Ein Kritiker liest die von Marcel Reich-Ranicki hochgelobte Novelle jetzt erstmals und konstatiert:
"Walser enttäuscht die Lesererwartung aufs Entzückendste. Auf dem Höhepunkt der dramatischen Handlung schildert sein Held auf einer halben Seite mit Musilscher Genauigkeit ein Insekt, ein grünes Heupferd, das auf seinem Bettvorleger liegt." (Michael Maar, FAZ 24.3.17)
Ich habe die Novelle damals gelesen und Reich-Ranickis Lob nicht nachvollziehen können.
Für mich bleibt "Ehen in Philippsburg" das stärkste Leseerlebnis meiner Walserlektüre.
Mit der Kristlein-Trilogie konnte ich nichts anfangen, ich bin über ein erstes Hineinlesen nie hinausgekommen. Das Schwanenhaus und der Brief an Lord Liszt halfen mir, die dabei entstandene Allergie zu überwinden. Finks Krieg hat mir wegen des Gegenstands recht gut gefallen. Die Verteidigung der Kindheit sprach mich ebenfalls vom Gegenstand her an. In beiden Fällen imponierte mir die positive Sicht auf den vom Schicksal gebeutelten Helden, die mir nicht so larmoyant erschien wie Kristlein.
Ein springender Brunnen hat mir gut gefallen, freilich habe ich eine gewisse Schwäche für Autobiographisches, insofern sagt das nicht viel. Ein liebender Mann und Muttersohn habe ich vor allem aus Interesse an Goethe und Theologie gelesen. Aber ich habe nicht die Besorgnis, dass ich etwas verpasse, wenn ich Werke von Walser nicht kennen lerne.
Bei den beiden Malen, wo ich ihn auf Dichterlesungen erlebt habe, hat er mir imponiert (er las ausgezeichnet), und andererseits hat mich seine Verletzlichkeit* gerührt. *
Bei Frisch und Johnson hätte ich keine ihrer wichtigeren Schriften verpassen wollen. Bei Grass wollte ich alles zumindest angelesen haben und habe ich manches mit Vergnügen gelesen.
Mehrmals lesen will ich vor allem Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts und Thomas Mann. Und natürlich meine Favoriten unter den Erzählungen von Kafka.
De Bruyns autobiographische Schriften hätte ich beinahe übergangen. Aber jetzt fallen mir die englischen Autoren ein, und da höre ich lieber auf, sonst merke ich, dass ich viel zu pauschal geschrieben habe. Ich lasse es aber trotzdem einmal so stehen.
*Julia Encke ist aus einer Lesung mit Walser hinausgegangen:
"Ich ging auf Distanz. Im Moment, in dem ich Martin Walser zum ersten Mal sah, begann ich, mich von ihm zu entfernen. Für das Monument Walser, den staatstragenden Gestus* bin ich, auch später, deshalb nie anfällig gewesen. Ich fand die Paulskirchen-Rede unmöglich und las lieber Camus und Simone de Beauvoir. Vor einem Jahr habe ich ein Gespräch mit ihm geführt. Meine Distanz, dachte ich, wäre eine gute Voraussetzung. Ich verabredete mich mit ihm in einem Gasthaus in München. Er war sehr freundlich, und ich erzählte ihm von meinem Deutschlehrer und dass er als Autor von „Ein fliehendes Pferd“ und „Brandung“ eine Weile lang mein Lieblingsschriftsteller gewesen sei. Er fand, ich hätte einen sehr guten Deutschlehrer gehabt. Ich musste lachen. Aber er hatte ja recht. Ich mag „Brandung“ noch immer." Der vollständige Artikel findet sich hier.
*"staatstragend" habe ich Walser nie erlebt. Und ich bin fasziniert davon, wie unterschiedlich man ihn sehen und seine Werke aufnehmen kann. Offenbar ist er - bei aller Ähnlichkeit seiner Suada - imstande, in seinen Lesern ganz unterschiedliche Saiten anzuschlagen.
Ein Sohn seiner Zeit
vor 21 Stunden
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