›Schwer oder nicht schwer, von dem ist hier nicht die Rede‹, antwortete sie, ›von dem, was sein muß, ist die Rede, von dem, dessen Gegenteil ich für unmöglich hielt. Gustav, Gustav, Gustav, wie konntest du das tun?‹
Sie ging einige Schritte von mir weg, kniete, gegen die Rosen, die an dem Gartenhause blühten, gewendet, in das Gras nieder, schlug die beiden Hände zusammen und rief unter strömenden Tränen: ›Hört es, ihr tausend Blumen,[783] die herabschauten, als er diese Lippen küßte, höre es du, Weinlaub, das den flüsternden Schwur der ewigen Treue vernommen hat, ich habe ihn geliebt, wie es mit keiner Zunge, in keiner Sprache ausgesprochen werden kann. Dieses Herz ist jung an Jahren, aber es ist reich an Großmut; alles, was in ihm lebte, habe ich dem Geliebten hingegeben, es war kein Gedanke in mir als er, das ganze künftige Leben, das noch viele Jahre umfassen konnte, hätte ich wie einen Hauch für ihn hingeopfert, jeden Tropfen Blut hätte ich langsam aus den Adern fließen und jede Faser aus dem Leibe ziehen lassen – und ich hätte gejauchzt dazu. Ich habe gemeint, daß er das weiß, weil ich gemeint habe, daß er es auch tun würde. Und nun führt er mich heraus, um mir zu sagen, was er sagte. Wären was immer für Schmerzen von außen gekommen, was immer für Kämpfe, Anstrengungen und Erduldungen; ich hätte sie ertragen, aber nun er – er –! Er macht es unmöglich für alle Zeiten, daß ich ihm noch angehören kann, weil er den Zauber zerstört hat, der alles band, den Zauber, der ein unzerreißbares Aneinanderhalten in die Jahre der Zukunft und in die Ewigkeit malte.‹
Ich ging zu ihr hinzu, um sie empor zu heben. Ich ergriff ihre Hand. Ihre Hand war wie Glut. Sie stand auf, entzog mir die Hand, und ging gegen das Gartenhaus, an dem die Rosen blühten.“
(Stifter: Der Nachsommer, 3. Band, 4. Kapitel: Der Rückblick, S.782/83)
Stifter, der im Nachsommer Metaphern sorgfältig vermeidet, Emotionen unausgesprochen lässt, dessen Liebesszenen zwischen Heinrich und Nathalie stocksteif wirken, der im Vorwort der "Bunten Steine" das sanfte Gesetz beschwört, lässt die junge Mathilde sich zu Hyperbeln versteigen wie dieser: "jeden Tropfen Blut hätte ich langsam aus den Adern fließen und jede Faser aus dem Leibe ziehen lassen – und ich hätte gejauchzt dazu".
Ich habe dieselbe Passage in etwas größerem Zusammenhang schon einmal zitiert und besprochen. Diesmal fällt mir auf, dass Stifter im Zusammenhang mit dem Rückblick auf die Jugend seines alten Paares auf den überschwänglichen Stil seiner frühen von Jean Paul beeinflussten Jugenderzählungen zurückgreift.
Er beherrscht ihn noch, die "blutlose" Darstellung wird dadurch als artifiziell, als Kunstanstrengung erkennbar.
Mathilde sagt später: "Wie diese Rosen abgeblüht sind, so ist unser Glück abgeblüht." Risach widerspricht: "Es ist nicht abgeblüht, es hat nur eine andere Gestalt."
Rosen, Glück, Nachsommer, das Rosenhaus; es gibt viele Motive und die künstliche Gefühlsverschweigung ...
Dazu Begemann:
Der fremdartige, irritierende Reiz des Buches geht von der Radikalität aus, mit der Künstlichkeit hier zum Programm erhoben und zugleich kaschiert wird. [...] Und diese Künstlichkeit macht unverkennbar, daß die Ordnung, deren Zeuge wir werden, eine Ordnung ist, die allein vom Text produziert wird.(Ch. Begemann: Erschriebene Ordnung)
Vergleiche dort auch: "Denn dieser Roman ist in all seiner kühlen Schönheit und perlmuttenen Glätte mit Pessimismus, Resignation, ja Verzweiflung unterfüttert. All das, was die Epoche und das eigene Leben an Häßlichkeit, Gemeinheit und Widerwärtigkeit beinhalten, ist aus der Nachsommer-Welt strikt verbannt. Bis in die frugalen Mahlzeiten hinein ist hier alles anders und besser als im wirklichen Leben. Biographisch gesehen, schreibt Stifter sich das Elend seiner Lebenswelt vom Leib.".(Ch. Begemann: Erschriebene Ordnung)
Bonhoeffer hat im Gestapogefängnis den Witiko gelesen. Stifters Leistung ist die bewusste Entfernung von der Lebenswelt, aber er schließt seinen Roman nicht, ohne Mathilde aussprechen zu lassen, dass der Abgeklärtheit eine Zerstörung vorausging: "er [hat] den Zauber zerstört [...], der alles band, den Zauber, der ein unzerreißbares Aneinanderhalten in die Jahre der Zukunft und in die Ewigkeit malte."
Nachdem ich Ch. Begemanns Arbeit noch einmal in Ruhe gelesen habe, kann ich die vollständige Lektüre empfehlen, obwohl ich mit manchen Aussagen nicht übereinstimme.
Hier ein Ausschnitt mit einer eindrucksvollen Beschreibung von Stifters Altersstil:
"Vor allem in den späten Texten, aber auch schon im Nachsommer, wählt Stifter, wann immer es möglich ist, das Wort 'Ding' und das Hilfsverb 'sein' anstelle exakterer Bezeichnungen. In einer etwas gerafften Schilderung nimmt sich das so aus: "Das nächste Zimmer [...] war das Schlafgemach. [...] Das Bett stand mitten im Zimmer und war mit dichten Vorhängen umgeben. Es war sehr nieder [...]. Sonst waren die Geräte eines Schlafzimmers da [...]. Die Innenseiten der Türen waren hier wieder zu den Geräten stimmend [...]. Sonst war weder ein Stuhl noch ein anderes Geräte in dem Zimmer. Vor den Fenstern waren waagrechte Brettchen [...]" usw. (S. 79). Es ist nun nicht einfach so, daß Stifter auf einmal die Worte fehlten, vielmehr steht hinter solchen Befremdlichkeiten durchaus eine Absicht. Mit Recht hat man hier von einem 'ontologischen Stil' gesprochen, der dazu neigt, nur noch das bloße Dasein der Dinge auszusagen - 'Objektivität' in Reinform. Der Leser wird Zeuge einer extremen Reduktion und Abstraktion, einer unerhörten Radikalisierung der Sprache, die Monotonie nicht scheut, aber zugleich auch etwas durchaus Frappantes bekommt." (Ch. Begemann)
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