25 Juni 2024

Harald Jähner: Höhenrausch. Das kurze Leben zwischen den Kriegen

 

Harald Jähner: Höhenrausch. Das kurze Leben zwischen den Kriegen, 2022


KLAPPENTEXT

Deutschland 1918. Ende des Ersten Weltkriegs, Revolution, Sieg der Demokratie. Zugleich beginnt ein Siegeszug befreiter Lebensweisen. Die Inflation hat die überlieferten Werte ins Wanken gebracht. Alles soll von Grund auf anders werden: die "Neue Frau", der "Neue Mann", "Neues Wohnen", "Neues Denken". Als es Mitte der Zwanziger auch wirtschaftlich aufwärtsgeht, wird Deutschland ein anderes Land. Frauen eroberten die Rennpisten und Tennisplätze, gingen abends alleine aus, schnitten sich die Haare kurz und dachten nicht ans Heiraten. Unisex kam in Mode, Androgynes und Experimentelles. Jähner erzählt von der Erfindung der Freizeit, von Boxhallen und Tanzpalästen, und von den Hotspots der Neuen Zeit, vom Büro und Großstadtverkehr, vom Warenhaus als Glücksversprechen oder der Straße als Ort erbitterter Kämpfe. So vieles wirkt heute verblüffend modern. Die Vorliebe für Ironie, das Gradlinige und Direkte. Aber auch die Angst vor der "Entwertung aller Werte", der Herrschaft des Billigen. Ein großer Teil der Deutschen fand sich im Aufbruch nicht wieder. Nach und nach offenbarte sich die tiefe Spaltung der Gesellschaft und die Unfähigkeit, sie auszuhalten. Harald Jähner liefert eine Gesamtschau dieser so pulsierenden, reichen Zeit, wie es sie bislang nicht gab - und zeichnet das Bild eines zerrissenen Landes voll gewaltiger und erschreckender Energien. Es ist uns irritierend ähnlich und - hoffentlich - doch ganz anders.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 28.12.2022

Der hier rezensierende Verleger Klaus Bittermann hat von Harald Jähner viel über die Seele der Weimarer Republik gelernt. [...] Wieder wählte Jähner das Stilmittel des "Wimmelbildes", um mit kleinen Geschichten über die große Historie zu berichten und durchforstete abermals die Archive von Zeitungen, lesen wir. Was er dort fand, hat eine enorme atmosphärische Gegenwärtigkeit, lobt der Rezensent, denn genau die fehle in den herkömmlichen Geschichtsbüchern. Bittermann beeindruckt, was für ein Zeitgemälde Jähner aus Kleinanzeigen entwickelt und damalige Leitartikel blass aussehen lässt. 

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.10.2022

Harald Jähner schaut genau auf die aufregenden 1920er Jahre, erkennt Florian Keisinger. Sein besonderer Fokus: Der Durchschnittsmensch als Zeitgenosse. Dass er das spannend erzählt, ist für den Rezensenten ein ganz großes Plus und keine Selbstverständlichkeit bei einem Sachbuch. Er bemängelt zwar, dass nicht die ganze Weimarer Republik so umfassend beleuchtet wird, erkennt aber an, dass Berlin als Fokus sinnvoll ist. Von dieser Warte aus werden unter anderem die Rolle der Frau, das Bauhaus, der Aufstieg der NSDAP und die Weltwirtschaftskrise als Weg in den Niedergang vom Autor gekonnt thematisiert, findet Keisinger und empfiehlt das Buch.

Aus dem Inhalt:
 Übergriffe der Heimkehrsoldaten, mit Maschinengewehr auf Straßenbahn geschossen.
Besetzungen von Verlagsgebäuden und des Wolffschen Telegrafenbüros und des Berliner Tageblatts (S. 44) Die Besetzungen anfangs "ziemlich planlos" (S.45) "weshalb der Begriff Spartakusaufstand auch in die Irre führt" (S.45) Erst dann setzen sich Liebknecht und Luxemburg an die Spitze. – Daneben geht das bürgerliche Leben weiter (Theateraufführungen). Als das Tanzverbot gefallen ist, das während des Krieges galt, kommt es zu einer großen Tanzbegeisterung. Holländer schreibt den Song. "Dein Tänzer ist der Tod" (S.49)

"Nachdem im Zuge eines Generalstreiks aufständische Arbeiter, im Stadtbezirk Lichtenberg ein Polizeirevier und das Postamt besetzt hatten und es zu zahlreichen Plünderungen und Ausschreitungen gekommen war, ließ Gustav Noske als Reichswehrminister in der sozialdemokratischen Regierung für die innere Sicherheit verantwortlich, den Stadtteil gewaltsam räumen. Nach offiziellen Angaben kamen dabei eintausendzweihundert Menschen um, wahrscheinlich waren es noch etliche mehr. Die meisten starben durch standrechtliche Erschießungen, die von den eingesetzten Freikorpssoldaten vorgenommen wurden. Ihre 'Rechtsgrundlage' bildete die Anordnung, Noskes, jeden zu erschießen, der mit der Waffe in der Hand kämpfend angetroffen werde. Der selbsternannte Bluthund der SPD hatte diesen Befehl erlassen, nachdem das Gerücht in Umlauf gesetzt worden war, die Aufständischen hätten fünfzig Polizisten im besetzten Revier ermordet.  Die Freikorpssoldaten hatten den Befehl dahin gehend erweitert, dass sie jeden umbrachten, der auch nur eine Waffe besaß. [...]  Sie erschossen sogar Angehörige der / revolutionären Volksmarinedivision, die friedlich an einem Militärdepot Schlange standen, um ihre Waffen abzugeben und den Entlassungslohn abzuholen." (S.51/52 )
"1913 hatten sich in Deutschland zwei Milliarden Mark im Umlauf befunden, 1919 waren es 45 Milliarden. Währenddessen hatte sich der Staat um das Dreißigfacher verschuldet, von fünf auf 153 Milliarden. Diese inflationäre Praxis war in allen kriegsführenden Ländern üblich, und in keinem hatte man sich darüber Gedanken gemacht, wie man das Geld nach Kriegsende an die Bürger zurückzahlen und dem Haushalt wieder in Ordnung bringen könnte. Denn alle Nationen waren gleichermaßen davon überzeugt, den Krieg zu gewinnen. Für die Kosten / würden am Ende die anderen aufkommen müssen." (S.79/80) 
"Dummerweise dachten die Gegner genauso. Auch sie verfuhren nach der Devise: 'der Verlierer zahlt alles', als sie den Deutschen Versailles die Friedensbedingungen diktierten. [...] In einer ersten Rate zur Wiedergutmachung der Kriegsfolgen, die die Sieger Staaten erlitten hatten, sollte Deutschland zwanzig Milliarden Goldmark zahlen. Mit derart rosigen Einkommensaussichten gingen Britten und Franzosen in die Inventur und stellten ihre inflationäre Kriegswirtschaft auf einen sparsamen Friedenshaushalt um. Sie kürzten alle Sozialausgaben, sparten, wo sie nur konnten, und setzten auf das Geld aus Deutschland. Die Aussicht auf die Reparationszahlungen gab ihnen den Mut, die nötige wirtschaftliche Fastenkur in Angriff zu nehmen. Den Deutschen hingegen war solch ein ökonomischer Realismus durch die hoffnungsloser Lage verstellt. Ihr Schuldenberg war unvorstellbar groß. Der Staat stand schon bei den Bürgern mit 98 Milliarden. In der Kreide, von den Forderungen der Sieger ganz zu schweigen. Mit derart viel Schulden im Rücken, brauchte man mit dem Sparen gar nicht erst anzufangen . Nach dieser Logik setzten die Koalitionsregierungen der ersten Weimarer Jahre die Inflationspolitik aus der Kriegswirtschaft einfach fort." (S.80)
Man druckte Geld und setzte auf Inflation
"Da der Wert der Reichsmark durch ihren ständigen Nachdruck sank, wurden deutsche Produkte im Ausland immer billiger. Der Export stieg, und auch deshalb sank die Arbeitslosenquote. [...] Die großen Verlierer der Entwicklung fanden sich nicht bei den Habenichtsen, sondern im Mittelstand, bei den Sparern. Vor allem die sicherheitsbewussten Teile des Bildungsbürgertums hatten traditionell ihre Überschüsse als Sparguthaben angelegt und erlebte nun Monat für Monat, wie ihr Vermögen an Wert verlor. Zudem waren sie es, die die meisten Kriegsanleihen gezeichnet und den Krieg patriotisch mit finanziert hatten. Die Inflation entwertete die Ansprüche, die sie an den Staat hatten, auf dramatische Weise: Am Ende waren die 98 Milliarden Mark Schulden, die der Staat bei seinen Bürgern hatte, nicht mal so viel wert wie ein Sack Kartoffeln." (S.81) 

Kapitel 8: Die Selbstoptimierung:                                                                                      Die Perfektionierung der Freizeit und der Körper (S.263 ff.)

"Josef Roth fand, "der Gott, der Sensationen" habe den Lunapark ganz ans Ende des ohnehin unterhaltungseligen Berliner Kurfürstendamms gesetzt, sozusagen als dessen Pointe. [...] Der Lunapark gab sich hochmodern, die Achterbahn zum Beispiel wurde erst 'kubistisch', 1921 dann durch den Maler und Grafiker, Josef Fenneker 'expressionistisch' gestaltet, bevor sie als 'Krummhäuslbahn' hochalpin, daherkam." (S. 266)

"Der Lunapark überlebte die Weimarer Republik nur wenig länger als ein Jahr, der Ulap schloss sogar schon 1925 seine Tore für immer. [...] Den Veranstaltern waren die Ideen ausgegangen, und die Vergnügungsucht kannte kein Erbarmen. Der Zerstreuung suchende Mensch langweilt sich genauso schnell, wie er sich beeindrucken lässt – ein volatiler Faktor, noch quecksilbriger als der Aktienkurs." (S. 269/270).

Über den Stummfilm: 

Die Deuligs-Wochenschau wäre für unsere Sehgewohnheiten tatsächlich eine Folter. Nach der Schrifttafel "Hindenburg startet der braunschweigischen Landesregierung einen Besuch ab", die endlos lange eingeblendet war, sah man dem greisen Reichspräsidenten minutenlang beim Fahren mit der Kutsche, Händeschütteln und Reden zu.  Worüber blieb offen, es war ja alles stumm. Die Zeitgenossen aber schauten dennoch gebannt zu." (S.271)

"Alle waren gleichermaßen gebannt schon vom bewegten Bild an sich. Dessen Magie reichte aus, sogar dem ausschreitenden Hindenburg etwas abzugewinnen, glitt aber erst der gewaltige Zeppelin ins Bild, schlugen die Herzen hoch. Das Ungetüm war der große Stolz, fast aller Deutschen." (S. 272)

"Der Stummfilmzuschauer sieht anders, und der Stummfilmstar spricht anders; Edvard Muncks berühmtes Gemälde "Der Schrei" sieht aus, als wäre er dem Stummfilm abgeschaut. Zehn Jahre vor den ersten Stummfilmen entstanden, wäre das Bild kaum so berühmt geworden, hätte der Film die expressive Pose nicht untermauert. Der fehlende Ton wird darin sichtbar.  [...] Béla Balázs feierte den "Stummfilm als eine Befreiung des Ausdrucks von der Übermacht der Stimme". Der Körper habe bis dahin nur als "Drangabe" des Bedeutungsträgers gegolten; der Stummfilm mache ihn hingegen zum primären Ausdrucksträger der Seele. [...] Chaplin verstehe die Gebärdensprache auf eine Weise zu reden, die jedes gesprochene Wort zum Schädling mache, schrieb Siegfried Kracauer. Und tatsächlich, die Leute hatten sich an die eigentümliche Intensität des still Stummfilm so gewöhnt, dass ihnen die sich 1928 abzeichnen, der Aussicht, bald die ersten Tonfilme sehen zu können, nicht im mindestens verlockend erschienen. In Umfragen der Kinoverleihe, ob sie künftig Filme lieber stumm oder tönend sehen wollten, siegte fast immer der Stummfilm" (S.273) Prompt fielen die ersten Tonfilme durch, bei der Kritik ohnehin, aber auch beim Publikum [...]. Plötzlich musste man leise sein im Kino, man verstand ja sonst nichts. Dieser Disziplinierungszwang missfiel; kam ein Tonfilm gut an, war es nämlich auch nicht recht, weil man nicht wild applaudieren konnte,  ohne den Fortgang der Geschichte zu übertönen.

Hinter den Protesten steckten auch materielle Sorgen: die Kinomusiker fürchteten um ihre Jobs, das Sprechtheater witterte Konkurrenz, und ein Teil der großen Stummfilmstars war, für den Tonfilm völlig ungeeignet. Harry Liedtke ('Die Liebe einer Königin') war bis dahin ein effektiver Herzensbrecher, aber er hatte eine unpassend piepsige Stimme, die die Wirkung seines hübschen, glatten Gesichts zunichte machte.  Sein Gesangspart in dem Film 'Ich küsse Ihre Hand, Madame' (1929) musste vom Sänger Richard Tauber nachsynchronisiert werden. Auch für den Beau Bruno Kastner, dessen Konterfei in zahllosen Mädchenzimmern hing, war die tönende Zukunft chancenlos. Wegen seines Sprachfehlers, bekam er keine Rollenangebote mehr.  Kastner, der in über einhundert Filmen mitgespielt hatte, er hängte sich 1932 mit zweiundvierzig Jahren in einem Hotelzimmer.

Spätestens mit dem gefeierten Josef–von–Sternberg–Film, 'Der blaue Engel' hatte sich 1930 der Tonfilm durchgesetzt, auch wenn Emil Jannings, seinen steifen, konservativen Professor Rath, der sich in eine Tingeltangel-Chansonette verliebt, mit einer Theatralik verkörperte,  die noch ganz der Stummfilmästhetik verhaftet war. Aber die bis dahin noch ganz unbekannte Marlene Dietrich, die die Lola gab und mit immerhin fünfundzwanzigtausend Reichsmark nur ein Zehntel der Gage des berühmten Jannings bekam, spielte die Vorzüge des Tonfilms voll aus: Nicht nur in dem bis heute weltberühmten Lied 'Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt' von Friedlich Hollaender, sondern auch in ihrer schauspielerischen Zurückhaltung. Dietrich hatte sofort erkannt, dass der Tonfilm es erlaubt, sich sparsam und damit nur umso intensiver in Szene zu setzen." (S.273-275)

"Aus Amerika importiert worden war das Sechstagerennen, ein / ikonisches Sportevent der Zwanziger. Hier amüsierte man sich in volksfestartiger Gaudi darüber, wie dreizehn Radrennfahrer, sechs Tage und sechs Nächte lang monoton im Oval einer verqualmten Halle hintereinander herfahrend, ihr Bestes gaben. [...] Der seltsame Zwitter aus Sport und Varietee war ein beliebtes Gesellschaftsereignis, eine lärmende, ausgelassene, quälende/ Realmetapher auf die sechs Tagewoche. Der kommunistische Sänger Ernst Busch, besang das Sechstagerennen als kapitalistische Tretmühle, an der jede Sinnfrage scheitere:

Mensch, tritt in die Pedale

Immer rund ums Holzovale

He! He! He! He! He!

Bohlen splittern, Reifen platzen,

Drei Musikkapellen, jazzen,

He! He! He! He! He!

Sechs Tage im Kreis, immer rundherum –

Kein Sterblicher weiß: Warum nur, warum?

Alle packt es, alle treiben mit!

Alle jagt es, alle schreien mit! He!

Sechs Tage im Kreis, immer rundherum –

Und kein Einziger weiß, warum!

Die schärfste Kritik am Sechstagerennen – eine 'Kritik' wird man es kaum nennen können – kam von ganz rechts, von den Nazis. Bei dieser Mischung aus Show und Profisport, den sie ohnehin mit Argwohn betrachten, würden überall Juden die Fäden ziehen. 1933 behauptete die NS-Postille 'Der Angriff' rückblickend: 'Wer einen Blick hinter die Kulissen werfen durfte, weiß, dass es in erster Linie Juden waren, die als Veranstalter auftraten. In der Zeit der größten jüdischen Machtausbreitung standen in Deutschland die Sechstagerennen am höchsten im Kurs.' Die hedonistische Hexenkesselstimmung im Sportpalast war den Nazis unheimlich, ein Musterbeispiel des 'Kulturbolschewismus'." (S.282-284) 

Kapitel 10: Die Arbeit geht aus (339 ff.)

"Aufgrund ihrer Vereinzelung blieb der Organisationsgrad der Arbeitslosen gering. Die Erwerbslosengruppen innerhalb der Gewerkschaftsbewegung, von denen es etliche Tausend gab, blieben auf die Fabriken der Großindustrie begrenzt. Der KPD gelang es hier und da, Hungerdemonstrationen und Arbeitslosenprotestmärsche zu organisieren. Der 6. März 1930 wurde zum Beispiel zum internationalen Arbeitslosentag ausgerufen, an dem Demonstrationen in europäischen Metropolen stattfanden – ohne messbaren Erfolg, wie sogar die "Rote Fahne" zugab. Häufiger kam es zu anarchischem Krawall, zu spontanen Unruhen in den Arbeits- und / Wohlfahrtsämtern. Hier lagen die Nerven blank, schnell eskalierte ein Streit, wurde laut und handgreiflich, bis der Funken auf die seit Stunden Schlange stehenden Menschen übergriff. Die wütende Menge drang in die Büros, warf Akten und Möbel aus den Fenstern und jagte die Beamten aus dem Amt. Dann wurde Kleinholz gemacht, bis zwei Hundertschaften Polizisten anrückten und die Knüppel flogen. Um mehr Ordnung und Disziplin in die Konflikte zu bringen, organisierte die KPD sogenannte Selbstschutzstaffeln der Erwerbslosen, die in den Ämtern Wache standen, bei Randale für geordnete Rückzüge sorgten und abends gegen die SA aufmarschierten, wo sie sich mit ihresgleichen, die beim Gegner in den Reihen standen, die Köpfe einschlug. (S.359/60) 

"Die Arbeitslosigkeit drängte nicht zu demonstrativen Akten, sozialen Ungehorsams, sondern zu Resignation und Apathie." (S.361)


Kapitel 11: Die Stimmung sinkt, der Geschmack passt sich an – kulturelle Konflikte in der Depressionszeit (S.371ff.)

"Im August 1932 wurde die Autobahn Köln – Bonn eröffnet. Sie war auch wirtschaftspolitisch zukunftsweisend, denn die Investitionszusagen waren geknüpft an arbeitsintensive Baummethoden./Bagger und Förderbänder waren untersagt, um, wie geschildert, möglichst viele Arbeitskräfte einsetzen zu können und die Arbeitslosigkeit zu verringern – eine antizyklische Investitionsmaßnahme, die die Weitsicht des damals jungen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer verriet. Ein Verdienst der NSDAP war die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Autobahn keineswegs." (S.374/75 )

"Auch in literarischer Hinsicht begannen die Dreißiger vielversprechend: Robert Musils 'Mann ohne Eigenschaften', Hermann Brochs 'Schlafwandler'-Trilogie, Leon Feuchtwangers 'Erfolg' – Gesellschaftsromane, die es auf unterschiedliche Weise mit der ganzen Existenz aufnahmen und die auseinanderstrebenden Protagonisten mit aller Kraft zu einem Gesamtbild zusammenzwangen. Dagegen standen Irmgard Keuns 'Das kunstseidene Mädchen' und Erich Kästners 'Fabian' – zwei Bücher, die einen subjektiven, sehr laxen Ton aus der Krise schlugen, von unbändiger Lebenslust, die eine, von gerüschter Bitterkeit der andere." (S. 376)

"Ein tiefsitzender Pessimismus breitete sich aus, und nicht nur das. Die Deutschen gingen sich zunehmend auf den Geist. Man konnte einander nicht mehr hören.  Wie in einem Tanzlokal. Am frühen Morgen plötzlich die Decken Lichter angehen und gnadenlos die trüben Ecken, leeren Flaschen und müden Gesichter ausgeleuchtet werden, brach im Café Deutschland der Morgen der Dreißigerjahre an. Der Sekt schmeckte schal, die Gäste wirkten hohlwangig und mager, die Kapelle packte die Instrumente ein. Ein gepflegter Weltekel  [...] (S.379)

"Bis 1930 hatte sich die Kulturlandschaft zwischen den beiden Polen, Fortschrittsoptimismus und Modernisierungskritik recht überschaubar angeordnet. Das liberale Bürgertum blickte gelassen auf die Welt. Probleme gab es zu Hauf, aber sie schienen lösbar, der Fortschritt würde es schon richten. Selbst ein soignierter Herr Heinrich Mann, fühlte sich in der Menge pudelwohl, denn er war noch immer überzeugt von der zivilisatorischen Kraft der Großstadt.  1930 las er vor einem Zufallspublikum im neu eröffneten Kaufhaus Karstadt am Hermannplatz, 'im Durchgang von Nahrungsmitteln zur Konfektion'. Ausgerechnet hier, in dieser übergroßen Konsumkathedrale, die so aussah, als wäre eine Fantasie aus 'Metropolis' wahr geworden, las, der 'Präsident der Sektion Dichtkunst der Akademie der Künste' vor einem Publikum, das mit vollen Einkaufstaschen vorbeidrängelte. Später bekannte er: 'Dieses mein anonymes Auftreten in einer fließenden Menge, die meinetwegen keine Umstände machte,  zählt zu meinen reinsten Erinnerungen an das öffentliche Leben der Weimarer Republik.' (S. 380)

1932 wurde das Yo-Yo zur Mode. (S. 383).

"Um so bedrückender ist es, bei der Lektüre des Grosz-Textes im 'Kunstblatt' zu spüren, wie sehr sich rechts und links, obwohl einander todfeind, in ihrem Hass auf das Establishment angenähert hatten. Als vernuttet, verfressen, rücksichtslos und abstoßend,  als üble Kaschemme, hat der George Grosz Deutschland schon immer gekennzeichnet, aber es bestürzt doch zu sehen, wie wenig Rückhalt die Republik von einen wie ihm im Moment ihrer größten Anfeindung zu erwarten hatte." (S. 388)

"Im Anschluss an eine blutig niedergeschlagene Bauerndemonstration in Neumünster weigerten sich die Landwirte monatelang, die Stadt mit Fleisch, Getreide und Milch zu versorgen.  im gesamten Norden, vor allem in Dithmarschen, kam es zu Bauernunruhen, Krawallen und Bombenanschlägen. Auch im Osten, wo es kaum kleine und mittlere Höfe gab, sondern wo kasernierte Landarbeiter für den Gutsbesitzer und seinen Verwalter schufteten, eskalierten die Konflikte. Die Bauern waren von Anfang an nicht warm geworden mit der / Republik. Damals, bei ihrer Ausrufung 1918, ging der Krieg für sie weiter. Denn die SPD-geführten Regierungskabinette setzten die Zwangswirtschaft auch nach Kriegsende fort.  die Bauern mussten einen beträchtlichen Teil ihrer Ernte an den Staat abgeben – zu Preisen weit unter dem Marktwert. [...]" 

Erst 1923 wurde die Getreideproduktion "wieder ganz für den freien Markt freigegeben. In den Augen der Bauern war das nur typisch: die SPD stand bei ihnen ohnehin im Ruf, ausschließlich ihrer städtischen Klientel zu dienen und den Städten möglichst günstige Preise auf Kosten der Bauern sichern zu wollen." (S. 395) 

"So stand das Land in vieler Hinsicht quer zur Moderne. Seine Bewohner misstraut den Städten, fühlten sich über den Tisch gezogen, bis achtet, gering geschätzt.

Dass die Menschen jahrelang verstärkt, in die Städte geströmt waren, hatte am Selbstbewusstsein der Dörfler genagt. [...] Bruno Tanzmann, einer der wortmächtigsten Bauernsprecher, sah die wegziehenden Frauen einem schlimmen Schicksal entgegengehen, verführt 'von der Raffgier, der Genusssucht, von dem hohlen Tamtam, auf allen Gebieten des Lebens, von dem jüdisch orienta/lischen Ausschreierunfug in Staatspolitik, Warenhaus, Theater [...] Für Tanzmann und seine Weggefährten war die Stadt, das 'Massengrab des deutschen Volkes' [...]  Tanzmann gründete mit Gleichgesinnten die deutsche Bauernhochschule und den Artamanen-Bund  [Er war nur eines der Gründungsmitglieder,  Willibald Hentschel startete die Initiative], der mit seiner Beackerungsungseuphorie, den organisierten Siedlungsfahrten gen Osten und freiwilligen Erntehelfer-Einsätzen, immerhin 30 000 meist sehr junge Mitglieder anzog.[...] Die meisten Vertreter einer agrarromantischen Kritik am modernen Leben kamen gar nicht vom Land, sondern aus den Städten selbst.  [...] Das Land war eine weite Projektionsfläche, auf der - neben dem ökonomisch begründeten Misstrauen der realen Bauern – unterschiedlichste Pflanzen ideologischen Widerstands gegen das moderne Leben gediehen. Wer immer von rechts gegen die Republik opponierte, fand hier jede Menge Protestpotenzial." (S. 396/397) 

KAPITEL 12 ABEND ÜBER POTSDAM - ENDE EINER KOMMUNIKATIONSGEMEINSCHAFT
Lotte Laserstein "Abend über Potsdam"

Fünf Freunde, lud die Malerin Lotte Laserstein nach Potsdam zum Abendessen auf die Dachterrasse eines guten Bekannten. [...] Nach dem Essen wurde um den langen Tisch herum Modell gestanden oder gesessen. [...] Am Ende des Abends waren auf der breiten Leinwand der Blick hinunter auf Potsdam skizziert und die Umrisse der einzelnen Gäste mit grobem Pinsel konturiert. [...] So entstand der Abend über Potsdam, ein Bild, das später zum Symbol für die Stimmung in der untergehenden Republik werden sollte. [...] / Dargestellt ist das Ende eines kleinen Gastmahls. Die fünf sind satt. Etwas Brot, Obst und Wein liegen noch auf dem Tisch. In seiner Komposition erinnert das Bild unweigerlich an da Vincis Abendmahl,  Schon wegen der raffiniert angehaltenen Bewegtheit, der an sich ganz ruhigen Szene und der christusgleich inszenierten Haltung der Frau in der Mitte. Zwei Männer, drei Frauen, jeder ein wenig verloren, in sich gekehrt, müde. [...] eine schwermütig Stimmung liegt über der Szene.  [...] Man spürt darin die tiefe Ratlosigkeit einer abnehmenden Schicht nachdenklicher Menschen, die nur im Moment dem wachsenden Hass enthoben ist, der sich rings um sie zusammenbraut. Was das Bild aber so zeichenhaft macht, ist noch etwas anderes Es / zeigt eine Gesellschaft im Innehalten. Für einen etwas traurigen Moment verliert sie ihre Bindekraft und löst sich auf in einsame Individuen. Nimmt man diese kleine Gruppe  fürs Ganze, ist darin viel von der Kritik enthalten, die der bürgerlichen Gesellschaft von ihren Feinden entgegengebracht wurde. [...] Es ist ein angehaltener Moment, der eine bewegte Körpersprache hat festfrieren lassen. [...] Wenn man so will, ist Abend über Potsdam die Liebeserklärung an eine Republik, die ein rauschendes Fest erlebte und sich nun nicht mehr viel zu sagen hat. Die 'Roaring Twenties' sind vorbei und einem melancholischen Warten auf eine ungewisse Zukunft gewichen. Es ist das Portrait einer Kommunikationskrise. (S.415-417). 

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