Nicht ich habe Kafka für mich entdeckt, sondern mein Bruder hat mir früh die Erzählung/Parabel Vor dem Gesetz (einen Ausschnitt aus dem Roman Der Prozess) vorgestellt, von da an hat er mich fasziniert. Aber wie hätte er Lieblingsdichter eines nachmaligen Fontanefans werden können?
Jetzt sind viele von Kafkas Texten online zugänglich, die ich noch nicht kannte.
Franz Kafka (Wikipediaartikel)
Kleine Fabel
»Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.« – »Du mußt nur die Laufrichtung ändern«, sagte die Katze und fraß sie.
- Amerika (Romanfragment)
- Aphorismen (Aufzeichnungen aus dem Jahre 1920, Paralipomena, Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg)
- Blumfeld, ein älterer Junggeselle
- Brief an den Vater
- Briefe an Ottla und die Familie. Auszüge
- Briefe an Max Brod (Testament)
- Das Schloß
- Der Bau (Erzählung)
- Der Gruftwächter
- Der Prozeß
- Die Verwandlung
- Erzählungen I
- Erzählungen II
- Fragmente aus Heften und losen Blättern
- In der Strafkolonie
- Die 8 Oktavhefte (Fragmente)
- Tagebücher 1910 - 1923
über Kafkas Werke in der Wikipedia (insbesondere: Das Urteil, Die Verwandlung, )
Reiner Stach und Franz Kafka (mit Kommentar) [ZEIT]
"[...] Reiner Stach spricht nicht gern über seine Jugend, das liegt vor allem an seinem Vater. Der Junge hatte vor, Philosophie zu studieren, das passte dem Vater nicht. Reiner Stach kaufte sich von seinem Taschengeld Bücher des Philosophen Jean-Paul Sartre, hörte in seinem Zimmer die Rolling Stones, auch das war dem Vater ein Ärgernis. "Wovon willst du denn mal leben?", habe er den Sohn gefragt. "Es war bei uns wie bei den Kafkas", sagt Stach heute. Auch Franz Kafka litt unter einem herrischen Vater, der den Jungen einschüchterte. [...] Gerade hat Stach seine kommentierte Ausgabe von Kafkas Roman Der Process fertiggestellt. Er steht mit Kafka auf und geht mit Kafka schlafen. Achtzehn Jahre lang arbeitete er an einer Kafka-Biografie, die 2014 fertig wurde und mehr als 2.000 Seiten hat.
Greiner: Kafka ganz nah [ZEIT]
"[...] Reiner Stach nähert sich seinem Autor, so paradox das klingt, mit einem liebenden, zudringlichen Respekt. Er will keine Distanz, er will Kafka so gut und genau verstehen, wie man einen anderen Menschen überhaupt zu verstehen vermag, und man kann sogar sagen, dass dieser Biograf Kafka besser versteht, als der sich selber verstehen konnte, denn Stach nutzt den historischen Abstand, studiert zahllose Quellen und Zeugnisse und hat alles gleichzeitig zur Hand, was sich für den Porträtierten auf die ganze Strecke seines Lebens verteilte, die Briefe, die Texte, die Tagebücher und vieles mehr. [...]"
Fröhlicher Fatalismus [ZEIT]
"[...] Diese Literatur ist, mit einem Wort ihres Autors gesagt, "stehender Sturmlauf". Das ganze Leben erscheint Kafka zwei Jahre vor seinem Tod als "stehendes Marschieren". Viel Energie, enormer Aufwand, aber man dreht sich, von einer Peitsche angetrieben, immerfort im Kreis wie die Varieté-Reiterin in der Erzählung Auf der Galerie. In Der Bau versucht ein nicht näher bezeichnetes Tier, "durch Kratzen und Beißen, Stampfen und Stoßen" dem "widerspenstigen Boden" ein labyrinthisches Netz von Gängen und Plätzen abzuringen, aber niemals ist der Bau vollendet, nie wird die vollkommene Sicherheit vor Feinden erreicht. [...] Der österreichische Schriftsteller Franz Blei hat in seinem Großen Bestiarium der modernen Literatur von 1922 zeitgenössische Autoren als Tiere zu beschreiben versucht. Es gibt auch einen Eintrag zu Kafka. Er lautet: "Die Kafka. Die Kafka ist eine sehr selten gesehene prachtvolle mondblaue Maus, die kein Fleisch frißt, sondern sich von bittern Kräutern nährt. Ihr Anblick fasziniert, denn sie hat Menschenaugen."
Aus seinen Tagebüchern
1910: "[...] Die Tänzerin Eduardowa ist im Freien nicht so hübsch wie auf der Bühne. Die bleiche Farbe, diese Wangenknochen, welche die Haut so spannen, daß im Gesicht kaum eine stärkere Bewegung ist, die große Nase, die sich wie aus einer Vertiefung erhebt, mit der man keine Späße machen kann – wie die Härte der Spitze prüfen oder sie am Nasenrücken leicht fassen und hin und her ziehen, wobei man sagt: »Jetzt aber kommst du mit.« Die breite Gestalt mit hoher Taille in allzu faltigen Röcken – wem kann das gefallen – sie sieht einer meiner Tanten, einer ältlichen Dame, ähnlich, viele ältere Tanten vieler Leute sehn ähnlich aus. Für diese Nachteile aber findet sich bei der Eduardowa im Freien außer den ganz guten Füßen eigentlich kein Ersatz, da ist wirklich nichts, was zum Schwärmen, Staunen oder auch nur zur Achtung Anlaß gäbe. Und so habe ich auch die Eduardowa sehr oft mit einer Gleichgültigkeit behandelt gesehn, die selbst sonst sehr gewandte, sehr korrekte Herren nicht verbergen konnten, obwohl sie sich natürlich viele Mühe in dieser Richtung gaben, einer solchen bekannten Tänzerin gegenüber, wie es die Eduardowa immerhin war.
Meine Ohrmuschel fühlte sich frisch, rauh, kühl, saftig an wie ein Blatt.
Ich schreibe das ganz bestimmt aus Verzweiflung über meinen Körper und über die Zukunft mit diesem Körper.
Wenn sich die Verzweiflung so bestimmt gibt, so an ihren Gegenstand gebunden ist, so zurückgehalten wie von einem Soldaten, der den Rückzug deckt und sich dafür zerreißen läßt, dann ist es nicht die richtige Verzweiflung. Die richtige Verzweiflung hat ihr Ziel gleich und immer überholt, (bei diesem Beistrich zeigt es sich, daß nur der erste Satz richtig war).
Bist du verzweifelt?
Ja? du bist verzweifelt?
Läufst weg? Willst dich verstecken? Im Manuskript folgen hier Federzeichnungen. Auch im weiteren Manuskript finden sie sich des öfteren.[...] (Gutenberg.de)
12. Januar. Gestern: die Liebschaften Ottiliens, die jungen Engländer. – Tolstois Verlobung, klarer Eindruck eines zarten, stürmischen, sich bezwingenden, ahnungsvollen, jungen Menschen. Schön gekleidet, dunkel und dunkelblau.
Das Mädchen im Kaffeehaus. Der schmale Rock, die weiße, lose, fellbesetzte Seidenbluse, der freie Hals, der knapp sitzende, graue Hut aus gleichem Stoff. Ihr volles, lachendes, ewig atmendes Gesicht, freundliche Augen, allerdings ein wenig geziert. Das Heißwerden meines Gesichtes in Gedanken an F.
Weg nach Hause, klare Nacht, deutliches Bewußtsein des bloß Dumpfen in mir, das so weit von großer, ohne Hindernisse ganz sich ausbreitender Klarheit ist.
Nicolai, Literaturbriefe.
Es gibt Möglichkeiten für mich, gewiß, aber unter welchem Stein liegen sie?
Vorwärtsgerissen, auf dem Pferd –
Sinnlosigkeit der Jugend. Furcht vor der Jugend, Furcht vor der Sinnlosigkeit, vor dem sinnlosen Heraufkommen des unmenschlichen Lebens.
Tellheim:Zitiert aus Dilthey ›Das Erlebnis und die Dichtung‹.»Er hat jene freie Beweglichkeit des Seelenlebens, welche unter den wechselnden Lebensumständen immer wieder durch ganz neue Seiten überrascht, wie sie nur die Schöpfungen echter Dichter besitzen.«
19. Januar. Angst im Bureau abwechselnd mit Selbstbewußtsein. Sonst zuversichtlicher. Großer Widerwillen vor ›Verwandlung‹. Unlesbares Ende. Unvollkommen fast bis in den Grund. Es wäre viel besser geworden, wenn ich damals nicht durch die Geschäftsreise gestört worden wäre.
12. Juni. Die schrecklichen letzten Zeiten, unaufzählbar, fast ununterbrochen. Spaziergänge, Nächte, Tage, für alles unfähig, außer für Schmerzen.
Und doch. Kein »und doch«, so ängstlich und gespannt du mich ansiehst, Krizanowskaja auf der Ansichtskarte vor mir.
Immer ängstlicher im Niederschreiben. Es ist begreiflich. Jedes Wort, gewendet in der Hand der Geister – dieser Schwung der Hand ist ihre charakteristische Bewegung –, wird zum Spieß, gekehrt gegen den Sprecher. Eine Bemerkung wie diese ganz besonders. Und so ins Unendliche. Der Trost wäre nur: es geschieht, ob du willst oder nicht. Und was du willst, hilft nur unmerklich wenig. Mehr als Trost ist: Auch du hast Waffen.
daraus: Ausschnitt des Tagebuchs aus Paris
Stichwort Kafka in diesem Blog
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