17 Mai 2022

Annemarie Selinko: Désirée

Annemarie Selinkos "Roman Désirée (1951) über Désirée Clary, die ehemalige Verlobte Napoleons und spätere schwedische Königin, wurde als Weltbestseller in 25 Sprachen übersetzt und 1954 mit Marlon Brando und Jean Simmons in Hollywood verfilmt. Er ist ihrer Schwester Liselotte gewidmet, die von den Nazis ermordet wurde."  (Wikipedia: Annemarie Selinko)

Die Handlung des Films schließt sich trotz zahlreicher Auslassungen weitgehend  an den Roman an:

"Ort der Handlung ist zunächst Marseille, die Zeit das Jahr 1794. Désirée Clary, die temperamentvolle Tochter aus einer reichen Tuchhändlerfamilie, macht per Zufall die Bekanntschaft von Joseph Bonaparte und lädt ihn und seinen Bruder, General Napoleon Bonaparte, für den folgenden Tag in ihr Elternhaus ein. Während Joseph sich zu Désirées Schwester Julie hingezogen fühlt, verliebt Napoleon sich in Désirée. Er gesteht ihr, dass sie arm sind und dass ihnen Julies und Désirée Mitgift sehr gelegen käme. Wegen angeblicher Machenschaften gegen die Revolutionsregierung wird Napoleon verhaftet, aber bald wieder freigelassen mit dem Auftrag, in Paris aufständische Royalisten zu verfolgen. Napoleon verspricht Désirée, sie zu heiraten, leiht sich von ihr Geld und bricht dann nach Paris auf. Als er nicht zurückkehrt, folgt Désirée ihm nach Paris, wo sie erfährt, dass Napoleon inzwischen mit Joséphine de Beauharnais verlobt ist. Verzweifelt will sie sich von einer Brücke stürzen, doch General Bernadotte, der sich in sie verliebt hat, hält sie davon ab.

Drei Jahre vergehen. Napoleon hat Italien erobert und ist ein bedeutender Mann geworden. Désirée lebt mit Julie und Joseph in Rom, wo sie das Diplomatenmilieu aber bald leid ist. Sie kehrt nach Paris zurück, wo Napoleon, der Joséphine inzwischen geheiratet hat, sich auf seine Ägyptische Expedition vorbereitet. Er erklärt ihr, dass er Joséphine vor allem aus karrieretaktischen Gründen geheiratet habe und einem Verhältnis mit ihr, Désirée, nicht abgeneigt wäre. Désirée ist abgestoßen und wendet sich Bernadotte zu.

Zwei weitere Jahre vergehen. Désirée und Bernadotte haben geheiratet und sind Eltern eines Kindes. Als Napoleon zum Ersten Konsul der 1792 gegründeten Französischen Republik ernannt wird, bedrängt er Bernadotte, seinem Staatsrat beizutreten. Bernadotte, der Napoleon bisher mit Skepsis begegnet ist, erklärt ihm nun widerstrebend seine Loyalität. 1804 wohnen Désirée und Bernadotte Napoleons Krönung zum französischen Kaiser bei – Désirée in kühler Distanz.

Fünf Jahre später. Als Napoleon sich von Joséphine scheiden lässt, weil sie ihm keinen Thronerben gebären kann, ist es Désirée, die die frühere Rivalin tröstet. Napoleon begehrt Désirée weiterhin, heiratet aber die 18-jährige österreichische Kaisertochter Marie-Louise. Er zieht Frankreich in neue Kriege hinein. Als der kinderlose schwedische König Bernadotte anbietet, ihn per Adoption zu seinem Thronerben zu machen, lässt Napoleon ihn widerstrebend und enttäuscht gehen.

In dem von einem strengen Protokoll geprägten schwedischen Königshaus wird Désirée nicht heimisch. Sie reist nach Paris, wo sie auf einem Ball erneut Napoleon in die Hände fällt. Er verübelt Bernadotte dessen Annäherung an Russland und erklärt der anwesenden Hofgesellschaft halb scherzend, dass er Désirée als Geisel behalten werde, um sich für seinen bevorstehenden Russlandfeldzug der schwedischen Unterstützung zu versichern.

Nach der Niederlage seiner Armee sucht Napoleon Désirée auf und bittet sie, ihren Mann brieflich um Unterstützung für Frankreich zu ersuchen. Désirée begreift, dass Napoleon sie immer noch liebt und bei ihr tatsächlich etwas ganz anderes sucht als nur die Hilfe ihres Mannes. Sie appelliert an ihren Mann, Napoleon zu stoppen, was der als Feldherr und Politiker dann auch mit Erfolg unternimmt.

Nach kurzem Exil auf Elba und der Niederlage der Schlacht bei Waterloo zieht Napoleon sich auf Schloss Malmaison zurück. Die Alliierten entsenden Désirée dorthin, um Napoleon in einem Vier-Augen-Gespräch zur Kapitulation zu bewegen. Napoleon macht die Bemerkung, wie seltsam es sei, dass gerade die beiden außergewöhnlichsten Männer ihrer Zeit sich in sie, Désirée, verliebt haben. Als Ausdruck seiner Kapitulation überreicht er ihr seinen Degen und versichert ihr, dass ihre Mitgift nicht der einzige Grund dafür gewesen sei, dass er damals in Marseille um ihre Hand angehalten hat." (Film: Désirée (1954))

Der Roman ist als Ich-Erzählung geschrieben und in erfundenen Tagebucheitragungen gestaltet, freilich so voll von wörtlicher Rede, dass offenkundig ist, dass keine strenge Tatsachenorientierung angestrebt wird.

Zitate:

"Ich glaube, eine Frau kann viel leichter bei einem Mann etwas durchsetzen, wenn sie einen runden Busen hat. Deshalb habe ich mir vorgenommen, mir morgen vier Taschentücher in den Ausschnitt zu stopfen, um wirklich erwachsen auszusehen. In Wirklichkeit bin ich natürlich schon ganz erwachsen, aber das weiß nur ich, und man sieht es mir noch nicht richtig an.
Letzten November wurde ich vierzehn Jahre alt, und Papa schenkte mir zum Geburtstag dieses schöne Tagebuch. Es ist natürlich schade, diese feinen weißen Seiten vollzuschreiben. Das Buch hat auch ein kleines Schloss, und ich kann es absperren. Nicht einmal meine Schwester Juli wird wissen, was darin steht. Es ist das letzte Geschenk von meinem guten Papa. Mein Papa war der Seidenhändler [...]." (Romananfang, S.7)

In diesem munteren Teenagerstil der Zeit  nach dem 2. Weltkrieg geht es losgeht es los, und bis zum Schluss legt Selinko Wert darauf, immer aus einer persönlichen Perspektive zu schreiben und Abstand von jedem objetivierenden historiographischen Stil zu halten.

Napoleon spricht: "Nach meiner ersten Abdankung habe ich versucht, mir das Leben zu nehmen, in Fontainebleau. Aber ich wurde gerettet. Ich habe meine Bestimmung noch nicht erfüllt. Auf Sankt Helena werde ich mein politisches Testament diktieren. Sie haben wohl noch nie zwischen Leben und Tod geschwebt, Madame?"
"An jenem Abend, an dem Sie sich mit der Vicomtesse Beauharnais verlobt haben, wollte ich mich in die Seine stürzen." Sein Blick kehrte zu mir zurück. "Sie wollten sich…? Und wie wurden sie gerettet, Eugénie?"
"Bernadotte hat mich zurückgerissen." Verblüfft schüttelte er den Kopf. "Sonderbar! Bernadotte  hat dich zurückgerissen, du wirst Königin von Schweden, ich reiche dir den Säbel von Waterloo. – Du glaubst doch an Bestimmung?" " (S.582)

Schluss des Romans: Am Abend ihrer Krönung zur Königin von Schweden ond Norwegen schreibt Désirée in ihr Tagebuch:
Es ist spät nachts, und alle glauben, dass ich längst schlafen gegangen bin, um mich für die großen Feste auszuruhen, die morgen und übermorgen zu Ehren der Königin Desideria von Schweden und Norwegen abgehalten werden. Aber ich wollte noch einmal in mein Buch schreiben. Wie seltsam, dass ich gerade an der letzten Seite angelangt bin. Einst bestand es aus lauter leeren weißen Blättern und lag auf meinem Geburtstagstisch. Ich wurde damals vierzehn Jahre alt und wollte wissen, was ich denn aufschreiben sollte. Und Papa hat mir geantwortet: 'Die Geschichte der französischen Bürgerin Bernhardine Eugénie  Desirée Clary.'
Papa, ich habe die ganze Geschichte aufgeschrieben und nichts mehr hinzuzufügen. Denn die Geschichte dieser Bürgerin ist jetzt zu Ende, und die der Königin beginnt. Ich werde nie begreifen, wie das alles gekommen ist. Aber ich verspreche dir, Papa, alles daran zu setzen, und dir keine Schande zu machen, und nicht zu vergessen, dass du dein Leben lang ein sehr angesehener Seidenhändler gewesen bist." (S. 638)

Über das Leben der historischen Désrée, wie es Girod de l'Ain erforscht hat, informiert der Spiegel :

"[...] Die Zuneigung Napoleons, der bald schon nach Paris versetzt wurde, zu seiner Verlobten scheint nicht allzu groß gewesen zu sein. Auf ihre Jungmädchen-Briefe »von rührender Banalität« (Girod de l'Ain) antwortete er zuweilen ziemlich kühl, gelegentlich aber auch wieder recht freundlich - wenn es nämlich mit seiner Karriere haperte. So schrieb der Revolutionsgeneral am 14. Juni 1795, als er sich wegen einer Versetzung beleidigt fühlte, an seine »kleine Eugenie« von sich selbst: »Er hat mit fast 26 Jahren die Armeen mit einigem Erfolg kommandiert, und heute beruht alles, was sein Lebensglück ausmacht, in Deiner Liebe.«

 Später jedoch hörte Desiree immer seltener von ihm: Napoleon war wieder avanciert und hatte zudem in den politischen Salons von Paris die schöne Witwe des guillotinierten Grafen Alexandre de Beauharnais, Josephine, kennengelernt, der er von nun an seine Aufmerksamkeit widmete. Seiner fernen Verlobten riet er: »Liefere Dich dem Instinkt des Gefühls aus, der Wonne zu lieben, was um Dich ist. Wenn sich jemand einfindet, für den Dein Herz sich auftut, bei dessen Anblick Dein Geist sich verwirrt und Deine Vernunft sich unterwirft, dann erleg' Dir keinen Zwang auf; liebe und sei glücklich.«

Girod de l'Ain: »Von der unterworfenen Désirée zu der nicht unterworfenen Josephine überzuwechseln und dabei sein Opfer der Gleichgültigkeit zu bezichtigen, um ihm alles Unrecht zuzuschieben, das er selber begangen hat - das wird in Zukunft Napoleons Spiel sein. Er hat dieses Spiel in der Folgezeit häufig mit Feinden und Verbündeten, mit seinen Brüdern, Ministern und Marschällen gespielt.«

Girod de l'Ain ist der Auffassung, daß Napoleon für Desiree wenig Zuneigung empfunden habe. Vielmehr hätte er es von Anfang an vornehmlich auf den Reichtum des Marseiller Handelshauses Clary abgesehen gehabt und sei der Anhänglichkeit Désirées überdrüssig geworden, als sich ihm in Paris verlockendere Möglichkeiten boten, zu gesellschaftlichem Aufstieg und Reichtum zu kommen.

Als Napoleon, inzwischen vom Konvent zum Oberbefehlshaber der Truppen innerhalb Frankreichs ernannt, Josephine de Beauharnais heiratete, klagte die treue Braut in Marseille: »Sie und verheiratet! Ich kann mich an diese Vorstellung nicht gewöhnen, sie bringt mich um, sie ist mir unerträglich. Ich werde Ihnen zeigen, daß ich meinem Verlöbnis treuer bin, und obwohl Sie die Bande, die uns einten, zerrissen haben, werde ich mich nie mit einem anderen verloben, nie mich verheiraten.«

Desiree nahm indessen ihren Vorsatz nicht wörtlich. Schon bald darauf ehelichte sie den General Jean-Baptiste Bernadotte - allerdings weniger aus »Zuneigung auf den ersten Blick«, wie Annemarie Selinko schrieb, sondern weil sie, Girod de l'Ain zufolge, »Verlangen verspürt hat, einen schon berühmten und ehrgeizigen General zu heiraten, um in den Augen Bonapartes nicht als abgesunken zu erscheinen«. 

Bernadotte, der seinen ehemaligen Generalskollegen Napoleon wegen dessen selbstherrlicher Krönung zum Kaiser der Franzosen als einen Verräter an der Republik betrachtete, nahm tatsächlich bald eine Stellung ein, die Désirées Ambitionen vollauf befriedigte. Er wurde 1810 zum schwedischen Thronfolger gewählt und besorgte fortan, als Adoptivsohn des später unzurechnungsfähigen Königs Karl XIII., die schwedischen Regierungsgeschäfte.

Desiree, nunmehr Kronprinzessin Desideria von Schweden, folgte ihrem Gatten zunächst nicht nach Stockholm. Als sie es dann später auf einen Akklimatisierungsversuch ankommen ließ und nach Schweden reiste, fühlte sie sich bald gelangweilt. In einem Brief beklagte sie sich über das Leben am Stockholmer Hof: »Nicht, daß es an Bällen und Vergnügungen fehlte... Aber die Stadt (hält) einem Vergleich mit Paris nicht stand. Welch trauriges Geschick ist mir zuteil geworden! Vollkommen glücklich bin ich nie gewesen, aber das Traurigste ist meiner Meinung nach, sein Vaterland verlassen zu müssen.«

Unter dem Decknamen einer Gräfin von Gothland kehrte Kronprinzessin Desideria bald nach Frankreich zurück, wo sie bis 1823 blieb. [...]

Um in Frankreich bleiben zu können, täuschte Désirée Krankheit und Kurbehandlungen am jeweiligen Aufenthaltsort Richelieus vor, während ein Spitzel dem Ehemann Bernadotte, seit 1818 König Karl XIV., gleichzeitig nach Stockholm berichtete, »daß die Gesundheit Ihrer Majestät nach wie vor sehr gut ist«. Erst 1823 kehrte Desiree, damals 45jährig, endgültig nach Stockholm zurück.
Auch das äußere Bild, das Annemarie Selinko von ihrer Heldin zeichnete - dem Roman zufolge war sie eine südländische Schönheit mit einem »niedlichen Stupsnäschen«, voller Zartheit und Anmut -, hält den Quellen nicht stand, die Urgroßneffe Girod de l'Ain zitiert. Den von ihm aufgeführten Berichten von Zeitgenossen zufolge hatte Désirée vielmehr »schadhafte Zähne, ein von rotem, gelocktem Haar gerahmtes Hundegesicht«, sie wird sogar als ein »häßliches kleines Weibsstück« bezeichnet. Désirée neigte zur Korpulenz und litt zudem lange an einem Gesichtsausschlag.
Die schwedische Königin Hedwig, Désirées Vorgängerin, gab als Beschreibung: »Alles andere als hübsch; ohne die mindeste Haltung. Ihre Schüchternheit macht sie unhöflich. Sie ist von schwankender Laune und gibt sich keinerlei Mühe, sympathisch zu wirken. Kurzum: Ein verzogenes Kind.«
Den Rest ihres Lebens verbrachte Désirée in Stockholm - sie starb 1860. Girod de l'Ain zitiert eine Äußerung seiner Urahne über ihre neue Heimat: »Seit diesem verfluchten Schweden ist es um meine Ruhe geschehen.« (Spiegel 8.8.1961)

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