01 Juni 2025

Goethe: Helenatragödie (Faust II, 3. Akt)

"Hier geht es um Fausts Beziehung zu Helena, mit der er einen Sohn – Euphorion – hat, der am Ende des Aktes zu Tode stürzt, woraufhin auch Helena verschwindet. Die Verbindung Fausts mit Helena symbolisiert die Verbindung von klassischer Antike und romantischem, germanischem Mittelalter.

Menelas ist mit Helena aus dem Krieg um Troja zurückgekehrt und hat Helena vorausgeschickt, um eine Opferzeremonie vorzubereiten. Er hat jedoch nicht gesagt, was geopfert werden soll. Helena ahnt, dass sie das Opfer sein wird, und beklagt ihr Schicksal, doch ein Chor von gefangenen Trojanerinnen muntert sie wieder auf. Helena will nach der Rückkehr die Diener und den Palast inspizieren, trifft jedoch auf leere Gänge und auf Mephisto in Gestalt einer der Phorkyaden, die Palast und Hof während Helenas Abwesenheit verwaltet hat. (Wikipedia) Sie sagt zu Helena, dass sie das Opfer sein werde, da Menelas fürchte, sie noch einmal zu verlieren oder nicht ganz besitzen zu können, und bietet ihr und dem Chor an, sie mit auf eine mittelalterliche und angeblich uneinnehmbare Burg zu nehmen, die während der zehn Jahre des Krieges um Troja und der anschließenden Irrfahrten des Menelas bis Ägypten nicht weit von Sparta errichtet wurde. Sie stimmen zu und flüchten, umhüllt von Nebel, vor dem anrückenden König." (Wikipedia)

Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta.


[257] Helena tritt auf und Chor gefangener Trojanerinnen. Panthalis, Chorführerin.


HELENA.

Bewundert viel und viel gescholten, Helena,

Vom Strande komm' ich, wo wir erst gelandet sind,

Noch immer trunken von des Gewoges regsamem

Geschaukel, das vom phrygischen Blachgefild uns her

Auf sträubig-hohem Rücken, durch Poseidons Gunst

Und Euros' Kraft, in vaterländische Buchten trug.

Dort unten freuet nun der König Menelas

Der Rückkehr samt den tapfersten seiner Krieger sich.

Du aber heiße mich willkommen, hohes Haus,

Das Tyndareos, mein Vater, nah dem Hange sich

Von Pallas' Hügel wiederkehrend aufgebaut

Und, als ich hier mit Klytämnestren schwesterlich,

Mit Kastor auch und Pollux fröhlich spielend wuchs,

Vor allen Häusern Spartas herrlich ausgeschmückt.

Gegrüßet seid mir, der ehrnen Pforte Flügel ihr!

Durch euer gastlich ladendes Weit-Eröffnen einst

Geschah's, daß mir, erwählt aus vielen, Menelas

In Bräutigamsgestalt entgegenleuchtete.

Eröffnet mir sie wieder, daß ich ein Eilgebot

Des Königs treu erfülle, wie der Gattin ziemt.

Laßt mich hinein! und alles bleibe hinter mir,

Was mich umstürmte bis hieher, verhängnisvoll.

Denn seit ich diese Schwelle sorgenlos verließ,

Cytherens Tempel besuchend, heiliger Pflicht gemäß,

Mich aber dort ein Räuber griff, der phrygische,

Ist viel geschehen, was die Menschen weit und breit

So gern erzählen, aber der nicht gerne hört,

Von dem die Sage wachsend sich zum Märchen spann.

CHOR.

Verschmähe nicht, o herrliche Frau,

Des höchsten Gutes Ehrenbesitz!

Denn das größte Glück ist dir einzig beschert,

Der Schönheit Ruhm, der vor allen sich hebt.

Dem Helden tönt sein Name voran,[257]

Drum schreitet er stolz;

Doch beugt sogleich hartnäckigster Mann

Vor der allbezwingenden Schöne den Sinn.

HELENA.

Genug! mit meinem Gatten bin ich hergeschifft

Und nun von ihm zu seiner Stadt vorausgesandt;

Doch welchen Sinn er hegen mag, errat' ich nicht.

Komm' ich als Gattin? komm' ich eine Königin?

Komm' ich ein Opfer für des Fürsten bittern Schmerz

Und für der Griechen lang' erduldetes Mißgeschick?

Erobert bin ich; ob gefangen, weiß ich nicht!

Denn Ruf und Schicksal bestimmten fürwahr die Unsterblichen

Zweideutig mir, der Schöngestalt bedenkliche

Begleiter, die an dieser Schwelle mir sogar

Mit düster drohender Gegenwart zur Seite stehn.

Denn schon im hohlen Schiffe blickte mich der Gemahl

Nur selten an, auch sprach er kein erquicklich Wort.

Als wenn er Unheil sänne, saß er gegen mir.

Nun aber, als des Eurotas tiefem Buchtgestad

Hinangefahren der vordern Schiffe Schnäbel kaum

Das Land begrüßten, sprach er, wie vom Gott bewegt:

»Hier steigen meine Krieger nach der Ordnung aus,

Ich mustere sie, am Strand des Meeres hingereiht;

Du aber ziehe weiter, ziehe des heiligen

Eurotas fruchtbegabtem Ufer immer auf,

Die Rosse lenkend auf der feuchten Wiese Schmuck,

Bis daß zur schönen Ebene du gelangen magst,

Wo Lakedämon, einst ein fruchtbar weites Feld,

Von ernsten Bergen nah umgeben, angebaut.

Betrete dann das hochgetürmte Fürstenhaus

Und mustere mir die Mägde, die ich dort zurück

Gelassen, samt der klugen alten Schaffnerin.

Die zeige dir der Schätze reiche Sammlung vor,

Wie sie dein Vater hinterließ und die ich selbst

In Krieg und Frieden, stets vermehrend, aufgehäuft.

Du findest alles nach der Ordnung stehen; denn

Das ist des Fürsten Vorrecht, daß er alles treu

In seinem Hause, wiederkehrend, finde, noch

An seinem Platze jedes, wie er's dort verließ.

Denn nichts zu ändern hat für sich der Knecht Gewalt.«[258]

CHOR.

Erquicke nun am herrlichen Schatz,

Dem stets vermehrten, Augen und Brust!

Denn der Kette Zier, der Krone Geschmuck,

Da ruhn sie stolz, und sie dünken sich was;

Doch tritt nur ein und fordre sie auf,

Sie rüsten sich schnell.

Mich freuet, zu sehn Schönheit in dem Kampf

Gegen Gold und Perlen und Edelgestein.

HELENA.

Sodann erfolgte des Herren ferneres Herrscherwort:

»Wenn du nun alles nach der Ordnung durchgesehn,

Dann nimm so manchen Dreifuß, als du nötig glaubst,

Und mancherlei Gefäße, die der Opfrer sich

Zur Hand verlangt, vollziehend heiligen Festgebrauch.

Die Kessel, auch die Schalen, wie das flache Rund;

Das reinste Wasser aus der heiligen Quelle sei

In hohen Krügen; ferner auch das trockne Holz,

Der Flammen schnell empfänglich, halte da bereit;

Ein wohlgeschliffnes Messer fehle nicht zuletzt;

Doch alles andre geb' ich deiner Sorge hin.«

So sprach er, mich zum Scheiden drängend; aber nichts

Lebendigen Atems zeichnet mir der Ordnende,

Das er, die Olympier zu verehren, schlachten will.

Bedenklich ist es; doch ich sorge weiter nicht,

Und alles bleibe hohen Göttern heimgestellt,

Die das vollenden, was in ihrem Sinn sie deucht,

Es möge gut von Menschen oder möge bös

Geachtet sein; die Sterblichen, wir ertragen das.

Schon manchmal hob das schwere Beil der Opfernde

Zu des erdgebeugten Tieres Nacken weihend auf

Und konnt' es nicht vollbringen, denn ihn hinderte

Des nahen Feindes oder Gottes Zwischenkunft.

CHOR.

Was geschehen werde, sinnst du nicht aus;

Königin, schreite dahin

Guten Muts!

Gutes und Böses kommt

Unerwartet dem Menschen;

Auch verkündet, glauben wir's nicht.

Brannte doch Troja, sahen wir doch

Tod vor Augen, schmählichen Tod;[259]

Und sind wir nicht hier

Dir gesellt, dienstbar freudig,

Schauen des Himmels blendende Sonne

Und das Schönste der Erde

Huldvoll, dich, uns Glücklichen?

HELENA.

Sei's, wie es sei! Was auch bevorsteht, mir geziemt,

Hinaufzusteigen ungesäumt in das Königshaus,

Das, lang' entbehrt und viel ersehnt und fast verscherzt,

Mir abermals vor Augen steht, ich weiß nicht wie.

Die Füße tragen mich so mutig nicht empor

Die hohen Stufen, die ich kindisch übersprang.


Ab.


CHOR.

Werfet, o Schwestern, ihr

Traurig gefangenen,

Alle Schmerzen ins Weite;

Teilet der Herrin Glück,

Teilet Helenens Glück,

Welche zu Vaterhauses Herd,

Zwar mit spät zurückkehrendem,

Aber mit desto festerem

Fuße freudig herannaht.

Preiset die heiligen,

Glücklich herstellenden

Und heimführenden Götter!

Schwebt der Entbundene

Doch wie auf Fittichen

Über das Rauhste, wenn umsonst

Der Gefangene sehnsuchtsvoll

Über die Zinne des Kerkers hin

Armausbreitend sich abhärmt.

Aber sie ergriff ein Gott,

Die Entfernte;

Und aus Ilios' Schutt

Trug er hierher sie zurück

In das alte, das neugeschmückte

Vaterhaus,

Nach unsäglichen

Freuden und Qualen,

Früher Jugendzeit

Angefrischt zu gedenken.[260]

PANTHALIS als Chorführerin.

Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad

Und wendet nach der Türe Flügeln euren Blick!

Was seh' ich, Schwestern? Kehret nicht die Königin

Mit heftigen Schrittes Regung wieder zu uns her?

Was ist es, große Königin, was konnte dir

In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruß,

Erschütterndes begegnen? Du verbirgst es nicht;

Denn Widerwillen seh' ich an der Stirne dir,

Ein edles Zürnen, das mit Überraschung kämpft.

HELENA welche die Türflügel offen gelassen hat, bewegt.

Der Tochter Zeus' geziemet nicht gemeine Furcht,

Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie nicht;

Doch das Entsetzen, das, dem Schoß der alten Nacht

Von Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch

Wie glühende Wolken aus des Berges Feuerschlund

Herauf sich wälzt, erschüttert auch des Helden Brust.

So haben heute grauenvoll die Stygischen

Ins Haus den Eintritt mir bezeichnet, daß ich gern

Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich,

Entlaßnem Gaste gleich, entfernend scheiden mag.

Doch nein! gewichen bin ich her ans Licht, und sollt

Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr seid.

Auf Weihe will ich sinnen, dann gereinigt mag

Des Herdes Glut die Frau begrüßen wie den Herrn.

CHORFÜHRERIN.

Entdecke deinen Dienerinnen, edle Frau,

Die dir verehrend beistehn, was begegnet ist.

HELENA.

Was ich gesehen, sollt ihr selbst mit Augen sehn,

Wenn ihr Gebilde nicht die alte Nacht sogleich

Zurückgeschlungen in ihrer Tiefe Wunderschoß.

Doch daß ihr's wisset, sag' ich's euch mit Worten an:

Als ich des Königshauses ernsten Binnenraum,

Der nächsten Pflicht gedenkend, feierlich betrat,

Erstaunt' ich ob der öden Gänge Schweigsamkeit.

Nicht Schall der emsig Wandelnden begegnete

Dem Ohr, nicht raschgeschäftiges Eiligtun dem Blick,

Und keine Magd erschien mir, keine Schaffnerin,

Die jeden Fremden freundlich sonst begrüßenden.

Als aber ich dem Schoße des Herdes mich genaht,[261]

Da sah ich, bei verglommner Asche lauem Rest,

Am Boden sitzen welch verhülltes großes Weib,

Der Schlafenden nicht vergleichbar, wohl der Sinnenden.

Mit Herrscherworten ruf' ich sie zur Arbeit auf,

Die Schaffnerin mir vermutend, die indes vielleicht

Des Gatten Vorsicht hinterlassend angestellt;

Doch eingefaltet sitzt die Unbewegliche;

Nur endlich rührt sie auf mein Dräun den rechten Arm,

Als wiese sie von Herd und Halle mich hinweg.

Ich wende zürnend mich ab von ihr und eile gleich

Den Stufen zu, worauf empor der Thalamos

Geschmückt sich hebt und nah daran das Schatzgemach;

Allein das Wunder reißt sich schnell vom Boden auf,

Gebietrisch mir den Weg vertretend, zeigt es sich

In hagrer Größe, hohlen, blutig-trüben Blicks,

Seltsamer Bildung, wie sie Aug' und Geist verwirrt.

Doch red' ich in die Lüfte; denn das Wort bemüht

Sich nur umsonst, Gestalten schöpferisch aufzubaun.

Da seht sie selbst! sie wagt sogar sich ans Licht hervor!

Hier sind wir Meister, bis der Herr und König kommt.

Die grausen Nachtgeburten drängt der Schönheitsfreund

Phöbus hinweg in Höhlen, oder bändigt sie.


Phorkyas auf der Schwelle zwischen den Türpfosten auftretend.


CHOR.

Vieles erlebt' ich, obgleich die Locke

Jugendlich wallet mir um die Schläfe!

Schreckliches hab' ich vieles gesehen,

Kriegrischen Jammer, Ilios' Nacht,

Als es fiel.


Durch das umwölkte, staubende Tosen

Drängender Krieger hört' ich die Götter

Fürchterlich rufen, hört' ich der Zwietracht

Eherne Stimme schallen durchs Feld,

Mauerwärts.


Ach! sie standen noch, Ilios'

Mauern, aber die Flammenglut

Zog vom Nachbar zum Nachbar schon,

Sich verbreitend von hier und dort[262]

Mit des eignen Sturmes Wehn

Über die nächtliche Stadt hin.


Flüchtend sah ich durch Rauch und Glut

Und der züngelnden Flamme Loh'n

Gräßlich zürnender Götter Nahn,

Schreitend Wundergestalten

Riesengroß, durch düsteren

Feuerumleuchteten Qualm hin.


Sah ich's, oder bildete

Mir der angstumschlungene Geist

Solches Verworrene? sagen kann

Nimmer ich's, doch daß ich dies

Gräßliche hier mit Augen schau',

Solches gewiß ja weiß ich;

Könnt' es mit Händen fassen gar,

Hielte von dem Gefährlichen

Nicht zurücke die Furcht mich.


Welche von Phorkys'

Töchtern nur bist du?

Denn ich vergleiche dich

Diesem Geschlechte.

Bist du vielleicht der graugebornen,

Eines Auges und eines Zahns

Wechselsweis teilhaftigen

Graien eine gekommen?


Wagest du Scheusal

Neben der Schönheit

Dich vor dem Kennerblick

Phöbus' zu zeigen?

Tritt du dennoch hervor nur immer;

Denn das Häßliche schaut er nicht,

Wie sein heilig Auge noch

Nie erblickte den Schatten.


Doch uns Sterbliche nötigt, ach,

Leider trauriges Mißgeschick

Zu dem unsäglichen Augenschmerz,[263]

Den das Verwerfliche, Ewig-Unselige

Schönheitliebenden rege macht.


Ja, so höre denn, wenn du frech

Uns entgegenest, höre Fluch,

Höre jeglicher Schelte Drohn

Aus dem verwünschenden Munde der Glücklichen,

Die von Göttern gebildet sind.

[...]

PHORKYAS.

Alt ist das Wort, doch bleibet hoch und wahr der Sinn,

Daß Scham und Schönheit nie zusammen, Hand in Hand,

Den Weg verfolgen über der Erde grünen Pfad.

Tief eingewurzelt wohnt in beiden alter Haß,

Daß, wo sie immer irgend auch des Weges sich

Begegnen, jede der Gegnerin den Rücken kehrt.

Dann eilet jede wieder heftiger, weiter fort,

Die Scham betrübt, die Schönheit aber frech gesinnt,

Bis sie zuletzt des Orkus hohle Nacht umfängt,

Wenn nicht das Alter sie vorher gebändigt hat.

Euch find' ich nun, ihr Frechen, aus der Fremde her

Mit Übermut ergossen, gleich der Kraniche

Laut-heiser klingendem Zug, der über unser Haupt,

In langer Wolke, krächzend sein Getön herab

Schickt, das den stillen Wandrer über sich hinauf

Zu blicken lockt; doch ziehn sie ihren Weg dahin,

Er geht den seinen; also wird's mit uns geschehn.

Wer seid denn ihr, daß ihr des Königes Hochpalast

Mänadisch wild, Betrunknen gleich, umtoben dürft?

Wer seid ihr denn, daß ihr des Hauses Schaffnerin

Entgegenheulet, wie dem Mond der Hunde Schar?

Wähnt ihr, verborgen sei mir, welch Geschlecht ihr seid,

Du kriegerzeugte, schlachterzogne junge Brut?

Mannlustige du, so wie verführt verführende,

Entnervend beide, Kriegers auch und Bürgers Kraft!

Zu Hauf euch sehend, scheint mir ein Zikadenschwarm

Herabzustürzen, deckend grüne Feldersaat.

Verzehrerinnen fremden Fleißes! Naschende

Vernichterinnen aufgekeimten Wohlstands ihr!

Erobert – marktverkauft – vertauschte Ware du ![264]

HELENA.

Wer gegenwarts der Frau die Dienerinnen schilt,

Der Gebietrin Hausrecht tastet er vermessen an;

Denn ihr gebührt allein, das Lobenswürdige

Zu rühmen, wie zu strafen, was verwerflich ist.

Auch bin des Dienstes ich wohl zufrieden, den sie mir

Geleistet, als die hohe Kraft von Ilios

Umlagert stand und fiel und lag; nicht weniger,

Als wir der Irrfahrt kummervolle Wechselnot

Ertrugen, wo sonst jeder sich der Nächste bleibt.

Auch hier erwart' ich Gleiches von der muntern Schar;

Nicht, was der Knecht sei, fragt der Herr, nur, wie er dient.

Drum schweige du und grinse sie nicht länger an.

Hast du das Haus des Königs wohl verwahrt bisher

Anstatt der Hausfrau, solches dient zum Ruhme dir;

Doch jetzo kommt sie selber, tritt nun du zurück,

Damit nicht Strafe werde statt verdienten Lohns.

PHORKYAS.

Den Hausgenossen drohen bleibt ein großes Recht,

Das gottbeglückten Herrschers hohe Gattin sich

Durch langer Jahre weise Leitung wohl verdient.

Da du, nun Anerkannte, neu den alten Platz

Der Königin und Hausfrau wiederum betrittst,

So fasse längst erschlaffte Zügel, herrsche nun,

Nimm in Besitz den Schatz und sämtlich uns dazu.

Vor allem aber schütze mich, die Ältere,

Vor dieser Schar, die neben deiner Schönheit Schwan

Nur schlecht befitticht', schnatterhafte Gänse sind.

CHORFÜHRERIN.

Wie häßlich neben Schönheit zeigt sich Häßlichkeit.

PHORKYAS.

Wie unverständig neben Klugheit Unverstand. [...]"


Wikipedia: PHORKYAS /Mephisto "sagt zu Helena, dass sie das Opfer sein werde, da Menelas fürchte, sie noch einmal zu verlieren oder nicht ganz besitzen zu können, und bietet ihr und dem Chor an, sie mit auf eine mittelalterliche und angeblich uneinnehmbare Burg zu nehmen, die während der zehn Jahre des Krieges um Troja und der anschließenden Irrfahrten des Menelas bis Ägypten nicht weit von Sparta errichtet wurde. Sie stimmen zu und flüchten, umhüllt von Nebel, vor dem anrückenden König."


Wie Goethe mit höchster Meisterschaft, aber ohne Rücksicht auf Verständlichkeit seinen Weg vom Götz über den Werther zur Iphigenie anhand der sagenhaft-mythologischen Figuren Faust und Helena angedeutet hat, mag jeder anhand des Textes und/oder der Wikipedia nachverfolgen. 

Goethe und nach ihm Schiller begannen  mit Shakespearenachfolge in Sturm und Drang  und fanden mit am Griechentum geschultem Formbewusstsein zu gebundener Sprache und hohen Idealen zu der Weimarer Klassik. 

Goethe lässt Helena, das klassische Schönheitsideal, eine Verbindung mit Faust eingehen, der einen Teufelspakt geschlossen hat. Sprachlich wird das vorgeführt, indem Helena sich von ihren antiken jambischen Trimetern zu simplen Paarreimen verführen lässt (oder herablässt). 

Nachzulesen ist das hier (Faust II, 3. Akt Innerer Burghof Vers 9127 ff.) 

Vgl. Wikipedia ab hier: 

"Nach dem Sieg über Menelas führt Faust Helena in das von ihm geschaffene Arkadien ein, einen Hort des Glücks und der Harmonie. In seiner mittelalterlichen Burg angekommen, wirbt Faust um Helena. Begeistert nimmt sie seine unbekannte, nordische Form des Sprechens – den gereimten Vers – auf:

Helena: Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen,
Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt,
Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen. […]
So sage denn, wie sprech' ich auch so schön?
Faust: Das ist gar leicht, es muß von Herzen gehn.
Und wenn die Brust von Sehnsucht überfließt,
Man sieht sich um und fragt –
Helena:                                                  Wer mitgenießt.“ (9369–9380)
Hier endet mein Versuch, zur Lektüre der Helenatragödie anzuregen. 
Ich habe mir einiges angesehen und manches anhand von Kommentaren, nicht zuletzt dem von Albrecht Schöne erklären lassen. Doch die Einzelheiten sind für Fachkenner und Spezialisten. Genug - Goethe hat seinen künstlerischen Weg einmal in wenigen Versen sprachlich symbolisiert. 
Textbeispiel:
Euphorion

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