch ihre praktische Erfahrung und weitreichenden Beziehungen als durch das von der katholischen Kirche erst 1179 bekräftigte Zinsverbot für Christen und 1215 neu hervorgehobene Wucherverbot, die zudem schon bald kaum beachtet wurden, gewannen sie ihre Kunden. Für den im Spätmittelalter wachsenden Finanzbedarf der Wirtschaft und Politik gewährten Christen (italienische Banken, z. B. die Compagnia dei Bardi) und Juden Kredite gegen Zinsen. Als erster jüdischer Hoffaktor im Sinne eines Amtes gilt Salomon oder Salmon[2], der 1315 als Hof- und Küchenmeister von Herzog Heinrich VI. in Breslau tätig war. Samuel von Derenburg[3] diente vier Kirchenfürsten in Erzbistum Magdeburg, so Otto und Dietrich von Portitz.[4] Vivelin von Straßburg war im Elsaß eine der reichsten Personen in Europa vor seinem Tod in der Pest 1349. In England war Aaron von Lincoln bereits im 12. Jahrhundert tätig. Isaak Abarbanel war in Spanien ein großer Finanzier in der Reconquista.
Beginn am Wiener Kaiserhof und Berliner Hof
Die Geschichte der eigentlichen Hofjuden begann erst im 16. Jahrhundert: Im Jahr 1582 schuf Kaiser Rudolf II. die Institution des Hofbereiten Juden in Wien. Dieser war frei von Abgaben an Land und Stadt, hatte Maut- und Zollfreiheit für seine Waren, war ausschließlich der Gerichtsbarkeit des Obersthofmarschalls unterstellt, war befreit vom Tragen des Judenzeichens und durfte sich dort aufhalten, wo sich der Hof befand. Ab 1596 mussten diese befreytten Juden auch Sonderkontributionen für Kriegszwecke leisten.[5] Jakob Bassevi von Treuenberg, ab 1616 Vorsteher der Prager Judengemeinde, erhielt 1622 auf Betreiben Wallensteins von Ferdinand II. den Adelstitel und wurde gemeinsam mit Fürst Lichtenstein Pächter der Münzprägung.[6] 1624 wurde auch in Wien das Prägegeschäft im Kaiserlichen Münzhaus dem befreiten Juden Israel Wolf Auerbach und seinem Konsortium übertragen.[7]
Mit Michael von Derenburg hatte auch das Haus Hohenzollern in Kurbrandenburg ab 1543 früh einen Hoffaktoren. Kurfürst Joachim II. (1535–1571) ernannte den aus einer Prager Judenfamilie stammenden Lippold 1556 zum Münzmeister. Er gilt als erster Hoffaktor im umfassenden Sinne; zu seinen Aufgabe gehörte die Beschaffung des Münzmetalls und die Betreuung des Schlagschatzes."
Die Wikipedia zu Lippold Ben Chluchim und die die Kaufleute schädigenden Maßnahmen, die er als Münzmeister durchzusetzen hatte:
"1569 belehnte der König, zugleich Schwager Joachims II., ihn und die Berliner Hohenzollern als erbberechtigt im Herzogtum Preußen. Zur Finanzierung – und wegen der auch sonst verschwenderischen Hofhaltung Joachims II. – unterwarf der Kurfürst die Einwohner der Mark, insbesondere die jüdischen, hohen Steuern. Joachim II. schreckte auch nicht vor Münzverschlechterung und Konfiskationen zurück.[3]
Märkische Kaufleute, die von außerhalb der Mark Waren importierten, mussten diese in gewogenem Edelmetall bezahlen, da die märkische Münze wegen ihres herabgesetzten Edelmetallgehalts nicht mehr im Ausland akzeptiert wurde. Joachim II. verbot jedoch, die Münze zu herabgesetzten Kursen zu berechnen. Entsprechend entzogen sich die Kaufleute den Zwangskursen, indem sie zunächst ihre Außen- und Großhandelsgeschäfte in fremder Währung tätigten, und nachdem Joachim II. dies verboten hatte, in gewogenem Edelmetall zahlten. Darauf reagierte der Kurfürst mit einem Verbot, Edelmetall zu nutzen und zu besitzen. In Edelmetall erlangte Verkaufserlöse mussten zu verordneten, die entwertete Landesmünze hoch taxierenden Zwangskursen an die Landeskasse verkauft werden.[4] Märkische Juden mussten darüber hinaus kostspielig Edelmetall importieren, das sie dann unter Einstandspreis zu diktierten Inlandspreisen an den Kurfürsten liefern mussten.[5] Das machte es Kaufleuten unmöglich, zu kostendeckenden Erlösen zu im- und exportieren. Lippold war als Münzmeister beauftragt, die Zwangsmaßnahmen gegen die Kaufleute, lutherische und jüdische gleichermaßen, durchzusetzen. Zu den Maßnahmen gehörten auch Hausdurchsuchungen bei Kaufleuten, wobei gefundenes, verbotenerweise gehaltenes Edelmetall zu Gunsten des Landesherrn beschlagnahmt wurde."
Unter dem Nachfolger Joachims II.. Kurfürst Johann Georg, erging es Lippold weit schlechter. Er "wurde zum Tode durch Rädern und Vierteilen verurteilt." (mehr dazu)
Selbst der Aufklärer Lessing war vermutlich an der Münzverschlechterung Friedrichs II. von Preußen beteiligt, die der Jude Veitel-Heine Ephraim in Zusammenarbeit mit dem preußischen General von Tauentzien in Sachsen zu organisieren hatte, bei dem Lessing angestellt war. Offenbar mit den Einnahmen daraus konnte Lessing seine Schulden bezahlen und für seine Eltern sorgen. (S.73-75) [Die Wikipedia berichtet dazu nur, dass Lessing in der Zeit bei Tauentzien in Diensten stand, auch im Artikel über Tauentzien wird die Münzentwertung nicht erwähnt.]
Moses Mendelssohn
"Nie sei er von Mendelssohn weggegangen, schrieb Nikolai an Lessing, ohne entweder besser oder gelehrter zu werden.".(S. 91)
Moses "gewann mit seiner Abhandlung "Über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften" den ersten Preis der Königlichen Akademie der Wissenschaften" (S.92) Zweiter wurde der Privatdozent aus Königsberg Immanuel Kant.
Moses übersetzte mit einem Team die fünf Bücher Mose ins Deutsche und ließ sie mit hebräischen Lettern drucken, um so "über die deutsche Sprache einen Schritt zur [...] Integration der deutschen Juden zu machen" (S.96/97) Der Rabbiner Jescheskel Landau kritisierte das. Die Thora "wird dadurch herabgewürdigt zur Rolle einer Dienerin der deutschen Sprache". (S.97)
Zwischen zwei Kulturen
David Friedländer (S.100-102) sah eine Verschmelzung als unmöglich an, entschied sich für die deutsche. Rahel Levin (S.102/03) klagte "über die Zerreißprobe des Lebens in zwei Wirklichkeiten" (S.102) Christian Wilhelm Dohm und Wilhelm von Humboldt traten für die "staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden" (S.105) ein. Die Deutsche Tischgesellschaft wird, verglichen mit anderen Vereinen im Berlin ihrer Zeit, als zugleich „exklusiver und offener“ beschrieben.". (Wikipedia)
Reformer gegen Traditionalisten (S.111)
Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden: "Der Verein wurde am 7. November 1819[1] im Gefolge der Hep-Hep-Krawalle [...] gegründet und führte junge, akkulturierte Juden zusammen, die alle auf der Suche nach einer jüdischen Identität waren, die es wert sei, nach außen hin verteidigt zu werden. Gründungsmitglieder waren der zum Vorsitzenden gewählte Joseph Hilmar, Joel Abraham List, Isaac Levin Auerbach, Isaac Marcus Jost, Leopold Zunz, der Hegel-Schüler Eduard Gans und Moses Moser.[2] Der Einfluss des Antisemitismus auf die Identitätsbildung wurde gerade in dieser Zeit besonders sichtbar. Der Wunsch nach völliger Emanzipation weckte Feindseligkeiten, die durch scharfe antisemitische Polemik von Intellektuellen und Akademikern angestachelt wurden. Aber auch die Mitglieder des "Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden" waren akademisch gebildet und suchten in historischen Studien nach der Quintessenz des Judentums, mit der sie sich identifizieren konnten. Ihr erklärtes Ziel war die kritische wissenschaftliche Erforschung des Judentums. So war auch seine erste Manifestation die Wissenschaft des Judentums. Man postulierte darin die Juden als nationale Identität mit einer säkularisierten Kultur, die auf die Religion nur noch als überkommene Tradition rekurriert." (Wikipedia) Rückbesinnung und Reform des Judentums (S.116-119):
Gesetz: Sabbat, koscher, Beschneidung
Johann Jacoby: "
ein deutscher Arzt und Radikaldemokrat in Preußen.[...] als Sohn des jüdischen Kaufmanns Gerson Jacoby [...] geboren [...] „Wie ich selbst Jude und Deutscher bin, so kann in mir der Jude nicht frei werden ohne den Deutschen und der Deutsche nicht ohne den Juden.“[4]"
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