27 April 2025

Robert Harris: Imperium

Robert Harris: Imperium

Auf Seite 199 wird Caesar eingeführt und zwar so: 

"Ich sollte vielleicht erwähnen, dass einer von ihnen Julius Caesar war, der sich zum ersten Mal um einen Sitz im Senat bewarb und in diesem Moment mit Cicero plauderte. Beide Männer kannten sich schon lange, und Caesar, der sechs Jahre jünger als Cicero war, hatte auf dessen Empfehlung hin bei Apollonius Molon auf Rhodos Rhetorik studiert. Inzwischen verklären Caesars früher Jahre ja alle möglichen Legenden. Das geht soweit, dass man glauben könnte, seine Zeitgenossen hätten schon im Säugling, in der Wiege, dass Genie erkannt. Was aber nicht der Wahrheit entspricht. Wer ihn an jenme Morgen in seiner weißen Toga sah, wie er nervös an seinem schütterem Haar zupfte, der hätte sich schwer getan, in ihm etwas anderes zu sehen als als in jedem anderen, der gebildeten, jüngeren Kandidaten. Einen großen Unterschied gab es aller/dings: Wahrscheinlich waren nur wenige so arm wie er. Um zur Wahl antreten zu können, hatte er sich bestimmt hoch verschulden müssen, denn er lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen in Subura, in einem Frauenhaushalt, zusammen mit Mutter, Frau und Tochter. Den Cäsar von damals stelle ich mir nicht als strahlenden Helden vor, der nur darauf wartet, Rom zu erobern. Eher als einen dreißigjährigen Mann, der vor lauter Straßenlärm in seinem Armenviertel nachts keinen Schlaf findet, und bitteren Gedanken darüber nachhängt, warum er, Sproß, der ältesten Familie Roms, in solchen Verhältnissen dahinvegetieren muss. Deshalb war seine Abneigung gegen die Aristokraten für diese weit gefährlicher, als es die von Cicero jemals war. Cicero war ein Mann, der es aus eigener Kraft geschafft hatte, deshalb ärgerte er sich über die Aristokraten und beneidete sie gleichzeitig. Caesar jedoch, der sich als direkten Nachfahren der Venus sah, betrachtete sie mit Abscheu, er hielt sie für Eindringlinge.

Aber ich greife vor, außerdem begehe ich den gleichen Fehler wie die Hagiographen, die mit dem verzerrten Licht der Zukunft in das Dunkel der Vergangenheit leuchten. Ich will an dieser Stelle einfach festhalten, Dass diese beiden herausragenden Männer, die zwar sechs Lebensjahre trennten, aber hinsichtlich Verstand und Weltanschauung viel gemein hatten, freundlich miteinander plaudern, in der Sonne standen, während Crassus das Podium bestieg und das vertraute Gebet sprach: "Möge diese Angelegenheit für mich, für meine höchsten Ziele, für mein Amt und für die Menschen Roms zu einem guten und zufriedenstellenden Ende gelangen!" Damit war die Wahl eröffnet."  (S. 199/200) 

Antiochos von Askalon

Apollonius Molon

Cato der Jüngere

Sehr interessant ist das Bild, das Harris von Cato dem Jüngeren zeichnet. Dass er Moralist und Idealist war, wird damit deutlich hervorgehoben. Ob das Bild zu nah an eine Karikatur liegt, kann ich nicht beurteilen.

Der Folgeband Titan, dessen Titel zunächst Ciceros Leistung als Konsul übersteigert zu feiern scheint, dann als Parodie auf Pompeius und dann als Kritik auf Cäsar gemünzt zu sein scheint, ist ähnlich mitreißend geschrieben wie der erste, doch da ich mehr über die Handlung und inzwischen recht viel über Harris' Art der Ausgestaltung weiß, weniger informativ. Der Absturz Ciceros und die Rolle von Rufus (S.440-57) und Clodius dabei verändern aber den Eindruck, den ich nach der Biographie von Fuhrmann hatte. 

Jetzt bin ich aber unsicher, ob ich den 3. Band unbedingt lesen will.

24 April 2025

Amys Testament

Fortsetzung des vorigen Artikels zu dem Roman Little Women von Louisa May Alcott. [engl. Wikipediaartikel zu Little Women]

 Als Beth, das zweitjüngste der March-Töchter an Scharlach erkrankt, weil sie sich um die Pflege des Säuglings einer den Little Women bekannten Familie gekümmert hatte, wird Amy March, die Jüngste, bei der Familie ihrer Tante einquartiert, weil sie als einzige der Schwestern noch keinen Scharlach hatte. Weil Beth, die stark erkrankt ist, gesagt hat, was von ihren liebsten Sachen die einzelnen Schwestern von ihr erben sollen, beschließt Amy, die möglichst alles besonders richtig zu machen (weil sie im Unterschied zu der aufopferungsvollen Beth vornehmlich immer an sich selbst und ihre Wirkung auf andere denkt), ihrerseits ein formvollendetes Testament zu machen. Dafür lässt sie sich die treffenden juristischen Formeln sagen. 

Als Laurie der Nachbarsjunge zu ihr kommt, trägt sie es ihm vor:

"Now I'm ready," said Amy, shutting the wardrobe and taking a piece of paper out of her pocket. "I want you to read that, please, and tell me if it is legal and right. I felt I ought to do it, for life is uncertain and I don't want any ill feeling over my tomb." 

Laurie bit his lips, and turning a little from the pensive speaker, read the following document, with praiseworthy gravity, considering the spelling: 

MY LAST WILL AND TESTIMENT I, Amy Curtis March, being in my sane mind, go give and bequeethe all my earthly property--viz. to wit:--namely 

To my father, my best pictures, sketches, maps, and works of art, including frames. Also my $100, to do what he likes with. 

To my mother, all my clothes, except the blue apron with pockets--also my likeness, and my medal, with much love. 

To my dear sister Margaret, I give my turkquoise ring (if I get it), also my green box with the doves on it, also my piece of real lace for her neck, and my sketch of her as a memorial of her 'little girl'. 

To Jo I leave my breastpin, the one mended with sealing wax, also my bronze inkstand--she lost the cover--and my most precious plaster rabbit, because I am sorry I burned up her story. 

To Beth (if she lives after me) I give my dolls and the little bureau, my fan, my linen collars and my new slippers if she can wear them being thin when she gets well. And I herewith also leave her my regret that I ever made fun of old Joanna. 

To my friend and neighbor Theodore Laurence I bequeethe my paper mashay portfolio, my clay model of a horse though he did say it hadn't any neck. Also in return for his great kindness in the hour of affliction any one of my artistic works he likes, Noter Dame is the best. 

To our venerable benefactor Mr. Laurence I leave my purple box with a looking glass in the cover which will be nice for his pens and remind him of the departed girl who thanks him for his favors to her family, especially Beth. 

I wish my favorite playmate Kitty Bryant to have the blue silk apron and my gold-bead ring with a kiss. 

To Hannah I give the bandbox she wanted and all the patchwork I leave hoping she 'will remember me, when it you see'. 

And now having disposed of my most valuable property I hope all will be satisfied and not blame the dead. I forgive everyone, and trust we may all meet when the trump shall sound. Amen. To this will and testiment I set my hand and seal on this 20th day of Nov. Anni Domino 1861. Amy Curtis March 

Witnesses: Estelle Valnor, Theodore Laurence. The last name was written in pencil, and Amy explained that he was to rewrite it in ink and seal it up for her properly. "What put it into your head? Did anyone tell you about Beth's giving away her things?" asked Laurie soberly, as Amy laid a bit of red tape, with sealing wax, a taper, and a standish before him. She explained and then asked anxiously, "What about Beth?" "I'm sorry I spoke, but as I did, I'll tell you. She felt so ill one day that she told Jo she wanted to give her piano to Meg, her cats…  " (Location: 2,681)

Amy's face was full of trouble, but she only said, "Don't people put sort of postscripts to their wills, sometimes?" "Yes, 'codicils', they call them." "Put one in mine then, that I wish all my curls cut off, and given round to my friends. I forgot it, but I want it done though it will spoil my looks." 

Laurie added it, smiling at Amy's last and greatest sacrifice. Then he amused her for an hour, and was much interested in all her trials. But when he came to go, Amy held him back to whisper with trembling lips, "Is there really any danger about Beth?" "I'm afraid there is, but we must hope for the best, so don't cry, dear." And Laurie put his arm about her with a brotherly gesture which was very comforting. When he had gone, she went to her little chapel, and sitting in the twilight, prayed for Beth, with streaming tears and an aching heart, feeling that a million turquoise rings would not console her for the loss of her gentle little sister.

Goethe Tag- und Jahreshefte 1805

 "[...]  Ich konnte den werten Mann (Friedrich A. Wolf) gastfreundlich aufnehmen und so mit ihm höchst erfreulich belehrende Stunden zubringen. Da nun in so vertraulichem Verhältnis jeder offen von demjenigen sprach, was ihm zunächst am Herzen lag, so tat sich sehr bald die Differenz entschieden hervor, die zwischen uns beiden obwaltete. Hier war sie von anderer Art als diejenige, welche mich mit Schiller, anstatt zu entzweien, innigst vereinigte. Schillers ideeller Tendenz konnte sich meine reelle gar wohl nähern, und weil beide vereinzelt doch nicht zu ihrem Ziele gelangen, so traten beide zuletzt in einem lebendigen Sinne zusammen.

Wolf dagegen hatte sein ganzes Leben den schriftlichen Überlieferungen des Altertums gewidmet, sie, insofern es möglich war, in Handschriften oder sonst in Ausgaben genau untersucht und verglichen. Sein durchdringender Geist hatte sich der Eigenheit der verschiedenen Autoren, wie sie sich nach Orten und Zeiten ausspricht, dergestalt bemächtigt, sein Urteil auf den höchsten Grad geschärft, daß er in dem Unterschied der Sprache und des Stils zugleich den Unterschied des Geistes und des Sinnes zu entdecken wußte, und dies vom Buchstaben, von der Silbe hinauf bis zum rhythmischen und prosaischen Wohlklang, von der einfachen Wortfügung bis zur mannigfaltigen Verflechtung der Sätze. [...] War es also ein Wunder, daß ein solcher Mann dergleichen durchgreifende Bemühungen auf das höchste schätzen und die daraus entspringenden Resultate für einzig halten mußte! Genug, aus seinen Unterhaltungen ging hervor: er achte das nur einzig für geschichtlich, für wahrhaft glaubwürdig, was durch geprüfte und zu prüfende Schrift aus der Vorzeit zu uns herübergekommen sei.

Dagegen hatten die Weimarischen Freunde mit denselben Überzeugungen einen andern Weg eingeschlagen; bei leidenschaftlicher Neigung für bildende Kunst mußten sie gar bald gewahr werden, daß auch hier das Geschichtliche sowohl der Grund eines jeden Urteils als einer praktischen Nacheiferung werden könne. Sie hatten daher sowohl alte als neuere Kunst auf ihrem Lebenswege immer geschichtlich zu betrachten sich gewöhnt und glaubten auch von ihrer Seite sich gar manches Merkmals bemächtigt zu haben, woran sich Zeit und Ort, Meister und Schüler, Ursprüngliches und Nachgeahmtes, Vorgänger und Nachfolger füglich unterscheiden ließen.

Wenn nun im lebhaftesten Gespräche beide Arten, die Vergangenheit sich zu vergegenwärtigen, zur Sprache kamen, so durften die Weimarischen Kunstfreunde sich wohl gegen den trefflichen Mann im Vorteil dünken, da sie seinen Studien und Talenten volle Gerechtigkeit widerfahren ließen, ihren Geschmack an dem seinigen schärften, mit ihrem geistigen Vermögen seinem Geiste nachzudringen suchten und sich also im höheren Sinne auferbaulich bereicherten. Dagegen leugnete er hartnäckig die Zulässigkeit ihres Verfahrens, und es fand sich kein Weg, ihn vom Gegenteil zu überzeugen: denn es ist schwer, ja unmöglich, demjenigen, der nicht aus Liebe und Leidenschaft sich irgendeiner Betrachtung gewidmet hat und dadurch auch nach und nach zur genauern Kenntnis und zur Vergleichungsfähigkeit gelangt ist, auch nur eine Ahnung des zu Unterscheidenden aufzuregen, weil denn doch immer zuletzt in solchem Falle an Glauben, an Zutrauen Anspruch gemacht werden muß. Wenn wir ihm nun sehr willig zugaben, daß einige Reden Ciceros, vor denen wir den größten Respekt hatten,[138] weil sie zu unserm wenigen Latein uns behülflich gewesen waren, für später untergeschobenes Machwerk und keineswegs für sonderliche Redemuster zu achten seien, so wollte er uns dagegen keineswegs zugeben, daß man auch die überbliebenen Bildwerke nach einer gewissen Zeitfolge zuversichtlich ordnen könne.

Ob wir nun gleich gern einräumten, daß auch hier manches problematisch möchte liegenbleiben, wie denn ja auch der Schriftforscher weder sich selbst noch andere jederzeit völlig befriedigen werde, so konnten wir doch niemals von ihm erlangen, daß er unseren Dokumenten gleiche Gültigkeit mit den seinigen, unserer durch Übung erworbenen Sagazität gleichen Wert wie der seinigen zugestanden hätte. Aber eben aus diesem hartnäckigen Konflikt ging für uns der bedeutende Vorteil hervor, daß alle die Argumente für und wider auf das entschiedenste zur Sprache kamen und es denn nicht fehlen konnte, daß jeder, indem er den andern zu erleuchten trachtete, bei sich selbst auch heller und klarer zu werden bestrebt sein mußte. [...]

Der wunderliche, in manchem Sinne viele Jahre durch schon bekannte problematische Mann, Hofrat Beireis in Helmstedt, war mir schon so oft genannt, seine Umgebung, sein merkwürdiger Besitz, sein sonderbares Betragen sowie das Geheimnis, das über allem diesem waltete, hatte schon längst auf mich und meine Freunde beunruhigend gewirkt, und man mußte sich schelten, daß man eine so einzig merkwürdige Persönlichkeit, die auf eine frühere, vorübergehende Epoche hindeutete, nicht mit Augen gesehen, nicht im Umgang einigermaßen erforscht habe. Professor Wolf war in demselbigen Falle, und wir beschlossen, da wir den Mann zu Hause wußten, eine Fahrt nach ihm, der wie ein geheimnisvoller Greif über außerordentlichen und kaum denkbaren Schätzen waltete. Mein humoristischer Reisegefährte erlaubte gern, daß mein vierzehnjähriger Sohn August teil an dieser Fahrt nehmen durfte, und dieses geriet zur besten geselligen Erheiterung; denn indem der tüchtige, gelehrte Mann den Knaben unausgesetzt zu necken sich zum Geschäft machte, so durfte dieser des Rechts der Notwehr, welche denn auch, wenn sie gelingen soll, offensiv verfahren muß, sich zu bedienen und wie der Angreifende auch wohl manchmal die Grenze überschreiten zu können glauben, wobei sich denn wohl mitunter die wörtlichen Neckereien in Kitzeln und Balgen zu allgemeiner Heiterkeit, obgleich im Wagen etwas unbequem, zu steigern pflegten. [...]

 Beireis, im Jahre 1730 geboren, fühlte sich als trefflicher Kopf eines weit umfassenden Wissens fähig und zu vielseitiger Ausübung geschickt. Den Anregungen seiner Zeit zufolge bildete er sich zum Polyhistor; seine Tätigkeit[149] widmete er der Heilkunde, aber bei dem glücklichsten, alles festhaltenden Gedächtnis konnte er sich anmaßen, in den sämtlichen Fakultäten zu Hause zu sein, jeden Lehrstuhl mit Ehre zu betreten. Seine Unterschrift in meines Sohnes Stammbuch lautet folgendermaßen:


Godofredus Christophorus Beireis,

Primarius Professor Medicinae, Chemiae, Chirurgiae, Pharmaceutices,

Physices, Botanices et reliquae Historiae naturalis.

Helmstadii a. d. XVII Augusti MDCCCV.


Aus dem bisher Vorgezeigten jedoch ließ sich einsehen, daß seine Sammlungen, dem naturhistorischen Teile nach, einen eigentlichen Zweck haben konnten, daß hingegen das, worauf er den meisten Wert legte, eigentlich Kuriositäten waren, die durch den hohen Kaufpreis Aufmerksamkeit und Bewunderung erregen sollten; wobei denn nicht vergessen wurde, daß bei Ankauf desselben Kaiser und Könige überboten worden.

Dem sei nun, wie ihm wolle, ansehnliche Summen mußten ihm zu Gebote stehn; denn er hatte, wie man wohl bemerken konnte, ebensosehr eine gelegene Zeit zu solchen Ankäufen abgewartet als auch, mehr denn andere vielleicht, sich sogleich zahlungsfähig erwiesen. Obgenannte Gegenstände zeigte er zwar mit Anteil und Behagen umständlich vor, allein die Freude daran schien selbst gewissermaßen nur historisch zu sein; wo er sich aber lebhaft, leidenschaftlich überredend und zudringlich bewies, war bei Vorzeigen seiner Gemälde, seiner neuesten Liebhaberei, in die er sich ohne die mindeste Kenntnis eingelassen hatte. Bis ins Unbegreifliche ging der Grad, womit er sich hierüber getäuscht hatte oder uns zu täuschen suchte, da er denn doch auch vor allen Dingen gewisse Kuriosa vorzustellen pflegte. Hier war ein Christus, bei dessen Anblick ein Göttinger Professor in den bittersten Tränenguß sollte ausgebrochen sein, sogleich darauf ein von einer englischen Dogge angebelltes, natürlich genug gemaltes Brot auf dem Tische der Jünger zu Emmaus, ein anderes aus dem Feuer wunderwürdig gerettetes Heiligenbild, und was dergleichen mehr sein mochte.

Die Art, seine Bilder vorzuweisen, war seltsam genug und[150] schien gewissermaßen absichtlich; sie hingen nämlich nicht etwa an den hellen, breiten Wänden seiner oberen Stockwerke wohlgenießbar nebeneinander, sie standen vielmehr in seinem Schlafzimmer um das große Thronhimmelbette, an den Wänden geschichtet, übereinander, von wo er, alle Hülfleistung ablehnend, sie selbst herholte und dahin wieder zurückbrachte. Einiges blieb in dem Zimmer um die Beschauer herumgestellt, immer enger und enger zog sich der Kreis zusammen, so daß freilich die Ungeduld unseres Reisegefährten, allzustark erregt, plötzlich ausbrach und sein Entfernen veranlaßte.

Es war mir wirklich angenehm, denn solche Qualen der Unvernunft ertragen sich leichter allein als in Gesellschaft eines einsichtigen Freundes, wo man bei gesteigertem Unwillen jeden Augenblick einen Ausbruch von einer oder der andern Seite befürchten muß.

Und wirklich war es auch zu stark, was Beireis seinen Gästen zumutete; er wußte sich nämlich damit am meisten, daß er von den größten namhaften Künstlern drei Stücke besitze, von der ersten, zweiten und letzten Manier, und wie er sie vorstellte und vortrug, war jede Art von Fassung, die dem Menschen zu Gebot stehen soll, kaum hinreichend, denn die Szene war lächerlich und ärgerlich, beleidigend und wahnsinnig zugleich.

Die ersten Lehrlingsproben eines Raffael, Tizian, Carracci, Correggio, Dominichin, Guido und von wem nicht sonst waren nichts weiter als schwache, von mäßigen Künstlern gefertigte, auch wohl kopierte Bilder. Hier verlangte er nun jederzeit Nachsicht gegen dergleichen Anfänge, rühmte aber mit Bewunderung in den folgenden die außerordentlichsten Fortschritte. Unter solchen der zweiten Epoche zugeschriebenen fand sich wohl manches Gute, aber von dem Namen, dem es zugeeignet worden, sowohl dem Talent als der Zeit nach himmelweit entfernt. Ebenso verhielt es sich mit den letzten, wo denn auch die leersten Phrasen, deren anmaßliche Unkenner sich bedienen, gar wohlgefällig vom Munde flossen.

Zum Beweis der Echtheit solcher und anderer Bilder zeigte[151] er die Auktionskatalogen vor und freute sich der gedruckten Lobpreisung jeder von ihm erstandenen Nummer. Darunter befanden sich zwar echte, aber stark restaurierte Originale; genug, an irgendeine Art von Kritik war bei diesem sonst werten und würdigen Manne gar nicht zu denken.

Hatte man nun die meiste Zeit alle Geduld und Zurückhaltung nötig, so ward man denn doch mitunter durch den Anblick trefflicher Bilder getröstet und belohnt.

Unschätzbar hielt ich Albrecht Dürers Porträt, von ihm selbst gemalt, mit der Jahrzahl 1493, also in seinem zweiundzwanzigsten Jahre, halbe Lebensgröße, Bruststück, zwei Hände, die Ellenbogen abgestutzt, purpurrotes Mützchen mit kurzen, schmalen Nesteln, Hals bis unter die Schlüsselbeine bloß, am Hemde gestickter Obersaum, die Falten der Ärmel mit pfirsichroten Bändern unterbunden, blaugrauer, mit gelben Schnüren verbrämter Überwurf, wie sich ein feiner Jüngling gar zierlich herausgeputzt hätte, in der Hand bedeutsam ein blaublühendes Eryngium, im Deutschen Mannstreue genannt, ein ernstes Jünglingsgesicht, keimende Barthaare um Mund und Kinn, das Ganze herrlich gezeichnet, reich und unschuldig, harmonisch in seinen Teilen, von der höchsten Ausführung, vollkommen Dürers würdig, obgleich mit sehr dünner Farbe gemalt, die sich an einigen Stellen zusammengezogen hatte.

Dieses preiswürdige, durchaus unschätzbare Bild, das ein wahrer Kunstfreund, im goldenen Rahmen eingefaßt, im schönsten Schränkchen aufbewahrt hätte, ließ er, das auf ein dünnes Brett gemalte, ohne irgendeinen Rahmen und Verwahrung. Jeden Augenblick sich zu spalten drohend, ward es unvorsichtiger als jedes andere hervorgeholt, auf- und wieder beiseite gestellt, nicht weniger die dringende Teilnahme des Gastes, die um Schonung und Sicherung eines solchen Kleinods flehte, gleichgültig abgelehnt; er schien sich wie Hofrat Büttner in einem herkömmlichen Unwesen eigensinnig zu gefallen.

Ferner gedenk ich eines geistreich frei gemalten Bildes von Rubens, länglich, nicht allzu groß, wie er sich's für solche ausgeführte[152] Skizzen liebte. Eine Hökenfrau, sitzend in der Fülle eines wohlversorgten Gemüskrams, Kohlhäupter und Salat aller Arten, Wurzeln, Zwiebeln aller Farben und Gestalten; sie ist eben im Handel mit einer stattlichen Bürgersfrau begriffen, deren behagliche Würde sich gar gut ausnimmt neben dem ruhig anbietenden Wesen der Verkäuferin, hinter welcher ein Knabe, soeben im Begriff, einiges Obst zu stehlen, von ihrer Magd mit einem unvorgesehenen Schlag bedroht wird. An der andern Seite, hinter der angesehenen Bürgersfrau, sieht man ihre Magd einen wohlgeflochtenen, mit Marktwaren schon einigermaßen versehenen Korb tragen, aber auch sie ist nicht müßig, sie blickt nach einem Burschen und scheint dessen Fingerzeig mit einem freundlichen Blick zu erwidern. Besser gedacht und meisterhafter ausgeführt war nicht leicht etwas zu schauen, und hätten wir nicht unsere jährlichen Ausstellungen abzuschließen festgestellt, so würden wir diesen Gegenstand, wie er hier beschrieben ist, als Preisaufgabe gesetzt haben, um die Künstler kennenzulernen, die, von der überhandnehmenden Verirrung auf Goldgrund noch unangesteckt, ins derbe, frische Leben Blick und Talent zu wenden geneigt wären. [...]" (Zeno.org Goethe Jahreshefte 1805)

16 April 2025

Musicals

 Reclams Musicalführer. Ich denke, ich habe nur ein einziges Musical auf der Bühne erlebt: Hair (S.328) und zwar in London zu einer Zeit, wo es noch ungewöhnlich war, dass Schauspieler sich auf der Bühne nackt zeigten. Zwei habe ich als Filme schätzen gelernt: My Fair Lady (S.185) und Irma La Douce (S.196) in der Fassung des Hollywoodfilms Das Mädchen Irma la Douce. Vielleicht kenne ich aus Filmen auch andere. Aber von denen, die in großen deutschen Städten monatelang gezeigt wurden, habe ich nur gehört, keins gesehen. Ich habe also viel nachzuholen. Vielleicht finde ich in dem  Reclams Musicalführer noch manche, die ich in irgendeiner Form gesehen habe, die ich aber nicht als Musical in Erinnerung habe. 

Musicals, die ich nur vom Titel her, von Aufführungen oder als Film kenne:

Anatevka/Fiddler on the RoofAnnieAnnie Get Your GunCatsEvitaJesus Christ SuperstarKiss Me KateLittle Shop Of Horrors (dies Stück habe ich als Schüleraufführung in den USA gesehen, sicher nicht als vollständiges Musical, aber vielleicht mit Gesangseinlagen), Das Phantom der OperShow BoatStarlight ExpressSound of Music/Meine Lieder - meine Träume 1965;  Die Trapp-Familie  1956, West Side Story 1957, City of Angels 1989,

Fotos: oben Hair, das Programm kostete damals 10p und unten Cats (Programm 50p)







Richard Adams: Watership Down

 Richard Adams: Watership Down (deutsche Übersetzung: Unten am Fluss)

http://www.watership-down-page.de/

Kennengelernt habe ich das Buch Anfang der 1980er Jahre. Unser Haus in England hieß ach einem Charakter des Buches Dandelion, denn das kleine Viertel, in dem es stand, hieß "The Warren" nach einem Krankenhausbereich, auf dem dies Neubauviertel entstand. 

Zur Vorgeschichte der Kaninchenwanderung

"Der junge Rammler Fiver prophezeit seinem älteren Bruder Hazel, dass etwas Schreckliches in ihrem Gehege geschehen wird, das alle Kaninchen töten wird. Da Hazel es gewöhnt ist, auf die Warnungen seines Bruders zu hören, beschließt er nachzusehen und entdeckt eine Anschlagtafel der Menschen. Obwohl es ihm nicht behagt, will er mit Threarah dem Oberkaninchen sprechen. Bigwig, ein Owsla-Hauptmann, der den Bau des Threarah bewacht, weigert sich zuerst, lässt die beiden dann aber doch passieren. Hazel und Fiver erzählen dem Oberkaninchen, was Fiver in seiner Vision gesehen hat, doch dieser tut es als Hirngespinst ab und schickt die beiden fort. Fiver lässt jedoch nicht locker, und so erzählen die beiden so vielen Kaninchen wie möglich davon und versuchen, sie dazu zu bewegen, mit ihnen zu kommen und das Sandlefordgehege zu verlassen. Mit ihnen kommen schließlich Bigwig, Blackberry, Buckthorn, Dandelion, Pipkin, Silver und die im Verlauf der Geschichte eher unauffällig bleibenden Acorn, Hawkbit und Speedwell. (Watershipseite: Das Buch)

Charaktere:

Die Möwe Kehaar wird von den Kaninchen gefunden und nach einigem hin und her und unverständlichem „Heckenkauderwelsch“ versteht er, dass sie ihm nur helfen wollen. Er geht mit ihnen zur Honigwabe und lässt sich von ihnen gesundpflegen. Später ist er immer wieder sehr nützlich, da er über die Gegend fliegt und die Weibchen von der Nuthanger Farm und in Efrafa ausmacht, außerdem greift er General Woundwort an, als dieser die flüchtenden Kaninchen angreifen will. Später verlässt er die Kaninchen, verspricht aber im Winter wiederzukommen.

Kehaar ist sozusagen die Aufklärungsdrohne, Jahrzehnte, bevor Drohnen im Ukrainekrieg zur modernsten Waffengattung werden, die die Schwächen moderner Panzer aufdeckt.

Cowslip ist das „Oberkaninchen“ in dem Gehege in dem die Gruppe zuerst landet. Wie alle Kaninchen dort auch, ist er sehr groß, gut genährt und riecht seltsam. Er lässt keine Fragen zu und weicht allen Andeutungen aus.
Als Bigwig in die Falle der Menschen gerät verbietet er Fiver darüber zu reden und auch alle anderen tun so, als wüssten sie von nichts.

Später greifen er und seine Kaninchen sogar Holly, Bluebell und Pimpernel an – wobei letzterer auch sterben muss...

09 April 2025

Der Traum der roten Kammer (Hónglóu Mèng)

Der Traum der roten Kammer von Cao Xueqin
Meine erste Lektüre habe ich vermutlich nicht vor Juni 1983 (keinesfalls vor 1981) begonnen.
1987 habe ich festgehalten, dass ich den ersten Band über "mehrere Jahre verteilt gelesen" habe: "ohne ganz in das Buch hineinzukommen. Im Februar '87setzte ich dann die Lektüre gegen Ende des Bandes fort. Den zweiten Band habe ich dann in unserem Skiurlaub [also noch im Februar 1987] mit großem Interesse gelesen. (Anlass des neuen Aufgreifens der Bücher: der Gemeindeabend über Lieblingsbücher, zu dem ich auch in die "Rache des jungen Meh" (Die Rache des jungen Meh oder Das Wunder der zweiten Pflaumenblüte, Leipzig 1927) hineingesehen hatte."
Vermutlich habe ich seitdem nicht wieder längere Zeit darin (im TdrK) gelesen, obwohl ich mir bewusst blieb, dass er als einer der 3 oder 4 besten Romane der chinesischen Literatur gilt.
Heute las ich mit Interesse "dass er zu den Lieblingsbüchern der chinesischen Jugend [der frühen 1980er Jahre] gehört. Darauf, dass der Held des Romans bei Beginn der Haupthandlung 11 Jahre alt ist. Freilich wird die mythologische Vorgeschichte, wie es zu einem Stein im Mundes eines Neugeborenen kommt, vorgeschaltet. Diese Vorgeschichte ist leicht ironisch erzählt. Schließlich handelt es sich darum, dass dem Bürger Schi Yin zwei überirdische Gestalten aus seinem Traum als ziemlich kümmerlich irdische begegnen, die so beschrieben werden: "Der Bonze ging barfuß, sein Kopf war voller Grind und Krätze, der Taoist hinkte auf einem Fuß, das Haar auf seinem bloßen Kopf hing wirr und ungekämmt." (Insel TB 292,  S.9) Sie sagen Schi Yin voraus, dass seine Tochter ein sehr unglückliches Schicksal haben werde. 
Inhaltsüberblick der engl. Wikipedia maschinenübersetzt:
"In der Rahmenhandlung des Romans möchte ein empfindungsfähiger Stein, der übrig geblieben ist, als die Göttin Nüwa vor Äonen den Himmel reparierte, die Freuden des „roten Staubs“ (der irdischen Welt) genießen. Der Stein bittet einen taoistischen Priester und einen buddhistischen Mönch, ihn mitzunehmen, um die Welt zu sehen. Zusammen mit einem Begleiter (in den Cheng-Gao-Versionen werden sie zu einer einzigen Figur verschmolzen) erhält der Stein dann die Möglichkeit, von der menschlichen Existenz zu lernen, und betritt die Welt der Sterblichen. In den Cheng-Gao-Versionen wird er als Jia Baoyu („Kostbare Jade“) wiedergeboren - daher „Die Geschichte des Steins“.

Der Roman schildert detailliert und episodenhaft das Leben der beiden Zweige des wohlhabenden, aristokratischen Jia (賈)-Klans - des Rongguo-Hauses (榮國府) und des Ningguo-Hauses (寧國府) -, die in großen, benachbarten Familienkomplexen in der Hauptstadt residieren. Die Hauptstadt wird jedoch nicht genannt, und im ersten Kapitel wird darauf hingewiesen, dass die Dynastie unbestimmt ist.[16] Die Vorfahren der beiden Familien wurden in den chinesischen Adel erhoben und erhielten kaiserliche Titel, und zu Beginn des Romans gehören die Häuser zu den berühmtesten Familien der Stadt. Eine der Jia-Töchter wird zur königlichen Gemahlin ernannt, und um sie gebührend zu empfangen, lässt die Familie den Daguanyuan errichten, einen üppig angelegten Garten, in dem sich ein Großteil der späteren Handlung abspielt. Der Roman beschreibt den Reichtum und den Einfluss der Jias sehr detailliert und zeichnet den Abstieg der Jias vom Höhepunkt ihres Ansehens nach, wobei er etwa dreißig Hauptfiguren und über vierhundert Nebenfiguren verfolgt.

Als unbekümmerter männlicher Erbe der Familie hat Baoyu in diesem Leben eine besondere Beziehung zu seiner kränklichen Cousine Lin Daiyu, die seine Liebe zur Musik und Poesie teilt. Baoyu ist jedoch prädestiniert, eine andere Cousine, Xue Baochai, zu heiraten, die mit ihrer Anmut und Intelligenz eine ideale Frau darstellt, zu der ihm jedoch eine emotionale Bindung fehlt. Die romantische Rivalität und die Freundschaft zwischen den drei Figuren vor dem Hintergrund des sich verschlechternden Wohlstands der Familie bilden die zentrale Geschichte. [Übersetzt mit DeepL.com (kostenlose Version)]

08 April 2025

Uwe Timm: Die Entdeckung der Currywurst

 Zweierlei zuvor:

1. Der Freund und der Fremde hat mich mehr wegen des biographischen Interesses an Benno Ohnesorg beeindruckt.

2. Bei der zweiten Lektüre  der "Currywurst" staune ich über die Deutlichkeit, mit der der Erzähler seine Fiktion, er berichte, was er von Frau Brücker erfahren habe, Lügen straft: durch genaue Beobachtung von Einzelheiten, Innensicht des Bootsmannes und anderes mehr. Die damit freilich auch die hervorragende Kenntnis des Autors über die Kriegs- und Nachkriegszeit beweist. Die "reitende Gebirgsmarine" (S.27), die als Pendant der eierlegenden Wollmilchsau die zeitgenössische Redeweise charakterisiert,  imponiert mir dabei freilich weniger als der Hinweis darauf, dass man für die Suche in den ausgebombten Häusern nach Trümmerholz einen "Berechtigungsschein" (S.26) brauchte. (Eigentlich klar, dass man, um die Fiktion von Schutz des Eigentums der Kriegsopfer solche kleine Hemmschwelle gegen das Marodieren braucht, wo doch auf Harmlosigkeiten wie das Äußern der Meinung über die hoffnungslose Situation die Strafandrohung ("Defaitismus") bis zur Todesstrafe reichte.