10 Juni 2025

Lektüreanregung: Die Pendragon-Legende von Antal Szerb

 Die Pendragon-Legende ist der erste Roman des ungarischen Literaturwissenschaftlers und Übersetzers Antal Szerb, geboren 1901, 1945 von den Nazis umgebracht. Der Roman entstand nach fünf Jahren Aufenthalt in Frankreich und einem Jahr London; dort und in Wales spielt die Geschichte auch. Die Hauptfigur, János Bátky, ist eine Art Privatgelehrter, hat ein kleineres Einkommen, arbeitet aber immer wieder als wissenschaftlicher Sekretär für reiche Leute. Er lernt auf einer Party in London Lord Pendragon, den 18. Earl of Gwynedd kennen und wird von ihm auf dessen Anwesen in Wales eingeladen, weil sie sich beide für die Alchimistenszene im England des späten 17. Jahrhunderts interessieren. 

Fortsetuzung des Artikels bei Herrn Rau

09 Juni 2025

Klaus von Dohnanyi: Nationale Interessen

 Klaus von Dohnanyi: Nationale InteressenOrientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche 2022, Neuausgabe 2025 (Perlentaucher)

Rezension im Deutschlandfunk

Dohnanyi betont im Sinne des politischen Realismus die Bedeutung Nationaler Interessen* und vertritt die Position, die Missachtung des nationalen Interesse Russlands habe 2022 zum Ukrainekrieg geführt. Er fordert, Deutschland müsse sich seinerseits, stärker am eigenen nationalen Interesse orientieren und Abstand von der von Joe Biden eingeleiteten US-Politik nehmen.

Dabei liegt er - in gewisser Hinsicht - auf einer Linie mit Donald Trump, der mit MAGA die US-Politik ganz auf das nationale Interesse der USA ausgerichtet hat, andererseits aber auch mit der Umorientierung auf  mehr wirtschaftliche Autarkie, die in der europäischen Politik seit 2022 stattgefunden hat. 

* "Der Begriff des Interesses, welches als Macht definiert wird, ist für den Realisten eine objektive Kategorie von universeller Validität. Diese Kategorie bleibt sowohl von zeitlichen, als auch von räumlichen Umständen unberührt. Jedoch muss der Begriff des Interesses immer unter den jeweils aktuellen politischen Umständen verstanden werden. In Betrachtung gezogen werden müssen hierfür die Ziele, welche von Staaten in ihrer Außenpolitik angestrebt werden und für deren Umsetzung sie Macht benötigen. Angestrebt werden kann eine militärische, bisweilen barbarische Eroberungspolitik oder auch eine aufgeklärte Ordnungspolitik." (Wikipedia)

Das über 50 Seiten umfassende Vorwort der Neuausgabe vom März 2025 aktualisiert die Argumentation und betont, dass seine Forderung durch die neueste Entwicklung bestätigt worden sei.   

Dazu aus der Leseprobe bei penguin.de

"[...] Denn wie schon Helmut Schmidt vor vielen Jahrzehnten in seinem Buch Strategie des Gleichgewichts. Deutsche Friedenspolitik und die Weltmächte (1969) warnend schrieb: 

»… vielmehr bleibt es notwendig, sich immer wieder aufs Neue in die Schuhe Moskaus zu versetzen, um seine Interessen in seiner Sicht zu begreifen.«

[...] Nationale Interessen werden innenpolitisch formuliert. Die Definition nationaler Interessen unterliegt deswegen stets auch dem Wechsel der Stimmungen demokratischer Wählerschaften.

In den drei Jahren seit Veröffentlichung dieses Buches fand bei Wahlen in zahlreichen demokratischen Staaten auch außerhalb Europas eine erhebliche Verschiebung in Richtung der sogenannten »rechten Mitte« statt; dabei gewannen rechtsradikale Parteien an Bedeutung. In Europa wurde das deutlich bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, aber auch bei nationalen Wahlen kam es in den meisten Mitgliedsstaaten zu Zugewinnen rechter Parteien. Das wirkte sich auf die Zusammensetzungen von Regierungen aus; [...]

Immer öfter wird suggeriert, dass Putin, dessen zahlenmäßig weit überlegene Armee sich schon als zu schwach erwies, die Ukraine einzunehmen, auch Nato-Staaten und Deutschland angreifen wollte und will. Und dass wir die USA in Europa deswegen aus Sicherheitsgründen brauchen. Der wahre Grund für Putins Aggression, nämlich die Aufnahme der Ukraine in die Nato, wird auf diese Weise unklug verschwiegen. [...]"  

Erfreulich finde ich daran, dass die Diskussion in einen breiteren Kontext gestellt wird und die  regelbasierte Ordnung nicht als weltweit gegebene Wirklichkeit ausgegeben wird. Problematisch sind Aussagen, wonach der Friedensvertrag von Versailles ein  verhängnisvoller Fehler gewesen sei, weil er einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung des 2. Weltkriegs und die folgende Entwicklung bedeutet habe. 

Schlicht unpassend ist aber die folgende Aussage:

"Aber wir werden Russland mit Sanktionen nicht ändern, Demokratie braucht zur Herstellung ihrer Fundamente Zeit und eine Entwicklung aus sich selbst heraus.

Die USA wollen das offenbar nicht verstehen. Ihre vielfachen Versuche, ihr Modell der Demokratie, anderen Völkern, notfalls auch mit Gewalt einzupflanzen, ist rundum gescheitert. Auch ihre Bemühungen, die Demokratie ihres eigenen Bildes durch wirtschaftliche Maßnahmen und Sanktionen auf andere Staaten zu übertragen, erzeugten oft das Gegenteil und stärkten am Ende die autoritären Kräfte; Iran ist heute leider ein überzeugendes Beispiel. Und wenn die USA den Fall Deutschland nach 1945 als positives Beispiel für ihre Politik der Verbreitung von Demokratie anführen, dann zeigt das doch wirklich nur große historische Unkenntnis: Deutschland wählte seinen Kaiser über Jahrhunderte, im Gegensatz zum Beispiel zu England, man lese nur seinen Shakespeare gründlich." (S.94)

Zwar stimmt natürlich, dass das gegenwärtige Russland nicht allein über Sanktionen zur Demokratie gemacht werden kann.
Aber Königs- und Kaiserwahl im Heiligen Römischen Reich des Mittelalters als Beleg für eine seit Jahrhunderten bestehende Demokratie anzuführen, als ob der der Preußenkönig Wilhelm durch Volkswahl zum deutschen Kaiser des 1871 gegründeten Deutschen Reiches bestimmt worden wäre, ist geradezu grotesk. Bei Dohnanyi kann das nicht auf Unkenntnis beruhen, die er der internationalen Geschichtswissenschaft unterstellt, sondern es ist eine bewusste Umdeutung, die als Geschichtsklitterung einen etwas anrüchigeren Namen führt. 
Dass es der deutschen Bevölkerung nicht gelungen ist, sich aus eigener Kraft von Hitler zu befreien, und dass die Reeducation zusammen mit der wirtschaftlichen Maßnahme Marshallplan als Demokratieförderung sehr erfolgreich gewirkt hat, ist nicht ernsthaft zu bestreiten, auch wenn Gauland es mit seinem Wort von Vogelschiss versucht hat. 

Wichtig ist der Hinweis, dass es eine schriftliche Notiz des US-Außenministers Baker gab, dass es keine Osterweiterung der NATO geben solle:
"Es ist heute unbestreitbar – wie auch Burns einst eindeutig bestätigte –, dass es U.S- Außenminister Baker, Anfang Februar 1990 in seinen Verhandlungen mit Gorbatschow über die deutsche Wiedervereinigung mündlich vereinbarte, es werde über die damaligen Ostgrenze der DDR hinaus keinerlei Erweiterung der NATO geben. Baker hielt nämlich diese Zusage im Gespräch mit Gorbatschow seinerseits als ein mündlich gegebenes Versprechen in einer Notiz fest: "End Result: Unified Ger. anchored* in a changed (polit.) NATO --* whose jurisd. would not move* eastwards!" ( Mary Elise Sarotte, 1989. The Struggle to create Post-Cold War Europe - updatet dition, Princeton 2014, S.221) (Nationale Interessen, S.119) 
[Sieh auch: M.E. Sarotte: Not an inch, 2021 "unklare Zusagen und diplomatische Fehleinschätzungen führten laut Sarotte zu einem dauerhaften Misstrauen zwischen Ost und West" (Wikipedia)]

Dazu:  https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/gab-es-zusagen-an-moskau-die-nato-nicht-nach-osten-zu-erweitern-100.html Zitat daraus: "1997 unterzeichneten beide Seiten die NATO-Russland-Grundakte. Darin erkennt Russland erkennt an, dass es kein Vetorecht gegen die NATO-Mitgliedschaft anderer Länder hat." [also im Gespräch mit Jelzin]



08 Juni 2025

Katalin Kariko: Durchbruch

 Kaltalin Kariko: Durchbruch  deutsch btb Verlag 2024 (Perlentaucher)

Leseprobe

Karikó versteht sich hervorragend darauf, etwas klar darzustellen, also etwas zu erklären. 

So spricht sie nicht davon, Erkenntnis entstehe dadurch, dass man etwas nicht falsifizieren könne, sondern schreibt, es komme darauf an, immer neue Fragen zu finden, auf die man mit ja oder nein antworten könne und wenn man alle Fragen mit ja beantworten konnte, weiter zu suchen, ob es nicht doch eine gibt, auf die man mit  nein antworten kann.

Ähnlich entwickelt sie kein Narrativ, wie sie zur erfolgreichen Wissenschaftlerin wurde, sondern nennt exakt 3 Gründe: (S.58-76)

1. Ihr Biologielehrer stellte ihr einmal keine Wissensfrage, sondern fragte sie: "Was denkst du?" 

"Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich auf diese Frage geantwortet habe       [... ich] dachte: Eines Tages bin ich auch Wissenschaftlerin." (S.61)

2. Er zeigte ihr das Buch von Hans Seyle: Stress beherrscht unser Leben, in dem Seyle schreibt: 

"Nur jene Menschen, die eine verzehrende, unbezähmbare Neugier nach den Geheimnissen der Natur quält, werden fähig sein – weil sie nicht anders können –, ihr Leben lang, geduldig, Schritt für Schritt, sich vorzuarbeiten, und die unzähligen Probleme zu bewältigen, von denen jedes zahllose Experimente erfordert." (Seyle: Stress beherrscht unser Leben 1957, S. 31).

"Als ich Seyles Worte lese, begreife ich, dass Stress nicht unbedingt eine negative, physiologische Erfahrung ist. Er kennt auch positive Formen – wie Erregung, Vorfreude und Motivation. Negativer Stress kann schädlich sein – tatsächlich kann / er Sie umbringen. Positiver Stress aber ist nötig für ein erfülltes Leben. Und mit der richtigen Haltung können wir negativen Stress im positiven umwandeln.
Wie? Indem wir uns auf jene Dinge konzentrieren, die wir unter Kontrolle haben, statt nur auf die, die sich uns entziehen. (S. 64/65)

3. Der Detektiv Columbo mit seiner kleinen Frage am Schluss, bevor er den Raum verlässt, ist ihr Vorbild. 

"Sie stellen Frage um Frage. Dann ändern Sie nur eine einzige Variable und fragen nochmals. Im nächsten Schritt ändern Sie wieder eine Variable. Und dann wieder. Nur noch eine Sache… Es gibt fast immer noch eine Sache.
Sie müssen geduldig bleiben, alles genau prüfen, jedes noch so kleine Detail. Sie müssen den Berg an Informationen beiseite schieben, die ihre Erwartungen zu bestätigen scheinen, und exakt das eine Puzzlestück suchen, das eben nicht passt. Denn dieses eine – dieses winzige Stück, das aus irgendeinem Grunde nicht passt und ihnen keine Ruhe lässt – kann sie, wenn sie wachsam bleiben, in die richtige Richtung lenken." (S. 67)

mRNA (S.81-85)
"Die mRNA geht vom Zellkern ins Zytoplasma über, wo sie die Herstellung von Proteinen steuert. DNA zu mRNA zu Protein – und alle Informationen, die in der DNA oder RNA enthalten sind, werden durch die Anordnung der Nukleoid-Basen vermittelt, den winzigen Buchstaben in der Sprache des Lebens. Ein Prozess, der sich permanent wiederholt, – überall in ihrem Körper, ununterbrochen, auch jetzt, in diesem Moment.
Natürlich vereinfache ich hier massiv. Und die Wahrheit ist: Solche Vereinfachungen fallen mir schwer [... Doch ich habe] auf diesen Seiten mein Bestes getan, um komplexe Ideen so zu beschreiben, dass auch Nicht-Wissenschaftler verstehen, was ich all diese Jahre gemacht habe und warum das so ungeheuer wichtig war." (S. 85).

Teil 3: Ein Gefühl der Erfüllung (S.89-150)
Karikó versteht die Studierendengruppe von 18 Personen in Szeged als Einheit, obwohl sehr unterschiedlich Personen dazu gehörten, Professorenkinder, die Tochter eines Komponisten und Arbeiter- und Bauernkinder, die etwa die Hälfte der Gruppe ausmachten.
Von den andere unterschied sie sich, dass sie sich nur für Pflanzen interessiert und nicht für Genetik, "wo die Post abging" (S.91)
Sie arbeitet hart, schläft nur wenig und gönnt sich kaum Freizeit. aber doch etwas: Tanzen, Volksmusikkonzerte und Basketball, natürlich nicht auf dem Niveau wie an US-Unis. 
"Glauben Sie nur nicht, dass harte Arbeit und glücklich sein, einander ausschließen. Man muss nicht viel Freizeit haben, um Freude zu erleben. Diese Jahre in Szeged gehörten zu den glücklichsten meines Lebens." (S.97)
Ernteeinsätze in der Weinernte und Besuche bei den anderen Studierenden der Gruppe.
Ihre Arbeit bei der Untersuchung von Fischöl, Herstellung von Ethylacetat (S.98-107)

Es ist das Wesen der Grundlagenforschung – und mit dieser habe ich mich die meiste Zeit meines Lebens hauptsächlich beschäftigt –, dass man immer etwas macht, was vor einem noch kein anderer gemacht hat. Es gibt keine Standardverfahren, denen man folgen könnte. Das bedeutet, dass man meistens nicht weiß, wonach genau man sucht oder wie man es finden könnte. Ebenso wenig weiß man, ob man es überhaupt finden wird, und ob man das eventuell Gefundene vielleicht sogar anwenden könnte. Trotzdem forscht man immer weiter.
Du bist eine Sucherin. [Das hatte ihr Vater über sie gesagt.] Selbst heute muss ich unwillkürlich lächeln, wenn ich an seine Worte denke. Manchmal muss man gar nicht jedes Detail verstehen, um das Herzstück des Ganzen zu erfassen.
Als mein Vater hörte, dass Tibor – dieser großartige Wissenschaftler und Mitglied der ungarischen Akademie der Wissenschaften – früher mal Metzger werden wollte, war er begeistert. Also macht er anlässlich meine Abschlussfeier Räucherwurst, die unser Lipid-Forscherteam im Labor zu bereitete. Über dem Bunsenbrenner erhitzen wir sie in einem Vier -Liter-Glasgefäß im Wasser, während die Luft sich mit köstlichen Düften füllte. Die fertigen Würste verzehrten wir dann genüsslich in unserem Büro. Jedes Mal, wenn wir in eine Wurst bissen, spritzte der Saft nach allen Seiten, wie es sein muss. Hinterher waren unsere Laborkittel und der Boden übersät von Flecken. Das Fleisch war köstlich – einfach perfekt. Es schmeckte nach Heimat. Noch Jahrzehnte später erinnerten sich die Mitglieder des Laborteams an diese saftige Wurst, die wir im Becherglas zubereitet hatten." (S.122). 

01 Juni 2025

Euphorion (Textbeispiel aus der Helenatragödie)

 Der Schauplatz verwandelt sich durchaus. An eine Reihe von Felsenhöhlen lehnen sich geschloßne Lauben. Schattiger Hain bis an die rings umgebende Felsensteile hinan. Faust und Helena werden nicht gesehen. Der Chor liegt schlafend verteilt umher.


PHORKYAS.

Wie lange Zeit die Mädchen schlafen, weiß ich nicht;

Ob sie sich träumen ließen, was ich hell und klar

Vor Augen sah, ist ebenfalls mir unbekannt.

Drum weck' ich sie. Erstaunen soll das junge Volk;

Ihr Bärtigen auch, die ihr da drunten sitzend harrt,

Glaubhafter Wunder Lösung endlich anzuschaun.

Hervor! hervor! Und schüttelt eure Locken rasch!

Schlaf aus den Augen! Blinzt nicht so und hört mich an!

CHOR.

Rede nur, erzähl', erzähle, was sich Wunderlichs begeben!

Hören möchten wir am liebsten, was wir gar nicht glauben können;

Denn wir haben Langeweile, diese Felsen anzusehn.

PHORKYAS.

Kaum die Augen ausgerieben, Kinder, langeweilt ihr schon?

So vernehmt: in diesen Höhlen, diesen Grotten, diesen Lauben 

Schutz und Schirmung war verliehen, wie idyllischem Liebespaare,

Unserm Herrn und unsrer Frauen.

CHOR.

Wie, da drinnen?

PHORKYAS.

Abgesondert

Von der Welt, nur mich, die eine, riefen sie zu stillem Dienste.

Hochgeehrt stand ich zur Seite, doch, wie es Vertrauten ziemet,

Schaut' ich um nach etwas andrem. Wendete mich hier und dorthin,

Suchte Wurzeln, Moos und Rinden, kundig aller Wirksamkeiten,

Und so blieben sie allein.

CHOR.

Tust du doch, als ob da drinnen ganze Weltenräume wären,

Wald und Wiese, Bäche, Seen; welche Märchen spinnst du ab![289]

PHORKYAS.

Allerdings, ihr Unerfahrnen! das sind unerforschte Tiefen:

Saal an Sälen, Hof an Höfen, diese spürt' ich sinnend aus.

Doch auf einmal ein Gelächter echot in den Höhlenräumen;

Schau' ich hin, da springt ein Knabe von der Frauen Schoß zum Manne

Von dem Vater zu der Mutter; das Gekose, das Getändel

Töriger Liebe Neckereien, Scherzgeschrei und Lustgejauchze

Wechselnd übertäuben mich.

Nackt, ein Genius ohne Flügel, faunenartig ohne Tierheit,

Springt er auf den festen Boden; doch der Boden gegenwirkend

Schnellt ihn zu der luft'gen Höhe, und im zweiten, dritten Sprunge

Rührt er an das Hochgewölb

Ängstlich ruft die Mutter: Springe wiederholt und nach Belieben,

Aber hüte dich, zu fliegen, freier Flug ist dir versagt.

Und so mahnt der treue Vater: In der Erde liegt die Schnellkraft,

Die dich aufwärts treibt; berühre mit der Zehe nur den Boden,

Wie der Erdensohn Antäus bist du alsobald gestärkt.

Und so hüpft er auf die Masse dieses Felsens, von der Kante

Zu dem andern und umher, so wie ein Ball geschlagen springt.

Doch auf einmal in der Spalte rauher Schlucht ist er verschwunden,

Und nun scheint er uns verloren. Mutter jammert, Vater tröstet

Achselzuckend steh' ich ängstlich. Doch nun wieder welch Erscheinen!

Liegen Schätze dort verborgen? Blumenstreifige Gewande

Hat er würdig angetan.

Quasten schwanken von den Armen, Binden flattern um den Busen,

In der Hand die goldne Leier, völlig wie ein kleiner Phöbus,

Tritt er wohlgemut zur Kante, zu dem Überhang; wir staunen.

Und die Eltern vor Entzücken werfen wechselnd sich ans Herz.[290]

Denn wie leuchtet's ihm zu Haupten? Was erglänzt, ist schwer zu sagen,

Ist es Goldschmuck, ist es Flamme übermächtiger Geisteskraft?

Und so regt er sich gebärdend, sich als Knabe schon verkündend

Künftigen Meister alles Schönen, dem die ewigen Melodien

Durch die Glieder sich bewegen; und so werdet ihr ihn hören,

Und so werdet ihr ihn sehn zu einzigster Bewunderung.

CHOR.

Nennst du ein Wunder dies,

Kretas Erzeugte?

Dichtend belehrendem Wort

Hast du gelauscht wohl nimmer?

Niemals noch gehört Ioniens,

Nie vernommen auch Hellas'

Urväterlicher Sagen

Göttlich-heldenhaften Reichtum?


Alles, was je geschieht

Heutigen Tages,

Trauriger Nachklang ist's

Herrlicher Ahnherrntage;

Nicht vergleicht sich dein Erzählen

Dem, was liebliche Lüge,

Glaubhaftiger als Wahrheit,

Von dem Sohne sang der Maja.


Diesen zierlich und kräftig doch

Kaum geborenen Säugling

Faltet in reinster Windeln Flaum,

Strenget in köstlicher Wickeln Schmuck

Klatschender Wärterinnen Schar

Unvernünftigen Wähnens.

Kräftig und zierlich aber zieht

Schon der Schalk die geschmeidigen

Doch elastischen Glieder

Listig heraus, die purpurne,

Ängstlich drückende Schale

Lassend ruhig an seiner Statt;

Gleich dem fertigen Schmetterling,[291]

Der aus starrem Puppenzwang

Flügel entfaltend behendig schlüpft,

Sonnedurchstrahlten Äther kühn

Und mutwillig durchflatternd.


So auch er, der Behendeste,

Daß er Dieben und Schälken,

Vorteilsuchenden allen auch

Ewig günstiger Dämon sei,

Dies betätigt er alsobald

Durch gewandteste Künste.

Schnell des Meeres Beherrscher stiehlt

Er den Trident, ja dem Ares selbst

Schlau das Schwert aus der Scheide;

Bogen und Pfeil dem Phöbus auch,

Wie dem Hephästos die Zange;

Selber Zeus', des Vaters, Blitz

Nähm' er, schreckt' ihn das Feuer nicht;

Doch dem Eros siegt er ob

In beinstellendem Ringerspiel;

Raubt auch Cyprien, wie sie ihm kost,

Noch vom Busen den Gürtel.


Ein reizendes, reinmelodisches Saitenspiel erklingt aus der Höhle. Alle merken auf und scheinen bald innig gerührt. Von hier an bis zur bemerkten Pause durchaus mit vollstimmiger Musik.


PHORKYAS.

Höret allerliebste Klänge,

Macht euch schnell von Fabeln frei!

Eurer Götter alt Gemenge,

Laßt es hin, es ist vorbei.


Niemand will euch mehr verstehen,

Fordern wir doch höhern Zoll:

Denn es muß von Herzen gehen,

Was auf Herzen wirken soll.


Sie zieht sich nach den Felsen zurück.


CHOR.

Bist du, fürchterliches Wesen,

Diesem Schmeichelton geneigt,

Fühlen wir, als frisch genesen,

Uns zur Tränenlust erweicht.
[292]

Laß der Sonne Glanz verschwinden,

Wenn es in der Seele tagt,

Wir im eignen Herzen finden,

Was die ganze Welt versagt.


Helena, Faust, Euphorion in dem oben beschriebenen Kostüm.


EUPHORION.

Hört ihr Kindeslieder singen,

Gleich ist's euer eigner Scherz;

Seht ihr mich im Takte springen,

Hüpft euch elterlich das Herz.

HELENA.

Liebe, menschlich zu beglücken,

Nähert sie ein edles Zwei,

Doch zu göttlichem Entzücken

Bildet sie ein köstlich Drei.

FAUST.

Alles ist sodann gefunden:

Ich bin dein, und du bist mein;

Und so stehen wir verbunden,

Dürft' es doch nicht anders sein!

CHOR.

Wohlgefallen vieler Jahre

In des Knaben mildem Schein

Sammelt sich auf diesem Paare.

O, wie rührt mich der Verein!

EUPHORION.

Nun laßt mich hüpfen,

Nun laßt mich springen!

Zu allen Lüften

Hinaufzudringen,

Ist mir Begierde,

Sie faßt mich schon.

FAUST.

Nur mäßig! mäßig!

Nicht ins Verwegne,

Daß Sturz und Unfall

Dir nicht begegne,

Zugrund uns richte

Der teure Sohn!

EUPHORION.

Ich will nicht länger

Am Boden stocken;

Laßt meine Hände,

Laßt meine Locken,

Laßt meine Kleider!

Sie sind ja mein.[293]

HELENA.

O denk! o denke,

Wem du gehörest!

Wie es uns kränke,

Wie du zerstörest

Das schön errungene

Mein, Dein und Sein.

CHOR.

Bald löst, ich fürchte,

Sich der Verein!

HELENA UND FAUST.

Bändige! bändige

Eltern zuliebe

Überlebendige,

Heftige Triebe!

Ländlich im stillen

Ziere den Plan.

EUPHORION.

Nur euch zu Willen

Halt' ich mich an.


Durch den Chor sich schlingend und ihn zum Tanze fortziehend.


Leichter umschweb' ich hie

Muntres Geschlecht.

Ist nun die Melodie,

Ist die Bewegung recht?

HELENA.

Ja, das ist wohlgetan;

Führe die Schönen an

Künstlichem Reihn.

FAUST.

Wäre das doch vorbei!

Mich kann die Gaukelei

Gar nicht erfreun.


Euphorion und Chor tanzend und singend bewegen sich in verschlungenem Reihen.


CHOR.

Wenn du der Arme Paar

Lieblich bewegest,

Im Glanz dein lockig Haar

Schüttelnd erregest,

Wenn dir der Fuß so leicht

Über die Erde schleicht,

Dort und da wieder hin

Glieder um Glied sich ziehn,

Hast du dein Ziel erreicht,[294]

Liebliches Kind;

All' unsre Herzen sind

All' dir geneigt.


Pause.


EUPHORION.

Ihr seid so viele

Leichtfüßige Rehe;

Zu neuem Spiele

Frisch aus der Nähe!

Ich bin der Jäger,

Ihr seid das Wild.

CHOR.

Willst du uns fangen,

Sei nicht behende,

Denn wir verlangen

Doch nur am Ende,

Dich zu umarmen,

Du schönes Bild!

EUPHORION.

Nur durch die Haine!

Zu Stock und Steine!

Das leicht Errungene,

Das widert mir,

Nur das Erzwungene

Ergetzt mich schier.

HELENA UND FAUST.

Welch ein Mutwill'! welch ein Rasen!

Keine Mäßigung ist zu hoffen.

Klingt es doch wie Hörnerblasen

Über Tal und Wälder dröhnend;

Welch ein Unfug! welch Geschrei!

CHOR einzeln schnell eintretend.

Uns ist er vorbeigelaufen;

Mit Verachtung uns verhöhnend,

Schleppt er von dem ganzen Haufen

Nun die Wildeste herbei.

EUPHORION ein junges Mädchen hereintragend.

Schlepp' ich her die derbe Kleine

Zu erzwungenem Genusse;

Mir zur Wonne, mir zur Lust

Drück' ich widerspenstige Brust,[295]

Küss' ich widerwärtigen Mund,

Tue Kraft und Willen kund.

MÄDCHEN.

Laß mich los! In dieser Hülle

Ist auch Geistes Mut und Kraft;

Deinem gleich ist unser Wille

Nicht so leicht hinweggerafft.

Glaubst du wohl mich im Gedränge?

Deinem Arm vertraust du viel!

Halte fest, und ich versenge

Dich, den Toren, mir zum Spiel.


Sie flammt auf und lodert in die Höhe.


Folge mir in leichte Lüfte,

Folge mir in starre Grüfte,

Hasche das verschwundne Ziel!

EUPHORION die letzten Flammen abschüttelnd.

Felsengedränge hier

Zwischen dem Waldgebüsch,

Was soll die Enge mir,

Bin ich doch jung und frisch.

Winde, sie sausen ja,

Wellen, sie brausen da;

Hör' ich doch beides fern,

Nah wär' ich gern.


Er springt immer höher felsauf.


HELENA, FAUST UND CHOR.

Wolltest du den Gemsen gleichen?

Vor dem Falle muß uns graun.

EUPHORION.

Immer höher muß ich steigen,

Immer weiter muß ich schaun.

Weiß ich nun, wo ich bin!

Mitten der Insel drin,

Mitten in Pelops' Land,

Erde- wie seeverwandt.

CHOR.

Magst nicht in Berg und Wald

Friedlich verweilen?

Suchen wir alsobald

Reben in Zeilen,

Reben am Hügelrand,[296]

Feigen und Apfelgold.

Ach in dem holden Land

Bleibe du hold!

EUPHORION.

Träumt ihr den Friedenstag?

Träume, wer träumen mag.

Krieg! ist das Losungswort.

Sieg! und so klingt es fort.

CHOR.

Wer im Frieden

Wünschet sich Krieg zurück,

Der ist geschieden

Vom Hoffnungsglück.

EUPHORION.

Welche dies Land gebar

Aus Gefahr in Gefahr,

Frei, unbegrenzten Muts,

Verschwendrisch eignen Bluts,

Den nicht zu dämpfenden

Heiligen Sinn,

Alle den Kämpfenden

Bring' es Gewinn!

CHOR.

Seht hinauf, wie hoch gestiegen!

Und er scheint uns doch nicht klein:

Wie im Harnisch, wie zum Siegen,

Wie von Erz und Stahl der Schein.

EUPHORION.

Keine Wälle, keine Mauern,

Jeder nur sich selbst bewußt;

Feste Burg, um auszudauern,

Ist des Mannes ehrne Brust.

Wollt ihr unerobert wohnen,

Leicht bewaffnet rasch ins Feld;

Frauen werden Amazonen

Und ein jedes Kind ein Held.

CHOR.

Heilige Poesie,

Himmelan steige sie!

Glänze, der schönste Stern,

Fern und so weiter fern!

Und sie erreicht uns doch

Immer, man hört sie noch,

Vernimmt sie gern.[297]

EUPHORION.

Nein, nicht ein Kind bin ich erschienen,

In Waffen kommt der Jüngling an;

Gesellt zu Starken, Freien, Kühnen,

Hat er im Geiste schon getan.

Nun fort!

Nun dort

Eröffnet sich zum Ruhm die Bahn.

HELENA UND FAUST.

Kaum ins Leben eingerufen,

Heitrem Tag gegeben kaum,

Sehnest du von Schwindelstufen

Dich zu schmerzenvollem Raum.

Sind denn wir

Gar nichts dir?

Ist der holde Bund ein Traum?

EUPHORION.

Und hört ihr donnern auf dem Meere?

Dort widerdonnern Tal um Tal,

In Staub und Wellen, Heer dem Heere,

In Drang um Drang, zu Schmerz und Qual.

Und der Tod

Ist Gebot,

Das versteht sich nun einmal.

HELENA, FAUST UND CHOR.

Welch Entsetzen! welches Grauen!

Ist der Tod denn dir Gebot?

EUPHORION.

Sollt' ich aus der Ferne schauen?

Nein! ich teile Sorg' und Not.

DIE VORIGEN.

Übermut und Gefahr,

Tödliches Los!

EUPHORION.

Doch! – und ein Flügelpaar

Faltet sich los!

Dorthin! Ich muß! ich muß!

Gönnt mir den Flug!


Er wirft sich in die Lüfte, die Gewande tragen ihn einen Augenblick, sein Haupt strahlt, ein Lichtschweif zieht nach.


CHOR.

Ikarus! Ikarus!

Jammer genug.


[298] Ein schöner Jüngling stürzt zu der Eltern Füßen, man glaubt in dem Toten eine bekannte Gestalt zu erblicken; doch das Körperliche verschwindet sogleich, die Aureole steigt wie ein Komet zum Himmel auf, Kleid, Mantel und Lyra bleiben liegen.


HELENA UND FAUST.

Der Freude folgt sogleich

Grimmige Pein.

EUPHORIONS STIMME aus der Tiefe.

Laß mich im düstern Reich,

Mutter, mich nicht allein!


Pause.


CHOR Trauergesang.

Nicht allein! – wo du auch weilest,

Denn wir glauben dich zu kennen;

Ach! wenn du dem Tag enteilest,

Wird kein Herz von dir sich trennen.

Wüßten wir doch kaum zu klagen,

Neidend singen wir dein Los:

Dir in klar- und trüben Tagen

Lied und Mut war schön und groß.


Ach! zum Erdenglück geboren,

Hoher Ahnen, großer Kraft,

Leider früh dir selbst verloren,

Jugendblüte weggerafft!

Scharfer Blick, die Welt zu schauen,

Mitsinn jedem Herzensdrang,

Liebesglut der besten Frauen

Und ein eigenster Gesang.


Doch du ranntest unaufhaltsam

Frei ins willenlose Netz,

So entzweitest du gewaltsam

Dich mit Sitte, mit Gesetz;

Doch zuletzt das höchste Sinnen

Gab dem reinen Mut Gewicht,

Wolltest Herrliches gewinnen,

Aber es gelang dir nicht.


Wem gelingt es? – Trübe Frage,

Der das Schicksal sich vermummt,[299]

Wenn am unglückseligsten Tage

Blutend alles Volk verstummt.

Doch erfrischet neue Lieder,

Steht nicht länger tief gebeugt:

Denn der Boden zeugt sie wieder,

Wie von je er sie gezeugt.


Völlige Pause. Die Musik hört auf.


HELENA zu Faust.

Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:

Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.

Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band;

Bejammernd beide, sag' ich schmerzlich Lebewohl

Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.

Persephoneia, nimm den Knaben auf und mich!


Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet, Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen.


PHORKYAS zu Faust.

Halte fest, was dir von allem übrigblieb.

Das Kleid, laß es nicht los. Da zupfen schon

Dämonen an den Zipfeln, möchten gern

Zur Unterwelt es reißen. Halte fest!

Die Göttin ist's nicht mehr, die du verlorst,

Doch göttlich ist's. Bediene dich der hohen,

Unschätzbaren Gunst und hebe dich empor:

Es trägt dich über alles Gemeine rasch

Am Äther hin, so lange du dauern kannst.

Wir sehn uns wieder, weit, gar weit von hier.


Helenens Gewande lösen sich in Wolken auf, umgeben Faust, heben ihn in die Höhe und ziehen mit ihm vorüber.


PHORKYAS nimmt Euphorions Kleid, Mantel und Lyra von der Erde, tritt ins Proszenium, hebt die Exuvien in die Höhe und spricht.

Noch immer glücklich aufgefunden!

Die Flamme freilich ist verschwunden,

Doch ist mir um die Welt nicht leid.

Hier bleibt genug, Poeten einzuweihen,

Zu stiften Gild- und Handwerksneid;[300]

Und kann ich die Talente nicht verleihen,

Verborg' ich wenigstens das Kleid.


Sie setzt sich im Proszenium an eine Säule nieder.


PANTHALIS.

Nun eilig, Mädchen! Sind wir doch den Zauber los,

Der alt-thessalischen Vettel wüsten Geisteszwang,

So des Geklimpers vielverworrner Töne Rausch,

Das Ohr verwirrend, schlimmer noch den innern Sinn.

Hinab zum Hades! Eilte doch die Königin

Mit ernstem Gang hinunter. Ihrer Sohle sei

Unmittelbar getreuer Mägde Schritt gefügt.

Wir finden sie am Throne der Unerforschlichen.

CHOR.

Königinnen freilich, überall sind sie gern;

Auch im Hades stehen sie obenan,

Stolz zu ihresgleichen gesellt,

Mit Persephonen innigst vertraut;

Aber wir im Hintergrunde

Tiefer Asphodelos-Wiesen,

Langgestreckten Pappeln,

Unfruchtbaren Weiden zugesellt,

Welchen Zeitvertreib haben wir?

Fledermausgleich zu piepsen,

Geflüster, unerfreulich, gespenstig.

PANTHALIS.

Wer keinen Namen sich erwarb noch Edles will,

Gehört den Elementen an; so fahret hin!

Mit meiner Königin zu sein, verlangt mich heiß;

Nicht nur Verdienst, auch Treue wahrt uns die Person.


Ab.


ALLE.

Zurückgegeben sind wir dem Tageslicht,

Zwar Personen nicht mehr,

Das fühlen, das wissen wir,

Aber zum Hades kehren wir nimmer.

Ewig lebendige Natur

Macht auf uns Geister,

Wir auf sie vollgültigen Anspruch.

EIN TEIL DES CHORS.

Wir in dieser tausend Äste Flüsterzittern, Säuselschweben

Reizen tändlend, locken leise wurzelauf des Lebens Quellen

Nach den Zweigen; bald mit Blättern, bald mit Blüten überschwenglich[301]

Zieren wir die Flatterhaare frei zu luftigem Gedeihn.

Fällt die Frucht, sogleich versammeln lebenslustig Volk und Herden

Sich zum Greifen, sich zum Naschen, eilig kommend, emsig drängend;

Und wie vor den ersten Göttern bückt sich alles um uns her.

EIN ANDRER TEIL.

Wir, an dieser Felsenwände weithinleuchtend glattem Spiegel

Schmiegen wir, in sanften Wellen uns bewegend, schmeichelnd an;

Horchen, lauschen jedem Laute, Vogelsängen, Röhrigflöten,

Sei es Pans furchtbarer Stimme, Antwort ist sogleich bereit;

Säuselt's, säuseln wir erwidernd, donnert's, rollen unsre Donner

In erschütterndem Verdoppeln, dreifach, zehnfach hintennach.

EIN DRITTER TEIL.

Schwestern! Wir, bewegtern Sinnes, eilen mit den Bächen weiter;

Denn es reizen jener Ferne reichgeschmückte Hügelzüge.

Immer abwärts, immer tiefer wässern wir, mäandrisch wallend,

Jetzt die Wiese, dann die Matten, gleich den Garten um das Haus.

Dort bezeichnen's der Zypressen schlanke Wipfel, über Landschaft,

Uferzug und Wellenspiegel nach dem Äther steigende.

EIN VIERTER TEIL.

Wallt ihr andern, wo's beliebet; wir umzingeln, wir umrauschen

Den durchaus bepflanzten Hügel, wo am Stab die Rebe grünt;

Dort zu aller Tage Stunden läßt die Leidenschaft des Winzers

Uns des liebevollsten Fleißes zweifelhaft Gelingen sehn.

Bald mit Hacke, bald mit Spaten, bald mit Häufeln, Schneiden, Binden

Betet er zu allen Göttern, fördersamst zum Sonnengott.[302]

Bacchus kümmert sich, der Weichling, wenig um den treuen Diener,

Ruht in Lauben, lehnt in Höhlen, faselnd mit dem jüngsten Faun.

Was zu seiner Träumereien halbem Rausch er je bedurfte,

Immer bleibt es ihm in Schläuchen, ihm in Krügen und Gefäßen,

Rechts und links der kühlen Grüfte, ewige Zeiten aufbewahrt.

Haben aber alle Götter, hat nun Helios vor allen,

Lüftend, feuchtend, wärmend, glutend, Beeren- Füllhorn aufgehäuft,

Wo der stille Winzer wirkte, dort auf einmal wird's lebendig,

Und es rauscht in jedem Laube, raschelt um von Stock zu Stock.

Körbe knarren, Eimer klappern, Tragebutten ächzen hin,

Alles nach der großen Kufe zu der Keltrer kräft'gem Tanz;

Und so wird die heilige Fülle reingeborner saftiger Beeren

Frech zertreten, schäumend, sprühend mischt sich's, widerlich zerquetscht.

Und nun gellt ins Ohr der Zimbeln mit der Becken Erzgetöne,

Denn es hat sich Dionysos aus Mysterien enthüllt;

Kommt hervor mit Ziegenfüßlern, schwenkend Ziegenfüßlerinnen,

Und dazwischen schreit unbändig grell Silenus' öhrig Tier.

Nichts geschont! Gespaltne Klauen treten alle Sitte nieder,

Alle Sinne wirbeln taumlich, gräßlich übertäubt das Ohr.

Nach der Schale tappen Trunkne, überfüllt sind Kopf und Wänste,

Sorglich ist noch ein und andrer, doch vermehrt er die Tumulte,

Denn um neuen Most zu bergen, leert man rasch den alten Schlauch!


Der Vorhang fällt. Phorkyas im Proszenium richtet sich riesenhaft auf, tritt aber von den Kothurnen herunter, lehnt Maske und Schleier zurück und zeigt sich als Mephistopheles, um, insofern es nötig wäre, im Epilog das Stück zu kommentieren.

        [...]


(Goethe Faust II, Vers 9573 - 9991 zeno.org)

Helenatragödie

Wikipedia: Euphorion


Für Goethe stellte Lord Byron eine Art Verkörperung der Verbindung von Shakespeare'schem Erbe und antiker Tradition dar, den er deshalb (versteckt) als Euphorion in die Helenatragödie einfügte.