26 März 2022

Adalbert Stifter: "Die Narrenburg" - Beziehungen zu "Der Nachsommer"

 Auf gewisse Ähnlichkeiten zwischen dieser Erzählung und dem Roman "Der Nachsommer" werde ich noch hinweisen. Vorerst lege ich Wert darauf, dass Stifter in seinen frühen Erzählungen keineswegs originelle Wörter, Bilder und Metaphern scheute:

Bei der Beschreibung der Burg im Kapitel "Das graue Schloß" heißt es:

"Abgesonderte Bauwerke, gleichsam selber wieder Schlösser, standen auf verschiedenen Punkten, niedere Mauern liefen hin und her, Brüstungen bauschten sich, die Anmut griechischer Säulen blickte sanft herüber, ein spitzer Turm zeigte von einem roten Felsgiebel empor, eine Ruine stand in einem Eichenwalde, und weit draußen auf einer Landzunge, deren Ränder steil abfielen, schimmerte[368] das Weiß neuester Gebäude. [...] umfangen durch dieselbe klafterdicke, hohe, graue Eisenmauer, durch welche sie hereingelassen worden waren [...]. Wie ein dunkles Stirnband umzirkelte sie den weiten Berg und schnitt seinen Gipfel von der übrigen Welt heraus." (S.367/68)

"Ein Gedränge uralter, riesenarmiger Eichen schritt von dem Neubau gegen die Ruine hinüber, und man sah zwischen den Stämmen Damhirsche wandeln und grasen." (S.369)

Aber schon hier wird auch das abstrakte Vollverb 'sein' verwendet, wo man eher ein ausdrucksvolleres Wort erwarten würde. 

"[...]  von der vierten Seite stand das alte Schloß und die Lindenallee, grau und grün gemischt – und von oben war die tiefe Bläue des Himmels und das niederfließende Gold der Sonne." (S.377)

Was aber sind die Gemeinsamkeiten mit dem Nachsommer?

Der Protagonist heißt Heinrich, er wandert viel und treibt Naturstudien, sammelt Steine (freilich auch Blumen und trocknet sie, während im Nachsommer die sorgfältig und kunstvoll gepflegten Rosen eine wichtige Rolle spielen).

Er liebt die Tochter seines Gastgebers. Freilich im Nachsommer wird jeder überschwängliche Gefühlsausdruck vermieden, während das Liebespaar in der Narrenburg sich schon in der ersten Begegnung, die geschildert wird, sich sehr ausführliche Liebesgeständnisse macht:

"[...] aber was wollte ich Euch denn eigentlich erzählen?«

»Wie es kam, daß du mir so gut geworden bist.«

»Ach, die arme Thrine mußte den Stadtschreiber heiraten – sie tat es wohl gerne, und ging gerne mit, und die Plumi auch; aber ich war dann so arm, daß ich es Euch gar nicht beschreiben kann – – – und da kamet Ihr und habt mich mit so guten Augen angeschaut, und mit so schönen, und seid dann wieder so traurig geworden, daß es ordentlich ein Schmerz und eine Seligkeit war – – höret, wenn Ihr falsch sein könntet, das wäre nun recht abscheulich ...«

»Nein, Anna, du unschuldsvoller Engel, sei mir gut, so lange mir dieses Leben währt; ich kann mir kein größeres Glück und keine größere Freude denken und wünschen als dich. Du bist viel besser als ich – und wenn du mein Weib bist, und wenn wir immer und immer beisammen sein werden, dann will ich ihnen in der Stadt zeigen – – nein, wir gehen gar nicht in eine Stadt, – unter Blumen und Bäumen will ich dich hüten, daß du bleibst, wie du bist, du holde, liebe Dichtung ...«

»Laßt diese Dinge, und hört nur« – fiel sie ihm in die Rede. »Es war fast närrisch, wie sehr ich Euch gut ward die Hühner, und die Blumen, und die Tauben halfen doch alles nichts, ich konnte die Thrine nicht vergessen, und sie kam kaum jeden Sonntag heraus. – Der Vater ließ mich fast nichts arbeiten, und ich tat auch nichts im Hause als unnützes Zeug, höchstens die Küchlein füttern, [347] weil sie meinten, ich sei ihre zweite Mutter, und die Blumen begießen, und diese Laube zimmern lassen. – – Und wenn ich dann in meiner Kammer das Abendgebet verrichtet hatte und der Wind in die Fenstervorhänge blies, da war ich recht traurig. – Die Bücher, welche mir Thrine immer schickte – – sagt, habt Ihr auch schon einmal bei einem Buche geweint?« [...]

»Es war mir öfters, als seid Ihr in einem solchen Buche gestanden und daraus in unsern Garten getreten – und wenn Ihr hinten saßet und das Antlitz so wie nachdenkend in Eure beiden Hände drücktet, so dachte ich, dies sei meinetwegen.«

»Es war auch deinetwegen – es war auch deinetwegen.«

»Seht Ihr? – und darum wars auch so da ich mir dachte, ich will ihm recht gut werden, war ich es schon, mehr war ich es, als es nur ein Mensch aussprechen kann, und [348] ich dachte, Ihr müßtet mich ja auch unaussprechlich lieben, es könne ja gar nicht anders sein, es sei so gewiß, als wenn Ihr es schon selber gesagt hättet.«

»Und wenn es nun nicht gewesen wäre?«

»Es mußte ja, weil sonst alles ein Unding gewesen wäre, las nicht sein kann – ich weiß nicht, warum der Bach in die Pernitz fließen muß, aber ich weiß, das er es muß.«

»O, du ahnungsreiches Herz! er muß es, und er ist selig, daß er es muß. Das Ziel und Ende seiner Wanderung findet er dort – was weiter sein wird, ist ungewiß; nur ins ist sicher, das Beisammensein, und dieses eine ist alles, ob nun gezählte Jahre fließen, oder die ungezählte Ewigkeit, ob die Körper sich berühren, ob nicht, es bleibt so – – Die Leute nennens sonst auch Treue – – Aber siehe, der häßliche Fliederschatten deckt dir deine Stirne, und das süße Auge – neige das Haupt – so – noch ein wenig, mehr gegen mich – so –. Ich möchte den Mond dort an jenes blaue Fleckchen fest bannen, daß er immer herschiene und immer deine reine Stirne und das rührend schöne Auge beleuchtete – –.«

Und er nahm ihre Hand, drückte sie gegen sein pochendes Herz, gegen seine Lippen, gegen seine Augen – ihren Mund zu küssen, wagte er nicht. – Ihr Auge aber voll scheuer, unbewußter, heißer Zärtlichkeit blickte auf ihn, und sie sagte mit vor Rührung zitternder Stimme: »Da ich Euch nun so schnell und so sehr liebgewonnen und es Euch gesagt habe, da ich gar in der Nacht herausgekommen bin, weil Ihr so sehr batet, so dürft Ihr nun nicht falsch sein, Ihr dürft es durchaus nicht.«

»Gegen die Natur, geliebtes Herz, kann man nicht falsch sein, man ist es nur gegen Wiederfalsches – man verläßt nur den, der uns verließ, noch ehe er uns fand, weil er in uns nur seine Freude suchte. Du liebst, wie die Sonne scheint; du siehst mich an, wie sich das grenzenlose Himmelblau der Luft ergießt; du kommst, wie der Bach zum [349] Flusse hüpft, und wandelst, wie der Falter flattert: und gegen den schönen Falter, gegen den Bach, die Luft und gegen das goldne Sonnenlicht bin Ich nie falsch gewesen, und gegen dich vermöcht ichs nicht zu sein um alle Reiche dieser Erde – siehe, Anna, es ist so; – – aber, Anna, sage, liebst du mich denn auch wirklich so, so unaussprechlich, so über alles Maß, wie ich dich liebe? – – so sag es doch, Anna – – nicht?!«

Aber sie sagte nichts, nicht eine Silbe; das naturrohe Herz, das nie gelernt hatte, mit seinen Gefühlen zu spielen und sie zu lenken, war bereits von ihrer Allmacht iiberwältigt, und sie konnte nichts tun, als das unsäglich gute Antlitz gegen ihn emporheben und den Mund empfangen, der sich gegen ihren drückte – und so süß war dieser Kuß daß sie mit der einen Hand den sich ungestüm empordrängenden Hund wegstemmte, während sie hinübergebeugt emporgehobenen Hauptes die Seligkeit von den Lippen des teuren Mannes saugte. Er hielt sie mit beiden Armen fest umschlungen und fühlte ihren Busen an seinem klopfenden Herzen wallen.

»Heinrich,« flüsterte sie, »ich möchte dich doch du nennen.«

»So nenne, mein Herz, nenne.«

»Und eine Bitte habe ich – –.«

»So rede.«

»Die Bitte, daß du nie, nie mehr auf dieser Erde ein anderes Mädchen so liebst, wie mich – – und daß ich – ...«

»Was, Engel, daß du ...?«

»Nicht wahr, Heinrich, du nimmst kein anderes Weib, ich müßte mich dann recht schämen.«

»Und ich, bei dem lebendigen Gotte, mich noch mehr. Anna, höre mich: jetzt lieben wir uns bloß, das ist leicht und süß, aber es muß mehr werden. Ich werde dich von hier fortführen; du mußt meine Gattin werden, ich dein Gatte – das ist schwer, aber unendlich süßer: immer an[350] demselben Herzen, losgetrennt von Vater und Mutter und von der ganzen Welt. Du mußt lieben, was ich liebe, du mußt teilen, was ich teile, du mußt sein, wo ich bin, ja außer mir muß dir nichts sein: ich aber werde dich ehren bis ins höchste Alter, werde dich schützen, wie den Schlag meines Herzens, werde dein Geliebtes lieben, werde außer dir nichts haben – – und wenn eines stirbt, muß das andere Trauer hegen bis zum Grabe. Anna, willst du das?«

»Ja, sagt einmal, kann es denn anders sein?«

»Freilich, wo es recht ist, kann es ja nicht anders sein; das andere ist eben keine Ehe.«" (Stifter: Die Narrenburg   1. Kapitel Die grüne Fichtau)


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