An Bertha von Buchan
31.1.1841Wir haben seit meinem letzten Briefe Weihnacht und Neujahr gehabt, was ich ja alles, wie schon gesagt und beklagt, hier in Kiel verleben mußte. Indes hatten wir sechs Husumer doch einen Weihnachtsabend, wovon ich Dir wenigstens etwas erzählen will, da das Ganze bei mir gewiss bleibend einen freundlichen Eindruck zurücklassen wird. Ich mit noch einem Freunde arrangierte das Ganze mit aller möglichen Heimlichkeit vor den anderen; in einem großen Zimmer stellten wir eine prachtvolle acht Fuß hohe Tanne auf, schmückten sie reichlich mit goldenen Äpfeln, Eiern, Netzen, Zuckerzeug und vielen bunten Lichtern; von der Spitze zu jeder Seite herab hängen zwei lange weißseidene Fahnen, auf der einen die Wappen von Schleswig und Holstein, darunter ein Königsausspruch, der die bleibende Vereinigung dieser beiden Herzogtümer ausspricht [...] - auf der anderen Fahne das Husumer Stadtwappen, als Umschrift einen Vers aus einem alten Studentenliede: "Süßer Traum der Kinderjahre, kehr noch einmal uns zurück. [...]
Daß mein Polterabendgedicht gefallen, ist mir lieb, noch lieber, daß Du gefallen hast. Wenn ich Ostern bei Euch bin, muß ich doch das Vergnügen haben, mein Gedicht einmal aus Deinem Munde zu hören; dann wollen wir auch die "Elemente" zusammen lesen. Bete nur um den Frühling!
Tausend Grüße an Deine gute Mutter!
Dein Theodor
An Theodor Mommsen
Husum, 31.10.1842
"[...] Der Brief von Berthas Mutter ladet mich freundlich ein, doch steht nach dem freundlichen Willkomm der verdächtige Satz da: "Ich denke, Sie sollten uns allen eine angenehme Erinnerung hinterlassen. – B. dankt schön für Ihren lieben Brief." – Ich habe an B. geschrieben, ich hoffte, Weihnacht zu kommen. –
[September oder Oktober 1842 hatte Storm Bertha einen Heiratsantrag gemacht, den sie zurückwies.]
Unsrer plattdeutschen Sprichwörtersammlung verspreche ich hier guten Erfolg; ich habe ganz Prima entzündet; und meine Mutter interessiert sich dafür; auch Nähmädchen sind nicht zu verachten. [...]
Ach, es ist mir hier so wunderlich öde, unter meinem Fenster, wie vermisse ich da das leichtsinnige Kieler Straßengewimmel, es ist hier so still, und ich versichere sie, obgleich mein Fenster nicht hoch genug liegt, um sie zu sehen, man fühlt sie ordentlich, die große, wüste, menschenfeindliche Nordsee; ich bin’s gar nicht mehr gewohnt; es wird mir ganz unheimlich, wenn mit mir jeden Abend und jede Nacht die Fenster Stoß auf Stoß im harten Nordwest klirren. [...]"
An Theodor Mommsen
Husum, 1.12.1842 bis 9.1.1843
Husum, 23.1. bis 24.2.1843
Husum 14.5. bis 24.5.1843
Briefe im Zusammenhang der Herausgabe einer Sagensammlung zusammen mit Th. Mommsen und Karl Mühlenhoff und einer Liedersammlung "Liederbuch dreier Freunde" , herausgegeben von Storm und Theodor und Tycho Mommsen.
"Gestern Abend hielten wir noch das Konzert "Die Zerstörung Jerusalems", worauf wir fünf viertel Jahr geübt haben, und als ich zuletzt den vollen prächtigen Chor von über 50 Sängern, den ich gestiftet, dirigierte, als so alle Blicke an meinem Stäbchen hingen und die Tonwellen nun zum letzten Mal aus begeisterter Menschenbrust brausend hervor strömten, da musste ich mein Herz in beide Hände fassen, um nicht in Tränen auszubrechen.
Auch ich sang noch und sang aus meinem bewegten Herzen und mit mächtiger Stimme die schöne Arie: "Du wirst ja dran gedenken, denn meine Seele sagt es mir." Es war eine lautlose Stille. So, nachdem eben der volle Chor ausgebraust, zu singen und so gehört zu werden ist eins der glückseligsten Momente des Menschenlebens. – Es war für mich zum letzten Mal." (Th. Storm an seinen Vater Johann Casimir Storm, Heiligenstadt 11. März 1864)
An Eduard Mörike Husum, 3. Juni 1865
"Mein verehrter Freund,
nach langer Zeit komme ich wieder einmal zu Ihnen; diesmal aber als ein Mann, dessen Lebensglück zu Ende* ist und über dessen Zukunft die Worte stehen, die Dante über seine Hölle schrieb. "("Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren." (Dante: Die Göttliche Komödie, Hölle, 3. Gesang)
Ausgabe von Theodor Storm: Briefe in 2 Bänden, Berlin Weimar 1972 von Peter Goldammer (1921-2014)
* Seine Frau Constanze Storm starb am 24. Mai 1865 nach der Geburt ihrer Tochter Gertrud.
An Hartmuth und Laura Brinkmann Husum 21. April 1866
"[...] In mein Leben, wie in meine Poesie theilen sich zwei Frauen; die eine die Mutter meiner Kinder, Constanze, die so lange der Stern meines Lebens war, ist nicht mehr; die andre lebt, nachdem sie fern von mir allein und oft in drückender Abhängigkeit verblüht ist. Beide habe ich geliebt, ja beide liebe ich noch jetzt; welche am meisten, weiß ich nicht; die erschütterndste Leidenschaft hat mir einst die noch Lebende eingeflößt; die leidenschaftlichen Lieder, die Ihr ja oft gelesen, sind der Kranz, den sie noch jetzt in ihrem Haar trägt. Beide sind sie, obwohl sonst mannigfach verschieden, die süßesten mildesten Frauenseelen, die ich im Leben gefunden und von grenzenloser Hingebung an den geliebten Mann. Das wäre noch alles schön u. gut; aber die Leidenschaft für die Lebende brach über mich herein, als die Verstorbene schon mein Weib war. — So kam es.
Dazu:
Storms Frauen in seinen Gedichten
Dorothea Jensen. Die zweite Frau von Theodor Storm, 14.9.2017
Haupt: Theodor Storm
An Theodor Mommsen
Husum, 1.12.1842 bis 9.1.1843
Husum, 23.1. bis 24.2.1843
Husum 14.5. bis 24.5.1843
Briefe im Zusammenhang der Herausgabe einer Sagensammlung zusammen mit Th. Mommsen und Karl Mühlenhoff und einer Liedersammlung "Liederbuch dreier Freunde" , herausgegeben von Storm und Theodor und Tycho Mommsen.
"Gestern Abend hielten wir noch das Konzert "Die Zerstörung Jerusalems", worauf wir fünf viertel Jahr geübt haben, und als ich zuletzt den vollen prächtigen Chor von über 50 Sängern, den ich gestiftet, dirigierte, als so alle Blicke an meinem Stäbchen hingen und die Tonwellen nun zum letzten Mal aus begeisterter Menschenbrust brausend hervor strömten, da musste ich mein Herz in beide Hände fassen, um nicht in Tränen auszubrechen.
Auch ich sang noch und sang aus meinem bewegten Herzen und mit mächtiger Stimme die schöne Arie: "Du wirst ja dran gedenken, denn meine Seele sagt es mir." Es war eine lautlose Stille. So, nachdem eben der volle Chor ausgebraust, zu singen und so gehört zu werden ist eins der glückseligsten Momente des Menschenlebens. – Es war für mich zum letzten Mal." (Th. Storm an seinen Vater Johann Casimir Storm, Heiligenstadt 11. März 1864)
An Eduard Mörike Husum, 3. Juni 1865
"Mein verehrter Freund,
nach langer Zeit komme ich wieder einmal zu Ihnen; diesmal aber als ein Mann, dessen Lebensglück zu Ende* ist und über dessen Zukunft die Worte stehen, die Dante über seine Hölle schrieb. "("Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren." (Dante: Die Göttliche Komödie, Hölle, 3. Gesang)
Ausgabe von Theodor Storm: Briefe in 2 Bänden, Berlin Weimar 1972 von Peter Goldammer (1921-2014)
* Seine Frau Constanze Storm starb am 24. Mai 1865 nach der Geburt ihrer Tochter Gertrud.
An Hartmuth und Laura Brinkmann Husum 21. April 1866
"[...] In mein Leben, wie in meine Poesie theilen sich zwei Frauen; die eine die Mutter meiner Kinder, Constanze, die so lange der Stern meines Lebens war, ist nicht mehr; die andre lebt, nachdem sie fern von mir allein und oft in drückender Abhängigkeit verblüht ist. Beide habe ich geliebt, ja beide liebe ich noch jetzt; welche am meisten, weiß ich nicht; die erschütterndste Leidenschaft hat mir einst die noch Lebende eingeflößt; die leidenschaftlichen Lieder, die Ihr ja oft gelesen, sind der Kranz, den sie noch jetzt in ihrem Haar trägt. Beide sind sie, obwohl sonst mannigfach verschieden, die süßesten mildesten Frauenseelen, die ich im Leben gefunden und von grenzenloser Hingebung an den geliebten Mann. Das wäre noch alles schön u. gut; aber die Leidenschaft für die Lebende brach über mich herein, als die Verstorbene schon mein Weib war. — So kam es.
Während meines Brautstandes kam meine Schwester Cäcilie mit einem etwa 13jährigen Mädchen, einer feinen zarten Blondine, auf mein Zimmer. Sie hatten sich verkleidet und hielten sich eine Zeit lang bei mir auf. Als sie gegangen sagte ich mir betroffen, daß dieses Kind mich liebe, und erinnere mich dessen noch wohl, daß sie schon damals einen eigenthümlichen Reiz für mich hatte.
Ich heirathete und jenes Mädchen, damals eben aufgeblüht kam oft in unser Haus. In meiner jungen Ehe fehlte Eins, die Leidenschaft; meine und Constanzens Hände waren mehr aus stillem Gefühl der Sympathie in einander liegen geblieben. Die leidenschaftliche Anbetung des Weibes, die ich zuletzt für sie gehabt, gehört ihrer Entstehung nach einer späteren Zeit an. Aber bei jenem Kinde, die wie ich glaube mit der Leidenschaft für mich geboren ist, da war jene berauschende Athmosphäre, der ich nicht widerstehen konnte. Vielleicht mag ich auf sie eine gleiche Wirkung gehabt haben. Gewiß ist, daß ein Verhältniß der erschütterndsten Leidenschaft zwischen uns entstand, das mit seiner Hingebung, seinem Kampf und seinen Rückfällen jahrelang dauerte und viel Leid um sich verbreitete, Constanze und uns. [...]"
An Paul Heyse 17.5.1888
Wie köstlich es gestern, unser Frühlingsanfang-Tag, in meinem Tannengarten war! Ich wollt, Du wärst bei mir gewesen. Alles voll Vogelgesang, und der tut merkwürdig wohl, wenn man selber matt und sangberaubt sich in der Sonne wärmt. Gartenlaubsänger, Buchfink, Meisen, Hänfling - alle waren sie da und sangen um mich her; sie bauten sich dabei wohl ihre Nester in den dichteren Tannenbeständen; sogar der Star, der Spitzbub, kam und ließ sich, wohl nur um die Gelegenheit zu besehen, auf einen Kirschbaum nieder, der noch mit unaufgebrochenen Knospen stand. Frau Nachtigall sang freilich am 1. Mai den ganzen Tag in meinen Tannen und dann noch zweimal später; aber es waren nur Höflichkeitsvisiten; und gestern abend schrie der Waldkauz aus den Tannen, der nur dem einen Gedanken nachgeht, all meine Künstler aufzufressen; bei Tage, und wohl auch später, schleicht ein schwarzer Kater hier herum: so steht der Tod an allen Freuden, und wir dürfen ihn nicht außer Rechnung lassen.
An Paul Heyse 17.5.1888
Wie köstlich es gestern, unser Frühlingsanfang-Tag, in meinem Tannengarten war! Ich wollt, Du wärst bei mir gewesen. Alles voll Vogelgesang, und der tut merkwürdig wohl, wenn man selber matt und sangberaubt sich in der Sonne wärmt. Gartenlaubsänger, Buchfink, Meisen, Hänfling - alle waren sie da und sangen um mich her; sie bauten sich dabei wohl ihre Nester in den dichteren Tannenbeständen; sogar der Star, der Spitzbub, kam und ließ sich, wohl nur um die Gelegenheit zu besehen, auf einen Kirschbaum nieder, der noch mit unaufgebrochenen Knospen stand. Frau Nachtigall sang freilich am 1. Mai den ganzen Tag in meinen Tannen und dann noch zweimal später; aber es waren nur Höflichkeitsvisiten; und gestern abend schrie der Waldkauz aus den Tannen, der nur dem einen Gedanken nachgeht, all meine Künstler aufzufressen; bei Tage, und wohl auch später, schleicht ein schwarzer Kater hier herum: so steht der Tod an allen Freuden, und wir dürfen ihn nicht außer Rechnung lassen.
Dazu:
Storms Frauen in seinen Gedichten
Dorothea Jensen. Die zweite Frau von Theodor Storm, 14.9.2017
Haupt: Theodor Storm
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