Rezensionen
Burkhard Müller : Me, myself and I, SZ 4.3.22
"[...] Als Abschluss wählt er Kafkas Parabel "Vor dem Gesetz" und folgt dem anscheinend unwiderstehlichen Drang, sie zu interpretieren: "Doch wenigstens solange man lebt, ist es nie zu spät für den eigenen Eingang, dafür, ein Einzelner zu sein." Unter den vielen Deutungen, die diese Geschichte über den Mann vom Land und den Türhüter schon gefunden hat, ragt diese durch ihren außergewöhnlich sonnigen Charakter hervor."
ZUM INHALT:
Luther (S.32ff) habe sich, so S. beim Versuch der Emanzipation von der väterlichen Autorität ins Kloster begeben, wo er materiell unabhängig vom Vater war, dann aber beim Versuch, ein vorbildlicher Mönch zu sein, über Askese und Selbstquälerei in eine Sackgasse geraten, als er dann bei der Passage im Römerbrief die Gnade erfuhr, glauben zu können, dass seine eigenen Anstrengungen gar nicht erforderlich seien. Das sei freilich nicht ein ruhiger Endzustand, weil ihn immer wieder Zweifel, "Anfechtungen", überkamen, ob er nicht doch vom Teufel, statt von Gott geritten sei.
Montaigne (S: 46 ff) sieht S. in der Tradition der Nominalisten ganz auf die Einzelheit ausgerichtet, weil alles sich von allem unterscheide, also nicht für alle Einzelheiten gelte. Sein Buch sei das erste, das - hier greift S. Montaignes Selbstaussage auf -, das nur das eigene Weltverständnis zu erkunden suche. Die kirchlichen und "staatlichen" Regeln erkennt er an, weil sie das, was ihn wirklich angeht, nicht betreffen. - Dies ganz im Gegensatz zu Luther, der mit seiner Befreiungserfahrung alle missionieren will.
Erste Zwischenbilanz
"Dass
man unterschieden wird, von außen und von anderen, ist gewissermaßen
die passive Seite des Unterschiedes. Doch es gibt auch die aktive.
Man will sich zu seinem Vorteil unterscheiden und empfindet es als
kränkend, wenn dieser Unterschied nicht bemerkt wird. Darum geht der
Kampf um Anerkennung: Man möchte als dieser Besondere, der man ist,
anerkannt werden. Normativ gesehen ist die Gleichheit die
Voraussetzung, und der Unterschied und seine Anerkennung sind das
Ziel". (S.64 )
Genau das, was bei den "Diversen" gegenwärtig geschieht.
Rousseau S.67 ff
Sich selbst als der originellste Einzelne gesehen und anderererseits im Gesellschaftsvertrag totale Unterwerfung unter die Gesellschaft gefordert.
Diderot S.80ff
Der Einzelne als geselliges Genie
"Das wahre Selbst ist ihm eine leere Mitte, wo man nichts findet, was einem Halt gibt. Wahrheiten sind nicht tief drinnen zu finden, sondern draußen im gesellschaftlichen Spiel, ..." (S.80)
Freundschaft mit Rousseau, die völlig zerbricht; er heilt sich mit der Erzählung "Rameaus Neffe", wobei der Neffe Züge von Rousseau trägt, aber sich weniger als von sich selbst überzeugt gibt.
Stendhal S.93ff
Stendhal strebte Erfolg bei Frauen, Ruhm und Geld an. Das ergänzt sich zum Teil, doch beim Geld muss er leider, um den Eindruck zu erwecken, den er erwecken will, über seine Verhältnisse leben.
Zweite Zwischenbetrachtung S.104ff
Kierkegaard S.109ff
Max Stirner S.128ff
Thoreau S.141ff
"Stirner kommt an bei sich selbst, seinem schöpferischen Nichts. Für Thoreau aber öffnet sich eine ganze Welt: er hat entdeckt: Eine Natur, wie er sie bisher noch nicht erlebt hat, eine Natur, die ihm erlaubt und ihn auch dazu zwingt, von sich selbst abzusehen und die Herausforderung ihrer überwältigenden Präsenz anzunehmen. Stirner verliert bei seinem Befreiungsversuch die Welt, Thoreau gewinnt sie. Der eine schrumpft, der andere weitet sich. Der eine verarmt bei der Abwehr, der andere gewinnt bei der Hingabe."
"Das Leben im Wald hatte ihn gelehrt, dass die Natur ihn zu sich selbst zurückruft, dass sie ihm die Verantwortung für seine Existenz nicht abnimmt. Sie spendet nicht das Glück pränataler Geborgenheit. Sie ist keine Mutter. In der Natur hatte er sich entdeckt in mitten von etwas Absolutem, das man nicht besetzen kann, sondern dem gegenüber man sich nur behauptet, wenn man es versteht, sich einzufügen. Dort am Walden-Teich war ihm etwas gelungen, was ihm das Leben in der Gesellschaft allein nicht hätte geben können: Nämlich draußen in der Gesellschaft mitzukämpfen für die Befreiung und dabei mit sich selbst verbunden zu bleiben." (S.152)
Dritte Zwischenbetrachtung S.153 ff
Stefan George S.158ff
Ricarda Huch S.174 ff
Im Schatten des Zeitalters der Massen Simmel, Weber, Gustave Le Bon S.187ff
Jaspers und Heidegger S.205ff
Ernst
Jünger S.251ff
Im
Arbeiter wird die Gesellschaft organisiert um ein Produkt zu
erstellen, der einzelne ist nur wichtig als Teil der
Produktionsmaschine. (Vergleiche: Herstellen bei
Hannah Arendt)
Ernst
Jünger spricht von seinen Schriften vor Ende des Zweiten Weltkrieges als von dem Alten Testament. Die danach sei das Neue
Testament. Seine Schrift der 'Waldgänger 'von 1950 ist also das
erste Buch des 'Neuen Testaments'.
"Das
Bild des Waldgang als changiert zwischen Gottsucher und Partisanen,
wie auch die Gesellschaft mal totalitär und mal bloß konformistisch
erscheint.
Doch
bei alledem hält sich im 'Waldgang' eine Idee durch, die vielfach
variiert wird: es geht um die Seinsverdichtung, die dann erfahren
wird, wenn jemand sich entschließt, aus der Statistik heraus zu
treten und seine unverwechselbare eigene Existenz zu ergreifen. Dabei
entscheidet sich dann, Zitat Jünger "ob er sein So-Sein höher
als sein Da-Sein schätzt."
Das
beschreibt ganz gut, worum es eigentlich geht beim Versuch, ein
Einzelner zu sein. (S.260)
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