Das Buch ist so mitreißend geschrieben, dass es in meiner Familie von Hand zu Hand ging und lange Familiengespräch war, bevor ich als der Jüngste eine Chance hatte, darin zu lesen. Ständig wurden Situationen aus dem Buch beschrieben, die ich nicht in einen Kontext bringen konnte. In meiner Erinnerung von vor ca. 60 Jahren ist für mich die Formulierung "Und wie er am Steuer stand" in Erinnerung, die schon damals dafür stand, dass alle wussten, wovon die Rede war und sich über die Wertung dieser so bedeutsamen, grotesken Situation austauschten, während ich nur "Bahnhof verstand".
Heute ist mir das Buch wieder in die Hände gefallen. Eine Passage vor dem Auftreten des Commander Queeg, das das Zentrum des Buches ausmacht, fesselte mich so, dass ich beschloss, mir noch einmal einen Eindruck von dem Buch (1951 auf englisch veröffentlicht, 1955 auf Deutsch) zu verschaffen. Ich war wieder sofort hineingezogen und musste dann freilich feststellen, dass es 60 Seiten über das Ende der Gerichtsverhandlung hinaus geschrieben war, die ich als Ende des Buches in Erinnerung hatte.
Diese 60 Seiten habe ich nur überflogen, sie machten mir wieder keinen Eindruck, der Sog war mit dem Urteilsspruch verschwunden. Auch wenn ich die Feier nach dem Freispruch des Ersten Offiziers noch mit Erstaunen zur Kenntnis nahm, weil sie mit der Ehrenrettung des von mir "verdammten" Commander Queeg durch den Anwalt schloss, der ihn im Kreuzverhör dazu gebracht hatte, sich völlig unglaubwürdig zu machen.
Für mich das bleibende Beispiel für ein alle Familienmitglieder fesselnden Buches, obwohl wir später andere Bücher weit mehr schätzten und weit öfter und intensiver lasen.
Interessanterweise gibt es keinen deutschen Wikipediaartikel dazu.
Für die, die mehr über den Inhalt des Buches erfahren wollen, hier das Link zu dem Wikipediaartikel zu The Caine Mutiny.
Achtung Spoiler:
Hier ein paar Hinweise, wie es Wouk gelingt, die wesentlichen Episoden der Handlung zweimal zu erzählen und doch die Spannung aufrechtzuerhalten:
Seinen Anwalt, einen Columbo avant la lettre, schildert er als unscheinbar, aber raffiniert. Die Vorausdeutung, dass er eine völlig ungewöhnliche Verteidigungsstrategie wählen werde, und der Unterschied zwischen Kompensation von Defiziten einer Persönlichkeit und Verarbeitung von früheren Konflikten (nach der Freudschen Theorie) ermöglicht es Wouk, die Leser zu fesseln, obwohl sie ziemlich sicher sind, dass der Verteidiger sich durchsetzen wird.
Nach der Auflösung dieser Spannung fehlt dem Rest des Romans der Zug nach vorne.
Die Aufdeckung, dass der Offizier als Amateurschriftsteller in gefährlichen Situationen scheitert, der junge Offizier aber, der zunächst eine laxe Dienstauffassung hatte, sich bewährt, hinterließen mir als jugendlichem Leser keinen Eindruck mehr.
Inzwischen habe ich meinen Lektürebericht aus dem Jahr 1959 in meinem Lesetagebuch gefunden. Er schildert die Handlung bis zum Schluss. Die Liebeshandlung, die für einen Erwachsenen die Restspannung aufrechterhalten sollte, wird erwähnt, machte aber offenkundig keinen bleibenden Eindruck.
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