»Nein, gne' Frau, darum bin ich nicht gekommen«, säd Bräsig un reckte sick höger, »ich bin hierher gekommen, um die Wahrheit zu sagen, ich bin hierher gekommen, daß ich meinen Freund, der vor sechzig Jahren mein Spielkamerad gewesen ist, verdeffendieren will.« – »Das brauchen Sie nicht, wenn Ihr Freund ein gutes Gewissen hat, und ich glaube, er hat es.« – »Daraus seh' ich, gne' Frau, daß Sie die menschliche Natur man slecht kennen. Der Mensch hat zwei Gewissen, das eine sitzt inwendig in ihm, und das kann ihm kein Deuwel nehmen, das andere aber sitzt auswendig von ihm, und das ist sein guter Namen, und den kann ihm jeder Schuft nehmen, wenn er die Gewalt hat und klug ist, und kann ihn tot machen vor die Welt, denn der Mensch lebt nich for sich allein, er lebt auch for die Welt. Und mit den bösen Leumund ist das as mit 'ner Distelstang', die der Deuwel und seine Helfershelfer in unsern Acker säen, die steht da, und je besser der Boden ist, desto mastiger wächst sie und blüht und schießt ins Saat, und wenn der Kopp reif is, denn kommt der Wind – keiner weiß, woher er kommt und wohin er fährt – und der trägt die Federn von den Distelkopp über Feld, und das nächste Jahr steht das ganze Feld voll, und die Menschen stehen da und schelten auf das Feld, und keiner will daran, das Unkraut auszuziehen, denn sie wollen sich keine Dornen in die Fingern stechen. Un Sie, gne' Frau, haben sich auch vor die Dornen gefürcht't, als mein alter Freund for einen Betrüger und Dieb aus Ihrem Hause gejagt is, und das wollt ich Ihnen sagen und wollt Ihnen sagen, daß das meinen Korl Hawermann am meisten gesmerzt hat. – Un nu leben Sie wohl! Weiter wollt ich nichts sagen.« – Un dormit gung hei ut de Dör, Fritz tüffelte achter em an. (Fritz Reuter: Ut mine Stromtid, Kapitel 31)
13 Mai 2011
Ein gutes Gewissen und ein guter Ruf sind zweierlei
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