»Ich
möchte dir einen recht schönen Strauß pflücken«, sagte Botho,
während er Lene bei der Hand nahm. »Aber sieh nur, die reine Wiese,
nichts als Gras und keine Blume. Nicht eine.«
»Doch.
Die Hülle und Fülle. Du siehst nur keine, weil du zu anspruchsvoll
bist.«
»Und
wenn ich es wäre, so wär ich es bloß für dich.«
»Oh,
keine Ausflüchte. Du wirst sehen, ich finde welche.«
Und
sich niederbückend, suchte sie nach rechts und links hin und sagte:
»Sieh nur, hier... und da... und hier wieder. Es stehen hier mehr
als in Dörrs Garten; man muß nur ein Auge dafür haben.« Und so
pflückte sie behend und emsig, zugleich allerlei Unkraut und
Grashalme mit ausreißend, bis sie, nach ganz kurzer Zeit, eine Menge
Brauchbares und Unbrauchbares in Händen hatte.
»Der
kommt uns zupaß«, sagte Botho, »hier wollen wir uns setzen. Du
mußt ja müde sein. Und nun laß sehen, was du gepflückt hast. Ich
glaube, du weißt es selber nicht, und ich werde mich auf den
Botaniker hin ausspielen müssen. Gib her. Das ist Ranunkel, und das
ist Mäuseohr, und manche nennen es auch falsches Vergißmeinnicht.
Hörst du, falsches. Und hier das mit dem gezackten Blatt, das ist
Taraxacum, unsere gute alte Butterblume, woraus die Franzosen Salat
machen. Nun meinetwegen. Aber Salat und Bouquet ist ein Unterschied.«
»Gib
nur wieder her«, lachte Lene. »Du hast kein Auge für diese Dinge,
weil du keine Liebe dafür hast, und Auge und Liebe gehören immer
zusammen. Erst hast du der Wiese die Blumen abgesprochen, und jetzt,
wo sie da sind, willst du sie nicht als richtige Blumen gelten
lassen. Es sind aber Blumen und noch dazu sehr gute. Was gilt die
Wette, daß ich dir etwas Hübsches zusammenstelle.«
»Nun
da bin ich doch neugierig, was du wählen wirst.«
»Nur
solche, denen du selber zustimmst. Und nun laß uns anfangen. Hier
ist Vergißmeinnicht, aber kein Mäuseohr-Vergißmeinnicht, will
sagen kein falsches, sondern ein echtes. Zugestanden?«
»Ja.«
»Und
das hier ist Ehrenpreis, eine feine kleine Blume. Die wirst du doch
auch wohl gelten lassen? Da frag ich gar nicht erst. Und diese große
rotbraune, das ist Teufelsabbiß und eigens für dich gewachsen. Ja,
lache nur. Und das hier«, und sie bückte sich nach ein paar gelben
Blumenköpfchen, die gerade vor ihr auf der Sandstelle blühten, »das
sind Immortellen.«
»Immortellen«,
sagte Botho. »Die sind ja die Passion der alten Frau Nimptsch.
Natürlich, die nehmen wir, die dürfen
nicht fehlen. Und nun binde nur das Sträußchen zusammen.«
»Gut.
Aber womit? Wir wollen es lassen, bis wir eine Binse finden.«
»Nein,
so lange will ich nicht warten. Und ein Binsenhalm ist mir auch nicht
gut genug, ist zu dick und zu grob. Ich will[was
Feines. Weißt du, Lene, du hast so schönes langes Haar; reiß eins
aus und flicht den Strauß damit zusammen.«
»Nein«,
sagte sie bestimmt.
»Nein?
warum nicht? warum nein?«
»Weil
das Sprüchwort sagt: ›Haar bindet.‹ Und wenn ich es um den
Strauß binde, so bist du mitgebunden.«
»Ach,
das ist Aberglauben. Das sagt Frau Dörr.«
»Nein,
die alte Frau sagt es. Und was die mir von Jugend auf gesagt hat,
auch wenn es wie Aberglauben aussah, das war immer richtig.«
»Nun
meinetwegen. Ich streite nicht. Aber ich will kein ander Band um den
Strauß als ein Haar von dir. Und du wirst doch nicht so eigensinnig
sein und mir's abschlagen.«
Sie
sah ihn an, zog ein Haar aus ihrem Scheitel und wand es um den
Strauß. Dann sagte sie: »Du hast es gewollt. Hier, nimm es. Nun
bist du gebunden.«
Er
versuchte zu lachen, aber der Ernst, mit dem sie das Gespräch
geführt und die letzten Worte gesprochen hatte, war doch nicht ohne
Eindruck auf ihn geblieben.
(Fontane: Irrungen Wirrungen 11. Kapitel)
Im 14. Kapitel sagt Lene:
»Du fühlst selbst, daß ich recht habe; dein gutes Herz sträubt sich nur, es zuzugestehen, und will es nicht wahr haben. Aber ich weiß es: Gestern, als wir über die Wiese gingen und plauderten und ich dir den Strauß pflückte, das war unser letztes Glück und unsere letzte schöne Stunde.«
Gegen Ende des Romans verbrennt Botho Lenes Briefe und damit zusammen den Blumenstrauß. Als alles verbrannt ist, sagt er: "Und doch gebunden."
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