Adalbert Stifter: Der Nachsommer, 1. Band, 6. Kapitel: Der Besuch, S.190
"Ich hatte in meiner Jugend öfter den Namen Risach nennen gehört, allein ich hatte damals so wenig darauf geachtet, was ein Mann, dessen Namen ich hörte, tue, daß ich jetzt gar nicht wußte, wer dieser Risach sei. Ich fragte daher mit jener Rücksicht, die man bei solchen Fragen immer beobachtet, und erfuhr, daß der Freiherr von Risach zwar nicht die höchsten Staatswürden bekleidet habe, daß er aber in der wichtigen und schmerzlichen Zeit des nunmehr auch alternden Kaisers in den belangreichsten Dingen tätig gewesen sei, daß er mit den Männern, welche die Angelegenheiten Europas leiteten, an der Schlichtung dieser Angelegenheiten gearbeitet habe, daß er von fremden Herrschern geschätzt worden sei, daß man gemeint habe, er werde einmal an die Spitze gelangen, daß er aber dann ausgetreten sei. Er lebe meistens auf dem Lande, komme aber öfter herein und besuche diesen oder jenen seiner Freunde. Der Kaiser achte ihn sehr, und es dürfte noch jetzt vorkommen, daß hie und da nach seinem Rate gefragt werde. Er soll reich geheiratet, aber seine Frau wieder verloren haben. Überhaupt wisse man diese Verhältnisse nicht genau."
Adalbert Stifter: Der Nachsommer, 1. Band, 6. Kapitel: Der Besuch, S.191/92
"Stifter führt erst sehr spät die Namen seiner Hauptpersonen ein. Meistens umschreibt er die Personen durch ihre Funktion: der Vater, die Mutter, die Schwester, der Gastfreund, die Fürstin, der Gärtner, der Zitherspieler. Vorsichtig nähert er sich der Benennung mit den Vornamen der wichtigsten Personen: Mathilde, Natalie, Gustav, Eustach, Roland und Klotilde. Der Ich-Erzähler bezeichnet sich erst spät als Heinrich Drendorf, sein Gastgeber, der Freiherr von Risach, bleibt bis auf Andeutungen namenlos bis fast zum Schluss. Warum benennt Stifter nicht die Personen seines Romans? Vielleicht geht es ihm nicht so sehr darum, dass die Leser sich von den Personen „ein Bild machen“, sondern vom Weg der Personen durch das Leben. Die verschlungenen Pfade entwirren sich und alles wird gut."
Der Nachsommer, Wikipedia über die - weithin verschwiegenen - Namen als Besonderheit des Romans
»Siehst du, meine liebe Henriette«, sprach die alte Frau, »wie sich die Dinge in der Welt verändern. Du weißt es noch nicht, weil du noch jung bist und weil du nichts erfahren hast. Das Niedrige wird hoch, das Hohe wird niedrig, Eines wird so, das Andere wird anders, und ein Drittes bleibt bestehen. Dieser Risach ist sehr oft in unser Haus gekommen. Da uns der Vater noch zuweilen in dem alten Doktorwagen, den er hatte, und der dunkelgrün und schwarz angestrichen war, spazieren fahren ließ, ist er nicht einmal, sondern oft auf dem Kutschbocke gesessen, oder er ist gar, wenn wir im Freien fuhren und uns die Leute nicht sehen konnten, hinten aufgestanden wie ein Leibdiener, denn der Wagen des Vaters hat ein Dienerbrett gehabt. Wir waren kaum anders als Kinder, er war ein junger Student, der wenig Bekanntschaft hatte, dessen Herkunft man nicht wußte und um den man auch nicht fragte. Wenn wir in dem Garten auf dem Landhause waren, sprang er mit den Brüdern auf den hölzernen Esel, oder sie jagten die Hunde in das Wasser oder setzten unsere Schaukel in Bewegung. Er brachte deinen Vater zu meinen Brüdern als Kameraden in das Haus. Man wußte damals kaum, wer schöner gewesen sei, Risach oder dein Vater. Aber nach einer Zeit wurde Risach weniger gesehen, ich weiß nicht warum, es vergingen manche Jahre, und ich trat mit deinem Vater in den heiligen Stand der Ehe. Die Brüder waren als Staatsdiener zerstreut, die Eltern waren endlich tot, von Risach wurde oft gesprochen, aber wir kamen wenig zusammen. Der Vater begann seine Tätigkeit hauptsächlich erst dann, als Risach schon ausgetreten war. Da sitze ich jetzt nun wieder, aber in einem anderen Teile der Burg, dein Vater hat die Erde verlassen müssen, du bist nicht einmal mehr ein Kind, dienst deiner hohen, gütigen Herrin, und da von Risach die Rede war, meinte ich, es seien kaum einige Jahre vergangen, seit er die Schaukel in unserem Garten bewegt hat.«Adalbert Stifter: Der Nachsommer, 1. Band, 6. Kapitel: Der Besuch, S.192/93
Ich fragte, ob nicht Risach eine Besitzung im Oberlande habe.
Man sagte mir, daß er dort eine habe.
Ich wollte nicht weiter fragen, um nicht die ganze Darlegung meiner Einkehr in diesem Sommer machen zu müssen.
Der Vater kannte den Freiherrn von Risach sehr gut. Er war in früherer Zeit mehrere Male mit ihm zusammengekommen, hatte ihn aber jetzt schon lange nicht gesehen. Als Anhaltspunkte, daß mein Beherberger in dem Rosenhause der Freiherr von Risach gewesen sei, dienten, daß ich ihn, wenn mich nicht in der Schnelligkeit des Fahrens eine Ähnlichkeit getäuscht hat, selber gesehen habe, daß er im Oberlande eine Besitzung hat, daß er wohlhabend sei, was mein Beherberger sein müsse, und daß er hohe Geistesgaben besitze, die mein Beherberger auch zu haben scheine. Man beschloß, in dieser Sache nicht weiter zu forschen, da mein Beherberger mir seinen Namen nicht freiwillig genannt habe, und die Dinge so zu belassen, wie sie seien.Adalbert Stifter: Der Nachsommer, 1. Band, 6. Kapitel: Der Besuch, S.193
Adalbert Stifters belässt in seinem "Nachsommer" vieles im Allgemeinen, wie es bei einem Roman dieser Art Sitte ist.
Das gilt nicht nur für den "Beherberger", der als junger Mann "die Schaukel in unserem Garten bewegt hat".
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