Genua ist ein Freihafen, das heißt, die Schiffe dürfen in den Porto Franco einlaufen, ohne Hafengebühren zu zahlen; aber die Freiheit ist sonst eben nicht sehr groß und erstreckt sich nicht etwa auf einen Handel ohne Abgaben und Zölle; im Gegenteil, die Stadt ist gegen den Freihafen hin mit einem gemauerten Basar umgeben, durch dessen Tore man nicht passiert, ohne durchsucht zu werden, und dieses Gesetz wird streng gehandhabt. Jeden Morgen, wenn wir mit der Barke vom Seebade zurückkamen und das Tor durchschreiten wollten, ersuchte man uns, die Handbeutel zu öffnen, in denen wir unsere Badewäsche tragen ließen, und das geschah nicht nur am ersten Tage, sondern es wiederholte sich an vierzehn Morgen, obgleich die Zollbeamten uns als Fremde und Badegäste kannten. [...]
Besonderheiten des Umgangs innerhalb der italienischen Gesellschaft im Vergleich zur deutschen:
Auffallend war mir oft das Verhältnis der niederen Stände in Italien zu den höheren, der Dienerschaft zu der Herrschaft. Es liegt in diesen Verhältnissen dort noch etwas von dem Patronat der Römerzeit. »La mia famiglia« nennen die Italiener ihre Dienerschaft. »Meine Familie besteht aus fünf, sechs Personen« bezieht sich nicht auf Frau und Kinder, wenn ein Italiener der höheren Stände es sagt. Man behandelt die dienende Klasse gut, man redet sie mit dem Worte padrone und padrona an. Dies setzt schon eine gewisse Achtung für sie voraus, die uns noch fehlt. [...]
Dafür ist denn das Volk auch von einer auffallenden Höflichkeit und Zuvorkommenheit. Als wir nach Genua kamen, hatten wir, da wir einen längern Aufenthalt machen wollten, die Absicht, eine Privatwohnung zu mieten, und ich war, eine empfohlene Wohnung suchend, die Strada Nuova und Strada Nuovissima entlanggegangen. Dabei trat ich in den Laden einer Putzmacherin, die allein arbeitend darin saß, und bat sie um Auskunft, weil ich den Lohndiener fortgeschickt hatte. Sie beschrieb mir den Weg, merkte aber wohl, daß ich dennoch mich in den höchst verschlungenen Straßen nicht zurechtfinden würde. Als ich dankend hinausgehe, ruft sie mir zu: »Warten Sie, Signora, ich will Sie begleiten. Sie kommen wohl schwer in Ihr Hotel zurück.« Mit den Worten nahm sie den weißen Schleier über den Kopf, den Fächer in die Hand, schloß ihren Laden, gab dem Friseur, dessen Bude zunächst an die ihre stieß, den Schlüssel und die Weisung, daß sie gleich zurückkehre, und ging nun ganz fröhlich plaudernd, mich um mein Vaterland und andere Dinge fragend, bis an mein Hotel mit mir. Als ich ihr eine Entschädigung für ihren Zeitverlust anbot, lehnte sie dieselbe mit der verneinenden Handbewegung der Italiener ab und sagte: »Es hat mir Vergnügen gemacht, Ihnen zu dienen« (mi ha fatto piacere di servirla); so daß mir nichts übrigblieb, als ihr später durch einen kleinen Einkauf in ihrem Laden meinen Dank auszudrücken. Mögen nun diejenigen, welche gewohnt sind, in Italien und an den Italienern alles schwarz zu sehen, dies eine schlaue Berechnung nennen, mir hat es wohlgetan. Es ward mir ein Dienst auf erwünschte Weise geleistet, und ich lasse mir es lieber gefallen, daß jemand auf meine Dankbarkeit spekuliert, was schon eine Art von Zutrauen voraussetzt, als daß er mich unwirsch und kurz abfertigt, wie es so oft geschieht. Die Höflichkeit der Vornehmen untereinander ist allerdings bisweilen nur ein Goldfirnis über schlechtem Stoffe, aber die Höflichkeit und ein wohlwollendes Betragen in den unteren Volksklassen sind ein unwiderlegliches und mir erfreuliches Zeichen der Gesittung. [...]"
(Fanny Lewald: Italienisches Bilderbuch, Genua Hafenfahrt)
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