14 Juni 2024

Fürst Pückler-Muskau: Aus Mehmed Alis Reich

 Hier arbeiteten eine große Menge Fellahs, Männer, Weiber und Kinder, deren Lohn der Vizekönig bei allen öffentlichen Arbeiten eben um einen halben Piaster erhöht hatte. Da ich in den meisten Relationen über Ägypten die kläglichsten Jeremiaden über das Elend dieser unglücklichen Klasse gelesen hatte, so war ich nicht wenig verwundert, meistens kräftige, gesund aussehende und lustige Menschen zu finden, die singend und lachend ihre Arbeit verrichteten, von den Aufsehern höchst nachsichtig behandelt wurden und selbst das Bakschis (Trinkgeld), um das sie uns ansprachen, nur im Scherz zu verlangen schienen. Ihr Ansehen war allerdings zerlumpt, aber wo sieht man es im Orient wie auch in Griechenland anders? Das Klima verlangt so wenig, und Ordnung und Reinlichkeit gehört noch nicht zu den Tugenden dieser Länder. Ich habe später diesem Gegenstand fortwährende Aufmerksamkeit geschenkt und die feste Überzeugung gewonnen, daß die hiesigen Fellahs im Vergleich mit manchen andern ihrer Kameraden in Europa, zum Beispiel den irländischen Bauern, welche doch Untertanen des erleuchtetsten Gouvernements in der zivilisierten Welt sind, oder den armen Webern im Vogtlande, von denen ich erst heute, im Jahre 1843, in den Zeitungen las, daß sie ihren täglichen Verdienst höchstens auf zwei Gröschel bringen könnten, und wenn ihre einzige Nahrung, die Kartoffeln, fehlschlugen, dem Hungertode nahe kämen – daß, sage ich, diese Fellahs sich, obgleich mancher Härte und Willkür ausgesetzt, die ich nicht ableugnen will, doch immer noch in einer Lage befinden, welche viele unsrer Proletarier oft beneiden könnten. [...] (S.28)

Die Häuser der Fellahs sind meistens kleine Hütten von an der Sonne gedörrten Lehmsteinen oder auch nur von getrocknetem Lehm aufgeführt, ohne eine andere Öffnung als die Türe. Aber diese Wohnungen sind meistens dicht und warm im Winter, immer vor leichtem Regen und Unwetter, was ohnedem so selten hier eintritt, geschützt, schattengebend im Sommer und geräumig genug für die geringen Bedürfnisse dieser Leute, während in Griechenland selbst die Wohlhabenderen unter den Landleuten selten ein Dach besitzen, das nicht Schnee und Regen durchließe, und erinnert man sich vollends der von erstickendem Rauch angefüllten Schweineställe, in denen die armen Irländer hungern und die in jenem verhältnismäßig so kalten Klima fast gar keinen Schutz gewähren, so richtet sich das Mitleid nach einer ganz andern Seite. Die Fellahs sind arm; aber in den geringsten Dörfern Ägyptens, wo ich hinkam, fand ich fast immer Brot, Milch, Butter, Käse, Eier, Gemüse in Fülle, auch Geflügel, in den größeren selbst Schlachtfleisch, was man uns gern für einen sehr billigen Preis zum Verkauf anbot, sobald nur kein Gouvernementsbeamter dabei war, deren Raubsucht allerdings zu den Kalamitäten Ägyptens gehört – während in Griechenland häufig Zwiebeln und ein fast ungenießbares Maisbrot das einzige sind, was man sich verschaffen kann, auch die Leute selbst dort in der Regel von gleicher Kost leben müssen wie in Irland von Kartoffeln und Whiskey. Endlich hörte ich noch nie, daß ein Fellah verhungert sei, was zur Schande der Menschheit bei den irländischen Bauern notorisch schon öfters vorgekommen ist und vielleicht heute noch möglich sein mag. Die Fellahs sind ferner höchst elend gekleidet, aber auch hier ist der Vergleich zu ihrem Vorteil, denn erstens bedürfen sie bei dem milden Klima fast gar keiner Kleidung; zweitens habe ich bis jetzt noch nicht gesehen, daß die hiesigen Weiber, gleich den irländischen Frauen und Mädchen der gemeinen Klasse, nicht einmal Lumpen genug besaßen, um ihre Blöße soweit zu bedecken, als es die Schamhaftigkeit gebietet. Im Gegenteil erblickt man die Weiber der Fellahs, wenn auch oft in zerrissenen Gewändern, doch immer wie die übrigen Morgenländerinnen bis an den Mund verhüllt, wozu sie meisten 5-6 Goldstücke, in einer Reihe vorn vom Antlitz bis auf die Brust herab aufgenäht, tragen, was ebenfalls mit der bodenlosen Armut nicht recht übereinstimmen will, von der unsre philantropischen Reisenden uns ein so abschreckendes Bild entwerfen, weil sie wohl den Strohhalm im fremden Auge, aber den Balken im eigenen nicht sehen. Ich glaube, daß mitten in Paris und London teilweise gräßlicheres Elend nachzuweisen ist, als in ganz Ägypten gefunden werden kann. Auch hörte ich nie von Selbstmorden, die bei uns so häufig sind, und die außerordentliche Abneigung der Fellahs, Soldaten zu werden, die sie zu den grausamsten Selbstverstümmlungen treibt, ist gleichfalls kein Beweis, daß sie sich in ihrem jetzigen Zustande so überschwenglich elend fühlten. [...] (S.28)

Der größte Teil der europäischen Kaufmannschaft zum Beispiel, namentlich in Alexandrien, ist dem Vizekönig aufsässig, aus Brotneid, weil er als einziger Kolossalkaufmann seines Landes sie durch sein System verhindert, die unwissenden Ägypter nach Belieben im freien Handel zu bevorteilen, und dies wohl zum Teil selbst übernimmt, überdies aber die Spekulanten mit überlegner Schlauheit [...] (S.30)

endlich in ehrlichen, aber imbezillen Philantropen, meistens Engländern, die, sobald sie einen Mann ohne Hosen am Leibe und aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne Roastbeef im Magen antreffen, Zeter schreien und die Grausamkeit des Pascha verwünschen, der solche Greuel veranlasse, ohne dabei zu untersuchen, welche Schuld bei allen hiesigen Mängeln den gebieterischen Umständen, eingewurzelten Mißbräuchen und unbesieglichen Nationalfehlern beizumessen ist und welche dem Willen des Pascha. – Noch weniger aber denken sie daran, daß es bei ihnen selbst oft viel schlimmer in dieser Hinsicht hergeht, ohne daß dieselben Entschuldigungsgründe stattfinden. [...] (S.30)

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aber so viel rate ich doch wohlmeinend jedem Fremden: Er höre, wenn er nach Ägypten kommt, auf kein Geschwätz, es komme von seinem Konsul oder seinem Schneider, sondern er sehe selbst, unterrichte sich selbst und urteile dann auch selbst. Es gibt einen neueren Reisenden, der in fließendem Stil und nicht ohne Darstellungstalent alles, gleich Evangelien, niedergeschrieben hat, was ihm seine guten Freunde und sein Dragoman teils erzählend, teils angeblich übersetzend über Mehemed Ali und den Zustand Ägyptens aufbanden. Einem solchen Werk kann man in Europa Beifall und Glauben schenken – denn was weiß dort die Masse vom Orient? Wir sind wahrlich über die dortigen Verhältnisse und Zustände noch heute ebenso unwissend, als es die Franzosen unter Ludwig dem Vierzehnten über alles außer Frankreich waren, und die ganze Welt hat leider hiervon die kläglichsten Beispiele im größten Maßstabe erst kürzlich gesehen, wird auch die Folgen noch lange zu bejammern haben; – wer aber in Ägypten mit solchen Büchern in der Hand reist und die geringste Ader eines Beobachters in sich hat, der möchte oft zweifelhaft werden, ob nicht das Ganze eine Mystifikation sei und die Verfasser, mit Champollion, Burkhard, Belzoni, Cailliaud usw. nebst einigen historischen Werken auf ihrem Schreibtische, ganz ohne diesen zu verlassen, Ägypten beschrieben haben.

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Da eine der größten Schwierigkeiten, mit denen der Vizekönig zu kämpfen hat, in der Immoralität seiner Behörden, ihrer Raubsucht und Bestechlichkeit besteht, deren üble Folgen dann von kurzsichtigen Reisenden alle dem Herrscher selbst beigemessen werden, so versuchte er, die türkischen Ortsvorsteher auf dem Lande durch arabische abzulösen. Der Erfolg hat aber der Absicht so wenig entsprochen, daß man wahrscheinlich zu den ersten wird zurückkehren müssen, die, wie sich einer meiner Berichterstatter in dieser Angelegenheit ausdrückte, «immer noch dezenter gestohlen hätten als die letztern». Mehemed Ali kennt dieses Grundübel in seiner Administration sehr wohl, aber eben dessen Allgemeinheit wie manche andre politische Gründe, die seine ungewisse Stellung zur Pforte und zu Europa mit sich bringen, machen die Ausrottung desselben höchst schwer.

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Seine Hoheit erhält überdem alle männlichen Kinder der Seeleute und gewährt ihnen vom Augenblick der Geburt an eine volle Ration, dieselbe wie dem Vater, nebst fünf Piaster monatlich an Geld. Die

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Schiffskapitäne gibt es erster und zweiter Klasse. Die der ersten sind Beys und haben den Rang als Obersten in der Armee; die zweiter Klasse den eines Oberstleutnants.

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Diese kurzen, aber ganz zuverlässigen Nachrichten werden genügen, einen richtigen Begriff von dem Belang der Seemacht Mehemed Alis zu geben, und verbunden mit dem, was ich im Verlauf dieses Werks über die Landarmee, den Länderumfang, die Einkünfte und Ressourcen des ägyptisch-nubisch-syrischen Reiches (wie es damals war) noch zu berichten haben werde, berechtigten sie mich wohl zu dem Glauben, daß es nur eine allen Parteien nachteilige Anomalie herbeiführe, einem Manne, welcher de facto ein mächtiger selbständiger Monarch ist, fortdauernd in der offiziellen Stellung eines abhängigen Pascha erhalten zu wollen. Ich dachte mir beim Anblick dieser großen, reellen Macht, daß wir in Europa mehrere Könige haben, deren Königreich kaum einer Provinz des Pascha an Umfang gleich kommt, so wie ihre Einkünfte nicht den zehnten Teil der Mehemed Alis erreichen, und so viel andere Souveräne außerdem, die nicht einmal mit einem Statthalter Mehemed Alis, wie zum Beispiel denen von Kandia und Sudan, an Macht und Glanz wetteifern können, ja von denen einige in der Tat nur als umfassungsreichere Grundbesitzer, wie es zum Beispiel die Herzöge Englands sind, mit einer von Gottes Gnaden hinzugefügten Souveränität erscheinen. Es mußte daher fortwährend zu gewaltsamen Folgen führen, daß ein so unnatürliches Verhältnis wie das jetzige aufrechterhalten wurde, und eine gesunde Politik hätte vielleicht einen solchen Zustand wohl nicht einmal zu erhalten wünschen sollen, selbst die der Pforte nicht, der ein mächtiger, durch gleiche Religion und folglich in der Hauptsache (Erhaltung der muselmännischen Herrschaft überhaupt) auch durch gleiches Interesse verbundener, unabhängiger Freund nötiger tut als ein – solange er seine Selbständigkeit nicht erreicht hat – stets gefährlich ihr gegenüberstehender Vasall, der es nur dem Namen nach ist und der an reeller kompakter Gewalt sie schon einmal weit überragte.

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Es kamen neulich zwei englische Mädchen nach Ägypten, die einen Prospektus austeilten, worin sie versprachen, gegen gute Bezahlung die Weiber in den Harems auf europäische Weise zu bilden, nach welcher Vervollkommnung die muselmännischen Ehemänner jedoch wenig Lust bezeugten.

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Herr Reinlein lebt und webt nur in Musik und Theater, und da ich glaube, daß eine große Passion dieser Art, wenn sie hinlängliche Befriedigung findet, einen wahren Teil des Lebensglückes ausmacht, so ist Herr Reinlein nur dazu Glück zu wünschen; denn die Reiter auf Steckenpferden sind immer mehr zu beneiden als die, welche den Pegasus oder das Schlachtroß des Ehrgeizes wählten.

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In den äußern, dem Publikum offnen Gärten dieses Palastes, welche nach allen Seiten hin einen sehr großen Raum einnehmen, aber, wie fast alle Gärten des Orients, bloß verzierte Gemüse- und Obstplantagen sind,

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Von vielen Tausenden junger Ölbäume zum Beispiel, die er vor einigen Jahren gratis verteilen ließ, steht fast kein einziger mehr, weil man sie auf liederliche Weise pflanzte und dann nicht im geringsten unterhielt.

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Die Hauptpracht der Muselmänner ist immer für den Harem reserviert; dieser Teil der Residenz blieb uns aber unzugänglich, da leider einige der ausrangierten Damen hier zurückgeblieben waren.

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der berühmte schwedische Naturforscher Hedenborg, der vor Russegger der Region der Mondgebirge von allen Reisenden am nächsten gekommen ist und dies ohne alle Unterstützung der Behörden, seitdem jedoch durch eine schwere klimatische Krankheit, von der er sich noch bis jetzt nicht völlig erholen konnte, einstweilen untätig geblieben ist.

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Die Arbeiter beiderlei Geschlechts, Kinder und einige Greise für die leichtere, Erwachsene für die schwerere Arbeit, verdienen hier täglich, wie ich aus ihrem eignen Munde hörte, einen bis vier Piaster, was in diesem wohlfeilen Lande unserm Tagelohn völlig gleichkommt. Sie verrichten ihr Tagwerk in großen, luftigen und reinlichen Sälen, sind weit besser gekleidet als die Fellahs außerhalb, und es war mir eine Freude zu bemerken, wie gesund und heiter sie aussahen und mit welcher Milde sie durchgängig von den Aufsehern behandelt zu werden schienen.

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Man hatte durch einen glücklichen Verrat erfahren, daß in drei Tagen, bei Gelegenheit einer großen Revue, die Mehemed Ali angeordnet, die Mamlucken mit ihrer ganzen Macht dort über ihn herzufallen beabsichtigten, um ihn womöglich mit allen seinen Getreuen auf einen Schlag zu beseitigen. Es galt, ihnen zuvorzukommen, wozu man offen nicht die Macht besaß, und doch war kein Augenblick Zeit mehr zu verlieren. Jedermann kennt das verzweifelte Auskunftsmittel, dessen man sich bediente, doch herrschte über die Details in Europa viel Irrtum. So stellt zum Beispiel das durch Kupferstiche überall verbreitete Gemälde Forbins die Szene so dar, als habe ihr Mehemed Ali, seinen Nargileh gelassen rauchend, wie einem Theaterstück zugesehen. Die Wahrheit ist aber, daß er gar nicht dabei gegenwärtig war, noch, der Lokalität nach, füglich sein konnte. Sobald die Beys Abschied von ihm genommen hatten und sich im Hofe auf ihre Pferde schwangen, sagte Mehemed Bey zu ihm: «Nun ist deine Rolle vorüber und meine beginnt, ich beschwöre den Pascha, sich in sein Harem zurückzuziehen.» Dies geschah sogleich, und Augenzeugen, Eunuchen aus dem Serail, haben mich versichert, daß der Vizekönig, verstört und schweigend, in großer Gemütsbewegung den Ausgang abwartete, kein Wort sprach, nur mehrmals kaltes Wasser zu trinken begehrte, während der Lärm des Schießens und der Tumult der reiterlosen Pferde mit dem Angstgeschrei der Fallenden von fern zu seinen Ohren drang. Dies ist auch nur menschlich wahrscheinlich, und Mehemed Ali wahrlich so wenig blutdürstig, als es Napoleon war, aber er ist auch kein Ludwig der Sechzehnte und scheut daher selbst Blutvergießen nicht, wo es sein muß und wo es, zu rechter Zeit angewendet, durch wenige Opfer später das Leben Hunderttausender erspart, ja oft das künftige Heil ganzer Nationen begründet, während weichliche Unterlassung sie nicht selten zugrunde gerichtet hat.

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In späterer Zeit zeichnete sich Mehemed Bey noch durch eine andere, nicht weniger kühne Tat aus, indem er einen Abgesandten des Sultans, der in Abwesenheit Mehemed Alis nach Kahira kam, um ihm die seidne Schnur zu überbringen, ohne langes Besinnen noch Einholen einer Instruktion, provisorisch den Kopf abschlagen ließ.

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in Europa aber hat nur Frankreich Anspruch auf solchen Ruhm durch die Eroberung Algiers, deren noch unberechenbare Folgen für die künftige Welt, selbst wenn Algiers jetzige Abhängigkeit von Frankreich im Laufe der Zeiten aufhören sollte, doch immer einen Glanzpunkt in der Geschichte der Franzosen begründen werden. Sie möchten sogar höher in manchem Bezuge anzuschlagen sein, als alle fruchtlos und ephemer gebliebenen, wenngleich des militärischen Ruhmes so vollen Überrennungen Napoleons.

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ein kleiner freundlicher Greis vor mir, dessen kräftige, wohlproportionierte Gestalt nur durch eine fast kokett zu nennende Frische und Reinlichkeit geschmückt war; dessen Gesichtszüge aber ebensoviel ruhige Würde als wohlwollende Gutmütigkeit aussprachen, und der, obgleich seine funkelnden Adleraugen mich durch und durch zu schauen schienen, doch durch die Grazie seines Lächelns wie die Leutseligkeit seines Benehmens nur unwillkürliche Zuneigung und nicht die mindeste Scheu einflößte.

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Überdies ist nichts leichter, als vom Vizekönig Gehör zu erhalten. Kein Herrscher kann zugänglicher sein und weniger Maßregeln für seine persönliche Sicherheit nehmen als Mehemed Ali, der sich täglich jedem Versuche unbesorgt preisgibt, den ein Fanatiker auf sein Leben zu richten beabsichtigen könnte. Wie möchte er dies wagen, wenn er der Tyrann wäre, den alberne Unwissenheit und bösartige Absichtlichkeit in Europa so häufig aus ihm machen wollen!

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dieser Blick doch zuweilen, besonders in den Momenten, wo er sich unbemerkt glaubt, einen ganz eignen Ausdruck bittren Mißtrauens annimmt, bei dem dann das etwas unheimlichere türkische Element, von dem ohne Zweifel der Vizekönig auch einen guten Teil besitzt, voll hervortritt. Man kann vielerlei in diesem Blick lesen, was vielleicht die Schattenseite seines Charakters ausmacht, womit ich jedoch keinen besondern Tadel aussprechen will; denn zu einem großen Manne gehören ebenso notwendig dunkle und helle Seiten, als bei jedem andern Sterblichen.

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Man darf weder Pfeife noch Kaffee noch irgend etwas, sei es auch nur ein Glas Wasser, empfangen (außer bei Tafel, wo alle Zeremonien wegfallen), ohne beim Nehmen und auch beim Wiederabgeben des leeren Geschirrs oder der Pfeife durch einen Gruß zu danken. Ja selbst der Wirt in seinem eignen Hause, sobald ein Vornehmerer als er bei ihm ist, grüßt diesen, dankend für alles, was ihm seine eigenen Diener servieren. So wird auch dem Vornehmsten immer zuerst präsentiert, er sei Wirt in seinem eignen Hause oder Gast in einem fremden.

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Es ist gar nicht nötig, rang- und titelsüchtig zu sein, um dies sehr unbequem zu finden, da man ebensowenig gedemütigt werden, als andere demütigen will, was bei dieser Unbestimmtheit ganz unvermeidlich, bei fester Rangordnung aber ganz unmöglich ist. Nur ein Narr kann sich darüber ärgern, wenn jemand das ausgesprochne, anerkannte Recht hat, sich in der gesellschaftlichen Stufenleiter als über ihm stehend anzusehen, er komme ursprünglich her, woher es sei;

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Einzelne Ausnahmen fallen indessen vor, da sein Wille immer Gesetz ist.

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Ich zweifle nicht, daß manche alle diese zeremoniellen Details sehr kleinlich finden werden, meines Erachtens gehören sie aber wesentlich zur Schilderung hiesiger Sitten und sind deshalb nicht überflüssig.

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Dies gab mir die natürlichste Gelegenheit, mein Erstaunen über die Wunder auszudrücken, die ich bereits in Alexandrien und Kahira gesehen, und ich bat im voraus Seine Hoheit, mir zu verzeihen, wenn der Enthusiasmus, den so Außerordentliches in mir erwecke, meinen Worten das Ansehen der Schmeichelei gäbe, da sie doch nur der treue Ausdruck meiner Empfindungen und der hohen Verehrung für einen Fürsten wären, der dem Orient jetzt das sei, was einst Peter der Große für Rußland gewesen, zu dessen jetzt so furchtbar angewachsener Land- und Seemacht dieser doch allein den ersten Grund gelegt.

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Mehemed Alis Wirken, solange es ungehemmt blieb, hat unbestreitbar die wichtigsten Grundbedingungen aller Zivilisation zuerst im heutigen Orient hervorgerufen: Ordnung, Sicherheit und das Erwachen einer höhern Industrie. Hiermit hat er, trotz hundert Fehler und Mängel, die Dankbarkeit der Geschichte verdient.

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Beim Abschied reichte mir Mehemed Ali, auf meine Bitte, nach europäische Weise die Hand, was hier allerdings nicht üblich ist, aber von ihm so herzlich aufgenommen wurde, wie es erbeten war, denn er freute sich der sichtlichen Verehrung, die er meiner leicht enthusiasmierten Natur wirklich eingeflößt hatte.

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Mein Refrain war immer, Mehemed Ali zu sagen, unsere erste Rechtsregel in Europa sei: beati possidentes! Er solle siegen und sich in festen Besitz setzen, so würde dieser bald von Freund und Feind anerkannt werden. Dies wäre wahrscheinlich auch geschehn, wenn er nicht zweimal seine Siege nur zur Hälfte benutzt und nachher wie vorher mit europäischen Mächten weniger negoziiert hätte.

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Das Klébersche Palais ist jetzt das Ministerium des öffentlichen Unterrichts, der Garten aber gehört zu dem prächtigen Palast der Tochter Seiner Hoheit, Witwe des berüchtigten Defterdars, dessen unerhörte Grausamkeiten noch im frischesten Andenken Fremder und Einheimischer in Kahira geblieben sind. Vieles hielt ich anfänglich für Fabeln, von der Mißgunst erfunden, bis ich durch die achtungswertesten und unparteiischesten Augenzeugen selbst das Unglaublichste bestätigen hörte. Es muß wohl prädestinierte Tigernaturen, wie Lammsnaturen, geben, wenigstens kann man die seinige nicht mit mehr Naivität zur Schau tragen, als es der Defterdar tat. Einst beklagte er sich im Gespräch mit dem französischen Konsul über die unbezwingliche Hartnäckigkeit der Beduinen. «Denken Sie», sagte er, «was mir neulich begegnet. Zwei dieser Kerls rühmten sich ihres Vaters gegen mich und nannten ihn einen Stier. ‹Gut›, erwiderte ich, ‹wenn Euer Vater ein Stier war, so muß Eure Mutter eine Kuh gewesen sein.›» «Glauben Sie», fuhr er fort, «daß ich diese obstinaten Menschen dahin bringen konnte, diesem ganz einfachen Räsonnement beizupflichten? Nichts war fähig, ihren Trotz zu beugen. Um sie ein wenig nachgiebiger zu machen, befahl ich zuerst, ihnen die rechte Hand abzuhauen, und stellte dann die Frage von neuem an sie. Da dies nichts fruchtete, die linke, dann einen Fuß nach dem andern, und immer blieben die Hunde dabei, ihr Vater sei ein Stier gewesen, aber ihre Mutter dennoch keine Kuh. Endlich verlor ich die Geduld und ließ, was von ihnen noch übrig war, in den Nil werfen, wo sie bis zum Untersinken, noch mit dem letzten Atem, trotzend stammelten: Keine Kuh!» Andere, gleich starke und leider ebenso wahre Anekdoten über diesen Unmenschen findet man in mehreren Reisebeschreibungen. Dieser Defterdar war dabei, nach aller Aussage, ein Mann von höchst edlem Anstande und großer Würde in seinen Manieren, voll Tapferkeit und Klugheit und so unterrichtet für einen Türken, daß man ihm eine nicht ganz unrichtige Karte des Sennar verdankt, die er während seiner furchtbaren Rachekampagne zur Bestrafung der Mörder Ismaels in Schendy selbst aufgenommen und gezeichnet hatte. Man fand ihn gewöhnlich in der Gesellschaft eines gezähmten Löwen und dito Tigers, und die Furcht der Europäer bei einem so ungewohnten Anblick pflegte ihn sehr zu belustigen. Zuweilen hetzte er beide Tiere aufeinander, was einmal einem seiner Mamelucken, der sie wieder auseinanderbringen sollte, das Leben kostete. Der Vizekönig suchte diese wilde Natur so unschädlich als möglich zu machen, aber die Folgen der durch Mehemed Ali erst begonnenen Zivilisierung hatten damals noch wenig Fortschritte gemacht, es ging noch in den meisten Dingen wie vormals zu, und der Defterdar war zu mächtig und angesehen, der Vizekönig selbst dankte ihm zu viel, um streng mit ihm verfahren zu können. Jetzt würde sich die Sache bald anders gestaltet haben, und es kursierte sogar lange das Gerücht, daß der Defterdar auf Mehemed Alis Befehl… Some highlights have been hidden or truncated due to export limits.

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wie in den ältesten Städten Europas unsre alte Zeit; vor allen aber sind es die zahlreichen, unbeschreiblich herrlichen Moscheen altarabischen Baues, mit ihren himmelhohen Türmen, Spitz- und Rundbogenfenstern, ihren kolossalen Maßen und dem wundersamen Reichtum ihrer unzähligen Zierraten à jour ganz auffallend unsern gotischen Kirchen gleichend, welche uns Abendland und Morgenland zugleich repräsentieren, die Heldenzeiten des Kreuzes wie die des Halbmondes. Seit ich diese Architektur gesehen, bin ich auch immer mehr in meinem alten Glauben bestärkt worden, daß, wie gar manches in Europa, so auch jener sogenannte gotische Baustil sich nur aus dem Arabisch-Maurischen herschreibt oder wenigstens beide aus ein und derselben gleichartigen Quelle fließen, wenn sie sich auch in den verschiedenen Erdteilen verschieden organisch entwickelt haben.

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Überhaupt hat man sich im Orient allerwärts vor europäischen und griechischen Christen in acht zu nehmen, weniger vor den Juden und am wenigsten vor den Muselmännern selbst, die unbestreitbar die ehrlichsten und solidesten unter der ganzen Bevölkerung sind.

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die Krone aller Bauwerke Kahiras, die Moschee Sultan Hassans, welche kaum von irgendeinem gotischen Tempel Europas. übertroffen wird.

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Wenn man nun, die Zitadelle verlassend, nach dem Platz von Rumeli hinabsteigt, kommt man durch die berüchtigte Felsengasse, in der die Mamluckenbeys ihren zwar verdienten, aber allerdings schauderhaften Tod fanden. Man kann sich das Geschehene auf das Lebhafteste hier vergegenwärtigen. Der Leser denke sich nur einen langen gewundenen Gang, auf beiden Seiten von Felsen und hohen darauf errichteten Mauern und Häusern umgeben, in dem ein abschüssiges glattes Steinplattenpflaster den Berg hinunterführt. Die Tore vor und hinter den Beys sind schon geschlossen, den Opfern unbewußt, die man jetzt, im zurückgerufenen Bilde, über Hundert an der Zahl, auf wilden und mutigen Pferden in dem engen Raum dicht zusammengedrängt erblickt, alle strahlend in ihrem höchsten Kriegerschmuck, wohlgemut einherziehend, ohne eine Ahnung von dem, was ihnen bevorsteht, während schon alle Terrassen, alle Felsenvorsprünge, die Galerien der obern Häuser wie in schuldiger Ehrenbezeigung mit Soldatenreihen besetzt sind, bewaffnet zur Salve festlichen Grußes. Jeder von diesen stolzen Beys mochte vielleicht gerade jetzt Gedanken des nahen Verrats von seiner Seite mit Wohlgefallen Raum geben, sich im voraus an dem unvermeidlichen Fall des sichern Feindes weidend, aber für die eigne Sicherheit fürchtete, wie mit Blindheit geschlagen, keiner – da plötzlich richteten sich alle Gewehre auf die vergoldete, schimmernde Schar, und ein Kugelregen schmettert auf sie nieder, von dem schon der erste Schuß die Beys mit der Verzweiflung gänzlicher Hoffnungslosigkeit erfüllen mußte. Denn weder Rettung noch Verteidigung noch Rache war möglich! Das Getümmel der Stürzenden, das Rasen der verwundeten Pferde, das Geschrei und die Verwünschungen der Fallenden, das länger als eine Viertelstunde andauernde Schlachten aus gefahrloser Ferne, der erschütternde Anblick endlich so vieler Fürsten, übermächtiger Herren des Landes, vor deren zürnendem Blicke gestern noch jeder mit Zittern gewichen wäre, jetzt in der Mitte aller sie umgebenden Pracht in Staub und Blut sich wälzend, von ihren eignen Rossen zerstampft, unter dem Hohn gemeiner Albanesen ihren Geist aushauchend, und die im Tode noch umklammerte treue Waffe selbst, nur ein herber Spott in der verteidigungslosen Hand – gewiß, es muß eine Szene von furchtbarer Wirkung gewesen sein.

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Oft, wenn ich mich an dieser nicht abbrechenden Reihe exotischer Bilder ergötzte und dann meinen Blick auf das hohe kühle Laubdach über mir warf, das so viel mehr dem Norden als dem Süden anzugehören schien, kam es mir vor, als sei ich noch in Europa und betrachte nur aus einer Allee des Wiener Praters oder Berliner Tiergartens ein gemaltes Diorama Ägyptens.

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Bei uns spielen abends nur die Wolken am Himmel in mannigfachen und brennenden Farben, hier gab es keine Wolken, aber der ganze Himmel und auch die ganze Erde waren in sanft glühende Tinten von unbeschreiblicher Lieblichkeit gehüllt. Aus der glänzenden Goldfarbe am äußersten Horizont entwickelte sich über dem reinen Äther ein durchsichtiges, wunderbares Meergrün, und helle Rosabanden gingen von diesem in Lila- und Silberstreifen über, die im Osten wieder in lichtes Blau verflossen. So schimmerte in erhabener Milde und Pracht das ganze weite Himmelsgewölbe, während das die Erde deckende Grün, zu höchster Saftfrische gesteigert und wie durch eine Glorie verklärt, häufig, gleich dreifarbig gewebtem Seidenstoff, zu gleicher Zeit in grün und blau und gelb zu schillern schien.

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Mein dem Leser schon aus Alexandria bekannter junger Freund, der französische Konsul Lesseps, ein Pariser Elegant in der Wüste, holte mich auf seinem tunesischen Renner ab, und wir eilten bei Desaix umgeworfenem Monumente und dem prächtigen Throne des Sieges (Bab-el-Nasr) vorüber, einen freien Platz zu gewinnen, bei dem die Prozession vorbeikommen mußte. Einige Regimenter stehen jetzt dort in Zeltlagern, täglich manövrierend, heute aber fanden wir sie, dem heiligen Teppich zu Ehren, mit der irregulären Kavallerie auf beiden Seiten der Straße Spalier bildend. In der Nähe dieser plazierten wir uns auf einer Anhöhe. Schon nahte der Zug. Voran ein Detachement Kavallerie, die Offiziere in ihrer Staatsuniform, in Rot und Gold gekleidet.

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ritten wir eine halbe Stunde weiter, den imposanten, leider nun schon halb verfallenen Grabmälern der Kalifen zu, die dem Architekten fast unerschöpfliche Modelle der mannigfachsten, ebenso geschmackvollen als originellen Zierraten altarabischer Baukunst darbieten und wiederum deutlich zeigten, daß dieser Baustil mit dem gotischen auf das innigste verwandt, ja beide oft sich fast gleich sind. Mitten im Sand der Wüste gelegen und in so tödlich einsamem Kontrast mit dem Gewühl der nahen Hauptstadt, machten diese verhältnismäßig modernen Ruinen, diese Menge von Palästen hingeschiedener Größe in verwitternder Kunst und Pracht, einen viel wehmütigeren Eindruck auf mich als die uns schon so viel weiter entrückten Totenstädte der alten Ägypter.

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Überall schienen aber des Volkes Blicke, das sich ehrerbietig bei seiner Erscheinung aufstellte, ihm mit Liebe und Bewunderung ohne alle Anzeichen sklavischer Furcht zu folgen; eine Behauptung, welche in Europa manchen überraschen wird; aber ich überzeugte mich hundertmal, daß Mehemed Ali in seinem Lande wirklich, trotz aller despotischen Maßregeln, populär bei großen wie kleinen ist: der beste Beweis, daß seine Regierung hier nicht so unpassend sein muß, als unsere Theoretiker sie beurteilen.

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Er wunderte sich etwas, daß trotz dieser Einrichtung dennoch die Kosten der Armee bei uns beinahe die Hälfte der ganzen Staats-Revenuen erreichten, als ich ihm aber sagte, daß wir dadurch in den Stand gesetzt würden, im Fall eines Krieges in wenigen Wochen mit 3-400 000 Mann ins Feld zu rücken und eine stehende Armee von diesem Belange mehr kosten würde, als das ganze Land aufzubringen imstande sei, so fand er das Resultat nicht zu teuer erkauft, denn, wie es scheint, gehört Ibrahim nicht zu denen, die auf einen ewigen Frieden rechnen.

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Obgleich sechs oder sieben seiner türkischen Generale und Oberoffiziere gegenwärtig waren, ergoß er sich ausschließlich im Lobe des arabischen Soldaten und sagte: «Tapferer und mit mehr Ausdauer sich schlagen können keine Truppen in der Welt, obgleich viele geschickter und kriegserfahrener als die meinigen sein mögen, und wenn in der Armee ein Beispiel von Unentschlossenheit oder Feigheit vorfiel, so war es immer nur von seiten der türkischen Offiziere, ich kenne kein solches Beispiel von einem Araber.» Diese Worte sind merkwürdig, denn sie bekunden, was ich schon früher hörte, daß Ibrahim sich ganz auf die Seite jener Politik wendet, welche Mehemed Alis Reich und Dynastie als eine arabische, als eine Erneuerung des alten Kalifats und keineswegs als einen Zweig türkischer Herrschaft angesehen wissen will und nur dadurch von ihr Dauer und Größe erwartet. (S.160)

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Übrigens gibt es keine Nation, bei der mehr als bei den Türken Goethes Worte eintreffen, die er dem sehr weltklugen Mephistopheles in den Mund legt: «Mein Freund, das wird sich alles geben; Sobald du dir vertraust, weißt du zu leben.» (S.161)

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Mein kleines Gefolge bestand außer dem genannten Herrn Doktor mit seinem Diener noch aus einem Kawaß des Vizekönigs, meinem Dragoman Giovanni, meinem Kammerdiener Ackermann, einem griechischen Pagen aus Kandia mit Namen Jannis, einem arabischen, in Kahira einigermaßen französierten Koch, und – um die Langeweile einer so weiten Wasserreise etwas weniger monoton zu machen – einer abessinischen Sklavin, die ich erst wenig Tage vorher für eine ziemlich ansehnliche Summe erkauft hatte. Den Charakter dieses originellen Mädchens zu studieren, an der die Zivilisation noch nichts hatte verderben noch verbessern können, war im Verfolg der Reise eine unerschöpfliche Quelle von Vergnügen für mich, und es tat diesem Studium durchaus keinen Abbruch, daß der Gegenstand desselben zugleich an Schönheit der Formen die treueste Kopie einer Venus von Tizian war, nur in schwarzer Manier. Als ich sie kaufte, und aus Furcht, daß mir ein anderer zuvorkommen möchte, ohne Handel den geforderten Preis sogleich auszahlen ließ, trug sie noch das Kostüm ihres Vaterlandes, das heißt nichts als einen Gürtel aus schmalen Lederriemen mit kleinen Muscheln verziert. Doch hatte der Sklavenhändler ein großes Musselintuch über sie geworfen, das aber vor den Kauflustigen abgenommen wurde und daher der genauesten Beurteilung kein Hindernis in den Weg legte.

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Aber ihr Körper! Woher in des Himmels Namen haben diese Mädchen, die barfuß gehen und nie Handschuhe tragen, diese zarten, gleich einem Bildhauermodell geformten Hände und Füße; sie, denen nie ein Schnürleib nahekam, den schönsten und festesten Busen; solche Perlenzähne ohne Bürste noch Zahnpulver, und obgleich meistens nackt den brennenden Sonnenstrahlen ausgesetzt, doch eine Haut von Atlas, der keine europäische gleichkommt und deren dunkle Kupferfarbe, gleich einem reinen Spiegel, auch nicht durch das kleinste Fleckchen verunstaltet wird? Man kann darauf nur antworten, daß die Natur Toilettengeheimnisse und Schönheitsmittel besitzen muß, denen die Kunst nie gleichzukommen imstande ist. Es war gut, daß ich alle diese Vorzüge beim Einkauf sah, denn jetzt hätte ich weniger Gelegenheit dazu gehabt, da Ajïamé (so heißt die abessinische Schöne) bereits durch meine Fürsorge in dezente morgenländische Kleider mit Strümpfen und gelben Pantoffeln gehüllt ist, die mich nur ihr Antlitz und zuweilen ihre wundervolle Hand mit einem Teil des runden Armes erblicken lassen. Übrigens versteht es sich von vornherein, daß ich ein zu gewissenhafter und selbst zu freier Preuße bin, um sie jetzt noch als Sklavin zu behandeln. Mit dem Eintritt in mein Haus war sie eine Freie, obgleich ich fürchte, daß sie noch keinen recht deutlichen Begriff von diesem Zustande hat, denn als ich ihr denselben mit Hilfe eines Dolmetschers in ihrer Sprache ankündigte, küßte sie mir die Hand und, diese dann demütig an ihre Stirn drückend, flüsterte sie leise: Ich sei ihr Herr und habe zu gebieten, was sie sein und was sie tun solle.

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Dieselbe Delikatesse, mit der sie ihren Körper behandelte, dieselbe Dezenz und Anmut fand ich auch in ihrem übrigen Betragen. Doch verriet sich einige Wochen später – was ich hier gleich mit einschalten will – das sklavische (man könnte auch sagen das weibliche) Prinzip deutlich bei ihr, denn meine zu schmeichelnde Behandlung machte sie schnell übermütig und launisch. Überdem ennuyierte es das hübsche Kind nicht mit Unrecht, mit niemandem sprechen zu können, da weder ich noch ein andrer ihre Sprache verstand, wozu es auch nicht ergötzlich war, nach türkischer Manier stets eingesperrt zu bleiben, und nur täglich tief verschleiert am Abend eine Viertelstunde am Ufer spazierengehen zu dürfen. Alles dies war nicht meine Schuld, und auch mit dem besten Willen hier nicht abzuändern; demohngeachtet wollte sie es mir entgelten lassen und ward endlich bei aller ursprünglichen «gentleness» ihres Charakters gleich einem verzognen Hündchen oft ganz unleidlich mürrisch, gebieterisch und so wetterwendisch, daß ich viel Not mit ihr vorauszusehen anfing. Die Menschen haben aber alle gar viel von den Tieren an sich, und die Wilden stehen ihnen natürlich noch näher. Dies nahm ich in Betrachtung und beschloß nun, der wachsenden Koketterie, Unart und Rebellion meines kleinen Naturkindes auch naturgemäß entgegenzuarbeiten. Ich fing damit an, nach der ersten heftigen Szene dieser Art, wo sie zuletzt im Zorn ein kürzlich von mir erhaltenes Geschenk ohne weiteres über Bord geworfen hatte – stundenlang nicht die mindeste Notiz mehr von ihr zu nehmen, und als sie den Morgen darauf sich noch immer gleich trotzig in ein kleines mit Blei ausgeschlagenes Badekabinett (also eine wahre venetianische Bleikammer bei dem hiesigen Klima), worin sie zugleich ihre Effekten aufhob und ihre Toilette zu machen pflegte, zurückzog, schloß ich ganz kaltblütig die Türe desselben ab und ließ sie andere vierundzwanzig Stunden in diesem Gefängnis verbleiben, während man ihr die nötige Nahrung zum Fenster hineinreichte, aber immer unberührt wieder zurückerhielt. Diese Hartnäckigkeit, verbunden mit einem unverbrüchlichen Stillschweigen, würde mich vielleicht geängstigt haben, wenn ich das liebe, reizende, der Notwendigkeit immer zur rechten Zeit nachgebende, weibliche Geschlecht nicht besser kennte. Schon in der Nacht hörte ich sie mehrmals heftig schluchzen, bereits ein Zeichen der herannahenden Nachgiebigkeit, welches ich jedoch nicht zu bemerken schien – bis sie nach Sonnenaufgang ihr Silberstimmchen vernehmen ließ und auf das Rührendste in abessinischer Sprache um Erlösung bat, was ich dem Sinne nach sehr gut, wenn auch von den Worten nur die wenigen verstand, welche ich bereits nach und nach von ihr gelernt hatte. Noch eine Weile spielte ich den Fühllosen, dann ließ ich mich erbitten und schob den Riegel weg. Verweint und lieblich, so verführerisch drappiert als sie es nur verstand, setzte die Gefangene behutsam ihren schönen nackten Fuß auf den Teppich, folgte langsam mit dem andern nach…

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der Zeitpunkt, wo Mehemed Ali, wie man zu sagen pflegt, sich immer am meisten gehen ließ, am vertraulichsten und aufrichtigsten sprach. Heute erzählte er mir allerlei aus seinem Leben. «Ich kann nicht mehr lange dauern», sagte er, den Kopf auf die Hand gestützt, «denn ich habe zuviel schon in jungen Jahren erleiden müssen. Mein ganzes Leben war ein beständiger Kampf. Als ich noch im Vaterhause in Makedonien war, drückten die Vornehmen und Mächtigen die ganze Provinz mit empörender Willkür. Aufstand nach Aufstand erfolgte, und auch unser Dorf, mit andern vereinigt, versuchte Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Wer aber befehligte die Insurgenten in diesem Streit? – Der junge Mehemed Ali. Und schlecht genug erging es ihm. Ich erlitt so viele kleine Niederlagen, daß einmal der glücklichste meiner Gegner mir während des Gefechtes zurief: ‹Bist du noch nicht müde, geschlagen zu werden, da ich schon müde bin, dich zu besiegen?› Zuletzt erlangten wir indes mit Beharrlichkeit doch einen Teil unsres Zwecks.» Nun ging er zu seinen langen Kriegen mit den Mamlucken in Ägypten über. «Es waren tapfre Leute», sagte er, «und alles unter meinen Truppen fürchtete sich dergestalt vor ihnen, daß, wenn sie Gott nur halb so sehr gefürchtet hätten, sie den sichersten Anspruch auf die ewige Seligkeit im Paradiese gehabt haben würden. Die Mamlucken hätten im Anfang gar keine Waffen gegen uns gebraucht, es war hinlänglich, daß sie ihre kleinen Trommeln schlagen ließen, um all meine Leute davonlaufen zu machen, denen ich dann wohl notgedrungen auch selbst folgen mußte. Mein Sohn Tossum Pascha wie meine übrigen Verwandten hatten dasselbe Los. Nach und nach lehrte ich indes meinen Soldaten den Krieg durch den Krieg, und Gott unterstützte mich. (S.217)

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Mit der größten Unbefangenheit sprach er dann von seiner früheren Unwissenheit und wie er sich nur durch langes und fortgesetztes Nachdenken über jedes einzelne zu unterrichten gesucht, bis er das Wahre aufgefunden, denn alles, was er höre, behalte er wohl im Gedächtnis und prüfe es lange – dann aber handle er schnell und lasse sich durch nichts mehr irre machen. «Man tadelt mich unter andern», sagt, er, «daß ich allen Handel des Landes zu meinem eignen Vorteil an mich gezogen habe. Hätte ich es nicht getan, es würde so gut wie gar kein Handel bei uns existieren, wenigstens nicht zu unsrem Nutzen. Schon habe ich einen Teil des innern Handels der Konkurrenz der Partikuliers überlassen, weil ich zu sehen glaube, daß die Nation langsam aus ihrem Schlaf zu erwachen und den sich darbietenden Vorteil zu verstehen anfängt; ich bin im Begriff, auch einen Teil der Fabriken gleichfalls den Spekulanten in die Hände zu geben. Aber den Handel mit dem Auslande muß ich noch selbst fortführen. Schon Napoleon hat es ausgesprochen: ‹que les négociants de l'Europe sont des bandes organisées.› Wir besitzen noch keine solche Banden, und meine unwissenden und indolenten Ägypter würden bald die Beute der fremden Kaufleute werden, wenn ich selbst mich diesen nicht entgegenstellte, ich – den anzuführen ihnen nicht so leicht wird. Finde ich einst, daß die Zeit dazu gekommen ist, so werde ich auch hierin ein andres System ergreifen, denn weiß ich etwa nicht, daß das Geld nur der Repräsentant der Produkte ist? Wird mein Volk fähig sein, durch sich selbst reich zu werden, so will ich ihm gern auch die Mühe überlassen, welche damit verbunden ist, und hoffe mich nicht schlechter dabei zu befinden. Aber man muß mir zutrauen, daß ich besser zu beurteilen verstehe, als der Redakteur des Journal de Smyrne, was in einer Epoche meinem Lande frommen mag und was in einer andern. Die Franken haben ein gutes Sprichwort, welches sagt: ‹Le mieux est l'ennemi du bien›. Ich habe immer das letzte, soweit es eben möglich war, zu erlangen gesucht, ehe ich an das unerreichbare erste dachte. So fand ich vor allem nötig, ein festes und ein reiches Gouvernement in Ägypten zu gründen, und gleichzeitig rastlos an der bessern Bildung meines Volks zu arbeiten. Zu seiner Zeit wird das jetzt Erlangte ohne Zweifel dazu dienen, ein noch Besseres zu begründen, aber wer mit einem Sprung am Ziele sein will, langt nie dabei an.

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Manches, was ich tue, mag hart erscheinen, und größere Männer, als ich bin, sind nicht anders beurteilt worden – doch das darf mich nicht kümmern. Was ich zum Beispiel von Peter dem Großen gehört, zeigt mir, daß dieser Fürst, der gleich mir alles selbst schaffen mußte, zehnmal eigenmächtiger und despotischer als ich dabei verfuhr, und dennoch hat ihm seine früher murrende Nation wie die ganze Nachwelt endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen. Auch ich erwarte diese Nachwelt als meinen unparteiischen Richter, und gibt mir Gott nur noch einige Jahre des Wirkens und gewährt mir die Möglichkeit, das Begonnene zu befestigen, so fürchte ich ihren Richterspruch nicht. Warum arbeite ich Tag und Nacht, warum scheue ich keine Mühe, keine Anstrengung noch Unbequemlichkeit in meinem hohen Alter, um alles, so viel es mir möglich ist, mit eignen Augen zu sehen und zu beurteilen – wenn es nicht wäre, um jenes große Gebäude zu vollenden, was längst in meinem Geiste feststeht.

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Ich besitze ja überflüssig genug, um für meine Person das Gewonnene und alle Freuden irdischer Existenz in der behaglichsten Ruhe zu genießen, und wenn ich mich statt dessen rastlos plage, so kann es wahrlich nicht aus Egoismus sein! Der Ruhm und das Bewußtsein, die einstige bleibende Wohlfahrt der Länder, über die ich gebiete, begründet zu haben – darin liegt mein teuerstes Interesse, und nur diesem Zweck ist mein ganzes noch übriges Leben geweiht.» Diese mit Feuer und Enthusiasmus ausgesprochenen Worte waren zwar meiner Ansicht von Mehemed Alis Charakter nicht entgegen – sie erschienen aber zugleich so verschieden von dem, was uns im Auslande die meisten Berichte über diesen merkwürdigen Mann zu insinuieren… Some highlights have been hidden or truncated due to export limits.

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Ich habe nicht leicht einen Mann irgendeines Ranges gesehen, der, wenn er will, ein einschmeichelnderes und anziehenderes Wesen gehabt hätte als der Vizekönig. Das lebendige Spiel seiner Augen und seiner ganzen Physiognomie ist dann von einem so feinen, so gutmütig liebenswürdigen Ausdruck begleitet, daß man unwillkürlich sich davon gefesselt fühlt. In der Diskussion ist er voller Mäßigung und Geduld, obgleich ich bemerkte, daß er nicht leicht auf andere Meinung zu bringen ist, aber sein wohlwollendes Benehmen und seine ausgezeichnete Höflichkeit verleugnen sich nie. Zuweilen wenn ich, neben ihm sitzend, unwillkürlich in Gedanken verfiel und zur Wiederanknüpfung des Gesprächs eine Äußerung von ihm selbst erwartete, bog er sich mit jener… Some highlights have been hidden or truncated due to export limits.

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Der erwähnte Leibdiener zog meine Blicke sehr häufig auf sich. Es war eine wahre Charaktermaske, das Ideal eines Roman-Knappens aus alter Zeit, wie sie bei uns in der Wirklichkeit nicht mehr angetroffen werden. In den scharfen, von manchem innern und äußern Unwetter gefurchten Zügen malte sich ein unerschütterlicher Ernst, unbedingte Ergebenheit, felsenfeste Treue und eine keinen Augenblick ruhende Aufmerksamkeit für den Dienst seines Herrn, den er kaum je aus den Augen ließ. Er dient Mehemed Ali bereits 30 Jahre, mochte selbst einige fünfzig zählen, und sein schlohweißer Schimmel, von der Stärke und Dauer eines alten Ritterpferdes, schien gleichfalls nicht wenig Jahre mit ihm gemeinschaftlich gedient zu haben. Das Benehmen dieses Mannes gegen den Vizekönig war zwar voll Ehrfurcht, aber mit jener vertraulichen Sicherheit gepaart, die nur ein so langes Beisammensein, so viel und so wichtiges zusammen Erlebtes geben können. Man sah deutlich, daß dieser Mann seinem Herrn ganz angehörte, bei ihm das Ich im Diener völlig aufgegangen war und jeder Wink des Herrn, im Guten wie im Bösen, im Gefahrvollsten wie im Alltäglichsten, augenblicklicher Folgeleistung sicher war. Zu einem solchen Verhältnis gehörten vielleicht große Eigenschaften im Herrn wie im Diener und außerdem ein großartiges Schicksal des ersten, dem der andere durch Glück und Unglück viele Jahre gefolgt. Vielleicht gehören auch orientalische, primitive Naturen dazu, denn Napoleon wurde, als sein Glücksstern erblich, auf die gemeinste Weise von seinem französischen Mamlucken Rustan verlassen.

Pückler-Muskau: Aus Mehmed Alis Reich

Mehmed Ali PaschaMehmed Ali Pascha (Wikipedia)

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