In jenen unglücklichen Tagen, welche für Deutschland, für Europa, ja für die übrige Welt die traurigsten Folgen hatten, als das Heer der Franken durch eine übelverwahrte Lücke in unser Vaterland einbrach, verließ eine edle Familie ihre Besitzungen in jenen Gegenden und entfloh über den Rhein, um den Bedrängnissen zu entgehen, womit alle ausgezeichneten Personen bedrohet waren, denen man zum Verbrechen machte, daß sie sich ihrer Väter mit Freuden und Ehren erinnerten und mancher Vorteile genossen, die ein wohldenkender Vater seinen Kindern und Nachkommen so gern zu verschaffen wünschte.Goethe sieht die Begründung der demokratischen Mainzer Republik, an der Georg Forster mitwirkte, ähnlich wie Boccaccio die das Übergreifen der Pest auf Florenz: Eine Katastrophe, die diejenigen, die ihr entkommen sind, in eine Schicksalsgemeinschaft in einer gewissen Isolierung von der Außenwelt zusammenführt. Eine Situation, in der man sich gegenseitig durch Geschichten zu unterhalten sucht.
Kurz nach dem Eingangszitat schreibt Goethe weiter:
Bei der übereilten Flucht war das Betragen eines jeden charakteristisch und auffallend. Das eine ließ sich durch eine falsche Furcht, durch ein unzeitiges Schrecken hinreißen, das andere gab einer unnötigen Sorge Raum, und alles, was dieser zuviel, jener zuwenig tat, jeder Fall, wo sich Schwäche in Nachgiebigkeit oder Übereilung zeigte, gab in der Folge Gelegenheit, sich wechselseitig zu plagen und aufzuziehen, so daß dadurch diese traurigen Zustände lustiger wurden, als eine vorsätzliche Lustreise ehemals hatte werden können.Das ist mit weitem Abstand von den vom Einbrechen des Schicksals in ihr Leben Betroffenen geschrieben. Weder die Bombennächte des Zeiten Weltkriegs noch Flucht und Vertreibung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten haben zu vielen "hinterdrein belachten Umständen" geführt. Der Holocaust schon gar nicht.
Denn wie wir manchmal in der Komödie eine Zeitlang, ohne über die absichtlichen Possen zu lachen, ernsthaft zuschauen können, dagegen aber sogleich ein lautes Gelächter entsteht, wenn in der Tragödie etwas Unschickliches vorkommt, so wird auch ein Unglück in der wirklichen Welt, das die Menschen aus ihrer Fassung bringt, gewöhnlich von lächerlichen, oft auf der Stelle, gewiß aber hinterdrein belachten Umständen begleitet sein.
Goethe sucht in den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795) ganz bewusst den Abstand von der ihn beunruhigenden Französischen Revolution, deren Bedeutung er nach seiner Erfahrung des bei der Kanonade von Valmy unüberwindbaren französischen Revolutionsheeres er schon 1792 geahnt hat und die er (nach seiner eigenen deutlich später verfassten Schrift Kampagne in Frankreich, 1822) mit „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“ kommentiert hat (oder doch zumindest kommentiert haben will).
1795 will er über diese "neue Epoche der Weltgeschichte" lieber nicht direkt schreiben und nimmt Abstand.
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