FAZ 12.8.22
"[...] Unter dem Titel „Deutsche Hörer!“ entstanden in Pacific Palisades zwischen fünf und acht Minuten lange Stellungnahmen, mit denen der exilierte Schriftsteller die Bevölkerung seiner Heimat erreichen wollte. Anders als heute gestalteten sich Aufnahme und Verbreitung allerdings sehr viel komplizierter: Zunächst verfasste Mann die Texte, schickte sie nach London, und ein deutschsprachiger BBC-Mitarbeiter las sie dann zur Ausstrahlung vor. Die transatlantische Übermittlung fand damals per Telegramm statt, die erste Rede wurde als 500-Wort-Botschaft nach London „gekabelt“. Ursprünglich hatte Erika Mann, die für die BBC als Kriegsberichterstatterin tätige Tochter des Schriftstellers, das Einsprechen übernehmen wollen.
Von März 1941 an übernahm dann Thomas Mann selbst diese Aufgabe. [...] Unter diesen vordigitalen Produktionsbedingungen hat die Übertragungsqualität deutlich gelitten, und dennoch machen die erhaltenen Ansprachen deutlich, dass sich Thomas Mann seiner Wirkung sehr bewusst war – gerade auch des Klanges seiner eigenen Stimme. Die Sprachmelodie ist gleichmäßig und selbstbewusst, die Betonungen sind präzise, der Spott und die gar nicht seltenen Sottisen gegen Hitler und dessen Schergen treffen exakt. Und natürlich ist die Sprache bemerkenswert – alles andere wäre bei einem Literaturnobelpreisträger ja auch verwunderlich, Thomas Mann machte seinem Ruf als Influencer von Weltgeltung alle Ehre.Der Historiker Tobias Boes widmet in seinem Buch „Thomas Manns Krieg“ den Ansprachen eine längere Passage – unter dem passend gewählten Titel „The Voice of Germany“. Gleich mit dem ersten Satz der ersten Rede im Oktober 1940 klärte Mann die Lage: „Ein deutscher Schriftsteller spricht zu euch, dessen Werk und Person von euren Machthabern verfemt sind und dessen Bücher, selbst wenn sie vom Deutschesten handeln, von Goethe zum Beispiel, nur noch zu fremden freien Völkern in ihrer Sprache reden können, während sie euch stumm und unbekannt bleiben müssen.“ Das Reden in der dritten Person über sich selbst mochte zunächst nach Zurückhaltung klingen (und tatsächlich wurde die Auftaktrede ja auch nicht von Mann persönlich vorgetragen), aber gleich darauf wurde deutlich: Da sprach ein deutscher Autor, der in der Welt bekannt war, dessen Werke gelesen wurden und der sich mit den Nazis anlegte. Auch der Verweis auf Goethe als den „anderen“ Großdichter fiel keineswegs zufällig – das war „Mannsplaining“. [...]"
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